Ich klage an - Wolfgang Liebeneiner (1941)
Moderator: jogiwan
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Ich klage an - Wolfgang Liebeneiner (1941)
D 1941
D: Paul Hartmann, Heidemarie Hatheyer, Mathias Wieman, Charlotte Thiele
Alles ist gut. Hanna Heyt ist eine lebenslustige Frau aus reichem, gutbürgerlichem Hause, ihr einige Jahre älterer Ehemann Thomas ist Professor an der Uni, wo er in der medizinischen Forschung tätig ist. Soeben hat ihn der Ruf aus München ereilt, wo er die Leitung des Pettenkofer-Instituts übernehmen soll. Hanna nimmt dies zum Anlass, für den Abend spontan eine Feier zu veranstalten, auf der sich die gesamte medizinische Prominenz die Ehre gibt. Lediglich Dr. Bernhard Lang, Hausarzt der Heyts, guter Freund der Familie und früher mal mit Hanna liiert, verspätet sich, weil er sich noch um einen Säugling mit Hirnhautentzündung kümmern musste.
Wie in alten Tagen unterhalten Bernhard, Thomas und Hanna ihre Gäste als musikalisches Trio, doch dann ereilt Hanna ein Krampf der linken Hand. Ende der Musikstunde. Und außerdem war sie früher am Tag auf der Kellertruppe ausgerutscht. Kein Problem. Alles ist gut.
Als der Krampf nicht vergehen will, sucht Hanna Bernhard in seiner Praxis auf. Sie glaubt, schwanger zu sein und hält diesen Zustand auch für den Auslöser ihre körperlichen Probleme. Alles ist gut. Bernhard freilich machen Hannas Symptome ernstliche Sorgen, seine Diagnose lautet nämlich "Multiple Sklerose", zur damaligen Zeit weder heil- noch behandelbar. Ein Todesurteil.
Freilich eines, vom dem er Thomas in Kenntnis setzt, es Hanna aber verheimlicht. Thomas weiß natürlich, was die Diagnose MS bedeutet. Lähmung erst der Hand, dann des Arms, beider Arme, der Beine, schließlich der Atemwege, Tod auf Raten. Zum Glück ist er ein brillanter Mediziner und so stürzt er sich mit seinem Team, bestehend aus seinen Asisstenten Dr. Höfer und der alleinstehenden und wohl heimlich in ihn verliebten Dr. Barbara Burckhardt in die Forschung. Denn wenn er keinen Weg findet, MS zu heilen, wer sollte dann, dazu in der Lage sein?
Tatsächlich kann das Team einige Viren isolieren, was Hilfe für andere Krankheiten bedeuten könnte. Dem Geheimnis von MS kommt aber auch Thomas nicht auf die Spur, während zu Hause sich Hannas Zustand laufend verschlechtert. Unter welcher Krankheit sie leidet, wird ihr weiterhin verschwiegen, doch merkt sie natürlich, dass es ernst, sehr ernst, sein muss. Und so bittet sie eines Tages Bernhard, sie zu erlösen, falls sie eines Tages nur noch ein "Fleischklumpen" sein sollte, der "blind und taub" ohne Aussicht auf Heilung vor sich hinvegetieren müsste. Bernhard lehnt dieses Ansinnen empört ab und verweist auf den hippokratischen Eid.
Dann wird Thomas eines Tages aus seinem Labor geholt. Er solle sofort nach Hause kommen, Hanna gehe es ganz schlecht. Das Atemzentrum ist von der Lähmung betroffen, die Endphase von Hannas Leben eingeläutet. Thomas beschließt, Hannas Leben mit einer Injektion ein Ende zu setzen.
Hannas Tod führt zum Zerwürfnis zwischen Thomas und Bernhard.
Bernhard: Weil ich sie geliebt habe, habe ich sie nicht getötet
Thomas: Ich habe sie mehr geliebt, deshalb habe ich es getan.
Die Haushälterin bekommt die Auseinandersetzung mit und erzählt Hannas Bruder Edward davon, der glaubt, dass Thomas Hanna mit seiner Assistentin Barbara betrogen habe. Er erstattet Anzeige, und so findet sich Thomas wegen Mordes vor Gericht wieder.
Thomas schweigt. Außer der Aussage, dass er seine Frau geliebt habe, ist ihm im Gerichtssaal nichts zu entlocken.
Fragt sich der Zuschauer bis hierhin noch, warum eigentlich Liebeneiners Film bis heute nur eingeschränkt vorgeführt werden darf (die Murnau-Stiftung als Rechteinhaberin behandelt ihn als Vorbehaltsfilm und gibt ihn nur für Kinoaufführungen mit fachkundiger Einleitung und anschließender Diskussionsmöglichkeit frei), ist das Thema Sterbehilfe schließlich bis heute heftig umstritten, kommt es im letzten Teil dann noch zum Tiefschlag.
Im Prozess soll geklärt werden, ob es sich um Mord oder Tötung auf Verlangen handelt. Entsprechend werden auch die Zeugen befragt, ob Hanna selbst nach der Tötung verlangt hätte. Ihr Bruder und die Haushälterin weisen das entschieden zurück, andere hielten das für denkbar. Bernhard ist nach Hannas Tod abgetaucht, niemand weiß, wo er steckt. Die medizinischen Sachverständigen können nicht mit Bestimmtheit klären, ob das von Thomas verabreichte Gift tatsächlich die Todesursache ist, oder ob der Tod nicht bereits aufgrund der Atemlähmung eingetreten war.
Unterdessen ist Bernhard wieder zu Hause, wo er einen Brief vorfindet. Er stammt von den Eltern des an Hirnhautentzündung erkrankten Säuglings, die sich beklagen, dass er, Bernhard, auf einmal nicht mehr da gewesen sei. Das Kind sei nun aufgrund seines ärztlichen Einsatzes "blind, taub und idiotisch" und vegetiere in einer Anstalt. Er hätte es besser sterben lassen sollen. Bernhard fährt sofort zu der Anstalt, um nach dem Kind zu sehen. Was er dort genau sieht, wird dem Zuschauer nicht gezeigt, doch als Bernhard den Raum wieder verlässt, hat sich bei ihm entscheidendes geändert.
Im Gerichtssaal beginnt der Staatsanwalt mit seinem Plädoyer. Milde fordert er für den Angeklagten, auch wenn man für seine Tat natürlich bestrafen müsse. Er kommt aber nicht allzu weit, denn dem vorsitzenden Richter wird die Nachricht überbracht, dass Dr. Bernhard Lang auf dem Weg zum Gericht sei. Die Verhandlung wird unterbrochen. Das (Schwur-)Gericht zieht sich zurück.
Und diskutiert über den Fall. Ein Jäger weist darauf hin, dass er kürzlich seinen alten Hund eingeschläfert hat, weil er nicht mehr laufen konnte. Ein anderer erwidert, dass es sich schließlich hier um ein Menschenleben handele, worauf der Jäger entgegnet "Ja, sollen es denn die Menschen schlechter haben als die Tiere?". Es kommt zu Diskussionen über den Sinn oder Nicht-Sinn von Sterbehilfe, wobei sich herauskristallisiert, dass diese nach geltendem Recht strafbar sei, die Gesetze daher entsprechend geändert werden müssten.
Bernhard ist mittlerweile im Gericht eingetroffen. Er bestätigt, dass Hanna ihn gebeten hatte, sie zu töten, und das er Thomas' Verhalten jetzt verstehen könne. Thomas bricht daraufhin sein Schweigen, er gesteht, seiner Frau Gift gegeben und attackiert am Ende das Rechtsystem (siehe Titel) und fordert eine Legalisierung der Euthanasie. Der Film endet, ohne das Gerichtsurteil abzuwarten.
Uff! Dies war das erste Mal, dass ich einen der Vorbehaltsfilme aus der Zeit des 3. Reiches gesehen habe, und ich danke dem Metropolis-Kino Hamburg für diese Möglichkeit. Anlass für diese Vorführung war eine aktuell wohl noch laufende Ausstellung zu der Krankenmord-Thematik, und so wurde auch die Filmvorführung durch einen Vortrag eines Professors vom UKE (Universitätsklinikum Eppendorf) eingerahmt, der nicht nur Fachwissen zur Thematik vermittelte, sondern sich auch als filmaffin erwies.
"Ich klage an" war wohl der einzige Spielfilm jener Zeit, der die Tötung "unwerten Lebens" thematisierte. Er sollte wohl u.a. die Bevölkerung auf ein entsprechendes Gesetz vorbereiten, dass allerdings nicht verabschiedet wurde. Möglicherweise fürchteten die Nazis hier Widerstandsaufrufe seitens der Kirchen (im Vortrag wurde explizit auf den Münsteraner Bischof Graf von Galen hingewiesen, der in der Bevölkerung sehr beliebt gewesen sein soll und sich klar gegen die Krankenmorde positionierte), inoffiziell hingegen wurden "lebensunwerte" Menschen sehr wohl ermordet.
https://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_T4
https://de.wikipedia.org/wiki/Kinder-Euthanasie
Teilweise basierte der Film auf einem Buch von Hellmuth Unger, und auch der Organisator der Aktion T 4, Viktor Brack hatte da seine Hände mit im Spiel.
Wolfgang Liebeneiner hatte den Film gut unter Kontrolle. Er hat zwar einige Längen und ist insgesamt zu lang geraten, er ist aber ein gut gemachter Film. Nach dem Krieg konnte Liebeneiner rasch wieder als Regisseur tätig werden, sein erster Nachkriegsfilm war "Liebe 47" nach Wolfgang Borchert, der von den Nazis wiederholt inhaftiert wurde. Strange...
Wer die Möglichkeit hat, den Film im Kino sehen zu können, sollte die Chance nutzen, schon um selbst einen eigenen Einblick in ein menschenverachtendes und -vernichtendes System zu bekommen, wie es sich hier insbesondere im Schlussabschnitt offenbart.
Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass man einige der Vorbehaltsfilme in einer DVD-Edition mit ausführlichem informativem Booklet und einordnendem Audiokommentar veröffentlicht.
My conscience is clear
(Fred Olen Ray)
(Fred Olen Ray)