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Theseus, Held von Hellas - Silvio Amadio (1960)

Verfasst: Mo 20. Jun 2016, 14:25
von Salvatore Baccaro
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Originaltitel: Teseo contro il minotauro

Produktionsland: Italien 1960

Regie: Silvio Amadio

Darsteller: Bob Mathias, Rosanna Schiaffino, Alberto Lupo, Rik Battaglia, Carlo Tamberlani
Für die Königin von Kreta, Pasiphae, ist die Zeit des Sterbens gekommen. Doch die Regentin möchte nicht ins Totenreich eingehen ohne ihrem Gemahl Minos und ihrer Tochter Fedra ein Geheimnis zu enthüllen, das seit vielen Jahren auf ihrem Herzen lastet: Fedra hat eine Zwillingsschwester, Ariadne, die Pasiphae aber kurz nach der Geburt – wie auch immer sie das bewerkstelligt haben mag – außer Landes schaffen ließ, und die nun, nichts ahnend von ihrer adligen Herkunft, bei Zieheltern in einem Dörfchen irgendwo am Meer lebe. Wozu genau nun dieser Säuglingsimport gedient haben soll – ein möglicher Grund wäre, dass Pasiphae fürchtete, ihre Tochter Ariadne könne dem grässlichen Minotaurus geopfert werden, der in den unterirdischen Labyrinthen Kretas sein Unwesen treibt und regelmäßig schöne Jungfern zum Fraß verlangt, doch, andererseits, schien ihr der mögliche Verlust ihrer zweiten Tochter Fedra offenbar weniger schlaflose Nächte zu bereiten -, wird, zumindest in der mir vorliegenden Fassung, nicht abschließend geklärt. Deutlicher sind dafür die Motive, die Fedra dazu treiben, ihren Handlanger Syril mit folgendem Auftrag gen Festland zu schicken: Er soll Ariadne ausfindig machen, und über die Klinge seines Schwertes springen lassen, denn, so Fedras Logik, eine Thronerbin ist besser als deren zwei. Syril tut wie ihm geheißen – und das obwohl Pasiphae den genauen Namen von Ariadnes Aufenthalt gar nicht genannt hat -, und stellt sich dabei nicht feinfühliger an als der Antagonist irgendeines beliebigen Barbarenfilms: Statt Ariadne irgendwo aufzulauern und ihr heimlich, leise das Lebenslicht auszublasen, schart Syril eine Horde tumber Söldner um sich, fällt mit denen in Ariadnes Dorf ein und macht dieses dem Erdboden gleich – inklusive brennender Hütten, Leichenberge voller Unschuldiger, und unserem nominellen Helden, Theseus, der gemeinsam mit seinem Buddy Demetrius zufällig in der Gegend weilt, von den Rauchschwaden und Todesschreien angelockt wird, und sich Syils Bande tapfer und bärenstark in den Weg stellt. Natürlich bleibt Ariadne durch diese Intervention verschont, und natürlich verlieben Theseus und sie sich sofort ineinander, und natürlich schlägt sie, nun, wo ihre vermeintlichen Eltern mausetot sind, das Angebot nicht aus, ihn nach Athen zu begleiten, dessen König sein Papa ist und das er aufgrund langer Reisen und bestandener Abenteuer seit fünf Jahren nicht mehr gesehen hat. Demetrius, bei dem es sich übrigens wiederum um den Sohn eines Kretischen Ministers handelt, fällt früh schon die frappierende Ähnlichkeit zwischen Ariadne und Prinzessin Fedra auf, weiter denkt er sich indes nicht mal dann etwas dabei, als ihm in Athen Syril über den Weg läuft, und ihm, im wahrsten Wortsinn zwischen Tür und Angel, erklärt, sein Vater und seine Schwester würden in Minos‘ Folterkellern schmachten, und der einzige Weg für ihn, sie zu retten, sei es, Ariadne ein Dolch ins Herz zu jagen. In letzter Sekunde schrickt Demetrius vor dem Attentat zurück und öffnet sich Theseus, der nicht zögert, mit Ariadne und ihm nach Kreta aufzubrechen – immerhin gilt es nun die Ariadne nach dem Leben trachtende Fedra zu stürzen, Demetrius‘ Verwandtschaft vor dem Henkersbeil zu bewahren, und außerdem stellt der Minotaurus ja auch noch einen Schandfleck dar, den man im gleichen Handumdrehen von der Erdoberfläche wischen könnte…

Das Negativste gleich zu Beginn: Dem Titel TESEO CONTRO IL MINOTAURO zum Trotz, ist die Präsenz des Minos-Stiers selbst in vorliegendem Film derart marginal, dass es höchstens für den Status eines Nebendarstellers reicht. Zwar beginnt der Film mit einer Szene wie aus einem Horrorschocker – eine adrette Blondine stapft durch ein aus Pappmaché und bunten Leuchten zusammengesetztes Labyrinth und wird auf einmal von einer links ins Bild greifenden Pranke in den Würgegriff genommen -, anschließend muss der Zuschauer, der seine Sandalen tragende Muskelprotze am liebsten mit plüschigen Monstren prügeln sieht, jedoch eine Durststrecke von fast eineinhalb Stunden auf sich nehmen, denn erst im Grande Finale darf Theseus dann endlich auf die Bestie treffen - und sie innerhalb von drei Minuten abfrühstücken. Diese drei Minuten sind dann aber ein Traum für jeden, den ein grunzendes Monstrum aus der Werkstatt von Rambaldi und Konsorten in kindlicheres Entzücken versetzt als es jede Geisterbahn könnte: Wie eine Mischung aus Borowczyks Bête, dem König Kong und einem Geschöpf, das jeder Sesamstraßen-Folge zur Ehre gereichen würde, versprüht der überraschend wenig stierhafte Minotaurus den Charme eines Kuschelbären, verfügt dabei über eine recht ausdrucksvolle, individuelle Mimik, und stirbt einen pathetischen Tod, der ganz offenbar nach dem Schicksal des Zyklopen Polyphem modelliert worden ist. Die Geräusche, die der Minotaurus dabei von sich gibt, sind ebenso wie seine tapsigen, irgendwie unbeholfenen Bewegungen im Zusammenspiel mit den erwähnten pappigen Kulissen und dem vollen Körpereinsatz von Theseus-Darsteller Bob Mathias etwas, das den Film für mich in den peplum-Olymp erheben würde, selbst wenn sein gesamter Rest eine bloße Reihe routiniert abgespulter Genre-Szenen von intriganten Prinzessinen-Bitches, schmachtender Schönheiten, geölter Heldenmuskeln und bis zum Platzen angewandter Pathos-Formeln wäre. Nun, irgendwie ist TESEO CONTRO IL MINOTAURO das auch, doch zugleich schafft er es, seine Versatzstücke derart unterhaltsam und flott aneinanderzuheften, dass zumindest niemals Langeweile entsteht oder das Gefühl, unter falschen Voraussetzungen, nämlich einem letztlich kaum auftauchenden Minotaurus, in einen Film gelockt worden zu sein, der alibihaft allein um seine allerletzten Minuten herum konstruiert worden ist.

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Statt dass nun der Minos-Stier im Zentrum der Handlung steht – tatsächlich ist die gesamte Episode im Labyrinth eine nette Beigabe, die, ohne größere Verluste, auch komplett aus dem Drehbuch hätte gestrichen werden können -, sind es die üblichen Gutmenschenallüren unseres Sonnenscheins Theseus, verkörpert, wie bereits erwähnt, von dem US-amerikanischen Bob Mathias – (und wer wissen will, was der sonst noch alles draufhat, sollte sich unbedingt die Verfilmung seines aufregenden Lebens, THE BOB MATHIAS STORY von 1954, reinziehen). Wie so oft hat dessen Theseus mit dem mythologischen Vorbild kaum noch etwas gemein, so wie auch die gesamte Geschichte um Minos und seinen Stier einigermaßen gegen den Strich gebürstet worden ist. Nicht nur, dass der eigentlich skandalöseste Aspekt des Mythos komplett unter den Tisch fällt, nämlich, dass Pasiphae selbst den Minotaurus zur Welt gebracht hat, weil sie unbedingt mit einem Stier hatte vögeln wollen, wozu ihr der legendäre Erfinder und Vogelmensch Daedalus gar ein spezielles Gestell gebastelt hat – (und wer wissen will, wie das alles ausgesehen haben könnte, der sollte sich unbedingt Walerian Borowczyks Ovid-Adaption ARS AMANDI von 1984 reinziehen) -, auch ist der Plot um die getrennten Geschwister Ariadne und Fedra, von denen die eine lieb, die andere bitterböse ist, eine pure Erfindung der Drehbuchautoren, und selbst authentische Ideen wie beispielweise die um Ariadnes berühmt gewordenen Faden sind ziemlich zusammenhanglos in die sich oftmals überstürzende und sich gerne in Nebenschauplätzen verzettelnde Handlung eingeflochten. Wohl um zu beweisen, dass man über ein vergleichsweise staunenswertes Budget gebieten konnte, wird plötzlich ein Krieg zwischen Athen und Kreta vom Zaun gebrochen, der immerhin zu dem einen oder anderen statistenreichen Schlachtengemälde führt. Noch merkwürdiger empfand ich Theseus‘ Ausflug ins Reich der Meerjungfrauen, wo er aufwacht, nachdem er von Syril und seinen Rabauken über eine Klippe ins offene Mittelmeer gehetzt worden ist. Eine Meergöttin verguckt sich dort, ähnlich schnell wie zuvor Ariadne, in unseren Hünen und möchte, dass er für immer bei ihr im Garten der Oktopusse bleibe. Sogar seine Erinnerung könne sie ihm löschen, sodass er nie wieder an Ariadne denken und dadurrch Liebeskummer empfinden müsse. Doch Theseus bleibt standhaft, und bekommt dafür in einem Zauberspiegel gezeigt, was sich in seiner Abwesenheit an tragischen Dingen oberhalb der Gischtkronen abgespielt hat. Als er kurz darauf, wie von Zauberhand an die Küste gespült, dem Sonnenuntergang entgegentorkelt, ist diese Episode schon fast wieder vergessen. Aber was klingt wie Kritik, will ich eigentlich als echten kretischen Honig verstanden wissen, den ich TESEO CONTRO IL MINOTAURO ums Mäulchen schmiere: Gerade weil in diesem Film andauernd etwas Sinnloses oder Sinnvolles passiert, hält ihn das fern davon, in theatralisch-steifen Dialogszenen, übertriebenem Liebesgesäusel oder allzu schlecht choreographierten Schwert- und Faustkampfszenen zu erstarren, und nie Gefahr zu laufen, sich selbst zu ernst zu nehmen.

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Dabei hilft ihm nicht zuletzt eine Handvoll Szenen, die visuell und formal verrückt genug gestalten sind, um mich, jenseits jedweder Story, begeistern zu können. Die Eröffnung des Films allein ist wohl eine der packendsten, die mir in einem italienischen Sandalenfilm jemals untergekommen ist. Nachdem wir gesehen haben wie die bereits erwähnte Blondine im Stierlabyrinth von eben dessen Pranke das Hälschen zugeschnürt bekommen hat, lässt der Film seinen Vorspann über einer stilisierten, pseudo-antiken Darstellung des Endkampfes zwischen Theseus und dem Ungetüm ablaufen, die aussieht, als habe es auch eine zeitgenössische Vase – oder eine in einem Griechischen Restaurant unserer Tage – hätte schmücken können. Abrupt endet der Vorspann mit einem Schnitt hinein in ein neues Geschehen: Vor einem weiteren Minotaurus, nur diesmal kein echter, sondern einer aus Pappe bzw. Metall, hüpft ein als Stiermensch verkleideter Bursche in die Höhe, stiert bedeutungsschwanger an der Kamera vorbei und streckt ihr die Arme entgegen. Erst nach einem weiteren Schnitt stellen wir fest, dass wir einer Tanzdarbietung beiwohnen, die scheinbar rituell vor jeder Jungfrauenopferung im Palast Minos‘ von ausgewählten Tänzerinnen geboten wird, und die, mindestens, an Experimentalballette von Strawinsky erinnert. Obwohl uns freilich nie gezeigt wird, wie der Höllenstier seine Opfer en detail zerlegt, so wartet TESEO CONTRO IL MINOTAURO doch mit der einen oder anderen Härte auf. In den von Fedra dirigierten Folterkellern darf schon mal ein an einem Gitter befestigter Mann mit entblößtem Oberkörper langsam auf glühende Kohlen heruntergelassen werden, und der – ohne zu viel verraten zu wollen – Tod Fedras kommt plötzlich wie ein seine Grausamkeit rechtfertigendes Gottesurteil: Ein Stück eben dieser Kohle wird ihr von Theseus ins Gesicht geschleudert, was dieses versengt, und worauf sie, erblindet, kopfüber in die Hyänengrube stürzt, in der sie sonst ihre Opfer verfüttert hat. Für die lyrischen Töne, sprich: etwas Rheinromantik mitten im Mittelmeer, sind die Nymphen zuständig, die Theseus vor dem Ertrinken retten: junge Frauen in wallenden Gewändern, die grazil wie Fischlein durch den stechend blauen Ozean tauchen. Auch die Doppelgängergeschichte um Fedra und Ariadne weiß der Film besser abzuhandeln als es die meisten zeitgleich entstandenen BRD-Verwechslungskomödien hätten tun können. Eine besonders sinnträchtige Szene zeigt Fedra allein in ihrem Gemach wie sie sich in einem Handspiegel bewundert, und deutet damit schon auf diejenige voraus, in der sie später ihrer Zwillingsschwester gegenüberstehen, und sich damit Schauspielerin Rosanna Schiaffino selbst in die Augen blicken wird.

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Es gibt zwei Arten von italienischen Sandalenfilmen. Für die erste wird Mario Bavas ERCOLE AL CENTRO DELLA TERRA mein liebster Exponent bleiben: ein kunterbuntes Abenteuer, das das Wort Realismus nicht mal mit knallenden Leuchtfarbenstiften schreiben könnte. Für die zweite wird Sergio Griecos unsägliche Flaubert-Adaption SALAMBÓ mein liebstes Hassobjekt bleiben: ein sterbenslangweiliger Staubfänger, der zwischen seinen farblosen Helden und kalten Kulissen in lähmende Lethargie verfallen ist. Wo ich in diesem, zugegebenermaßen etwas groben, Schema TESEO CONTRO IL MINOTAURO einordnen würde, liegt auf der Hand. Zwar wagt Silvio Amadios Film sich niemals derart weit in Gefilde des ungefilterten Surrealismus vor wie Bavas Aufeinandertreffen von Herakles-Muskelpaketen und Christopher-Lee-Fangzähnen, dennoch trennen ihn Welten von einem Kostümkleiderständer wie SALAMBÓ, eben weil er nie mehr sein will als ein unterhaltsamer Spaß für große Jungs, die in ihrem Herzen klein geblieben sind.

Re: Theseus, Held von Hellas - Silvio Amadio (1960)

Verfasst: Di 21. Jun 2016, 00:23
von Salvatore Baccaro
Einfach nur göttlich, dieses Tier...

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