Originaltitel: Miami Golem
Produktionsland: Italien/USA 1985
Regie: Alberto de Martino
Darsteller: David Warbeck, John Ireland, Laura Trotter, Giorgio Favretto, Loris Loddi
In einem seiner letzten Filme lässt Alberto de Martino es noch einmal richtig krachen. In der von ihm selbst ausgedachten Geschichte, die MIAMI GOLEM zugrunde liegt, wird einmal mehr innerhalb des italienischen Genrekinos so viel eigentlich Disparates zusammengeführt, dass zumindest ich aus dem Staunen nicht herauskomme. Als Basis hält zwar ein Science-Fiction-Plot her, auf den dann aber derart viele Versatzstücke anderer Genre-Kontexte gepfropft werden, dass er spätestens beim Abspann aussieht wie ein Strommastkabel, auf dem die Vögel in zweiter und dritter Reihe Platz genommen haben. Es gibt Verfolgungsjagden per Motorboot durch die Sümpfe Miamis wie in einem zweit- oder drittklassigen US-Actionfilm, es gibt softpornographischen Sex und zwar zwischen einem Erdenmann und einer als Erdenfrau verkleideten Außerirdischen, es gibt mehr als genug Horror, wenn der sogenannte Golem in seinem Reagenzglas mit der Zeit immer bissiger und grimmiger wird, und irgendwann wie ein besonders garstiges Rumpelstilzchen ausschaut und agiert, es gibt einen deutschen Professor voller kühner Ideen, einen skrupellosen Kapitalisten, der gerne Auftragskiller anheuert, um seine Drecksarbeit erledigen zu lassen, im Prinzip unbeschreibliche Geistererscheinungen aus der vierten oder fünften Dimension, und sogar eine Szene, die Martino direkt aus Hitchcocks NORTH BY NORTHWEST kopiert war: In beiden Filmen bekommt es der unschuldig in die Misere hineingeratene Held auf freiem Feld mit einer Gefahr von oben zu tun, einem Flugzeug, aus dem ein Maschinengewehr auf ihn feuert. Für Cary-Grant-Ersatz David Warbeck ist MIAMI GOLEM dabei so etwas wie eine Soloeinlage: In quasi jeder Szene ist der gute Mann präsent, glänzt mit markigen Typen, mit überschüssiger Sexualenergie und einer Coolness, die nichts erschüttert – keine um die Ohren pfeifenden Kugeln, keine Geliebte, die sich als Aliens outen, keine Doppelgänger, die ihm verkünden, er sei von außerirdischen Mächten auserwählt worden, die Erde zu retten.
In diesem Potpourri an kruden Ideen, die andauernd derart durcheinanderpurzeln, dass ich dem Film liebend gerne seine eher statischen, uninspirierten technischen Aspekte – Montage, Schnitt, Bildästhetik – verzeihe, gehen zwei Punkte leicht unter, die ich jedoch als wesentlich an MIAMI GOLEM erachte: 1. Dieser Film, das zeigt schon allein sein Titel, ist eine ziemlich kluge Fortschreibung des klassischen Mythos von der Lehmfigur, die ein gewisser Rabbi Löw Ende des Mittelalters im Prager Judenghetto geschaffen haben soll, und die den dortigen Bewohnern wie eine Art freundlicher Zombie mit Hünenkräften bei alltäglichen Verrichtungen unter die Arme griff, sie schließlich sogar in der Gunst des Kaisers Sigismund steigen ließ, dann aber Amok lief, das halbe Ghetto in Schutt und Asche legte, und von Löw im letzten Moment aufgehalten wurde, indem er sich selbst der Wut der Kreatur opferte. Während der expressionistische Stummfilmklassiker von Paul Wegener, DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM (1920), diese freilich in vielen Versionen überlieferte Geschichte in historischem Ambiente als halbes Märchen erzählt, ist Alberto de Martinos MIAMI GOLEM eine absolut moderne Interpretation derselben – und zwar so modern, dass man sich manchmal fragt, inwieweit denn die beiden Bestandteile seines Titels, Miami und Golem, nun wirklich integral für die eigentliche Handlung sind: Könnte der Film nicht überall spielen?, und muss das ekelige Monster-Baby unbedingt ein Golem sein? Dennoch findet sich eine überdeutliche Anspielung gerade auf Wegeners Klassiker und den deutschen Stummfilm an sich: Wenn Craig und Jane im Labor von übernatürlichen Visionen heimgesucht werden . sie werden gesendet von den sie vor dem vermeintlichen Golem warnen wollenden Außerirdischen -, dann sind darunter Bilder von sich öffnenden und schließenden Händen oder etwas albernen Monstermasken, die ohne Probleme auch in einem Gruselstreifen der 20er hätten auftauchen können. 2. Wenn es jemals einen Film gegeben hat, dem einer darauf abgeht, dass er ständig auf die technischen Gerätschaften verweist, mittels derer er überhaupt hat entstehen können, dann ist es vorliegender. Warbecks Craig Milford ist nicht nur irgendein TV-Reporter, er ist einer, der seine Kamera überall und immer wie eine Waffe mit sich herumträgt, und wohl sogar mit ihr ins Bett steigt, wenn es notwendig sein sollte. Nicht nur, dass MIAMI GOLEM mit einer Großaufnahme besagter Kamera eröffnet, sie ist wirklich in fast jeder Szene zu sehen, in der auch Warbeck einen Auftritt hat. Er hat sie dabei, wenn ihm sein außerirdischer Doppelgänger gegenübertritt, er schultert sie bei Verfolgungsjagden zu Fuß durch Treppenhäuser und über Parkplätze, sie liegt demonstrativ auf dem Rücksitz seines Wagens, wenn er durch die Gegend rast. Wie anders soll ich diese Fetischisierung eines Bildspeichermediums anders verstehen als dass Alberto de Martino mir sagen möchte: Ich bin mir völlig im Klaren darüber, dass ich gerade einen Film abliefere, und was das für ein Film ist, den ich abliefere, und ich habe meinen Spaß dabei, an jedem einzelnen verrückten Einfall, und damit sich später irgendwelche Filmwissenschaftler die Finger darüber wund schreiben können, baue ich eben einfach eine Meta-Ebene ein, so groß, dass sie einen fast erschlägt. Weshalb MIAMI GOLEM nicht zu den ersten Titeln zu gehören scheint, die den Menschen einfallen, wenn sie über italienische Genre-Bastarde der 80er nachdenken, ist und bleibt mir schleierhaft.