Gangster sterben zweimal
Gangsters ‘70
Italien 1968
Regie: Mino Guerrini
Joseph Cotten, Franca Polesello, Giampiero Albertini, Giulio Brogi, Bruno Corazzari, Dennis Kilbane, Jean Louis, Franco Ressel, Linda Sini, Milly Vitale, Cesarino Miceli Picardi, Salvatore Basile
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10 Jahre ist Destil im Knast gewesen, und 10 Jahre hat er an seinem Plan gearbeitet. Das Ziel: 3 bis 4 Billionen(!) Lire in Diamanten. Der Plan ist erstklassig und benötigt Fachleute. Fachleute, wie es sie heute nicht mehr gibt. Bantoni hat sich abgesetzt, Hoeg ist tot, und die Salvi-Brüder sind bürgerlich geworden. Also muss man zu Affatato, der früher mal die rechte Hand des Bosses war, und jetzt selber überall mitmischt. Affatato scheint nicht interessiert an dem Geschäft, aber natürlich ist er es sehr wohl. Er hat seine Mittel und Wege, über das Wann und Wo auf dem Laufenden zu bleiben, und zu entscheiden, wann er in den Ablauf eingreifen will. Wer ist noch im Team? Cavaro, in dessen Haus man sich eingeigelt hat. Ludi, der mal eine olympische Goldmedaille im Schießen gewonnen hat, und jetzt drogenabhängig ist. Franca denkt, dass sie in einem Film mitspielen soll, und bekommt einen Nervenzusammenbruch, als sie erfährt dass es um einen Raub geht. Der Chemiker, der sich den anderen gegenüber komplett abkapselt. Sempresi, der überhaupt keine Nerven mehr hat und damit hochgradig angreifbar ist. Und der Passagier, der vor lauter Überheblichkeit und Arroganz kaum laufen kann. Lauter „Fachleute“ halt. Was man für einen Job in der Größenordnung auch unbedingt benötigt …
Zweimal habe ich GANGSTER STERBEN ZWEIMAL mittlerweile gesehen. Das erste Mal im Kino, im Herbst 2017 beim Norimberga Violenta-Festival, und ich bin dabei eingeschlafen. Möglicherweise die übliche Festivalmüdigkeit, möglicherweise aber auch der Film? Wer weiß … Das zweite Mal gab es den Film auf DVD, und wieder bin ich eingeschlafen. Ein Schelm wer böses denkt: Maulwürfe schlafen zweimal?
Denn eigentlich ist GANGSTER STERBEN ZWEIMAL gar nicht schlecht. Keine mühsamen Vorgeschichten, keine überflüssigen Charakterisierungen von Personen die einem sowieso am Arsch vorbeigehen, kein narratives Brimborium. Es geht um einen Heist, und um nichts anders. Die bösen Gangster sind klar definiert, die guten ebenfalls, Destil versucht die Finanzierung auf die Beine zu stellen und besorgt die Leute, der Coup findet statt, und hinterher wird abgerechnet. Fertig.
So weit, so gut. Wenn da nicht dieser starke Hang zum Arthouse-Kino wäre. Dieser Stilwille, der so viele Einstellungen verzweifelt zu etwas Besonderem machen will macht und eine Atmosphäre gehobener Kunst entwirft. Als Beispiel sei der der gesamte Schlussteil genannt, in dem ein Lamborghini durch die winterlich vernebelte Bergwelt des Trentinos fährt, während Franca im Off darüber philosophiert, dass sie einer Fliege dabei zugesehen hat wie sie versuchte aus der Badewanne zu klettern. Ludi kontert ebenfalls im Off mit seiner verkorksten Jugend, und am Ende zerschießt er die Diamanten, den Ursprung des Bösen - Mutmaßlich um sich von seiner Schuld reinzuwaschen und zu verhindern, dass andere ebenfalls …blablabla. Der an dieser Stelle vergleichbare ELF UHR NACHTS von Jean-Luc Godard bietet dann wenigstens noch Jean-Paul Belmondo und Anna Karina …
Vor allem während der Vorbereitungen zum Job schafft Kameramann Franco Delli Colli es kaum, ohne bedeutungsschwangere Bilder auszukommen. Schöne Bilder, ohne Frage, aber eben symbolisch überfrachtet. Gefühlt jeder Frame hat sichtlich mehrere Bedeutungsebenen, will uns die Nichtigkeit und die Verschachtelung des Lebens und der Seele näher bringen. Dazu erklärt der Free Jazz-ige Soundtrack uns etwas über die Zerrissenheit der Personen, und schafft durch seine Atonalität gleichzeitig einen starken Druck, der dann wahrscheinlich die Last ausdrücken soll, die auf den Charakteren liegt. Oder so. Stellenweise sehr gut und überzeugend, aber irgendwann nervt dat! Im englischsprachigen Raum gibt es dafür den Ausdruck arty-farty: Wenn etwas künstlich zur Kunst erhoben werden soll, was eigentlich ganz banal ist. Filme für Kunststudenten, die hinterher in der Kneipe jede Szene bis zum Gehtnichtmehr diskutieren, analysieren und sezieren. Ich diskutiere auch gerne über Filme, aber ich möchte vom Film auch gerne an den Eiern gepackt werden …
Prinzipiell hat GANGSTER STERBEN ZWEIMAL eine vernünftige Prämisse, die sicher nicht das Nonplusultra des Gangsterfilms ist, sich aber zwischen DIE RECHNUNG GING NICHT AUF und OCEAN’S ELEVEN in der Sammlung allemal gut macht. Der Score mag nervig sein, passt aber an vielen Stellen tatsächlich. Ähnlich wie in Giulio Questis DIE FALLE wird durch das atonale Spektakel auf der Tonspur Atmosphäre erzeugt und gleichzeitig Druck aufgebaut. Der Heist selber wird durch sehr viele sehr schnelle Schnitte erstklassig in Szene gesetzt – Der Stress der Situation ist für den Zuschauer fast körperlich spürbar, und vor allem in den Momenten wo improvisiert werden muss steigt der Adrenalinspiegel merklich. In diesem Stil würde ich mir den ganzen Film wünschen! Aber Mino Guerrini, der in den 60ern cineastische Kleinodien wie DAS DRITTE AUGE und AGENT 3S3 SETZT ALLES AUF EINE KARTE schuf, und in den 70ern dann mit Werken wie ZU BEFEHL, HERR FELDWEBEL oder HERR OBERST HABEN EINE MACKE den Olymp der Quatsch-mit-Soße-Filme ansteuerte, wollte wohl unbedingt den Stil der Zeit treffen. BLOW UP war gerade ein Riesenerfolg, möglicherweise wollte er sich da zeitgeistlich anhängen. Aber stilistisch liegen zwischen BLOW UP und GANGSTER STERBEN ZWEIMAL Welten – Antonioni hatte, bei aller Kunstverliebtheit, tatsächlich den Geist des Swinging London perfekt getroffen, und mit David Hemmings zusätzlich einen Hauptdarsteller der für genügend Erdung sorgte, während bei Guerrini eben alles so schrecklich abgehoben und gewollt wirkt. Künstlich. Es ist halt auch ein deutlicher Unterschied, ob die Hauptfigur ein nervöser und jazzbegeisterter Fotograf ist, oder ein gealterter Gangster …
Wahrscheinlicher ist aber, dass Guerrini wusste, was gerade bei De Laurentiis passierte. Dort wurde nämlich zu fast der gleichen Zeit mit DIE BANDITEN VON MAILAND ein völlig neues Genre aus der Taufe gehoben. Angedacht als Semi-Documentary, wurde dieser Film zur Blaupause für die frühen Polizeifilme, die nur wenige Jahre später folgten und das Genre des Poliziesco begründeten. Hier waren die Gangster die Hauptfiguren, also wie bei so vielen klassischen US-amerikanischen Noirs Menschen mit mehr als zweifelhaftem Lebenswandel. Verglichen mit dem, ein Jahr zuvor gedrehten, FEUERTANZ von Carlo Lizzani, kommt noch hinzu, dass beides Filme sind, die sich auf tatsächliche Ereignisse beziehen. GANGSTER STERBEN ZWEIMAL ist eine reine Fiktion, und ich werde den Eindruck nicht los, dass Guerrini tatsächlich einen Gangsterfilm auf den Spuren der beiden genannten Filme drehen, dabei aber seinen ganz eigenen Stil kreieren wollte. Erfolgreich war GANGSTER dabei nicht, es wurden gerade mal 83 Millionen Lire eingespielt - DIE BANDITEN VON MAILAND hatten als Vergleich ein Einspielergebnis von 1,7 Milliarden Lire.
Ich weiß, dass ich mit dieser Meinung zu dem Film nicht alleine stehe, ich weiß aber auch, dass auf dem Norimberga Violenta-Festival mindestens ein Zuschauer den Film als persönlichen Höhepunkt des ganzen Wochenendes ansah. Darum ist mir sehr wohl klar, dass meine Ansicht eine Menge Gegenwind entfachen kann, und das sicher auch zu Recht. Denn wie gesagt, GANGSTER STERBEN ZWEIMAL ist nicht schlecht. Die Figuren sind nicht uninteressant, der Überfall ist sehr spannend in Szene gesetzt, und das (Ab-)Leben nach dem Überfall ebenfalls. Es ist halt alles nur so furchtbar auf Kunst gemacht …
Oder bin ich auf dem völlig falschen Dampfer, und der Film hat tatsächlich Eleganz und Stilwillen, und ich kann das nur nicht erkennen? Waren gerade die späten 60er-Jahre nicht eine Zeit des cineastischen Experiments, wo filmisch einiges mehr ging als zu anderen Zeiten? Wenn ich mir Romolo Guerrieris DIE KLETTE aus dem Jahr 1969 anschaue, einen sehr verspielten Hardboiled-Noir mit Franco Nero, dann fällt mir auch hier wieder dieser Stilwille auf, dieses In-jede-Szene-eine-cineastische-Perle-und-eine-Metaebene-einbauen-wollen. Was dann zur Frage führt, warum mir DIE KLETTE sehr gut gefällt, und GANGSTER STERBEN ZWEIMAL mich zum Einschlafen reizt. Liegt der Unterschied an Franco Nero, der einfach knackiger daherkommt als Joseph Cotten? Ist es, weil DIE KLETTE einiges mehr an nackter Haut im Programm mitführt, während GANGSTER in dieser Beziehung doch eher zahm daher kommt? Oder liegt es vielleicht daran, dass der Guerrieri ein paar sehr gut inszenierte Actionsequenzen bietet, sich also von Aufregung zu Aufregung schaukelt , der Guerrini hingegen auf gefühlte Entschleunigung setzt, und „nur“ den Heist und den Showdown als Höhepunkt setzt?
Filme sind eben doch etwas zutiefst persönliches, und ich habe für mich den Zugang zu GANGSTER STERBEN ZWEIMAL noch nicht gefunden. Ob ich ihm allerdings jemals eine weitere Chance gebe, dieses Wissen ist irgendwo in den verschneiten und trüben Bergen des Trentinos begraben …
5/10