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Deutschland - Ein Sommermärchen - Sönke Wortmann (2006)

Verfasst: Fr 2. Sep 2016, 16:41
von buxtebrawler
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Originaltitel: Deutschland - Ein Sommermärchen

Herstellungsland: Deutschland / 2006

Regie: Sönke Wortmann

Mitwirkende: Timo Hildebrand, Oliver Kahn, Jens Lehmann, Arne Friedrich, Robert Huth, Marcell Jansen, Philipp Lahm, Per Mertesacker, Christoph Metzelder, Jens Nowotny, Michael Ballack, Tim Borowski u. A.
Angefangen beim Regenerations-Trainingslager auf Sardinien bis hin zur großen Abschlussfeier auf der Berliner Fanmeile begleitet Regisseur Sönke Wortmann die deutsche Fußball-Nationalmannschaft beim großen Abenteuer WM 2006 im eigenen Land. Mit seiner Kamera ist er immer ganz nah dabei, egal ob Kabinenansprache, Mannschaftssitzung, Trainingseinheit oder Treffen mit der Bundeskanzlerin. Der Zuschauer erlebt so noch einmal aus einer anderen Perspektive die Trauer nach der Halbfinalniederlage, aber vielmehr die Euphorie nach den vorherigen siegreichen Spielen und die Freude nach dem erfolgreichen WM-Abschluss mit dem dritten Platz.
Quelle: www.ofdb.de

Re: Deutschland - Ein Sommermärchen - Sönke Wortmann (2006)

Verfasst: Fr 2. Sep 2016, 16:43
von buxtebrawler
Nach der unsäglichen Ribbeck-Ära hatte 1990-Weltmeister und Publikumsliebling Rudi Völler das Ruder der deutschen Fußballnationalmannschaft der Herren übernommen, die 2002 eine beachtliche WM in Japan und Südkorea spielte (man ihr aber auch viel Losglück nachsagte), bei der EM 2004 in Portugal aber bereits unrühmlich in der Vorrunde ausschied. Völler trat zurück, alles wieder auf null, Neuanfang. Völlers Weltmeister-Kollege Jürgen Klinsmann übernahm und wurde zunächst überaus skeptisch beäugt, stand u.a. wegen vermeintlicher Amerikanisierung und unpatriotischen Verhaltens (wie des nicht erfolgten Umzugs aus den USA zurück nach Deutschland) in der Kritik. Doch er verjüngte die Mannschaft, musste zum FIFA-Konföderationen-Pokal 2005 antreten und wurde Dritter. Offenbar konnte Klinsmann nun die ersten Früchte der Nachwuchsarbeit ernten und machte zusätzlich mit unorthodoxen Trainingsmethoden von sich reden. Ein Jahr später folgte die WM im eigenen Land und was bereits zuvor nicht gerade klein gewesen war, wurde nun so richtig groß. Deutschland hatte nun die ganze Welt zu Gast, das öffentliche Interesse am Turnier war groß wie selten zuvor. Und siehe da, die Mannschaft um Michael Ballack wirkte nicht nur überaus sympathisch, sondern lieferte auch erfrischenden und erfolgreichen Offensiv-Fußball. Im Viertelfinale kam es zum Elfmeter-Krimi gegen grobe Argentinier, bevor man im Halbfinale gegen Italien ausschied. Vom „Weltmeister der Herzen“ war im Zusammenhang mit den Deutschen die Rede und was ich in Hamburg miterleben durfte, war nicht nur ein Volksfest, sondern ein Fest der Völker. In diesem geilen Sommer verschlug es mich zwar nicht ins Stadion, aber ich verfolgte die Spiele so gut es ging und genoss den Trubel auf den Straßen, auf denen Menschen aus aller Herren Länder jubelnd und feiernd umherliefen und die Einheimischen mehr aus sich herauskamen als je zuvor: Südländisches Flair herrschte, als sich alle Welt zum „Public Viewing“ getauften Rudelgucken zusammenfand, Kneipen, Biergärten und Außengastronomie bevölkerte, die Straßen belebte und tatsächlich einmal alle Vorurteile von „steifen Deutschen“ etc. Lügen strafte. Das Turnier hatte Deutschland fest im Griff und es schien ihm gut zu tun. Ich habe tolle Erinnerungen an das „Sommermärchen“ und war nicht zuletzt auch regelrecht begeistert vom Spiel der deutschen Mannschaft mit Klose, Schweinsteiger, Podolski & Co. Was 2006 in Deutschland stattgefunden hatte, war überragende Werbung für den Fußball und konnte zu Recht endlich einmal stolz machen.

Ein Wermutstropfen ist zweifelsohne, dass die WM-Vergabe nach Deutschland offenbar innerhalb des korrupten Fifa-Systems mit Bestechungsgeldern gekauft worden war, was rund zehn Jahre später herauskam und dazu führte, dass zahlreiche DFB-Funktionäre ihren Hut nehmen mussten, nachdem sie, mit den Vorwürfen konfrontiert, ein klägliches Bild abgaben, als sie sich in Widersprüche verstrickten und sich gegenseitig zu beschuldigen begannen. Dabei sind die geflossenen Millionen m.E. gar nicht das Problem; angesichts dessen, wie viel Geld wofür sonst so verjubelt wird, war es wohl gut investiert und wenn derartige Verfahrensweisen in der Fifa leider längst Usus geworden und andere faktisch gar nicht mehr möglich waren: Was soll’s? Der DFB hätte im Nachhinein selbstbewusst damit umgehen und die Chance nutzen sollen, genau das anzuprangern, statt sich in ein wackliges Lügengebäude zu flüchten. Das eigentliche Problem ist nämlich ein ganz anderes: Es floss anscheinend nicht nur Geld, man musste auch Zugeständnisse an Staaten wie Katar machen, wo entgegen jeglicher Vernunft sowie unter denkbar schlechten Bedingungen und unter unmenschlicher Ausbeutung die WM 2022 stattfinden soll.

Von all dem wusste der deutsche Filmemacher und Fußball-Fan Sönke Wortmann („Das Wunder von Bern“) freilich noch nichts, als er 2006 die Erlaubnis bekam, die deutsche Mannschaft und den ganzen dazugehörigen Trainer- und Organisationsstab mit seiner Handkamera zu begleiten – und zwar bis in die Kabinen und Hotelzimmer hinein. Mit dem fertigen Dokumentarfilm „Deutschland – Ein Sommermärchen“ schenkte Wortmann dem deutschen Fußball und seinem Volk ein schönes Andenken an eine große Zeit und lieferte in diesem Ausmaße nie zuvor gesehene intime Einblicke hinter die Kulissen.

Dabei beginnt er zunächst einmal mit betrübten Gesichtern in der Kabine nach dem verlorenen Halbfinale, bevor er – wie eine Art Rückblende – zu Beginn des Turniers einsteigt. Er vermittelt Eindrücke von Spielvorbereitungen mit Gegneranalysen etc. sowie von der Arbeitsteilung zwischen Klinsmann und Löw: Während Klinsmann als psychologisch versierter Motivator auftritt und damit überrascht, welche Autorität er entwickelt hat, entpuppt sich Löw als gewiefter Taktiker, der tief in die Details geht und der Mannschaft auch einiges an Kopfarbeit abverlangt. Begleitet von vielen Privataufnahmen einzelner Spieler schafft Wortmanns Film zudem ein Bewusstsein für den ganzen Stab, der an einer Nationalmannschaft dranhängt, für den logistischen und organisatorischen Aufwand, wie ein Rad ins andere greift – und greifen muss. Oliver Neuville folgt er sogar bis zum Urintest. Die wichtigsten Spiele werden in Zusammenschnitten gezeigt, wobei ein besonderes Augenmerk natürlich auf die Eskalationen nach dem Argentinien-Spiel gerichtet wird, die eine Sperre gegen Frings nach sich zogen. Nach der Niederlage gegen Italien steigt Wortmann mit der öffentlichen Feier und dem versöhnlichen Sieg im tollen Spiel gegen Portugal um den dritten Platz wieder ein. Ergänzt wird der Film von einigen Interview-Passagen mit Jürgen Klinsmann, die ungefähr einen Monat nach dem Turnier entstanden sind.

Dabei ist „Deutschland – Ein Sommermärchen“ keinesfalls als vollumfängliche Dokumentation des Turniers misszuverstehen! Wortmanns Anspruch war ein ganz anderer: Vornehmlich das zu zeigen, was man woanders eben nicht zu sehen bekommt. Um das möglichst unverfälscht zu erreichen, hält sich Wortmann meist vollständig im Hintergrund, so dass es durchaus nachvollziehbar scheint, dass er für die Spieler u.a. tatsächlich nach einer kurzen Gewöhnungszeit „unsichtbar“ wurde. Auch im fertig geschnittenen Werk gibt es keinen Sprecher o.ä., Wortmann lässt die aneinandermontierten Szenen für sich sprechen und greift lediglich bisweilen durch musikalische Untermalung ein. Was stört, ist die Omnipräsenz der Musik Xavier Naidoos, wenngleich „Dieser Weg“ dann doch auch mit der Zeit und dem Turnier verbunden ist, sicherlich nicht nur wegen Naidoos etwas hilflos umgetexteter Version, die er live im ZDF vorm Halbfinale schmetterte – vielmehr ist es die melancholische Stimmung, die insbesondere der Hintergrundchor erzeugt.

Nichtsdestotrotz wären, gerade aus heutiger Sicht mit einigen Jahren Abstand, Nennungen oder Einblendungen der jeweiligen Spielergebnisse wünschenswert gewesen, denn die Erinnerung verblasst natürlich im Laufe der Zeit. Diese und andere Feinheiten wären sicherlich möglich gewesen, ohne den rohen, authentischen, fokussierten Eindruck des Films zu gefährden. Doch auch ohne formvollendeten dokumentarischen Charakter ist „Deutschland – Ein Sommermärchen“ ein schönes Zeugnis einer Zeit, in der der Grundstein für den Weltmeistertitel 2014 gelegt wurde. Und angenehmerweise ist es auch so gar nichts für sportdesinteressierte „Party-Patrioten“, denn fragwürdige nationale Selbstabfeierei findet hier wenn überhaupt nur am Rande statt und chauvinistische Selbstbeweihräucherung haben weder die Mannschaft noch Wortmann nötig. Befremdlich wird es immer dann, wenn die Politik versucht, auf der Euphoriewelle mitzuschwimmen und das Turnier für eigene Interessen zu instrumentalisieren, doch den Großteils der Bezugnahmen Merkels & Co. auf Mannschaft und Film verbannte man in das Bonus-Material (das mir dann auch wirklich zu viel des „Guten“ ist).

Auch wenn sie damals keinen Titel holte, ist die Elf um später nicht mehr nominierte Spieler wie Odonkor, Metzelder, Frings u.a. noch immer legendär und durch Wortmanns Film auch ein bisschen unsterblicher geworden als andere.

Diese Rezension widme ich allen Einwohnern Deutschlands, die seinerzeit dazu beigetragen haben, dass es ein solch weltoffener Fußballsommer (und nicht nur das) wurde und appelliere gleichzeitig an alle fremdenfeindliche Tendenzen aufweisenden Mitbürger, die zu Zeiten dieser Zeilen scharenweise auf rechte Demagogen hereinfallen, einmal in sich zu gehen und sich an jenen Sommer zurückzuerinnern – und zu prüfen, ob vom damaligen Lebensgefühl nicht vielleicht doch noch etwas übrig ist.

Re: Deutschland - Ein Sommermärchen - Sönke Wortmann (2006)

Verfasst: Fr 2. Sep 2016, 16:47
von Onkel Joe
Hey Buxte, haste Fieber oder einen Fußball verschluckt?

Re: Deutschland - Ein Sommermärchen - Sönke Wortmann (2006)

Verfasst: Fr 2. Sep 2016, 16:58
von buxtebrawler
Onkel Joe hat geschrieben:Hey Buxte, haste Fieber oder einen Fußball verschluckt?
Bitte wie meinen? :lol:

Re: Deutschland - Ein Sommermärchen - Sönke Wortmann (2006)

Verfasst: Fr 2. Sep 2016, 17:20
von Onkel Joe
buxtebrawler hat geschrieben:Bitte wie meinen? :lol:
Hat dich jetzt das Fußballfieber komplett überrannt oder warum auf einmal das ganze Fußball hier und da?

Re: Deutschland - Ein Sommermärchen - Sönke Wortmann (2006)

Verfasst: So 4. Sep 2016, 15:24
von buxtebrawler
Onkel Joe hat geschrieben:Hat dich jetzt das Fußballfieber komplett überrannt oder warum auf einmal das ganze Fußball hier und da?
Ich hatte diesen Film vor ein paar Wochen gesehen und der war jetzt einfach an der Reihe. Dass das quasi auf den Beginn der WM-Quali fällt, für die ich ebenfalls ein Thema angelegt habe, ist Zufall.