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Museo del horror - Rafael Baledón (1964)

Verfasst: So 25. Sep 2016, 16:03
von Salvatore Baccaro
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Originaltitel: Museo del horror

Produktionsland: Mexiko 1964

Regie: Rafael Baledón

Darsteller: Julio Alemán, Patricia Conde, Joaquín Cordero, Carlos López Moctezuma, David Reynoso
Irgendwie habe ich nie ganz verstanden, was an Wachsfiguren nun eigentlich gruslig sein soll. Sicher, es hat einen nicht zu leugnenden Effekt, vor dem lebensechten Abbild einer noch lebenden oder bereits verstorbenen Person zu stehen – aber erzielen Marmorstatuen nicht genau den gleichen Effekt? Wahrscheinlich hat es vor allem mit ihrer Materialität zu tun, das Wachsfiguren – angefangen bei Maurice Tourneurs Grand-Guignol-Schauerstück FIGURES DE CIRE (1914) über Paul Lenis im Glanz vergangener Epochen schwelgenden DAS WACHSFIGURENKABINETT (1924) bis hin zu einem modernen Slasher wie HOUSE OF WAX (2005), in dem die großartige Paris Hilton einen ihrer wenigen großartigen Leinwandauftritte hat – von seinem Anbeginn zum festen Inventar des Horrorkinos gehören: Wachs erweckt nicht nur leichter als beispielweise Marmor den Eindruck, die Brust der Figur, die da vor einem steht, müsse sich jeden Moment zu einem heimlichen Atemzug heben, sondern lässt sich auch leicht schmelzen, sieht dabei zugleich erhaben und ekelhaft aus, und erinnert, ähnlich wie die langwierigen Körperdeformationen und Körperdekompositionen später bei Lucio Fulci oder David Cronenberg, den Zuschauer damit auf recht graphische Weise an seine eigene Vergänglichkeit.

Die beiden prominentesten Filme, in denen sich Figuren aus Wachs in die klebrige Masse zurückverwandeln, aus der sie ent-standen sind, dürften Michael Curtizs MYSTERY OF THE WAX MUSEUM (1933) und dessen Remake durch André De Toth, HOUSE OF WAX von 1953, sein. Erzählt wird dort die Geschichte eines begnadeten Skulpteurs, der wahlweise, in der 53er Fassung, Henry Jarrod oder, was wohl einer der einfallslosesten Namen der Filmgeschichte ist, in der 33er Version Ivan Igor heißt. Der hat es bei der Wahl seines Geschäftspartners, Worth bzw. Burke, nicht schlechter treffen können. Diesem nämlich kommt eines Tages die glorreiche Idee, doch einfach das Wachsfigurenkabinett anzuzünden, um es anschließend wie ein Unglück aussehen zu lassen und dadurch die Versicherungssumme einzustreichen. Da Igor bzw. Jarrod ein Mann ist, der ganz für seine Arbeit lebt, und seine wächsernen Schöpfungen, mit denen er oft und gerne Zwiesprache hält, als Freunde betrachtet, versucht er natürlich alles, Burke bzw. Worth von seinem Vorhaben abzubringen – zunächst verbal, dann, als der Feuerteufel sich so nicht aufhalten lässt, und schon die ersten Streichhölzer ins Kabinett geschleudert hat, mit roher Gewalt. Leider zieht Jarrod bzw. Igor im folgenden Handgemenge den Kürzeren und leider hat Worth bzw. Burke ein derart minimiertes Gewissen, dass er den Schwerverletzten inmitten seiner dahinschmelzenden Lebensleistung besinnungslos liegenlässt. Jahre vergehen – wenigstens in Curtiz‘ Fassung, deren Haupthandlung zehn Jahre nach der in London spielenden Exposition am New Yorker Neujahrsabend 1932 einsetzt, während HOUSE OF WAX lediglich achtzehn Monate zwischen Prolog und Hauptakt lediglich 18 Monate verstreichen lässt -, und der Totgeglaubte erfreut sich zwar nicht bester Gesundheit – vor allem seine Hände haben unter dem Brand gelitten und sind fürs Skulpturieren nicht mehr zu gebrauchen -, hat es aber mit Hilfe zweier Assistenten, die seine mangelnde manuelle Meisterhaftigkeit ersetzen, geschafft, ein neues Wachsfigurenmuseum zu gründen. Während Jarrod bzw. Igor zuvor vor allem daran interessiert war, historische Persönlichkeiten zu neuem Leben zu erwecken, konzentriert er sich nun, durch den Brandanschlag nicht nur äußerlich, sondern auch seelisch gewandelt, auf Szenen der Gewalt, der Folter, der Grausamkeit: Die blutdürstigen Guillotinen der Französischen Revolution schmücken sein neues Kabinett genauso wie fiese Inquisitoren oder William Kemmler, der erste Mann, der auf dem Elektrischen Stuhl hingerichtet wurde. Wie es der Zufall will verschwindet zur gleichen Zeit, als Igor bzw. Jarrod wieder in die Öffentlichkeit tritt, aus dem örtlichen Leichenschauhaus der eine oder andere Körper – darunter auch der seines treulosen Assistenten, der kurz zuvor unter rätselhaften UmständenHand an sich gelegt hat -, und Zeugen wollen ein seltsames Wesen beim Stibitzen gesehen haben, mit der Silhouette eines Mannes, aber dem Gesicht eines Teufels. Ebenso will es der Zufall, dass Jarrod bzw. Igor in der Verlobte seines nunmehr dritten Assistenten, einem jungen, ehrenhaften Mann namens Scott Andrews bzw. Ralph Burton, die wiederum entweder Sue Allen oder Charlotte Duncan heißt, das exakte Ebenbild der Marie Antoinette erblickt, die er für seine bislang größte Kreation hält und die das Feuer ihm, wie alles andere, unwiederbringlich geraubt hat. Für jeden ist spätestens in diesem Moment klar, dass Jarrod bzw. Igor hinter den Leichenräuberein steckt, dass er sein von den Flammen verunstaltetes Gesicht hinter einer Wachsmaske verbirgt, und dass die arme Charlotte oder Sue im Marie-Antoinette-Kostüm als einbalsamiertes Schauobjekt enden soll.

Nennenswerte inhaltliche Unterschiede gibt es zwischen MYSTERY OF THE WAY MUSEUM und HOUSE OF WAX nicht. Beide erzählen ihre Geschichte im Großen und Ganzen anhand der gleichen Linie von Ereignissen, die mit Igors bzw. Jarrods persönlichem Inferno beginnt, sich dann zu Identifikationsfiguren das Liebespärchen Charlotte/Ralph bzw. Sue/Scott wählt, und aufhört, nachdem unser junger Held sowohl die beiden leichenstibitzenden Assistenten des verrückt gewordenen Skulpteurs erledigt als auch seine Liebste aus dessen Fängen und ihn in einem Kessel kochenden Wachses versenkt hat. Auffälligste Differenz ist, dass HOUSE OF WAX seinen Fokus stärker auf den reinen Horror-Aspekt legt – es gibt da zum Beispiel lange, eindrucksvolle Szenen, in denen unschuldige Frauen von dem in einen langen Mantel eingehüllten, einem schwarzen Schlapphut gekrönten und unmaskierten Jarrod durch menschenleeren, nächtlichen Gassen verfolgt werden -, während MYS-TERY OF THE WAX MUSEUM sich mehr kriminalistischen Elementen verpflichtet fühlt – bezeichnend ist, dass die Figur der Zeitungsreporterin Florence, die bei Curtiz maßgeblich dazu beiträgt, dass Ivan Igor enttarnt wird, und deren unkonventionellen Ermittlungsarbeiten der Film viel Platz einräumt, in HOUSE OF WAX komplett der Schere zum Opfer gefallen ist. Interes-santerweise stellen sowohl HOUSE OF WAY als auch MYSTERY OF THE WAX MUSEUM die Spielwiesen für seinerzeit bahn-brechende technische Errungenschaften dar, und können durchaus als Experimente der verantwortlichen Studios betrachtet werden, um zu testen wie diese Errungenschaften bei ihrem Publikum ankommen mögen: HOUSE OF WAX ist der erste 3-D-Film der Warner Brothers, weshalb einem in ihm, selbst wenn man keine erforderliche Brille aufhat, gewisse Dinge wie zum Beispiel ein an einem Strick befestigter Pingpong-Ball fortwährend regelrecht ins Gesicht springen, während MYSTERY OF THE WAX MUSEUM – übrigens wie auch der ebenfalls von Michael Curtiz teilweise in denselben Kulissen inszenierte DOCTOR X - einer der letzten Filme gewesen ist, die man in dem sogenannten 2-Farben-Technicolor-Verfahren gedreht hat, sprich: Die Farbpalette in MYSTERY OF THE WAX MUSEUM setzt sich einzig und allein aus Rot und Grün zusammen, was dem Film eine beinahe schon pastellartige Optik verleiht, die zumindest mein ästhetisches Empfinden ziemlich streichelt.

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Abb.1-3: Drei verschiedene Filme aus drei verschiedenen Epochen, doch immer dasselbe Antagonisten-Outfit, bestehend aus Schlapphut, Mantel und deformiertem Gesicht in: MUSEO DEL HORROR (1964), HOUSE OF WAX (1953) und MYSTERY OF THE WAX MUSEUM (1933).

Der mexikanische Film MUSEO DEL HORROR von 1964 hat auf den ersten Blick keine solchen Schauwerte aufzuweisen. Weder ist das Werk des Vielfilmers und Schauspielers Rafael Baledón besonders bunt, stattdessen schwarz und weiß, noch unter-scheiden sich die limitierten Produktionsstandards sonst von denen der Massen an mexikanischen Horrorfilmen wie sie in den 50ern und 60ern im Dutzend billiger und zumeist verborgen vor der Weltöffentlichkeit das Licht der Lichtspieltheater erblickten. Dass MUSEO DEL HORROR indes nicht mehr braucht als eine finstere Gasse, eine Nebelmaschine und ein paar effektvoll eingesetzte Scheinwerfer, um eine Eröffnungsszene hinzulegen, die vor Atmosphäre aus allen Nähten platzt, beweist er gleich in seinen ersten Minuten: Wenn ein Unhold mit Mantel und Schlapphut und deformiertem Gesicht eine junge Frau durch die Nacht hetzt, schließlich zu fassen bekommt, auf den örtlichen Friedhof und von dort in einen über ein Grab begehbares untergründiges Geheimlabor voller medizinischer Präparate verschleppt, wo die Schöne bei lebendigem Leib mit kochendem Wachs übergossen wird, dann ist das nicht nur eine wundervolle gotische Neuinterpretation der oben bereits erwähnten Verfolgungsjagd zwischen Vincent Price und Phyllis Kirk in HOUSE OF WAX, sondern auch, ohne alle Vergleiche, ein an sich absolut stimmungsvoller Auftakt zu einem Film, dem man auf jeden Fall nicht vorwerfen kann, dass seine Verantwortlichen nicht Meister darin gewesen sind, aus einem kümmerlichen Häuflein Budget ein Maximum an Effekten herauszuziehen: Die Photographie, das Chiaroscuro, die Bildkompositionen, das alles in MUSEO DEL HORROR ist ein visuelles Fest.

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Abb.4-5: Atmosphärische Bilder, die mich zu Wachs in ihren Händen machen.

Ebenfalls zum Tanzen lädt mich aber auch die Geschichte ein, die tatsächlich wirkt wie ein Amalgam aus dem horrorlastigen HOUSE OF WAX und dem eher kriminalistischen MYSTERY OF THE WAX MUSEUM, denen das Drehbuch des Vielschreibers José María Fernández Unsáin jedoch noch derart viel eigenkreative Elemente unterschiebt, dass man aufpassen muss, in dem gerade mal achtzigminütigen Vergnügen nicht den Überblick zu verlieren. Im Prinzip geht es um folgendes: Zurzeit wird die nicht näher benannte Stadt, in der der Film spielt, von einer Diebstahlserie erschüttert, bei der ausnahmslos Friedhofsleichen die Beutestücke sind. Die Polizei ermittelt, was das Zeug hält, wirklich weiter kommt sie aber nicht, und steht genauso vor einem Rätsel wie bei der sich ebenfalls mehrenden Zahl vermisster junger Frauen, die teilweise direkt aus ihren Bettchen entführt worden sein müssen. Tatsächlich steckt der uns im ersten Akt vorgestellte Mantelmann hinter den Entführungen – seine Identität jedoch lässt der Film genauso offen wie, ob die beiden Trunkenbolde, die zeitgleich damit beschäftigt sind, Frischbestattete auszubuddeln, mit ihm unter einer Decke stecken. Sowieso verlegt der Film seinen Fokus aber erstmal auf unsere Heldin, Marta, die umgeben ist von einer Reihe merkwürdiger Mannsbilder, die, das wird schnell klar, MUSEO DEL HORROR uns allesamt als potentielle Verdächtige vorzuführen versucht. Da ist zum einen Dr. Rául, ein Star-Mediziner des örtlichen Krankenhauses, der derart in Marta verknall ist, dass es schon beinahe peinlich wirkt. In einem fort macht er ihr den Hof, und immer einem fort muss Marta ihm freundlich, aber bestimmt erklären, dass sie Freundschaft für ihn empfinde, nicht mehr. Verliebt ist sie nämlich in Luis, einen ehemaligen Schauspieler, der aufgrund eines Unfalls seine Karriere hat aufgeben müssen, und nun innerhalb eines ehemaligen Theaters ein Wachsfigurenmuseum unterhält. Auf eine Art, dass es schon beinahe peinlich wirkt, macht Marta Luis fortwährend den Hof, der sie aber zunächst immer wieder mit der Begründung zurückweist, durch seinen Unfall sei er zum Krüppel geworden – in Wirklichkeit zieht er nur das eine Bein ein bisschen nach -, und könne sie deshalb nicht glücklich machen. Um dieses Liebesdreieck herum gruppiert sind Martas Mutter, eine leutselige ältere Dame, einen Kommissar, der vermutet, dass der Frauenentführer sich im Umkreis von Marta aufhalten muss, sowie ein gewisser Professor Abramaov, seines Zeichens Tierpräparator und Untermieter im Haus von Martas Mutter, dessen Zimmer überquillt vor ausgestopfter Äffchen und anderem Getier.

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Abb.6-8: Das Affenkabinett des Professsor Abramov.

Für diejenigen, die aufgrund dieser Inhaltsangabe vermuten, MUSEO DEL HORROR könne ein relativ geradliniger Mix aus Horror- und Kriminalfilm sein, bei dem auch das Liebesgesäusel und der Herzschmerz nicht zu kurz kommen, den muss ich enttäuschen. Gerade im Vergleich zu MYSTERY OF THE WAX MUSEUM und HOUSE OF WAX wird eine Qualität von Filmen wie MUSEO DEL HORROR deutlich, die ich als künstlerische Strategie im Sinne des Französischen Surrealismus verstanden wissen möchte. Bei HOUSE OF WAY und MYSTERY OF THE WAX MUSEUM ist es leicht, die Filme zu durchschauen. Nichts in ihnen wirkt zufällig, keine Dialogzeile, keine Kamerafahrt. Ich verstehe diese Filme, da sie in einer klar und verständlichen Sprache mit mir kommunizieren, nämlich der der Logik und der Rationalität zumindest im intradiegetischen Raum. Anders gesagt: Ein Bedürfnis der meisten Menschen ist es, bei einem Film – oder jedem beliebigen anderen Kunstwerken – den Sinn und Zweck desselben sofort zu erkennen. Filme, die diesem Postulat folgen, wirken wie Deduktionsketten. Keine Leerstelle bleibt zum Schluss, und keine offene Frage. MUSEO DEL HORROR steht genau auf der andern Seite der Medaille. In ihm schwirrt es voller Merkwürdigkeiten und an seinem Ende ist man kaum schlauer als an seinem Anfang. Dieser Film – und das mexikanische Genre-Kino generell – ist einer, den man nicht begreifen, sondern fühlen sollte.

Was MUSEO DEL HORROR so surrealistisch macht, ist vor allen Dingen seine Montage. Trotz der vergleichsweise kurzen Laufzeit und dem überschaubaren Ensemble verzettelt sich Baledón in zahllose Nebenschauplätze, von denen die wenigsten etwas zur eigentlichen Geschichte beitragen – wobei es eine eigentliche Geschichte eigentlich gar nicht gibt, da der Film eigentlich lediglich aus einer Abfolge mehr oder weniger – eher weniger – miteinander verbundener Szenen zusammengesetzt worden ist. Eine typische Szenenfolge in MUSEO DEL HORROR sieht so aus: Wir sind in dem Nachtclub, wo sämtliche Figuren in ihrer Freizeit abhängen, und lassen uns, mit ihnen, vom Tanz und Sang einer jungen Dame unterhalten, die in keiner Beziehung zu irgendeiner unserer Figuren steht, und wirklich einfach nur da ist, um ihr Ständchen zum Besten zu geben. Schnitt. Wir befinden uns auf dem Friedhof, wo es Nacht geworden ist und die beiden Grabräuber schon wieder dabei sind, einen Toten auszuheben. Diesmal haben sie aber die Rechnung ohne einen Schutzmann gemacht, der plötzlich neben ihnen steht und ihnen seine Waffe unter die Nase hält. Dumm ist nur, dass der gute Mann einem von ihnen derart demonstrativ den Rücken zukehrt, dass der ihm nur noch mit der Schaufel eins über den Kopf ziehen muss. Anschließend fragen sich die beiden Halunken, was sie nun mit dem Beamten anstellen sollen. Die Lösung ist schnell gefunden, wird ihnen quasi von dem offenen Grab zugeflüstert. Bald liegt der Polizist in diesem und wird von den Räubern bei lebendigem Leibe bestattet. Grässlich verkrümmt sich die Hand, die er in die Höhe streckt, während sein Körper bereits fast zur Gänze unter der Erde verschwunden ist. Schnitt. Wir befinden uns in Martas Schlafzimmer, wo die von einem Alptraum geärgert wird. Wild zuckend wirft sie sich von einer Betthälfte zur andern, und über ihrem gequälten Gesicht tauchen ihr die Traumbilder aus dem Kopf und überschwemmen die Leinwand. Dort, in ihrem Kopf, steigen aus unterirdischen Grüften schreckliche vermummte Gestalten, erheben sich in die Lüfte, flattern umher. Doch, Moment: Diese Bilder kenne ich doch! Es dauert keine fünf Sekunden und mir ist klar, dass die Verantwortlichen nicht nur einen Film voller Langfinger gedreht haben, sondern selbst zu dieser Zunft gehören: Alles, von dem Marta im Schlaf gepeinigt wird, stammt nämlich aus Mario Bavas exzellentem ERCOLE AL CENTRO DELLA TERRA (1961) – um genau zu sein: aus dessen Schlussakt, wenn Herakles es mit Christopher Lee und seinem vampirischen Gefolge zu tun bekommt, nur dass die im Original knallbunten Szenen in MUSEO DEL HORROR naturgemäß schwarzweiß vorliegen, und dass man den neugierig umherschauenden Reg Park herausmontiert hat. Endlich wird Marta wach, ihre Mutter kommt zu ihr, und tröstet sie. Schnitt. Die ermittelnden Beamten haben – wie überhaupt? – inzwischen den falschen Toten im falschen Grab entdeckt, und diskutieren darüber, wie sie nun weiter vorgehen sollen, um seine Mörder dingfest zu machen. Vorläufige Lösung: Ein Beamter soll auf dem Friedhof bleiben und dort Wache stehen, falls sie dorthin zurückkehren sollten. Schnitt. Marta ist wach und putzmunter und es ist Tag und sie trifft sich mit Luis und sie tauschen verliebte Plattitüden aus. Schnitt. Schon wieder ist es Nacht und der Unbekannte mit Fratze und Hut entführt eine weitere Frau aus ihrem heimischen Bett. Ich hoffe, ich konnte mit dieser Aufzählung etwas Fundamentales über MUSEO DEL HORROR klarmachen: Der Film ist bruchstückhaft, setzt sich aus vielen Fragmenten zusammen, die nicht wirken wie aus einem Guss, sondern als seien sie – was bei dem Bava-Raubgut ja sogar wirklich so ist! – aus verschiedenen Filmen zusammengeklaubt worden: nicht ästhetisch, denn da ist der Film stringent, sondern inhaltlich. Professor Abramavos Taxidermia, irgendwelche geheimen Forschungen, die Rául anstellt, Martas und Luis Liebesglück, dessen Wachsfiguren, mit denen er, wie vor ihm Igor bzw. Jarrod, in einsamen Stunden Zwiegespräche hält, die wenig erfolgreiche, mindestens katastrophale Polizeiarbeit, Einblicke in die Nachtclubszene mit vielen spanischen Schlagern, dann noch ein unsichtbarer Killer, der mit in Kurare getränkten Giftpfeilen mordet – das alles sind einige, aber noch lange nicht alle, Themen, die MUSEO DEL HORROR immer nur anreißt, nie wirklich vertieft, und aus deren Disparität er es bis zur letzten Sekunde nicht schafft, etwas zu formen, das wenigstens den Anschein einer plausiblen Handlung hat.

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Abb.9-10: Original und Reproduktion: Links der psychedelisch aus- und angeleuchtete Verschnitt aus Vampir und Zombie in Mario Bavas ERCOLE AL CENTRO DELLA TERRA, rechts sein schwarzweißer Wiedergänger in Rafael Baledóns MUSEO DEL HORROR.

Genau da liegt für mich aber der Reiz eines Films wie des vorliegenden. Dadurch, dass MUSEO DEL HORROR sich kaum darum bekümmert, seinem Publikum irgendeine Moral, irgendeine Botschaft, irgendeine kohärente Narration mit auf den Weg zu geben, und stattdessen ausschließlich seine Affekte anspricht, deliriert der Film unbehindert von der Last irgendeines geistigen Überbaus in einer Weise, die man entweder infantil oder primitiv nennen kann. Vielleicht lehne ich mich zu weit aus dem Fenster, wenn ich das rauschhafte Erlebnis eines Films wie diesem als eines der letzten uns gebliebenen Überreste dionysischer Feste vergangener Menschenalter bezeichne, und dem nicht-intellektuellen (Genre-)Kino ein außerordentliches Transzendenzpotential unterstelle, das mehr in den sakralen Bereich gehört als in den säkularen – aber ich tue es trotzdem und stürze kopfüber noch einmal in das vollkommen irre Finale von MUSEO DEL HORROR.

Wer nämlich geglaubt hat, dass am Ende des Films eine laut knallende Überraschung wartet, bei der jemand als der Killer demaskiert wird, von dem wir es am allerwenigsten vermuten hätten, den muss ich enttäuschen. Natürlich ist es niemand ande-res als Sonnenschein Luis höchstpersönlich - etwas, das man sich allein deshalb schon hat denken müssen, weil sämtliche entführte Damen in seinem Geheimlabor den Tod finden. Nachdem Luis sie dort mit Wachs überzogen hat, stellt er sie zu seinen übrigen Figuren ins Kabinett, das übrigens ziemlich langweilig aussieht im Vergleich zu denen bei Curtiz und De Toth, und kurioserweise mit wenig angsteinflößenden Personen bestückt ist. (Darunter: Fausts Marguerite, dann noch die französische Schriftstellerin, Frauenrechtlerin und Chopin-Weggefährtin George Sand und Hedda Gabler. Wer ist Hedda Gabler?, höre ich schon die Rufe. Nun, es handelt sich dabei um die Heldin eines gleichnamigen Theaterstücks des norwegischen Dramatikers Henrik Ibsen aus dem Jahre 1890. Nein, ich habe keine Ahnung, was man sich dabei gedacht hat, denn in den beiden US-Filmen sind es immerhin verhältnismäßig bekannte Gestalten wie Marat, Voltaire oder Jeanne D’Arc, mit der Igor bzw. Jaddor ihr Publikum locken.) Marta, von Luis nun ebenfalls verschleppt, muss jedenfalls feststellen, dass der Mann, den sie abgöttisch liebt, doch nicht der Halbgott ist, für den sie ihn gehalten hat, und Rául nebst Polizisten müssen sich aufmachen, sie aus dessen Gewalt zu reißen. Wenn MUSEO DEL HORROR damit endet, dass Rául Luis zur Strecke bringt, und dann die Stelle des Verblichenen sofort einnimmt, indem er Marta danach besitzergreifend in die Arme schließt, dann ist das Böse zwar besiegt und die Welt zurück in Stand und Ordnung gesetzt, wirklich aufgelöst wurde der Fall aber nicht. So viele offene Fragen liegen da herum, dass ich nur die offensichtlichsten aufrufe. Falls denn Luis mit dem entstellten Hut- und Mantelträger identisch ist, der zuvor stets die jungen Mädchen aus den Betten geholt hat, trug er dann auch, wie Igor bzw. Jarrod in den Vorgängerfilmen, die ganze Zeit über eine Wachsmaske? Eine Demaskierungsszene des Killers fehlt in MUSEO DEL HORROR nämlich genauso wie irgendeine noch so halbseidene Erklärung für seinen Wahnsinn und dafür, in welcher Beziehung genau er nun eigentlich zu den beiden Grabräubern gestanden haben soll. (Oder setzt der Film die beiden US-Vorgänger als bekannt voraus, und verzichtet deshalb darauf, deren Prologe zum dritten Mal neu aufzugießen?) Da wirkt es beinahe schon wie ein hübscher, kleiner Meta-Kommentar, wenn die herbeieilende Polizei angesichts des Faustkampfs zwischen Rául und Luis erstmal stillsteht und ihnen aus der Distanz zuschaut, wer von den beiden den Sieg davonträgt – so, als sollte diese Gruppe Voyeure die Gruppe der anderer Voyeure, nämlich unsere eigene, spiegeln. Auch die allerletzte Einstellung ist in der Hinsicht bemerkenswert: Auf der Bühne des alten Theaters, von dem nie klar wird, ob es sich noch im Betrieb befindet, ob es Luis Privatbesitz ist oder ob es eine vergessene und verlassene Ruine sein soll - sind alle versammelt – Rául, Marta, die Beamten -, und die Kamera betrachtet sie von weit oben, als seien sie nichts weiter als Theaterrequisiten, während links im Bild der Schriftzug Fin auftaucht.

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Abb.1: Die Welt als Bühne oder: MUSEO DEL HORROR demaskiert in seinem Finale nicht seinen Antagonisten, aber sich selbst als filmische Illusion.

Man merkt: Ich bin ziemlich begeistert von diesem kleinen, feinen Schauerstück aus südlicheren Gefilden. MUSEO DEL HORROR ist äußerst unterhaltsam, äußerst originell und äußerst verrückt in allen Belangen, die für mich wichtig sind. Gleichzeitig ist mir aber auch klar, dass das, was ich dem Film an Vorzügen bescheinigt habe, ihm spielerisch auch zum Nachteil ausgelegt werden kann. MUSEO DEL HORROR ist irrational, bar jeder inneren und äußeren Logik, komplett wahnwitzig zusammenmontiert, beinhaltet Fremdmaterial von Mario Bava, sinnlose Gesangseinlagen, eine triviale Liebesgeschichte, Rollen- und Geschlechterklischees bergeweise, einem Jazz-Score, der derart deplatziert klingt, dass ich mich ernsthaft frage, ob er ursprünglich wirklich für diesen Film komponiert worden ist, und eine krude Story, die wirkt wie ein Streifzug durch das Archiv der Horrorfilmgeschichte – von LA MASCHERA DEL DEMONIO (die subjektive Sicht der Opfer auf das ihnen ins Gesicht schwappende Wachs) über THE BODY SNATCHERS (der gesamte Subplot um Grabraub und Leichenschändung) bis hin zum Italienische Giallo (das mehr oder minder ausgespielte Murder-Mystery-Motiv und das Outfit des Killers.) Und nein, ich komme immer noch nicht darüber hinweg: Die Vampirszenen aus Bavas ERCOLE AL CENTRO DELLA TERRA sind in vorliegendes Werk als Traumsequenz zweitverwertet worden! Wie geil ist das nur!?