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The Shallows - Jaume Collet-Serra (2016)

Verfasst: Mo 3. Okt 2016, 20:02
von Salvatore Baccaro
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Originaltitel: The Shallows

Produktionsland: USA 2016

Regie: Jaume Collet-Serra

Darsteller: Blake Lively, Óscar Jaenada, Angelo Josue Lozano Corzo, Brett Cullen, Sedona Legge
Ich habe schon immer gut nachvollziehen können, was daran angsteinflößend sein soll, im offenen Meer zu treiben, nirgendwo Land in Sicht, und zu wissen – oder auch bloß zu ahnen -, dass unter einem ein oder mehrere Haie kreisen und jeden Moment zuschnappen können. Noch heftiger wird das Szenario natürlich dadurch, bereits verwundet zu sein oder kaum noch die Kraft zu haben, einen weiteren Ruderschlag mit den Armen zu machen, oder zusehen zu müssen wie die spitzen Flossen einem näher und näher kommen. Was soll man tun in solch einer Situation? Verschafft man sich Klarheit, indem man den Kopf unter Wasser steckt, dann weiß man zwar, ob sich da einem etwas nähert, doch will man das überhaupt wissen? Lässt man sich einfach trei-ben, schwimmt man um sein Leben, in irgendeine zufällige Richtung, oder versucht man, weil man irgendwo gelesen hat, dass das noch die beste Abwehrmethode ist, dem Angreifer, wenn er nahe genug ist, eins über die Nase zu geben? Wie auch immer man sich entscheiden mag, sollte ich der Zuschauer eines solchen Spektakels sein, würde es mir eiskalt den Rücken hinunter-laufen. Offenbar geht es aber nicht nur mir so, denn Seemannsgarn von lautlosen weißen Killern aus den Tiefen des Meeren hat spätestens mit Steven Spielbergs JAWS 1975 im großen Stil, d.h. finanziell erfolgreich, die Leinwände der Welt erobert – und in seinem Fahrwasser, natürlich, schwarmweise Nachzügler hinter sich hergezogen.

Meine liebste Szene in JAWS – und möglicherweise meine liebste Haihorror-Szene überhaupt – ist jedoch eine, in der Haifische nur verbal und nicht visuell ihren Auftritt haben. Es handelt sich um den wirklich großartigen Monolog, in dem Robert Shaw als alter Seebär Quint dem Ozeanologen Matt Hopper und Sheriff Martin Brody, mit denen er hinausgeschippert ist, um dem Großen Weißen den Garaus zu machen, sein bislang intensivstes Erlebnis mit Haien erzählt. Vor vielen Jahren, nämlich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, sei er Mannschaftsmitglied der Indianapolis gewesen, die, unter anderem, die atomaren Bestandteile zur Insel Tinian bringen sollte, aus denen man später die Atombombe bastelte, deren Namen Little Boy schon mal im Voraus all die Opfer ihres Abwurfs über Hiroshima verhöhnt hat. Nach Erledigung des Auftrages wurde das Schiff jedoch, auf dem Rückweg in die USA, von einem japanischen U-Boot torpediert und versenkt, worauf die fast elfhundert Mann starke Besatzung hilflos mehrere Tagen mitten im Ozean trieb. „Didn’t see the first shark for about a half-hour”, erzählt Quint seinen Zuhörern. „Tiger. 13-footer. […] What we didn’t know, was that our bomb mission was so secret, no distress signal had been sent. They didn’t even list us overdue for a week. Very first light, Chief, sharks come cruisin’ by, so we formed ourselves into tight groups. It was sorta like you see in the calendars, you know the infantry squares in the old calendars like the Battle of Waterloo and the idea was the shark come to the nearest man, that man he starts poundin’ and hollerin’ and sometimes that shark he go away… but sometimes he wouldn’t go away. Sometimes that shark looks right at ya. Right into your eyes. And the thing about a shark is he’s got lifeless eyes. Black eyes. Like a doll’s eyes. When he comes at ya, he doesn’t even seem to be livin’… ’til he bites ya, and those black eyes roll over white and then… ah then you hear that terrible high-pitched screamin’. The ocean turns red, and despite all your poundin’ and your hollerin’ those sharks come in and… they rip you to pieces. You know by the end of that first dawn, lost a hundred men. I don’t know how many sharks there were, maybe a thousand. I do know how many men, they averaged six an hour. Thursday mornin’, Chief, I bumped into a friend of mine, Herbie Robinson from Cleveland. Baseball player. Boson’s mate. I thought he was asleep. I reached over to wake him up. He bobbed up, down in the water, he was like a kinda top. Upended. Well, he’d been bitten in half below the waist. […] So, eleven hundred men went into the water. 316 men come out, the sharks took the rest, June the 29th, 1945.” Am Ende seines Berichts, den er Brody und Hopper in der nur spärlich ausgeleuchteten Schiffskabine gehalten hat und dem die beiden Männer schweigend, jedoch mit vielsagenden Blicken gefolgt sind, schließt Shaw mit einem trockenen Kommentar, der das geschilderte Grauen für mich noch einmal um ein Vielfaches verstärkt. „Anyway, we delivered the bomb”, sagt er und führt eine weitere Tasse mit Hochprozentigem zu seinem grinsenden Mund.

Weder JAWS selbst noch irgendein späteres Werk des von ihm ausgelösten Sharkploitation-Genres – sei es nun, in Mexiko, ¡TINTORERA! (1977) oder CYCLONE (1979), oder, in Italien, L’ULTIMO SQUALO (1981) oder CRUEL JAWS (1995), oder, in den USA, SHARK ATTACK (1999) oder DEEP BLUE SEA (1999) - konnte für mich die in Shaws kargen, nüchternen Worten mehr angedeutete als ausagierte Höllenvision auf offener See auch nur annähernd ebenbürtig visualisieren – von solchen Trash-Festen wie Lamberto Bavas SHARK: ROSSO NELL’OCEANO (1984) oder gar den Asylum-Unfug SHARKNADO (2013) ganz zu schweigen. Mich am ehesten zu identifizieren gelingt es mir noch mit dem realistischeren, semi-dokumentarischen Ansatz, den neuere Haihorror-Filme wie OPEN WATER (2003) oder THE REFF (2010) vertreten. OPEN WATER, irgendwann einmal von irgendwem als BLAIR-WITCH-PROJECT auf dem hoher See bezeichnet, vertraut nicht auf großartige Spezialeffekte oder aus-geklügelte Actionszenarien oder ausgefeilte Charakterstudien, um seinem Publikum wenn nicht das Fürchten zu lehren, so doch zumindest für den nächsten Surf- oder Badeausflug ein unangenehmes Gefühl in der Bauchgegend zu verschaffen. Stattdessen könnte die Grundidee des Films, der dann auch im weiteren Verlauf nichts Nennenswertes hinzuaddiert werden wird, minimalistischer nicht sein: Zwei Taucher, Mann und Frau, werden von dem Boot, das sie raus aufs Meer gefahren hat, schlicht vergessen, und finden sich, zurück an die Oberfläche geschwommen, mutterseelenallein auf weiter See vor. Bald schon leisten ihnen jedoch Haie Gesellschaft, und bringen erst ihn zur Strecke, bevor sie sich angesichts der ausweglosen Situation für Suizid entscheidet. Die Kamera befindet sich stets dicht an den Charakteren, etwa auf Wellenhöhe, sodass OPEN WATER weitgehend aus Großaufnahmen feuchter Gesicht besteht, die sich panisch nach der nächsten auf sie zusteuernden Flosse umschauen, kurz-um: Es wirkt tatsächlich, als würden wir Found-Footage-Material sehen, das ein unsichtbarer Dritter von dem Todeskampf unserer beiden Helden mit seiner ebenfalls unsichtbaren Kamera aufgenommen hat. Man sieht die Haie selten – es handelt sich allerdings um keine Modelle, sondern um Lebendexemplare des völlig ungefährlichen Karibischen Riffhaies -, dafür umso mehr das, was ihre Anwesenheit in den Körpern derjenigen hervorruft, die gezwungen sind, mit ihnen in Kontakt zu treten.

Ein ähnliches Konzept verfolgt THE REEF des Australiers Andrew Traucki, der sich mit seinen drei bisherigen Langfilmen vollkommen dem naturalistischen Tierhorror verpflichtet hat – in BLACK WATER (2007) sind es Krokodile, in THE JUNGLE (2013) Found-Footage-Leoparden (oder doch Leoparden-Männer, ähnlich den Leoparden-Frauen in Amando de Ossorios LA NOCHE DE LOS BRUJOS (1974)!?) und in THE REEF eben Haie, die seinen Allerwelthelden nach dem Leben trachten. Im Gegensatz zu OPEN WATER bietet THE REEF schon ein geringfügig komplexeres Storygerüst: Statt einem einzigen Pärchen ist es eine Gruppe bestehend aus zwei Frauen und drei Männern, die auch nicht einfach im Ozean vergessen werden, sondern erstmal mit ihrer Segelyacht auf ein Riff laufen und kentern müssen, bevor sie sich – bis auf einen, der es vorzieht, auf dem Schiffsrumpf zu bleiben – schwimmend zurück gen Festland aufmachen. Das liegt natürlich so weit entfernt, dass bald die Kräfte schwinden, gruppeninterne Zwistigkeiten aufbrechen und die ersten Haie vorsichtig ihre Zähne nach den strampelnden Beinen unserer Protagonisten ausstrecken. Wie in OPEN WATER sind diese so gut wie unsichtbar, mehr Schatten als konkrete Monstren, und komplett aus Fleisch und Blut. Was THE REEF grundlegend von OPEN WATER unterscheidet, lässt sich am besten vielleicht an den Finalen beider Filme veranschaulichen: OPEN WATER besitzt eins der nihilistischsten Filmenden, die man sich vorstellen kann: Unsere Heldin löst die Taucherausrüstung von ihrem Rücken und stürzt sich unter Wasser, um niemals mehr aufzutauchen, tötet sich selbst, bevor die Haie ihr das abnehmen können. Bald schon beruhigt das Meer sich an der Stelle, wo sie verschwunden ist. Es wirkt, als sei sie niemals dort gewesen. THE REEF haut da schon mehr auf einen versöhnlichen Putz, wenn das bis dahin überlebende Pärchen sich einen wahren Wettlauf mit einem Hai zu einer Felseninsel liefert, und der männliche Part des Paares in letzter Sekunde von ihm weggerissen wird, während der weibliche Part es ebenfalls in letzter Sekunde gerade noch auf die rettende Klippe schafft. Allein ihr Überleben vermittelt schon eine andere Botschaft als die in OPEN WATER. Während es dort zwischen den Zeilen heißt, dass wir, in bestimmten Situationen, so klug und so kräftig und so willensstark sein können wie wir wollen, wir verlieren doch unser Leben, so sagt THE REEF vielmehr, dass man kämpfen muss zum Schluss, dann besteht immerhin noch die Möglichkeit, den Kopf aus der Schlinge bzw. aus dem Wasser zu bekommen. Ich erzähle das alles, weil mir Jaume Collet-Serras THE SHALLOWS von 2016 vorkommt wie der logische dritte Schritt innerhalb dieser Entwicklung. Er hat einen mehr oder minder realistischen Anfang, wird dann mehr und mehr überrannt von sattsam bekannten Klischees und überspitzter Dramatik, um schließlich in dem wohl kitschigsten Ende auszulaufen, das ich seit langem in einem Spielfilm gesehen habe. Worum geht es aber überhaupt?

Nancy reist nach Mexiko, um einen Strand zu besuchen, der der Lieblingsplatz ihrer kürzlich an Krebs verstorbenen Mutter und an dem sie vor etwa zwanzig Jahren mit ihr im Bauch surfen gewesen ist. Allein genießt sie an dem versteckten Ort, der aussieht, als seien die von Experten gephotoshoppten Bilder eines Reisekatalogs zum Leben erwacht, die Wellen, die Sonne, die Erinnerungen an die geliebte Tote. Anfänglich hält sie sich von den beiden jungen Männern fern, die ebenfalls dort surfen, schließlich knüpft man Bekanntschaft, doch Nancy will noch bleiben, die Nacht dort verbringen, während die beiden zurück zur Küste aufbrechen. Da stößt Nancy auf einen Walkadaver, der nicht nur voller an ihm pickender Möwen ist, sondern offensichtlich auch einem Haiangriff zum Opfer fiel. So frisch wie er aussieht, kann der Mörder nicht fern sein, und wirklich: Als sie versucht, so schnell wie möglich zum Strand zurückzukommen, sieht sie schon die gefürchtete Flosse auf sich zukommen, und flüchtet erstmal auf den Rücken des erlegten Wals. Alle Versuche, die beiden ihren Kram zusammenpackenden und mit ihrem Jeep da-vonfahrenden Männer auf sich aufmerksam zu machen, scheitern. Zu weit ist sie schon von der Küste entfernt. Dafür schenkt ihr der Hai mehr von seiner Aufmerksamkeit und stürzt sie kurzerhand von dem Kadaver ins Meer. In letzter Not rettet Nancy sich auf eine aus dem Ozean herausragende Felsspitze. Dass die aber am nächsten Morgen von der Flut überspült werden wird, ist ihr genauso klar wie, dass die hereinbrechende Nacht sie erstmal dazu verdammt, dort auszuharren. Gesellschaft hat sie nur von einer verletzten Möwe, die ihr von nun an nicht mehr von der Seite weicht, und die sie auf den Namen Steven Seagull tauft. Am nächsten Morgen reihen sich dann die Katastrophen: Ein Trunkenbold, der am Strand gepennt und sich bereits ihren dort herumliegenden Rucksack gesichert hat, kann der Verlockung nicht widerstehen, zu ihrem Surfbrett zu paddeln und sich das auch noch unter den Nagel zu reißen, und wird genauso von dem nimmersatten Hai zerlegt wie die beiden Surfer, die zurückkehren, Nancy wild mit den Armen wedelnd auf dem Felsen erblicken und dumm genug sind, ihr beide entgegen- und damit mitten in das Haifischmaul hinein zu schwimmen. Währenddessen steigt die Flut, und Nancy hat die Wahl: Zu warten bis das Wasser ihr bis zum Hals steht oder zu versuchen, es bis zu einer nahen Boje zu schaffen…

Leicht ist es, sich die Kulisse von THE SHALLOWS als die eines Theaterstücks vorzustellen. Nehmen wir Platz an der Küste, unserem Auditorium, und richten wir die Blicke auf die See hinaus, erweckt diese den Eindruck einer Bühne mit drei wichtigen Stationen: 1) dem Waldkadaver rechts in unserem Blickfeld, in der Mitte 2) der stetig schwindende Felsen, und 3) die unaufhalt-sam mit den Wellen wippende Boje ziemlich weit links. Dahinter öffnet sich der Ozean, um mit dem Horizont zu verschmelzen. Zwischen diesen drei Stationen bewegt sich unsere Heldin sukzessive von rechts nach links, nachdem sie der Hai erstmal dazu gezwungen hat, Position zu beziehen. Ihre Reise beginnt bei dem toten Wal, geht über den Felsen und endet bei der Boje. Zwi-schendurch können wir zusehen wie der langfingrige Säufer und die beiden Surfer aus dem Auditorium ins Meer springen, und es, wenn überhaupt, nur bis zu Nancys Felsen schaffen bevor sie unser Antagonist unweigerlich in die Tiefe reißt. Verglichen mit OPEN WATER und THE REEF hat THE SHALLOWS einen eindeutigeren Bühnencharakter. Nicht nur, dass eine klassische dreigliedrige Struktur gewahrt bleibt, bei der jede Station von Nancys Kampf ums Überleben auch eine auf einem schrittweisen Entwicklungsprozess ihres Selbst und eine auf dem stetigen Zuziehen der Spannungsschraube ist, gerade auch die Einheit von Raum und Zeit hat einen Reiz, der den beiden vorherigen Filmen fehlt, bei denen man allein, weil sie hauptsächlich im offenen Meer spielen, rein optisch überhaupt nicht feststellen kann, wieweit und ob überhaupt die Figuren sich von der Stelle bewegt haben.

Interessanterweise sind die drei Stationen Wal-Felsen-Boje aber auch Sinnbilder für die Kapriolen, die das Drehbuch schlägt. Der Walkadaver, das ist ein Anblick, so realistisch, dass es beinahe schon surrealistisch wirkt, mit seinem Kranz aus kreischenden Möwen auf seinem wettergegerbten, vernarbten Körper. Nachdem der Hai, einem Rammbock gleich, Nancy von ihm runtergeschubst und sie erstmal Zuflucht auf dem Felsen gesucht hat, beginnt der vermeintlich naturalistische Anstrich des Films aber schon zu bröckeln, und THE SHALLOWS schlägt schon ziemlich früh, nämlich noch in seinem ersten Drittel, den Weg ein, den THE REEF erst weit gegen Ende unter der Konvention hat einbrechen lassen. Dass Nancy einen Begleiter in Form einer Seemöwe bekommt, ist ja noch vertretbar, doch dass der Hai, der scheinbar nichts Besseres zu tun hat als darauf zu warten, dass Nancy oder irgendwer sonst zu ihm ins Wasser hüpft – wieso frisst er denn nicht einfach in aller Ruhe seinen Walfisch auf? Müsste der nicht für vier, fünf Mahlzeiten reichen? -, das ist schon ein Schritt in eine Richtung, wo es mehr darum geht, den animalischen Gegner nicht als instinktgetriebenes, im Prinzip unschuldiges Tier, sondern als im Prinzip bösartigen, gefräßigen, dazu fast schon taktisch kühl agierenden Antagonisten darzustellen. Wenn der Hai das absolute Böse ist, dann muss Nancy natürlich nicht nur optisch strahlen – die mir bislang unbekannte Blake Lively, berühmt geworden durch die US-amerikanische Jugendserie GOSSIP GIRL, sieht nämlich in etwa so aus wie ich mir das All-American Girl From Next Door vorstelle -, sondern auch seelisch eine gute Partie abgeben, sprich: eine Entwicklung durchleben, die sie zum Final Girl erst legitimiert. In einem Telefongespräch mit ihrem Vater zu Beginn erfahren wir: Sie hat Medizin studiert. Sie hat abgebrochen. Sie hängt nun irgendwie in der Luft. Dann noch der Tod der Mutter. Ihr Vater hätte sie gerne als Kämpferin. Im Moment hält er nicht so viel von ihr und ihrem Lebenswandel. Es hagelt Vorwürfe, und so weiter. Im Laufe von THE SHALLOWS wird Nancy nunmehr genau zu dem: Eine Kämpferin, die ihr Leben in die eigene Hand nimmt. Man könnte sagen: Der Hai zwingt sie zur Emanzipation. Nur, dass ihre Emanzipation eigentlich darauf hinausläuft, dass sie nicht zu einer selbstbestimmten Frau wird, die ihren eigenen Kopf durchsetzt, sondern zu Daddys Girl. Das wird besonders evident im Finale von THE SHALLOWS: Nancy klammert sich mit letzter Kraft an die Boje, die der Hai geschickt und zielsicher immer wieder attackiert, um sie von ihr herunterzuschleudern. Da kommt ihr eine Idee, die mir in der Situation niemals gekommen wäre: Sie hält sich fest an der letzten Eisenkette, die die Boje über Wasser hält – die letzte, weil der Hai alle andern schon zerbissen hat -, und lässt sich von ihr, ist sie einmal gelöst, zum Meeresgrund ziehen. Der Hai folgt ihr dicht auf den Fersen – und knallt mit seiner Fresse direkt auf das Eisending, dessen Namen ich nicht kenne, das aber ursprünglich dafür da war, sämtliche die Boje haltende Ketten zu vereinen, und wird von diesem förmlich aufgespießt. Nancy sehen wir im Epilog gemeinsam mit kleiner Schwester und Vater im Sonnenschein am Strand sitzen. Ihr Bein ist heil, nur eine Narbe erzählt von den erlittenen Verletzungen. Ihr Vater nickt gütig, und sie stürzt sich mit Schwesterlein und Surfbrett in die Fluten. Wüsste ich es nicht besser, würde ich annehmen, dieser Schlussakkord, dessen Kitsch schon in den Ohren wehtut, sollte eine Halluzination Nancys sein - ähnlich wie bei den wohl bewusst unglaubwürdigen letzten Szenen in Scorseses TAXI DRIVER (1978) -, kurz vor ihrem Sterben. Allerdings sind die letzten Szenen von THE SHALLOWS wirklich derart übertrieben harmonietrunken, dass der Film dadurch kurz vorm Abspann zur Parodie werden würde – und irgendwie fühlt es sich für mich einfach nicht danach an, dass vorliegender Film nicht doch zuletzt in der Botschaft aufgehen will, dass das Paradies auf Erden nicht fern ist, wenn man nur auf Papa hört, brav sein Studium durchzieht und bei einer Haiattacke einen klaren Kopf und einen selbst in Extremsituationen jedem Fashion-Model die Show stehlenden Body behält.

Was THE SHALLOWS dann vielleicht aber noch am weitesten wegführt von dem subtilen Unbehagen, das mir OPEN WATER und THE REEF, der eine mehr, der andere weniger, beschert hat, ist der Entschluss, den Großen Weißen ins denkbar schlechteste Licht zu rücken: Der Hai in THE SHALLOWS ist weder einer aus Fleisch und Blut noch ein lebensgroßes Modell, sondern besteht vollkommen aus Pixeln – und leider sieht man ihm das in jeder Sekunde seiner Auftritte an. Kein Wunder also, dass er so intelligent agiert. Seine Informationen sind ihm allesamt von Programmierern eingespeist worden. Der Kampf zwischen Nancy und ihm ist also nicht so sehr einer zwischen Mensch und Tier, sondern zwischen Mensch und CGI. Diese Affinität für die moderne Technik, die in OPEN WATER und THE REEF gänzlich fehlt, obwohl alle drei Filme ja im gleichen Computer-Age entstanden sind, zeigt sich auch an dem einzigen inszenatorischen Novum vorliegenden Films: Wenn Nancy am Anfang mit Vater und Schwester skypt, und mit ihrer besten Freundin whatsapped, dann werden die jeweiligen Smartphone-Fensterchen über das – ich nenne es mal: normale – Filmbild gelegt. Das sieht dann z.B. so aus: Da ist eine überästhetisierte Panoramaauf-nahme des Strands, wo Nancy als kleiner Punkt umherstrolcht, und rechts oben ein Videofenster mit dem Gesicht des Schwes-terchens, und rechts unten das Videofenster mit Nancys eigenem Gesicht. Die Leinwand wird zu einem Smartphone-Display, auf dem sich, während der eigentliche Film den bewegten Desktop bildet, beliebige Tasks öffnen lassen. Wir sehen Nancy aus der Ferne und ganz nahe, ihr Gesicht in Großaufnahme. Da alles parallel abläuft, sehen wir auch ihre Schwester hunderte Kilometer weg irgendwo in den USA. Schon einige Zeit frage ich mich, wie das Kino eigentlich mit Phänomenen wie Sozialen Netzwerken und der dadurch resultierenden Gleichzeitigkeit von Ereignissen umgehen wird. Gerade im Sektor von Filmen wie vorliegendem – für ein junges Publikum, den Digital Natives, die schon als Säuglinge ein Facebook-Profil habe – stellt sich scheinbar diese Frage auch den Machern. Solche Werke wie THE DEN (2013) oder UNKNOWN USER (2014) lösen das Problem, wenn man es denn als eines sehen möchte, ja nur halb. Sie sind zusammenkompiliert aus Aufnahmen von Live-Chats, Bildnachrichten, heimlichen Webcam-Mitschnitten etc., und spielen deshalb komplett in einem intradiegetischen Raum. Interessanter wird es für mich bei Filmen wie THE SHALLOWS, die weiterhin die bekannte filmische Illusion wahren wollen, andererseits aber versuchen, irgendwie auch die der Postmoderne inzwischen immanenten veränderten Zeit- und Raumwahrnehmungen abzubilden. THE SHALLOWS‘ Lösung ist da wohl nicht der Weisheit letzter Schuss, aber immerhin schon mal ein interessanter Anfang.

Irgendwie ist es schon bezeichnend, stelle ich gerade fest, dass ich an einem Film, in dem es eigentlich darum geht, dass eine blonde Schöne von einem großen Weißen verfolgt wird, ausgerechnet lobe, wie er das Geskype seiner Protagonistin in den Bildkader integriert. THE SHALLOWS ist wahrscheinlich wirklich nur etwas für Leute, die von Haien nicht zu viel bekommen können, denen der neuste Asylum-Blödsinn aber dann doch zu sehr verschwendete Zeit und Liebesmüh ist. Mehr braucht man über diesen Film, glaube ich, nicht zu wissen. Er wurde gedreht, um kurzfristig zu unterhalten, und langfristig vergessen zu werden. Vielleicht komme ich ja auf ihn zurück, wenn ich in zehn Jahren rückblickend über die Anfänge des sogenannten Skype-Cinemas schreibe, und zwar im allerersten Kapitel, das dann „Archaismen“ heißen wird.

Re: The Shallows - Jaume Collet-Serra (2016)

Verfasst: Di 20. Feb 2018, 00:38
von McBrewer
THE SHALLOWS ist wahrscheinlich wirklich nur etwas für Leute, die von Haien nicht zu viel bekommen können, denen der neuste Asylum-Blödsinn aber dann doch zu sehr verschwendete Zeit und Liebesmüh ist.
Schuldig im Sinne der Anklage 8-)
Und ich fühle mich auch garnicht schlecht dabei...THE SHALLOWS war & ist nette, Computer animierte Unterhaltung, mit eine gewaltigen Brise Spannung & ohne Tiefgang. Ich kann jetzt auch nicht mehr sagen, wie der Film ausgegangen ist, zu lange ist die Sichtung schon her...doch jetzt weiß ich es wieder :geek: :pfeif:
Man erwischt sich ja bei solchen Filmen oft, das man sich in die zu sehende Situation hineindenkt, wie würde man(n) selber agieren & reagieren. Nun, ich wäre bestimmt qualvoll ertrunken & dann als Haifutter geendet :(
Aber solange solche Reaktionen (Gefühle?) in einem geweckt werden, ist Zelluloid, auch wenn es Digitales ist, noch nicht verloren :opa:

Re: The Shallows - Jaume Collet-Serra (2016)

Verfasst: Mi 3. Feb 2021, 15:22
von karlAbundzu
Der deutsche Neben-Titel ist ja paradox. Ein Shallow ist ja eine Untiefe eine seichte Stelle,....
Nancy, eine Surferin findet in Mexiko den geheimen Lieblingsstrand ihrer Mutter, die gestorben ist, und will sich ein wenig selber finden. Zunächst findet sie aber zwei andere Surfer, später dann leider auch einen toten großen Wal und einen lebendigen großen weißen Hai. Sie wird angeknabbert und rettet sich auf einen Felsen, das Ufer nicht weit weg, aber der Hai auf der Hut....
Wenn Nancy am Strand anfängt und zu surfen beginnt, erinnert das alles an ein Surf-Werbe-Video mit der zugehörigen Musik und Körper-Rundungen betonenden Kamerashots, ganz launig, aber mit den ersten Aufeinandertreffen Frau - Hai (in einer Welle) geht es los, sehr effektiv, sehr spannend und sehr minimalistisch. Blake Lively spielt die Hauptrolle sehr körperlich und stark. Der CGi Hai sieht erstaunlich gut aus. Der Film nimmt sich immer wieder Pausen an den richtigen Stellen, um dann wieder loslegen.
Was mir noch gut gefiel, ist das weder eine Love-Sex-Story noch eine sexuelle Bedrohung mit eingebaut wurde, obwohl die Gelegenheit da war.
Beltramis Musik auch wieder sehr gut und sehr passend, eben auch effektiv.
Nur warum trauen sich die amerikanischen Produzenten, hier ein spanischer Regisseur und ein in USAmerika agierender Autor nicht, mal so ganz die Backgroundstory (Selberfinden, Tod der Mutter, rationaler Vater, kleine Schwester, lebenslustige Freundin) das mal nicht ganz weg zu lassen? Auch ohne das alles wäre Nancy sympatisch und tief rübergekommen (hätte rüberkommen können), das war ein hilfskonstuiert für ein Heititei-Ende.
Aber: Prima Tierhorror.

Re: The Shallows - Jaume Collet-Serra (2016)

Verfasst: Mi 3. Feb 2021, 15:48
von karlAbundzu
@salvatore
Lustigerweise sind mir auch genau die zwei Sachen als Unrealismen aufgefallen, warum frißt der Hai nicht tagelang am Wal (und warum gibt es da nur einen Hai, hat das weiße Hai-Weibchen die anderen vertrieben) und das Ende des Hais. Fielen mir aber auch nur auf, da ich in letzter Zeit relativ viele Tier . Dokus sah und dank Arte viele davon unter Wasser, und mindestens drei speziell zu Haien und Walen. Und genau da gab es Wal-Kadaver Szenen. Die Haie machten es sich da über Stunden (Tage?) gemütlich, da wäre so eine schwer zu erbeutende Menschennahrung nicht so interessant gewesen.
Und natürlich würde sich kein Hai sich so ins das Verderben stürzen, gerade wenn es, wie gesagt, an Nahrung nicht fehlt.
Aber: Sowas stört mich ja nie bei Tierhorror, da müßte der Hai schon anfangen mit der Protagonisten Arien zu singen oder so, und selbst das ist richtig erzählt und gefilmt interessant (und wenn ich so drüber nachdenke, SEHR interessant).
Da das Tier ja nie für das reale Tier steht, sondern entweder für etwas Verdrängtes oder für ein Prinzip. Oder auch mal beides. Außer eben in den Tierdokus. Lustigerweise ist bei den Extras der Blu ein Kurzfilm über Haiangriffe, inklusive einem überlebenden Opfer und einem Hai-Experten, der ernsthaft behauptet, das Shallows den Hai zeigt als das was er ist: Der Bewohner des Meeres, zu dem der Mensch ab und an zu Gast ist, und wir müssen lernen uns mit ihm das Meer zu teilen. Was schon mal auf mehreren Ebenen widersprüchlich ist. Und der Film eben dafür auch kein Beispiel, ich schätze, der mußte das sagen und hat den Film nicht gesehen.

Die Möwe habe ich in meiner Kritik vergessen, bzw. war mir nicht ganz sicher. Ich fand die Möwenszenen hübsch (und eben ausreichend für eine Chaakterisierung Nancys und genau deswegen hätte man die ganze Familiengeschichte weglassen können) und die Möwe hat mich irgendwie an Snoopy erinnert, aber das ist noch nicht zu Ende gedacht.
Salvatore Baccaro hat geschrieben: Mo 3. Okt 2016, 20:02 Vielleicht komme ich ja auf ihn zurück, wenn ich in zehn Jahren rückblickend über die Anfänge des sogenannten Skype-Cinemas schreibe, und zwar im allerersten Kapitel, das dann „Archaismen“ heißen wird.
Nur noch 5 Jahre, schon mehr Material gesammelt?

@ Dan
Genau die Gedanken hatte meine Mitsehrin auch:
McBrewer hat geschrieben: Di 20. Feb 2018, 00:38 Man erwischt sich ja bei solchen Filmen oft, das man sich in die zu sehende Situation hineindenkt, wie würde man(n) selber agieren & reagieren. Nun, ich wäre bestimmt qualvoll ertrunken & dann als Haifutter geendet
Ich irgendwie nicht, aber so war der Film für uns beide spannend.

Re: The Shallows - Jaume Collet-Serra (2016)

Verfasst: Mi 14. Jul 2021, 07:03
von jogiwan
Surferin gegen Hai bei abgelegenen Traumstrand, bei dem sich leider im letzten Drittel die Glaubwürdigkeit völlig verabschiedet und der Streifen von Jaume Collet-Serra so irgendwie völlig untergeht. Die Ausgangslage ist ja durchaus spannend, wenngleich man im realen Leben im Wasser wohl ohnehin keine Chance gegen einen Hai haben würde. Doch das würde man ja noch durchaus akzeptieren – was es dem Zuschauer jedoch schwer macht sind einige abstruse Logiklöcher und das völlig absurde Ende, bei dem man sich echt nur noch wundern kann. Im Finale geht „The Shallows“ wirklich in eine völlig falsche Richtung und ist so gar nicht mehr packend, sondern nur noch doof. Da helfen auch keine sympathische Blake Lively, der Traumstrand und die nette Surf- und Unterwasser-Fotografie. Mit „The Shallows“ sprang man eher auf den Hai-Boom auf um zuallererst einen auf authentisch und dramatisch zu machen und um dann erst wieder in den Untiefen des Trashs zu waten. Aber das passt ja auch gut zum Titel. Gut angefangen, stark nachgelassen und insgesamt auch nur eher naja.