Seite 1 von 1

Trasferimento di Modulazione - Piero Bargellini (1969)

Verfasst: Do 10. Nov 2016, 14:47
von Salvatore Baccaro
Originaltitel: Trasferimento di Modulazione

Produktionsland: Italien 1969

Auf den ersten Blick scheint es sich um einen handelsüblichen Porno zu handeln – derart handelsüblich, dass es schwerfällt, überhaupt einigermaßen genau die Zeit zu bestimmen, in der er entstanden sein muss. Die Kamera steht steif und starr wie im ganz frühen Kino an einer Position, die der vorderen Reihe eines imaginären Auditoriums entspricht, und bewegt sich von dort im Laufe der acht Minuten, die TRASFERIMENTO DI MODULAZIONE dauern wird, auch nicht weg. Ein einziges Mal fällt sie ein bisschen aus ihrer Rolle als teilnahmslosen Voyeur heraus, wenn sie etwas näher ans Geschehen heranzoomt – was wohl dann doch bedeutet, dass das Filmchen nicht viel früher als in den Fünfziger gedreht worden sein dürfte. Rein inhaltlich werden ebenfalls keine Bäume ausgerissen: Zunächst vergnügen sich drei Frauen und ein Mann auf dem Bettchen, aus dem allein die gesamte Kulisse besteht. Man wälzt sich in den Laken, man legt sich aufeinander, man hantiert aneinander herum, was in meiner Beschreibung wahrscheinlich aufregender klingt als es tatsächlich ist. Gerade die stumpfe Kameraposition vereitelt, dass der Zuschauer irgendwie in das sowieso schon nicht besondere spannende Treiben involviert wird. Selbst die große Überraschung, dass sich hinter dem auffällig im Hintergrund gebauschten Vorhang ein zweiter Mann verborgen hält, der plötzlich heraustritt, und sich unter die Balzenden mischt, lässt mich genauso kalt wie die anschließenden Kopulationsszennen: Erst bekommen beide Männer von zwei der Frauen einen geblasen, dann stößt der eine von ihnen einer der Frauen monoton wie man das kennt ins Becken. An sich ist der namenlose Porno, der Piero Bargellini als Grundlage für TRASFERIMENTO DI MODULAZIONE gedient hat, ein Paradebeispiel dafür, wie langweilig, uninspiriert, kreativbefreit die explizite Darstellung sexueller Handlungen im kinematographischen Medium zumeist ausfällt. Erinnert ihr euch an die Kanonenputzszene in Sergej Eisensteins BRONENOSETS PATYOMKIN? Im Prinzip ist das nichts anderes – nur eben mit etwas Haaren um das Rohr herum.

Aber für die Kreativität, für die Inspiration sind, wenn die Porno-Produzenten das nicht übernehmen wollen, können oder sollen, solche Leute wie eben Bargellini zuständig. Der gehört im Jahre 1969, als TRASFERIMENTO DI MODULAZIONE entsteht, zu dem unabhängigen Filmkollektiv Cooperativa Cinema Indipendente, kurz: CCI, dessen Vertreter – darunter heute kaum noch geläufige Namen wie Tonino De Bernardi, Pia Epremian, Alfredo Leonardi oder Massimo Bacigalupo – seit der Gründung 1967 darum bestrebt gewesen sind, fernab des Studiosystems in Italien ein Underground-Filmkultur nach US-amerikanischem Muster – vor allem Jonas Mekas muss man als wichtigen Bezugspunkt nennen – aufzubauen. Im Gegensatz sowohl zu den international gefeierten Autorenfilmer wie De Sica oder Antonioni und natürlich zu der gerade in Italien florierenden Unterhaltungsfilmindustrie voller Italo-Western und Sandalenabenteuer experimentierten die Filmemacher und Filmemacherinnen der CCI mit Form und Inhalt, und drehten beispielweise, wie Baciagulpo, ohne Ton und ohne Narration auf 16mm, widmeten sich, wie De Bernardi, zu dieser Zeit eher abseitigen Themen wie Transvestismus und Homosexualität, oder dekonstruierten, wie Bargellini in voliegendem Film, found-footage-Material, indem sie es nachträglich auf originelle Weise bearbeiteten.

Im Falle von TRASFERIMENTO DI MODULAZIONE sieht das wie folgt aus: So wie die anonymen Menschen auf den Filmstreifen übereinander herfallen, so fällt Bargellini über die Filmstreifen selbst her, modifiziert, transformiert, deformiert sie auf unterschiedliche Weise. Per Handarbeit werden, ähnlich wie bei den beiden ausführlich vorgeführten Hand Jobs, unserem Porno nachträglich Kratzer zugefügt, die Bilder in ihr Negativ verkehrt, sodass die Akteure auf einmal wie Gespenster erscheinen, vor allem greift Bargellini aber in die spezifische Legierung des 16mm-Materials ein, möglicherweise indem er es in bestimmten Chemikalien tränkt oder bestimmte Oberflächenschichten abkratzt. Der Effekt jedenfalls ist, dass ständig irgendwo im Bildkader wabernde Farbkleckse auftauchen, die teilweise Rahmungen, zum Beispiel um den Hintern des stoßenden Herrn, erzeugen, oder aber, als halbherzige Feigenblätter, mal Geschlechtsteile verdecken, mal wieder nicht. In einer der schönsten und witzigsten Szenen des Films verfremden sie das Bild derart, dass es weit über die Grenze zur Abstraktion hinauskippt. Was eben noch ein schaukelnder Hodensack war, und ein Frauenunterleib, in dem ein praller Stängel verschwindet und wieder auftaucht und wieder verschwindet und wieder auftaucht, das verwandelt sich vor unseren Augen auf einmal in eine reine, kontextlose gleichförmige Bewegung. Nichts Konkretes ist mehr zu erkennen, bloß noch das immer gleiche Stoßen zu erahnen als ein Rhythmus ohne Sinn und Zweck.

So verkopft das alles vielleicht sich anhören mag: TRASFERIMENTO DI MODULAZIONE ist für einen Experimentalfilm der späten 60er außerordentlich unterhaltsam, und hat mich nicht nur staunen, sondern vor allem auch permanent grinsen lassen. Nicht nur, dass Bargellini mittels minimalistischer Mittel die Essenz eines Pornos herausarbeitet, er geht sogar noch weiter, und übersetzt die Körperlichkeit auf der Leinwand in die Praxis, mit der er dem Film begegnet. So wie es in diesem Porno eigentlich nur um Haut, Fleisch und Organe in ihren basalsten Funktion geht, so handelt Bargellinis Film ebenfalls von einer ganz physischen Auseinandersetzung mit dem Material, aus dem Filme sind. Die Materialität der Porno-Akteure – nichts weiter als Sexmaschinen ohne Gesicht, ohne Geschichte -, verhandelt Bargellini auf einer Meta-Ebene: Durch die Interventionen von Seite des Filmemachers wird der Porno selbst einer Fleischbeschau unterworfen, und, analog zu gespreizten Schamlippen und aus ihren Vorhäuten schlüpfenden Penisköpfen, in seiner reinen Körperlichkeit vorgeführt. All die nachträglich von Bargellini zugefügten Punkte, Striche, Linien, Störeffekte, das sind wiederum Spermaspritzer, Ergebnis masturbierender Hände, die quasi aus dem Porno herausgreifen, um ihn selbst in seiner Materialität anzutatschen. Wenn man so will, ist TRASFERIMENTO DI MODULAZIONE nichts weniger als ein Meta-Porno geworden, ein Film, der von der erotischen Beziehung zwischen analogem Filmemacher und seinem Filmmaterial handelt, ein Sexakt am Schneidetisch, dessen ultimativer Organismus der Zusammenbruch des Filmbilds unter all den Eingriffen bedeutet. Genau damit unterminiert Bargellini die laue Ambition des Ursprungsfilms, der einfach nur seine Standardsexstellungen herunterspult. TRASFERIMENTO DI MODULAZIONE ist tatsächlich stimulierend, für oben wie unten, für Hirn wie Schritt. Was für ein sexy Streifen!

Re: Trasferimento di Modulazione - Piero Bargellini (1969)

Verfasst: Do 10. Nov 2016, 14:48
von Salvatore Baccaro
Die Bildqualität ist zwar unterhalb jeder Kritik und ich bin mir sicher, dass das Bild zudem gespiegelt ist - d.h. im Original z.B. kommt der zweite Stoßer von rechts hinter dem Vorhang vor, nicht von links -, aber trotzdem: Der wohl einzige Porno, der es bis nach youtube geschafft hat:

[BBvideo][/BBvideo]