Originaltitel: Echtzeit
Produktionsland: BRD 1983
Regie: Hellmuth Costard, Jürgen Ebert
Darsteller: Georg Krämer, Ruth Bierich
Georg ist Wissenschaftler. Ruth ist Hausfrau. Beide merken: Etwas stimmt nicht mit der Realität, in der sie sich befinden. Tatsächlich scheinen sie lediglich virtuelle Reproduktionen real existierender Personen außerhalb des Cyberspaces zu sein, in dem sie sich zunehmend als Gefangene begreifen. Georg steht dem Ganzen kritisch gegenüber. Es muss doch einen Weg geben, sagt er, aus dieser Matrix auszubrechen, einen Fehler im System, einen Durchlass, der es einem möglich macht, die Welt der Pixel zu verlassen und in die vermeintliche Wirklichkeit überzuwechseln. Ruth steht dem Ganzen versöhnlich gegenüber. Wer weiß, sagt sie, was für Vorteile das für einen hat, und außerdem, woher will man wissen, dass die vermeintliche Wirklichkeit tatsächlich besser ist als die Simulation, in der sie stecken, die Realität ist vielleicht realer, doch ist sie auch wirklich lebenswerter? Georg zieht los, fährt mit dem Auto ziellos durch die Gegend, auf der Suche nach Anomalien im System. Ruth begibt sich schließlich auf die Suche nach ihm, fährt ebenfalls mit dem Auto ziellos durch die Gegend, findet seine Schuhe verlassen auf einem Feld. Soweit die grobe Handlung des experimentellen Spielfilms ECHTZEIT von Hellmuth Costard und Jürgen Ebert, der – wohlgemerkt im Jahre 1983 – solche Phänomene wie Internet, Datenspeicherung für eher bedenkliche Zwecke und Cyber-Kriegsführung vorwegnimmt. Dass ECHTZEIT in irgendwelchen Archiven verschollen ist und höchstens mal – immerhin hat der WDR mitproduziert - unter Ausschluss der Öffentlichkeit mitten in der Nacht auf 3Sat läuft, hat indes einen einfachen Grund: Dieser dystopische Science-Fiction-Film ist maßgeschneidert für die Handvoll Leute, denen selbst noch Kubricks 2001 oder Tarkowskijs SOLARYIS als zu sehr nach den Bedürfnissen eines oberflächlichen Mainstream-Publikums gestrickt sind.
Strukturell betrachtet speisen sich die Bilder, aus denen ECHTZEIT sich zusammensetzt, aus drei groben Themenfeldern: 1. Zunächst wäre da die oben skizzierte tragische Liebesgeschichte zwischen Georg und Ruth, die zu Beginn des Films bereits um ihre Cyber-Existenz wissen, und nun die ihnen großzügig eingeräumte Laufzeit vor allem dazu benutzen, auf Betten herumzusitzen und darüber zu philosophieren, wie das denn nun ist, wenn jemand, nämlich ihre Programmierer, faktisch alles über sie weiß, und ob ein Begriff wie Freiheit in ihrem derzeitigen Zustand denn überhaupt als noch relevant betrachtet werden kann, und ob sie denn nun eigentlich noch am Leben sind oder tote Datenmengen, und ob sie sich ihrem Schicksal fügen oder gewaltsam versuchen sollen, diesem die Stirn zu bieten – ein kämpferischer Ansatz, den, ganz gemäß der gängigen Geschlechterrollen, der rational argumentierende Georg übernimmt, während Ruth stattdessen im Prinzip ganz zufrieden ist mit ihrem Dasein und, wie um das zu unterstreichen, immer mal wieder an der Spüle in der Küche gezeigt wird, wo sie brav Teller, Tassen, Teekannen abtrocknet. Wenn Georg und Ruth sich nicht gerade über hochphilosophische, ihnen von der Cyber-Realität regelrecht aufgezwungene Themen die Köpfe zerbrechen, lesen sie einander, in bester Bildungsbürgertradition, aus Texten von Maurice Blanchot vor, sitzen in Cafés oder unternehmen Spaziergänge in den naheliegenden Wald. Nicht nur, dass die Dialoge in diesem eher narrativ orientierten Teil des Films ungefähr so lebensnah wirken wie die bei der Podiumsdiskussion einer Tagung irgendwo an der Schnittstelle zwischen Neuer-Medien-Forschung und Geisteswissenschaften, Costard und Ebert gestalten das Drama um Ruth und Georg noch mittels zusätzlicher Verfremdungseffekte zu einem derart harten Brocken, dass einem nur der Schluss übrigbleibt, er soll wohl bewusst nicht einfach so geschluckt werden können. Da wäre zum einen vor allem der Einsatz einer simplen, aber effektiven Lochglasfasermaske, die die Filmemacher in schöner Regelmäßigkeit vor die Linse ihrer Analogkamera heften, um den Bildern das Aussehen dessen zu geben, wie man sich wohl Anfang der 80er die Virtuelle Realität vorgestellt hat: Konzentrische Kreise überlagern die Szenen und führen dazu, dass wir die agierenden Personen nur, wie man heute sagen würde, vollkommen grobkörnig verpixelt sehen, jedoch keine Chance haben, Feinheiten ihrer Mimik oder Gestik zu bemerken. Gerade in der ersten Hälfte von ECHTZEIT setzen Costard und Ebert, zumindest was die Ruth-und-Georg-Szenen betrifft, dieses Stilmittel inflationär ein und zeigen einem etwaigen Zuschauer, der sich in Erwartung rasanter Endzeit-Action in ihren Film verirrt hat, eine Karte wie sie röter nicht sein könnte. Hinzukommt, dass die Schauspieler Ruth Bierich und Georg Krämer, von denen man weder davor noch danach jemals wieder etwas gehört hat, von professionellen Synchronsprechern nachsynchronisiert worden ist – was Ebert und Costard in den Szenen ohne Lochglasfaser auch offensichtlich gar nicht verhehlen wollen, und das ereignislose Treiben im Cyberspace damit um noch eine Stufe mehr auf Distanz zum Betrachter rücken. Zu guter Letzt ist Ruths und Georgs Sinnkrise als eine Reihe von Fragmenten erzählt, die sich der Betrachter dann wohl ebenfalls selbst zusammensetzen muss, will er in den zahllosen Autofahrten, Krisensitzungen und Alltagsmomenten irgendein bindendes Element ausmachen. Ein Film ohne Drehbuch, heißt es im Vorspann von ECHTZEIT, und das mag ich gerne glauben, nur eben, dass Ruth und Georg, sofern sie denn wirklich die ganze Zeit improvisieren, für mich nur in einer einzigen Szene authentisch gewirkt haben: Sie liegen mal wieder auf der Matratze. Ruth erklärt ihm, sie wolle erstmal nicht mehr mit ihm schlafen. Das sei nicht gegen ihn gerichtet. Im Gegenteil. Er könne sie berühren, klar, nur kein Sex. Von dem wolle sie loskommen, von dem Sex. Das sei doch der eigentliche Reiz, miteinander schlafen zu wollen und es dann doch nicht zu tun. Diese drei, vier Minuten wirken auf einmal tatsächlich wie der unverstellte Einblick in das Schlafzimmergeplauder eines lange bereits liierten Paares, und sind pures Gold in einem reichlich matten Umfeld.
2. Vermengt mit dieser eher konfusen Liebesgeschichte sind dokumentarische Aufnahmen, die wohl quasi außerhalb des Systems stattfinden sollen, in dem Ruth und Georg sich gefangen sehen, und die sich mit den wissenschaftlichen, ökonomischen, intellektuellen Implikationen der Thematik Cyber-Realität auseinandersetzen. So sehen wir zum Beispiel Menschen in Laboren und Fabriken dabei zu wie sie, nehme ich einmal an, damit beschäftigt sind, portable Computer und sonstige hochmoderne technologischen Errungenschaften herzustellen – gerne unterlegt mit dem sehr laut eingespielten Logical Song von Supertramp, was dem Ganzen eine unverkennbar ironische Note verpasst. Daneben gibt es Interviews mit Computertechniken, die den Filmemachern vorführen, was sie bereits an Virtuellen Realitäten geschaffen haben, nämlich, für heutige Augen, noch ziemlich grobschlächtige Landschaften des Bayrischen Hinterlandes, die aussehen wie aus einem ganz frühen Videospiel. Neben diesen Sequenzen, die wirken, als könnten sie auch aus einer zeitgenössischen Reportage des WDR stammen, ist für mich einer der interessantesten Einfälle des Films jedoch folgender: ECHTZEIT beginnt damit, dass wir der Führung eines Kunsthistorikers durch die barocke Residenz der Würzburger Fürstbischofe folgen. Etwas später wohnen wir einer zweiten Führung bei, diesmal geleitet von einem anderen Kunsthistoriker, und mit dem Unterschied, dass nicht die üblichen Touristen seine Zuhörer sind, sondern genau jene Computerfachleute, die Costard und Ebert zuvor bereits bei der Arbeit und in Interviewsituationen gezeigt haben – darunter, als prominentester Vetreter seiner Zunft, Konrad Zuse, der bereits in den 30ern, noch unter Hitler, eine Rechenmaschine konstruiert hat, die als erster Computer überhaupt gilt. Dieser Kunsthistoriker ist unverkennbarer Fan von Balthasar Neumann, jenem bedeutenden Barock- und Rokoko-Baumeister und Schöpfer der Würzburger Residenz, der früher den 50DM-Schein geziert hat. Besonders angetan ist er vom Treppenhaus, das er seine Zuhörer in einer Mischung aus kindlicher Begeisterung und sakraler Andacht langsam hinaufführt. Während er darüber in Entzücken gerät, wie detailverliebt, wie versiert, wie formvollendet Neumann besagtes Treppenhaus zur Aufführung gebracht habe, bleibt es nicht aus, dass wir automatisch einen Analogieschluss ziehen zwischen der barocken Architekturkomposition und dem Cyberspace, an dem Zuse und seine Kollegen zuvor gebastelt haben – ein reizvoller Gedanke, der den Anstoß geben könnte zu einer Reflexion über eine ganze Kulturgeschichte der Dinge, die die Menschheit seit jeher vor allem zu dem Zweck geschaffen haben, dass sie angeschaut werden können. Ebenfalls außerordentlich sehenswert – und für mich wesentlich interessanter als das Drama um Georg und Ruth – ist die anschließende Diskussion zwischen unseren Kunsthistorikern und den Computerfachleuten. In geselliger Runde, bei Wein und Zigarren, sitzt man nach der Führung scheinbar in irgendeinem Konferenzzimmer der Würzburger Residenz und tauscht sich aus über Themen, die heute noch nichts von ihrer Brisanz verloren haben. Im Grunde, sagt einer der Techniker, könnten die einzelnen Computer vollkommen unabhängig von menschlichen Eingriffen miteinander kommunizieren, sprich: ohne Visualisierungen, die doch letztlich nur dazu da sind, dass der Mensch, der der Maschine nicht vertraut, gerne verbildlicht sieht, was die Maschine denn da eigentlich treibt. Einer aus dem Filmteam stellt die Frage, weshalb es im Cyberspace denn eigentlich noch einen Fixpunkt geben müsse. Die Landschaft, die da programmiert worden ist, funktioniert ja immer noch so, als sei sie aufgezeichnet von einer imaginären Kamera. Dabei läuft im Internet doch alles synchron und parallel. Wozu sich also noch an einen konkreten Standpunkt binden? Ein weiterer Mann aus dem Technikteam prägt schließlich den Begriff militär-humanistisch, um ansatzweise zu umschreiben, wessen Endziel ihre Forschungen denn dienen soll – worauf Costard und Ebert Tagesschau-Berichte einspielen, die über den Teststart der neu vom Band gerollten Pershing-II-Rakete berichten, von denen es in der BRD bald wimmeln soll, um Moskau, im Falle eines Falles, die Augen ausschießen zu können.
3. Während die Spielfilm-Elemente um Ruth und Georg und die Dokumentarfilm-Elemente um den Stand der Computer-Forschung in den frühen 80ern weitgehend isoliert voneinander stehen und allein durch das gemeinsame Oberthema miteinander verbunden sind sowie dadurch, dass Costard und Ebert munter zwischen den Ebenen wechseln – man erinnere sich: das ist ein Film ohne Drehbuch! -, lässt sich in ECHTZEIT aber noch eine dritte Art von Sequenzen ausmachen, von denen sich mir oft nicht wirklich erschlossen hat, was sie denn nun eigentlich mit dem Rest zu tun haben sollen. Dass Costard und Ebert Gefallen daran finden, lang und breit eine Zoovorstellung zu illustrieren, bei denen dressierte Delphine Bälle in Körbe befördern, Pirouetten in der Luft drehen, strahlende Kinder auf Gummibooten durch ihr Becken ziehen und sonstige Kunststückchen aufführen, kann man sich vielleicht noch einigermaßen interpretatorisch zurechtbiegen, indem man annimmt, die Delphine sollten metaphorisch für programmierte Existenzen wie Ruth und Georg stehen, die ebenfalls auf beengtem, künstlichen Raum von außen begafft werden. Weshalb aber mitten im Film für ein paar Sekunden die Archiv-Aufnahmen eines startenden Wasserflugzeugs der Wehrmacht zu sehen ist, oder was es mit den Comic-Szenen auf sich hat, die Costard und Ebert offenbar einem Lehrvideo über die richtige Verhaltensweise im Falle eines Flugzeugabsturzes entnommen haben, und wieso auch noch die zeitgenössische westdeutsche Hausbesetzerszene thematisiert werden muss, auf all das kann es Antworten geben, muss es wohl aber nicht. Als besonders enervierend habe ich dabei die vor allem im letzten Drittel regelrecht zelebrierten Autofahrszenen empfunden. Zwar läuft bei denen immer mal wieder Holiday in Cambodia der Dead Kennedys oder traditionelle Volksgesänge der Cook Islands aus dem Radio, oder aus dem Off werden bedrohliche elektronische Klänge eingespielt, die suggerieren, gleich passiere etwas Schlimmes, ansonsten haben wir endlose Einstellungen durch Windschutzscheiben, während draußen Felder, Dörfer, Wälder vorbei-ziehen, ohne dass, ob schlimm oder nicht, überhaupt etwas passieren würde. Übrigens endet ECHTZEIT folgerichtig mit einem weiteren offiziellen Tagesschau-Bericht: Der französische Präsident Francois Mitterand, der US-amerikanische Präsident Ronald Reagan und Bundespräsident Carstens, letztere beiden nebst Gattin, treffen sich unter Blitzlichtgewitter der Presse in einem weiteren von Balthasar Neumann aus der Taufe gehobenen Wunderwerk der Architekturgeschichte, wo sie, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, dinieren und vielleicht auch das eine oder andere politische Eisen anpacken werden.
Nein, mit ECHTZEIT bin ich nicht wirklich warmgeworden. Obwohl Costard und Ebert rein thematisch durchaus visionäres Feld beackern, scheinen sie sich dennoch nicht entscheiden zu können oder zu wollen, worauf genau denn nun der Fokus ihres Films gerichtet sein soll. In seinen besten Momenten schafft es ECHTZEIT zwar noch immer, ethisch-philosophische Diskurse über die zunehmende Technologisierung unserer Gesellschaft, über Kriegstechnologie unter dem Deckmantel des Weltfriedens, über die Gefahren und Risiken Virtueller Realitäten anzustoßen, nur leider sind die rar gesät in einem anstrengenden Gewirr aus Nebenschauplätzen, bei denen ich mich ernsthaft frage, ob viele Szenen nicht einfach dazu haben herhalten müssen, das Projekt auf Spielfilmlänge zu strecken. Andererseits ist ECHTZEIT aber natürlich unverkennbar ein später Ausläufer des Autorenkinos der 70er Jahre, das es sich auf die Fahne geschrieben hat, demonstrativ mit dem Rücken zu seinem Publikum zu stehen. In seinen für mich schlimmsten Momenten schafft es ECHTZEIT deshalb, als Parade- und Negativbeispiel dafür zu dienen, wie man es fertigbringt, selbst an der Thematik interessierte Zuschauer durch eine vollkommen verkopfte, humorbefreite, nüchtern-sterile Inszenierung schon in den ersten Minuten haushoch aus einem Film zu schmeißen, der mit etwas mehr Zugänglichkeit heutzutage vielleicht sogar mal zur Hauptsendezeit auf 3Sat laufen würde.
Strukturell betrachtet speisen sich die Bilder, aus denen ECHTZEIT sich zusammensetzt, aus drei groben Themenfeldern: 1. Zunächst wäre da die oben skizzierte tragische Liebesgeschichte zwischen Georg und Ruth, die zu Beginn des Films bereits um ihre Cyber-Existenz wissen, und nun die ihnen großzügig eingeräumte Laufzeit vor allem dazu benutzen, auf Betten herumzusitzen und darüber zu philosophieren, wie das denn nun ist, wenn jemand, nämlich ihre Programmierer, faktisch alles über sie weiß, und ob ein Begriff wie Freiheit in ihrem derzeitigen Zustand denn überhaupt als noch relevant betrachtet werden kann, und ob sie denn nun eigentlich noch am Leben sind oder tote Datenmengen, und ob sie sich ihrem Schicksal fügen oder gewaltsam versuchen sollen, diesem die Stirn zu bieten – ein kämpferischer Ansatz, den, ganz gemäß der gängigen Geschlechterrollen, der rational argumentierende Georg übernimmt, während Ruth stattdessen im Prinzip ganz zufrieden ist mit ihrem Dasein und, wie um das zu unterstreichen, immer mal wieder an der Spüle in der Küche gezeigt wird, wo sie brav Teller, Tassen, Teekannen abtrocknet. Wenn Georg und Ruth sich nicht gerade über hochphilosophische, ihnen von der Cyber-Realität regelrecht aufgezwungene Themen die Köpfe zerbrechen, lesen sie einander, in bester Bildungsbürgertradition, aus Texten von Maurice Blanchot vor, sitzen in Cafés oder unternehmen Spaziergänge in den naheliegenden Wald. Nicht nur, dass die Dialoge in diesem eher narrativ orientierten Teil des Films ungefähr so lebensnah wirken wie die bei der Podiumsdiskussion einer Tagung irgendwo an der Schnittstelle zwischen Neuer-Medien-Forschung und Geisteswissenschaften, Costard und Ebert gestalten das Drama um Ruth und Georg noch mittels zusätzlicher Verfremdungseffekte zu einem derart harten Brocken, dass einem nur der Schluss übrigbleibt, er soll wohl bewusst nicht einfach so geschluckt werden können. Da wäre zum einen vor allem der Einsatz einer simplen, aber effektiven Lochglasfasermaske, die die Filmemacher in schöner Regelmäßigkeit vor die Linse ihrer Analogkamera heften, um den Bildern das Aussehen dessen zu geben, wie man sich wohl Anfang der 80er die Virtuelle Realität vorgestellt hat: Konzentrische Kreise überlagern die Szenen und führen dazu, dass wir die agierenden Personen nur, wie man heute sagen würde, vollkommen grobkörnig verpixelt sehen, jedoch keine Chance haben, Feinheiten ihrer Mimik oder Gestik zu bemerken. Gerade in der ersten Hälfte von ECHTZEIT setzen Costard und Ebert, zumindest was die Ruth-und-Georg-Szenen betrifft, dieses Stilmittel inflationär ein und zeigen einem etwaigen Zuschauer, der sich in Erwartung rasanter Endzeit-Action in ihren Film verirrt hat, eine Karte wie sie röter nicht sein könnte. Hinzukommt, dass die Schauspieler Ruth Bierich und Georg Krämer, von denen man weder davor noch danach jemals wieder etwas gehört hat, von professionellen Synchronsprechern nachsynchronisiert worden ist – was Ebert und Costard in den Szenen ohne Lochglasfaser auch offensichtlich gar nicht verhehlen wollen, und das ereignislose Treiben im Cyberspace damit um noch eine Stufe mehr auf Distanz zum Betrachter rücken. Zu guter Letzt ist Ruths und Georgs Sinnkrise als eine Reihe von Fragmenten erzählt, die sich der Betrachter dann wohl ebenfalls selbst zusammensetzen muss, will er in den zahllosen Autofahrten, Krisensitzungen und Alltagsmomenten irgendein bindendes Element ausmachen. Ein Film ohne Drehbuch, heißt es im Vorspann von ECHTZEIT, und das mag ich gerne glauben, nur eben, dass Ruth und Georg, sofern sie denn wirklich die ganze Zeit improvisieren, für mich nur in einer einzigen Szene authentisch gewirkt haben: Sie liegen mal wieder auf der Matratze. Ruth erklärt ihm, sie wolle erstmal nicht mehr mit ihm schlafen. Das sei nicht gegen ihn gerichtet. Im Gegenteil. Er könne sie berühren, klar, nur kein Sex. Von dem wolle sie loskommen, von dem Sex. Das sei doch der eigentliche Reiz, miteinander schlafen zu wollen und es dann doch nicht zu tun. Diese drei, vier Minuten wirken auf einmal tatsächlich wie der unverstellte Einblick in das Schlafzimmergeplauder eines lange bereits liierten Paares, und sind pures Gold in einem reichlich matten Umfeld.
2. Vermengt mit dieser eher konfusen Liebesgeschichte sind dokumentarische Aufnahmen, die wohl quasi außerhalb des Systems stattfinden sollen, in dem Ruth und Georg sich gefangen sehen, und die sich mit den wissenschaftlichen, ökonomischen, intellektuellen Implikationen der Thematik Cyber-Realität auseinandersetzen. So sehen wir zum Beispiel Menschen in Laboren und Fabriken dabei zu wie sie, nehme ich einmal an, damit beschäftigt sind, portable Computer und sonstige hochmoderne technologischen Errungenschaften herzustellen – gerne unterlegt mit dem sehr laut eingespielten Logical Song von Supertramp, was dem Ganzen eine unverkennbar ironische Note verpasst. Daneben gibt es Interviews mit Computertechniken, die den Filmemachern vorführen, was sie bereits an Virtuellen Realitäten geschaffen haben, nämlich, für heutige Augen, noch ziemlich grobschlächtige Landschaften des Bayrischen Hinterlandes, die aussehen wie aus einem ganz frühen Videospiel. Neben diesen Sequenzen, die wirken, als könnten sie auch aus einer zeitgenössischen Reportage des WDR stammen, ist für mich einer der interessantesten Einfälle des Films jedoch folgender: ECHTZEIT beginnt damit, dass wir der Führung eines Kunsthistorikers durch die barocke Residenz der Würzburger Fürstbischofe folgen. Etwas später wohnen wir einer zweiten Führung bei, diesmal geleitet von einem anderen Kunsthistoriker, und mit dem Unterschied, dass nicht die üblichen Touristen seine Zuhörer sind, sondern genau jene Computerfachleute, die Costard und Ebert zuvor bereits bei der Arbeit und in Interviewsituationen gezeigt haben – darunter, als prominentester Vetreter seiner Zunft, Konrad Zuse, der bereits in den 30ern, noch unter Hitler, eine Rechenmaschine konstruiert hat, die als erster Computer überhaupt gilt. Dieser Kunsthistoriker ist unverkennbarer Fan von Balthasar Neumann, jenem bedeutenden Barock- und Rokoko-Baumeister und Schöpfer der Würzburger Residenz, der früher den 50DM-Schein geziert hat. Besonders angetan ist er vom Treppenhaus, das er seine Zuhörer in einer Mischung aus kindlicher Begeisterung und sakraler Andacht langsam hinaufführt. Während er darüber in Entzücken gerät, wie detailverliebt, wie versiert, wie formvollendet Neumann besagtes Treppenhaus zur Aufführung gebracht habe, bleibt es nicht aus, dass wir automatisch einen Analogieschluss ziehen zwischen der barocken Architekturkomposition und dem Cyberspace, an dem Zuse und seine Kollegen zuvor gebastelt haben – ein reizvoller Gedanke, der den Anstoß geben könnte zu einer Reflexion über eine ganze Kulturgeschichte der Dinge, die die Menschheit seit jeher vor allem zu dem Zweck geschaffen haben, dass sie angeschaut werden können. Ebenfalls außerordentlich sehenswert – und für mich wesentlich interessanter als das Drama um Georg und Ruth – ist die anschließende Diskussion zwischen unseren Kunsthistorikern und den Computerfachleuten. In geselliger Runde, bei Wein und Zigarren, sitzt man nach der Führung scheinbar in irgendeinem Konferenzzimmer der Würzburger Residenz und tauscht sich aus über Themen, die heute noch nichts von ihrer Brisanz verloren haben. Im Grunde, sagt einer der Techniker, könnten die einzelnen Computer vollkommen unabhängig von menschlichen Eingriffen miteinander kommunizieren, sprich: ohne Visualisierungen, die doch letztlich nur dazu da sind, dass der Mensch, der der Maschine nicht vertraut, gerne verbildlicht sieht, was die Maschine denn da eigentlich treibt. Einer aus dem Filmteam stellt die Frage, weshalb es im Cyberspace denn eigentlich noch einen Fixpunkt geben müsse. Die Landschaft, die da programmiert worden ist, funktioniert ja immer noch so, als sei sie aufgezeichnet von einer imaginären Kamera. Dabei läuft im Internet doch alles synchron und parallel. Wozu sich also noch an einen konkreten Standpunkt binden? Ein weiterer Mann aus dem Technikteam prägt schließlich den Begriff militär-humanistisch, um ansatzweise zu umschreiben, wessen Endziel ihre Forschungen denn dienen soll – worauf Costard und Ebert Tagesschau-Berichte einspielen, die über den Teststart der neu vom Band gerollten Pershing-II-Rakete berichten, von denen es in der BRD bald wimmeln soll, um Moskau, im Falle eines Falles, die Augen ausschießen zu können.
3. Während die Spielfilm-Elemente um Ruth und Georg und die Dokumentarfilm-Elemente um den Stand der Computer-Forschung in den frühen 80ern weitgehend isoliert voneinander stehen und allein durch das gemeinsame Oberthema miteinander verbunden sind sowie dadurch, dass Costard und Ebert munter zwischen den Ebenen wechseln – man erinnere sich: das ist ein Film ohne Drehbuch! -, lässt sich in ECHTZEIT aber noch eine dritte Art von Sequenzen ausmachen, von denen sich mir oft nicht wirklich erschlossen hat, was sie denn nun eigentlich mit dem Rest zu tun haben sollen. Dass Costard und Ebert Gefallen daran finden, lang und breit eine Zoovorstellung zu illustrieren, bei denen dressierte Delphine Bälle in Körbe befördern, Pirouetten in der Luft drehen, strahlende Kinder auf Gummibooten durch ihr Becken ziehen und sonstige Kunststückchen aufführen, kann man sich vielleicht noch einigermaßen interpretatorisch zurechtbiegen, indem man annimmt, die Delphine sollten metaphorisch für programmierte Existenzen wie Ruth und Georg stehen, die ebenfalls auf beengtem, künstlichen Raum von außen begafft werden. Weshalb aber mitten im Film für ein paar Sekunden die Archiv-Aufnahmen eines startenden Wasserflugzeugs der Wehrmacht zu sehen ist, oder was es mit den Comic-Szenen auf sich hat, die Costard und Ebert offenbar einem Lehrvideo über die richtige Verhaltensweise im Falle eines Flugzeugabsturzes entnommen haben, und wieso auch noch die zeitgenössische westdeutsche Hausbesetzerszene thematisiert werden muss, auf all das kann es Antworten geben, muss es wohl aber nicht. Als besonders enervierend habe ich dabei die vor allem im letzten Drittel regelrecht zelebrierten Autofahrszenen empfunden. Zwar läuft bei denen immer mal wieder Holiday in Cambodia der Dead Kennedys oder traditionelle Volksgesänge der Cook Islands aus dem Radio, oder aus dem Off werden bedrohliche elektronische Klänge eingespielt, die suggerieren, gleich passiere etwas Schlimmes, ansonsten haben wir endlose Einstellungen durch Windschutzscheiben, während draußen Felder, Dörfer, Wälder vorbei-ziehen, ohne dass, ob schlimm oder nicht, überhaupt etwas passieren würde. Übrigens endet ECHTZEIT folgerichtig mit einem weiteren offiziellen Tagesschau-Bericht: Der französische Präsident Francois Mitterand, der US-amerikanische Präsident Ronald Reagan und Bundespräsident Carstens, letztere beiden nebst Gattin, treffen sich unter Blitzlichtgewitter der Presse in einem weiteren von Balthasar Neumann aus der Taufe gehobenen Wunderwerk der Architekturgeschichte, wo sie, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, dinieren und vielleicht auch das eine oder andere politische Eisen anpacken werden.
Nein, mit ECHTZEIT bin ich nicht wirklich warmgeworden. Obwohl Costard und Ebert rein thematisch durchaus visionäres Feld beackern, scheinen sie sich dennoch nicht entscheiden zu können oder zu wollen, worauf genau denn nun der Fokus ihres Films gerichtet sein soll. In seinen besten Momenten schafft es ECHTZEIT zwar noch immer, ethisch-philosophische Diskurse über die zunehmende Technologisierung unserer Gesellschaft, über Kriegstechnologie unter dem Deckmantel des Weltfriedens, über die Gefahren und Risiken Virtueller Realitäten anzustoßen, nur leider sind die rar gesät in einem anstrengenden Gewirr aus Nebenschauplätzen, bei denen ich mich ernsthaft frage, ob viele Szenen nicht einfach dazu haben herhalten müssen, das Projekt auf Spielfilmlänge zu strecken. Andererseits ist ECHTZEIT aber natürlich unverkennbar ein später Ausläufer des Autorenkinos der 70er Jahre, das es sich auf die Fahne geschrieben hat, demonstrativ mit dem Rücken zu seinem Publikum zu stehen. In seinen für mich schlimmsten Momenten schafft es ECHTZEIT deshalb, als Parade- und Negativbeispiel dafür zu dienen, wie man es fertigbringt, selbst an der Thematik interessierte Zuschauer durch eine vollkommen verkopfte, humorbefreite, nüchtern-sterile Inszenierung schon in den ersten Minuten haushoch aus einem Film zu schmeißen, der mit etwas mehr Zugänglichkeit heutzutage vielleicht sogar mal zur Hauptsendezeit auf 3Sat laufen würde.