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Flying Saucers Over Istanbul - Orhan Erçin (1955)

Verfasst: Di 13. Dez 2016, 22:51
von Salvatore Baccaro
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Originaltitel: Uçan Daireler Istanbulda

Produktionsland: Türkei 1955

Regie: Orhan Erçin

Darsteller: Orhan Erçin, Zafer Önen, Halide Piskin, Özcan Tekgül, Semiramis Güze
Bei einem Film, dessen Titel UCAN DAIRELER ISTANBULDA (auf Deutsch so viel wie: Fliegende Untertassen über Istanbul) lautet, und der in eben jenem Staat produziert worden ist, der zu besagter, von unbekannten Flugobjekten besuchten Stadt gehört, kommen dem Connoisseur europäischer Exploitation-Kost höchstwahrscheinlich Assoziationen, die vorverweisen auf die knallbunten Granaten, mit denen die türkische Filmindustrie von den späten 60ern bis in die 80er Jahre hinein selbst den hartgesottensten B-Movie-Aficionados die eine oder andere Explosion von Geist und Verstand verursachte. Vorliegender Film allerdings, so viel darf schon mal quasi als Entwarnung vorausgeschickt werden, begibt sich mit seinem Produktionsjahr 1955 für türkische Verhältnisse noch nicht ganz so hemmungslos dem unverhohlensten Trash hin – was allerdings, wie man gleich sehen bzw. lesen wird, überhaupt nicht heißen soll, dass UCAN DAIRELER ISTANBULDA nicht trotzdem einer jener Filme wäre, die einen, wenn man sich ohne Rückhalt auf sie einlässt, in ein Paralleluniversum entführen können, dessen Gesetze nach allen Regeln funktionieren, bloß nicht nach denen der menschlichen ratio.

Der Film beginnt damit, dass unsere Helden, zwei Zeitungsreporter namens Sapsal und Kasar, sich in einem sogenannten Club der Einsamen Herzen einfinden, sprich: einem Etablissement für heiratswillige ältere, zumeist nicht den gängigen Idealen westlicher Schönheit entsprechende, jedoch zumindest finanziell überaus gesegnete Frauen, um dort Material für einen Artikel über den mehr oder minder erfolglosen Männerfang der ungeküssten Jungfern zu sammeln. Der etwas jüngere Kasar, übrigens dargestellt vom Hauptverantwortlichen des Films, Orhan Erçin, der nicht nur diese Hauptrolle bekleidet, sondern zudem Regie geführt und das Drehbuch beigesteuert hat, trägt eine übergroße Kameraattrappe vor seinem Brustkorb herum und sorgt mit seinem ständigen Stottern und schlichten Scherzen von Anfang an für Momente, bei denen ich mich frage, ob die wirklich von einem türkisches Publikum Mitte der 50er als besonders witzig empfunden worden sind, und nicht vielmehr schon bei den Zeitgenossen niemanden richtig haben begeistern können. Der etwas ältere Sapsal ist der Mann fürs geschriebene Wort, läuft aber seit geraumer Zeit jedem Trend, jedem Brennstoffthema meilenweit hinterher, und beweist spätestens im Interview mit der Vorsitzenden des Einsamen-Herzen-Clubs, dass er, obwohl er es unter einer weltmännischen Fassade versteckt, seinem Kollegen an Dümmlichkeit in nicht viel nachsteht. In diesem Interview nun erfahren die beiden, dass ein Weltstar, Marilyn Monroe nämlich, kurz davor steht, türkisches Festland zu betreten. Völlig außer sich rennen sie ihrem Chef in der Erwartung das Büro ein, von ihm allein aufgrund dieser Information eine Beförderung zu erhalten. Der zeigt sich indes völlig unbeeindruckt von Sapsals und Kasars Euphorie, immerhin erschüttert doch zurzeit eine ganz andere Neuigkeit die türkische Hauptstadt: Es sollen im näheren Umkreis Ufos gesichtet worden sein, eine Gruppe renommierter Wissenschaftler ist damit beschäftigt, Kontakt zu den mutmaßlichen Außerirdischen aufzunehmen, die breite Öffentlichkeit lechzt nach erhellenden Nachrichten. Sogleich sehen Sapsal und Kasar ihre Chance: Sie bieten ihrem Chef an, ihm innerhalb eines Tages einen investigativen Bericht zu dem Thema vorzulegen, der die Auflage seiner Zeitung in unermessliche Höhe schießen lassen wird.

Wie genau sie das nun geschafft haben, verschweigt der Film uns, doch eine Szene später sind unsere Helden bereits in die Hauptzentrale der UFO-Forscher eingedrungen und verstecken sich dort unter einem Tisch, während die Herren Professoren, allesamt Klischeefiguren mit langen Bärten, halben Zauberern gleich, Signale ins All senden und über die Möglichkeit einer Antwort debattieren. Nicht nur sieht diese Zentrale aus wie die dürftige Kulisse eines sehr, sehr frühen Stummfilms – sie ist im Grunde nicht mehr als ein leerer Raum, den man mit dem einen oder anderen zumindest ansatzweise nach Weltraumerforschung aussehenden Objekt wie beispielweise einem Teleskop vollgestellt hat -, auch der Humor, den Erçin sich selbst auf den Leib geschrieben hat, hätte ein knappes halbes Jahrhundert zuvor möglicherweise besser funktioniert. Hunger quält ihn, er packt ein paar Stullen aus, verschlingt sie leidenschaftlich, während die Professoren sich darüber wundern, dass es in ihrem Laboratorium plötzlich nach Zwiebeln riecht. Wer das noch nicht witzig genug findet, der lacht vielleicht, wenn Kasar und Sapsal, nunmehr allein zurückgelassen, an den wissenschaftlichen Apparaturen herumspielen und auf einmal tatsächlich am andern Ende die Stimme eines weiblichen Aliens haben. Dieser kündigt ihnen an, was sich kurz darauf auch schon vollzieht: Ein Ufo landet unweit der Forschungsstation, und da unsere Helden offenbar die Einzigen sind, die das mitbekommen, legen sie sich mit ihrer falschen Kamera in einem Gebüsch auf die Lauer, um Photos von den Ankömmlingen aus dem All zu schießen. Bei denen handelt es sich ausnahmslos um junge, hübsche Damen in Weltenraumanzügen, und warum das so ist, erfahren wir und das tumbe Duo, nachdem dieses, relativ problemlos, von den Außerirdischen ergriffen und an Bord des Raumschiffs verschleppt worden ist.

Merih, der Herkunftsplanet der Frauenschar, sei, so erklärt es die Königin der Außerirdischen, von einem akuten Männermangel betroffen. Deshalb habe man beschlossen, in die Weiten des Universums aufzubrechen, um dort nach Nachschub für die Reproduktion der extraterrestrischen Rasse zu sorgen. Ein sogenannter Männerdetekor hilft den Aliens bei der Feststellung, ob das, was sie in ihren Besitz gebracht haben, wirklich dezidiert maskulin ist. Bei Sapsal schlägt dieser sofort positiv aus, Kasar scheint aber ein derart uneindeutiges Exemplar, das nicht mal das technische Gerät sich über sein Geschlecht einig sein will. Nichtsdestotrotz beschließen sofort zwei der Frauen aus der Ferne, Kasar respektive Sapsal zum Gatten nehmen zu wollen. Eine ziemlich unbeholfene Flucht unserer Helden endet in den Armen von Stelekami, einem hünenhaften Roboter, der die Erdenbewohner auf Befehl der Space Ladies dingfest macht. Um einer Entführung nach Merih zu entgehen, muss ein ausgeklügelter Plan her, und den findet Erçin in Windungen seines Drehbuchs, denen ich spätestens jetzt nicht mehr ganz folgen kann: Nachdem die Weltraummädchen Kasar und Sapsal das Geheimnis anvertraut haben, dass es ein besonderes, in handlichen Fläschchen verfügbares Lebenselixier sei, das sie bereits hunderte von Jahre hat alt werden lassen, behaupten die, dass dieses Wundermittel der beste Weg sei, den heiratswütigen Frauen noch mehr irdisches Männermaterial zuzuführen. Obwohl das alles ist, was unsere Helden an Argumenten vorbringen, sind die Außerirdischen blöd genug, ihnen einige Flaschen Zaubertrank anzuvertrauen, und sie zurück in den Club der Einsamen Herzen zu schicken, in dem, neben dem Innern des Ufos, schätzungsweise achtzig bis neunzig Prozent der gesamten Handlung angesiedelt sind.

Nun mutiert UCAN DAIRELER ISTANBULDA für eine Weile zu einem gänzlich anderen Film. Kasar und Sapsal beschließen, selbst scheinbar die eigentliche Science-Fiction-Handlung komplett vergessend, aus dem ihnen anvertrauten Lebenssaft Kapital zu schlagen. Für unverschämte Preise bieten sie das Elixier von Merih unter den alten, einsamen Jungfern feil, kassieren von diesen jedoch horrende Summen, nur um ihnen danach noch viel mehr mittels fadenscheiniger Tricks aus den Taschen zu ziehen. Genau verstanden, wer denn nun wen betrügt, und wer von wem was stibitzt, und welche Flasche nun an den Falschen gerät und welche an den Richtigen, habe ich nicht, da der Film in dieser Phase seiner Laufzeit zerfällt in kleine Episoden, die, wenn sie denn wirklich lustig wären, vielleicht sogar die Bezeichnung Sketche verdienen würden, und außerdem bis zum Rand vollgestopft ist mit Tanz- und Gesangseinlagen, die mit der reinen Geschichte in überhaupt keinem Zusammenhang stehen. Vor allem Freunde des orientalischen Bauchtanzes kommen beim Bühnenprogramm des Clubs voll auf ihre Kosten, dazu gibt unter anderem ein sturzbetrunkener Jüngling hicksend und torkelnd einen Schlager darüber zum Besten, wie schön er es findet, sich derart die Kante gegeben zu haben. Irgendwelche dunklen Mächte wollen Kasar und Sapsal die Rezeptur des Lebenselixiers entwenden, dazwischen führen alberne Verwicklungen und Verwechslungen zu ebenso albernen Prügelszenen, die mitunter mit Pferdewiehern (!) unterlegt werden, und am Ende stehen unsere Helden mit leeren Händen dar und statten freiwillig den Außerirdischen einen zweiten Besuch ab, um sich von denen mit noch mehr Zaubersaft aushelfen zu lassen. Da die aber das gesamte Geschehen auf einem bordinternen Monitor beobachtet haben und daher wissen, inwieweit sie den beiden Reportern vertrauen dürfen, haben sie bereits Vorkehrungen für ihre Rache getroffen: Statt Kasar und Sapsal erneut ihr Anti-Alterungs-Mittelchen mitzugeben, sind es diesmal mehrere Flaschen voll mit dem sogenannten Elixier des Wahnsinns, das jeden, der es trinkt, um den Verstand bringen soll.

Offenbar hat Erçin selbst nicht wenig von seiner eigenen Erfindung gekostet, denn erneut macht UCAN DAIRELER ISTANBULDA eine verblüffende Kehrtwendung und wird zum Vehikel für eine türkische Marilyn-Monroe-Imitatorin, die zu allem Überfluss den (Künstler-)namen Mirella Monro trägt, und vom Chef des Einsamen-Herzens-Club höchstpersönlich eingeladen worden ist, um eine frenetisch jubelnde Menge mit ihrer Präsenz zu erfreuen. Tatsächlich tut Frau Monro oder Monroe nicht viel mehr als lange Minuten – wohlgemerkt in der Rezeption des Clubs, der plötzlich wohl ebenfalls so etwas wie ein Hotel für Stars ist – ihren Fans zuzujubeln, auf Englisch zu kauderwelschen und in die Kameras zu grinsen. Nachdem das Publikum genügend vom Wahnsinnssaft getrunken hat, bringt sie immerhin noch ihren Körper in Schwung und setzt zu einem psychedelischen Bauchtanz an. Alle, Frauen wie Männer, flippen zu treibender Beatmusik aus, hampeln verrückt durch die Clubräumlichkeiten, und selbst die Montage mit ihren wirren Überblendungen kann auf einmal mehr als einfach nur eine Szene stumpf an die nächste zu reihen. Am Ende aber stehen Kasar und Sapsal genauso erfolglos da wie zu Beginn, und werden von den Außerirdischen, nachdem selbst diese sich überraschend als Bauchtanzprofis entpuppt haben, nun doch ins Weltenall verschleppt. Die letzte Szene des Films zeigt unsere Helden hinter einem Bullauge des Spaceships wie sie ins Ungewisse von Kosmos und, da ihnen ihre zukünftigen Gattinnen bereits im Nacken sitzen, Ehe aufbrechen.

Puh, UCAN DAIRELER ISTANBULDA ist, obwohl zu keinem Zeitpunkt derart himmelschreiend wie spätere türkische Science-Fiction-Filme á la DÜNYAYI KURTARAN ADAM (1982) oder TURIST ÖMER UZAY YOLU’NDA (1973), dann doch ein ziemlich starkes Stück geworden. Dem Kern, eine absolut alberne Komödie voller infantiler Gags, werden die Science-Fiction-Elemente quasi gewaltsam von außen aufgepfropft, und es ist nur bezeichnend, dass die beiden Hauptplots, zum einen das irre Treiben im Einsame-Herzen-Club, zum andern die Geschichte um die liebestollten Außerirdischen, zu keinem Zeitpunkt wirklich harmonisch zusammenkommen und den Eindruck verwischen würden, man hätte es nicht mit zwei völlig unabhängig voneinander konzipierten Versatzstücken zu tun. Bezeichnend ist ebenfalls, dass den Verwicklungen und Verwirrungen zwischen Kasar, Sapsal und dem Trägerinnen der einsamen Herzen wesentlich mehr Aufmerksamkeit und Zeit zugewandt wird als dem Science-Fiction-Strang – da versteht es ein mit einer ähnlichen Prämisse, nämlich auf Männerjagd ausgesandte Alien-Frauen notlandend auf der Erde, ausgestatteter Film wie LA NAVE DE LOS MONSTRUOS des Mexikaners Rogelio A. González von 1960 schon viel besser, seinen Pennälerhumor mit ordentlichem Weltraum-Trash zu vermählen. Tatsächlich wirken die ein, zwei Aufnahmen von landenden oder abhebenden Ufos und die mehr als erbärmliche Innenausstattung des Raumschiffs, bei der es möglicherweise sogar einem Ed Wood mulmig werden würde, sowie der sichtbar aus Pappkartons zusammengebastelte Roboter letztlich bloß wie ein netter Gimmick, mit dem die Abenteuer unserer beiden Zeitungsenten ein bisschen haben aufgepeppt werden sollen. Immerhin interessant ist aber der Kontrast, den Ohan Ercin zwischen den Erdenfrauen und denen vom Planeten Merhi zieht: während letztere ausnahmslos dem Schönheitsideal der westlichen Hemisphäre entsprechen und zudem über ansprechende Bauchtanzkünste verfügen, sind erstere genauso ausnahmslos faltige, oftmals zahnlose und übergewichtige Vetteln, die ihr halbes Vermögen aufbieten müssen, um überhaupt nur einen Mann dazu zu bekommen, ihnen offen ins Angesicht zu blicken.

Ansonsten sollte man UCAN DAIRELER ISTANBULDA allerdings nicht allzu sehr nach irgendwelchen doppelten Böden und versteckten Botschaften abklopfen. Na gut, es wird eine Meta-Ebene eröffnet, wenn die Außerirdischen von ihrem Schiffchen aus per Liveschaltung Tanz und Sang des Nachtclubs beiwohnen, und ja, am Ende schreibt Hauptdarsteller Ercin auf die Rückseite einer Raumschifffensterscheibe so etwas wie, dass er nun zum Planeten Merhi entführt werde, und ja, eingedenk dessen kann man dem Film unterstellen, er meine alles, was er zeigt, bloß ironisch und sei sich voll und ganz bewusst, dass nichts an ihm, weder die Schauspielkünste noch der Schnitt noch die Kameraführung, schon gar nicht die Spezialeffekte irgendwelchen internationalen Standards genügen können. Eine solche Interpretation möchte ich aber nicht ausreizen, zumal der Film auf mich ganz persönlich wie ein gedankenloser Spaß wirkt, der dadurch, dass er zu keinem Zeitpunkt wirklich witzig ist, noch gewinnt. Ercin hat sich, ob nun intendiert oder nicht, einer scham- und schonungslosen camp-Ästhetik verschrieben, die seinen Film, meine ich, in den besten Momenten gerade aufgrund seiner Unbekümmertheit und Unzulänglichkeiten durchaus in die Nähe solcher vom Kunstkontext längst aufgesogener Regisseure wie John Waters oder den jungen Christoph Schlingenschief rückt. Allein die Auftritte der falschen Marilyn Monroe, dann die plötzliche Tanzeinlage einer der Alien-Damen, schließlich die Auseinandersetzungen im Club, bei denen sich sämtliche Beteiligte minutenlang einfach nur gegenseitig anschreien und wie verrückt durch die Kulisse rennen, sind derart überzogen und übersteuert, dass sie in mir genau die Saite zum Schwingen gebracht haben, die nötig ist, um mich einen Film nicht aus intellektuellen oder rationalen Gründen lieben zu lassen, sondern auf einer rein emotionalen Ebene. UCAN DAIRELER ISTANBULDA mag schlecht inszeniert sein, ein schlechtes Drehbuch haben, schlechte Scherze am Fließband ausstoßen, mich hat dieser Film restlos davon überzeugt, dass es einen selten erreichten Olymp gibt, der allein für Filme wie diesen bestimmt ist, die derart kolossal in allen Belangen scheitern, dass sie von ihrem eigenen Scheitern letztendlich über alle Maßen geadelt werden. Wer Bauchtanz mag, wer gerne dann lacht, wenn es nicht lustig ist, wer nicht genug kriegen kann von blöden Charakteren und ihren Blödeleien, der ist bei UCAN DAIRELER ISTANBULDA genauso richtig wie jemand wie ich, der ohne besondere Grunderwartung einfach nur einmal etwas völlig anderes hat sehen wollen.