Seite 1 von 1

Operation Naked - Mario Sixtus (2016)

Verfasst: Di 3. Jan 2017, 13:06
von buxtebrawler
Bild

Originaltitel: Operation Naked

Herstellungsland: Deutschland / 2016

Regie: Mario Sixtus

Darsteller: Sarah-Rebecca Gerstner, Gabor Biedermann, Sinan Al-Kurikchi, Hans Hohlbein, Olaf Burmeister, Sven Fechner, Volkmar Leif Gilbert, Niels Ruf, Joachim Paul Assböck, Kristina Brons, Lars Bernau, Jan Böhmermann u. A.

Michelle Spark (Sarah-Rebecca Gerstner) hat eine Datenbrille erfunden, die sie im ZDF-Fernsehen präsentiert. Mit ihr auf der Nase lässt sich Gesehenes automatisch mit Informationen im Internet abgleichen. Zu Kleidung werden Marke und Preis angezeigt, zu Menschen Namen und weitere Daten – u.a. zu einem Lehrer (Gábor Biedermann), der von der Live-Demonstration nichts ahnen kann und vor einem Millionenpublikum dabei gezeigt wird, wie er einen Schwulen-Club betritt, woraufhin er seine Anstellung verliert. Aus diesen und ähnlichen Gründen befindet sich eine anonyme Gruppe, die sich nur hinter silbernen Masken in Bekennervideos zeigt, auf einem Feldzug gegen die Datenbrillen. Doch Spark wird nicht müde, die technischen Errungenschaften ihrer Erfindung zu propagieren…

[BBvideo][/BBvideo]

Re: Operation Naked - Mario Sixtus (2016)

Verfasst: Di 3. Jan 2017, 13:07
von buxtebrawler
Journalist Mario Sixtus ist ein „digital Native“, der sich schwerpunktmäßig mit dem Themenkomplex Internet, insbesondere der Netzpolitik, auseinandersetzt. Als freier Autor veröffentlichte er u.a. in der „Zeit“ sowie den Fachperiodika „c’t“ und „Technology Review“. Für den Handelsblatt-Verlag produzierte er dreieinhalb Jahre lang den preisgekrönten Video-Podcast „Elektrischer Report“, der später auch im ZDFinfokanal ausgestrahlt wurde. Außerdem stand er regelmäßig für das 3SAT-Computermagazin „neues“ vor der Kamera. Für seine 2016 für den Spartensender zdf.kultur produzierte, 50-minütige Mockumentary „Operation Naked“ über soziale und politische Auswirkungen von Datenbrillen mit Gesichtserkennungsfunktion verfügte er demnach über fundiertes Hintergrundwissen.

Michelle Spark (Sarah-Rebecca Gerstner, „Schrotten!“) hat eine Datenbrille erfunden, die sie im ZDF-Fernsehen präsentiert. Mit ihr auf der Nase lässt sich Gesehenes automatisch mit Informationen im Internet abgleichen. Zu Kleidung werden Marke und Preis angezeigt, zu Menschen Namen und weitere Daten – u.a. zu einem Lehrer (Gábor Biedermann, „Schreie der Vergessenen“), der von der Live-Demonstration nichts ahnen kann und vor einem Millionenpublikum dabei gezeigt wird, wie er einen Schwulen-Club betritt, woraufhin er seine Anstellung verliert. Aus diesen und ähnlichen Gründen befindet sich eine anonyme Gruppe, die sich nur hinter silbernen Masken in Bekennervideos zeigt, auf einem Feldzug gegen die Datenbrillen. Doch Spark wird nicht müde, die technischen Errungenschaften ihrer Erfindung zu propagieren…

Der durch Internet-„Big Data“-Sammelei gläserne Bürger und die Konsequenzen sind das Thema dieser Mockumentary, die weitestgehend gleichberechtigt beide Seiten – Gegner wie Befürworter – wortgewaltig argumentieren lässt und die durchaus berechtigte Frage stellt, ob der Anstellungsverlust des Homosexuellen eine Folge der Datenbrille oder doch eher reaktionärer, sexistischer Moralvorstellungen innerhalb der Gesellschaft und ihrer Entscheidungsträger ist, die die Datenbrille öffentlich zu machen und zu diskutieren half. Anhand dieses einen konkreten Beispiels hilft „Operation Naked“, auch einfachsten Gemütern zu veranschaulichen, auf welche Weise sich im Internet hinterlassene Daten nutzen lassen und lässt der Film das Missbrauchspotential erahnen.

Dabei bedient sich Sixtus eines originellen, experimentellen Stils, den er das „Stumbling-Prinzip“ nennt: „Operation Naked“ besteht fast ausschließlich aus fingierten Ausschnitten realer ZDF-Sendungen, angefangen beim „Morgenmagazin“ über die „heute“-Nachrichten bis hin zu Lanz und Böhmermann (wo das Prinzip dann auch erläutert wird), lässt seine Geschichte also zu einem nicht unbeträchtlichen Teil von tatsächlichen ZDF-Mitarbeitern erzählen, wobei er gern mitten in Dia- und Monologen zur nächsten Sendung springt. Mit „Knock off“ dürfte sich lediglich eine einzige fiktive Sendung eingeschlichen zu haben, während die „Silberköpfe“-Rebellen an Anonymous angelehnt sind. Daraus ergibt sich ein mitunter regelrecht beißender Realismus, der nicht nur das Thema erschöpfend behandelt, ohne dabei den Zuschauer zu bevormunden, sondern auch die Mechanismen des Fernsehens und seiner verschiedenen Formate auf intelligente, gut beobachtete Weise aufzeigt.

Natürlich ist „Operation Naked“ Zukunftsmusik, Science-Fiction – jedoch eine alles andere als abwegige, mögliche. Gesichtserkennung ist eine sich längst im Einsatz befindende Technologie, soziale Netzwerk wie „Facebook“ erkennen selbständig auch auf Gruppenfotos ihre Mitglieder und verknüpfen sie so mit ihren Daten. Und portables Internet in Alltagsgegenständen ist längst ein alter Hut, ob nun im Mobilfon oder der Armbanduhr, auch Datenbrillen befinden sich tatsächlich auf dem Markt.

Letztlich greift Sixtus die Argumentation der Datensammel- aus -auswertungsbefürworter auf und demonstriert, wie sie zwei Themen, nämlich das Recht auf Privatsphäre und den Kampf gegen überholte gesellschaftliche Moralvorstellungen, gegeneinander auszuspielen versuchen und davon ablenken, dass in einem wirklich freien Sozialgefüge beides gegeben sein muss. Sein Film ist dabei weder technokratisch noch nerdig, auch nicht verbissen ernst oder überzeichnet krawallig, sondern ein nahezu perfektes abstrahiertes, lehrreiches TV-Spezial, dabei mit seiner auch an Kriminalfilme angelehnten Handlung schwer unterhaltsam. Einziger Wermutstropfen: Dieses Thema geht fast alle etwas an und darf daher nicht in einem Spartenkanal versteckt werden. ZDF prime time wäre angemessen gewesen, doch dank Creative-Common-Lizenz lässt sich der Film dauerhaft gratis im Netz ansehen.