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We are the Flesh - Emiliano Rocha Minter (2016)

Verfasst: So 12. Feb 2017, 08:47
von jogiwan
We are the Flesh

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Originaltitel: Tenemos la carne

Herstellungsland: Mexiko, Frankreich / 2016

Regie: Emiliano Rocha Minter

Darsteller: María Evoli, Diego Gamaliel, Noé Hernández, Gabino Rodriguez

Story:

Mariano ist ein durchgeknallter Einsiedler in einer postapokalyptischen Welt, der in einem heruntergekommenen Gebäude haust, aus Abfällen Schnaps herstellt und sich daran berauscht. Eines Tages erscheinen Luciano und Fauna auf der Bildfläche, die auf der Suche nach Nahrung und einer sicheren Unterkunft sind und auch bleiben, obwohl Mariano alles andere als vertrauenswürdig erscheint. Er nötigt die Beiden sich seinen bizarren Wertevorstellungen und Bedingungen zu unterwerfen und zu dritt verwandelt sich ein Raum des Gebäudes in etwas, dass an einen weiblichen Unterleib erinnert. Doch das ist erst der Anfang aus einem Alptraum aus Sex, Tod und Wiedergeburt, in dem menschliche Moralvorstellungen und sonstige Konventionen längst keine Rolle spielen…

Re: We are the Flesh - Emiliano Rocha Minter (2016)

Verfasst: So 12. Feb 2017, 08:48
von jogiwan
Hui, es gibt sie ja doch noch… die Filme die sich nichts scheißen und dem Zuschauer völlig auf Konfrontationskurs begegnen. Der mexikanische Streifen „We are the Flesh“ ist zwar inhaltlich nicht ganz perfekt und wirkt als Debüt eines ambitionieren Regisseurs leicht überfrachtet, aber ansonsten macht der Streifen keine Gefangenen und erinnert an herbe und mutige Siebziger-Arthouse-Schocker, die den Zuschauer mit unangenehmen Fragen und Bildern konfrontieren und sich mit ihrem sperrigen und entrückten Inhalt mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten ihrer Zeit auseinandersetzen. Obwohl Emiliano Rocha Winter im Film etwaige Erklärungen verweigert und dem aufgeschlossenen Zuschauer – zugegeben - sehr plakativ mit Sex und Gewalt konfrontiert ist hier nicht einfach nur ein möglichst abstraktes Szenario gewählt wurde, sondern der junge Regisseur sehr wohl weiß, was er da eigentlich tut. Dass er dabei mit expliziten Sex und Themen wie Inzest und Mord natürlich besondere Aufmerksamkeit erregt, sei ihm auch vergönnt, wenn dabei so ein interessantes Stück geschmacksspalterisches Kino herauskommt, dass beim Zuschauer auch extreme Reaktionen hervorrufen soll. Ablehnende Kommentare gehören da genauso dazu, wie das Rattern im Oberstübchen, wie die ganze Sache denn nun wirklich gemeint sein könnte, auch wenn ich an dieser Stelle mich wegen etwaiger Spoiler nicht in Mutmaßungen* ergehen möchte. Zwar reicht es noch nicht ganz für die Kiste von Pasolini, Jodorowsky und andere kontroverse Regisseure vergangener Jahrzehnte, aber Minter ist definitiv auf dem richtigen Weg und es ist schön zu sehen, dass derartig unkonventionelle Filme auch heutzutage noch gedreht werden.

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Re: We are the Flesh - Emiliano Rocha Minter (2016)

Verfasst: Do 16. Mär 2017, 13:48
von Salvatore Baccaro
Ich kann - und muss! - dem Jogi in allen Belangen zustimmen, habe aber trotzdem dann auch noch mal meine eigenen flüchtigen Eindrücke dieses Meisterwerks kurz zusammengefasst:
Urin. Menstruationsblut. Ejakulat. Erigierte Penisse. Gespreizte Vaginen. Realer Geschlechtsverkehr. Inzest. Blutige Kehlen-schnitte. Nekrophilie. Kannibalistische Orgien. Die meisten mir bekannten (und zumeist verhalten bis negativen) Kritiken zu dem mexikanischen Experimentalfilm TENEMOS LA CARNE von 2016 richten ihren Fokus auf solche Reihungen all jener Tabubrüche, die Emiliano Rocha Minter in seinem Regie-Debut wie selbstverständlich nicht nur verhandelt, sondern offen ausagiert. Das ist wenig verwunderlich, gehört doch jedes der Dinge, die ich oben aufgezählt habe, in den meisten vergangenen und/oder gegenwärtigen Kulturen zum kollektiven Bestand dessen, an was man nicht denken, was man nicht aussprechen, was man schon gar nicht fixiert im Bild sehen möchte. Allzu viel scheint sich über die Zeit nicht an der Grundkonstitution des menschlichen Tabubefindens geändert zu haben, wenn man bedenkt, dass, beispielweise auf die Monatsblutung bezogen, in archaischen Stammesgemeinschaften die menstruierende Frau genauso den gesellschaftlichen Raum verlassen muss wie sie vom jüdisch-christlich-islamischen Monotheismus zumindest als unrein gebrandmarkt wird, und wie an diesen im Prinzip völlig normalen biologische Vorgang, der zudem in Zusammenhang mit dem Erhalt unserer Rasse steht, noch im Säkularismus der westlichen Welt derart ungern erinnert wird, dass er selbst im Kunstkontext noch auf brüskierte Blicke und murrende Mägen stößt. Gerade solche Phänomene des Wandels von organischer in anorganischer Materie, die bei der breiten Bevölkerungsschicht Angst und Scham verbreiten, haben mich indes schon immer unter dem Gesichtspunkt fasziniert, wie der Mensch ihre Tabuisierung und die damit verbundenen nahezu physischen Reaktionen beim Übertreten eines solchen Tabus theoretisch oder ästhetisch zu fassen versucht – und natürlich ist ein besonders ergiebiges Forschungsfeld hierfür das Kino der gerade der 60er und 70er Jahre, das auf einen ja oft so wirkt, als sei da eine ganze Epoche völlig darauf ausgerichtet gewesen, herauszufinden, welche Bilder ethisch, moralisch noch geduldet werden können und für welche nun wirklich bei kaum jemandem noch eine Unze Toleranz übrigbleibt.

Genausooft wie ich über die (durchaus korrekte) Bemerkung gestolpert bin, dass Minters Film teilweise wirke wie eine Check-Liste all der (im Abendland) verpönten und verbotenen Sexualpraktiken, auf der sich fast nur Haken befinden, genausooft wird TENEMOS LA CARNE (ebenso folgerichtig) in genau die Tradition eingeordnet, die ich oben zu skizzieren versucht habe: Das im wahrsten Wortsinne transgressive Kino kurz vor und kurz nach der sogenannten 68er Revolte, als auf einmal alles, und darunter sehr vieles möglich schien, womit zurzeit kaum noch Regisseure oder Produzente durchkommen würden – und schon gar nicht in die großen Lichtspielhäuser, wo – heute undenkbar! - Werke wie MALADOLESCENZA oder FACES OF DEATH tatsächlich vor zahlendem Publikum aufgeführt worden sind. Es fällt leicht, wenn man, wie ich, scheinbar sein halbes Leben lang nichts anderes gemacht hat als sich schlimme Filme anzuschauen, eine Check-Liste wie die oben zu erstellen, und TENEMOS LA CARNE damit Wurzeln anzuheften, die ihn in einem ganz bestimmten Humus verorten – und das tue ich hiermit, bewusst stichpunkartig.

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Der Film beginnt wie Thierry Zénos VASE DE NOCES mit einem Einsiedler, der möglicherweise der letzte Mensch auf Erden nach dem nuklearen Holocaust ist. Dieser Einsiedler benimmt sich wie der Höhlenmensch, in den Michel Piccoli sich in Claude Faraldos THEMROC verwandelt: Er grunzt zumeist, braut sich irgendwelche narkotischen Substanzen zusammen, mit denen er sich regelmäßig ins Nirwana abschießt, und schlägt wie von Sinnen auf einer schweren Trommel herum. Zugleich aber ist er Baumeister, und zwar damit beschäftigt, den unterirdischen Kellerkomplex, den er bewohnt, stückweise in eine Art Gebärmutter zu verwandeln, voller Geburtskanäle, in denen bunte Lichter schimmern, und mit von Gaffertape aneinander geketteten Holzbalken, die wohl so etwas wie Nervenstränge sein sollen. Monoton, primitiv ist sein Alltag, nur unterbrochen von den Rauschzuständen, in die er sich nach getanem Tageswerk versetzt, und in denen er sich auch aufhält, als sich doch plötzlich eine der Bodenplatten hebt und zwei junge Menschenköpfe unter ihr hervorkommen, ein weiblicher und ein männlicher. Die beiden sind Geschwister, und scheinbar, könnte man denken, ziellos Umherirrende in der draußen herrschenden entvölkerten Welt, so wie die Frauengruppe in KONEC SRPNA V HOTELU OZON von Jan Schmidt, die ja ebenfalls auf einen, wenn auch ungleich harmloseren, Eremiten stoßen. Dass sie bei ihm bleiben könne, bietet der Einsiedler, wieder bei Bewusstsein, der Schwester und dem Bruder an. Sie bekämen einen Schlafplatz, Essen, Trinken, das ihm – wie seltsam! – über eine Luke offenbar von einem Kontakt in der Außenwelt zugespielt wird, dafür müssen sie ihm aber bei der Konstruktion seines Uterus helfen. Mehr als jetzt wird TENEMOS LA CARNE übrigens nicht erklären, stattdessen zunehmend ins hypnotische Lallen verfallen. Hysterisch hüpfend und wirre Reden schwingend taumelt der Einsiedler durch sein in blaues Licht getauchtes Höhlenlabyrinth, dass ich unweigerlich an Andrzej Zulawskis NA SREBRNYM GLOBIE denken muss. Es kommt zu Machtspielen, Machtbeweisen, wie in der unübersichtlichen Enge des Hauses von Alberto Cavallones BLUE MOVIE. Der Bruder stiehlt dem Einsiedler eine Ampulle mit Rauschgift, der Einsiedler vergiftet daraufhin die Schwester, und verlangt vom streng vegetarisch lebenden Bruder, ein ganzes Steak zu essen, vorher verabreiche er der Schwester nicht das Gegengift. Trotzdem herrscht ein Vertrauen zwischen Schwester und Einsiedler, das den Bruder misstrauisch stimmt. Was soll die Geste, mit der sie sich manchmal begrüßen, das Rausstrecken der Zunge und dann einmal mit dem Zeigefinger über die Spitze streichen? Eine Antwort bekommt er – und wir - nicht, dafür sexuelle Avancen von Seiten der Schwester, die ihn nachts in dem Zelt, in dem sie schlafen, zu verführen versucht. In einer Szene wie in Pasolinis SALÓ ist es aber schließlich der Einsiedler, der ihre Körper vereinigt, indem er sie wie Marionetten voreinander aufstellt, sie sich entkleiden und aufeinanderlegen lässt. Er onaniert dazu, ejakuliert, stirbt. Wenn die Schwester, deren sexueller Appetit nun einmal geweckt worden ist, sich bald darauf am zu wesen beginnenden Leichnam ihres Gastgebers vergeht, dann sind wir gedanklich schnell bei Jörg Buttgereits NEKROMANTIK, und wenn der Einsiedler (dadurch?) unter Babygekreisch aus einem der Höhlenschlunde wiedergeboren wird, nicht weit entfernt von der Zäsur mitten in Alejandro Jodorowskys EL TOPO. Angekündigt wird seine Reinkarnation übrigens durch ein Gewitter, das weit oben, am Höhlenausgang, den Himmel zerreißt, und vor dem der Bruder in seiner Rockerjacke steht wie ein wandelndes Kenneth-Anger-Zitat. Von jetzt überstürzen sich die Ereignisse: Neue Leute gesellen sich zu unseren Freunden, ein gefangener Soldat zum Beispiel, hingerichtet wie in einem IS-Video, und eine junge Frau, an der nun der Bruder seine Gelüste abreagiert, während die Schwester schreiend und masturbierend sich neben ihm hin und her wälzt, schließlich sogar, wie in Zulawskis SZAMANKA oder POSSESSION, die Kamera selbst in ihrer Hysterie attackiert. Alles endet, übrigens ebenfalls wie in SZAMANKA oder auch wie in Silvano Agostis NEL PIÙ ALTO DEI CIELI, mit einer Kannibalismusorgie, bei der sich unser Einsiedler, wie der alternde Dichter in Fellinis SATYRICON, von seinen Jüngern bei lebendigem Leibe verspeisen lässt, und aus der in der finalen Szene, wie am Ende von Bunuels L’AGE D’OR, eine Christusfigur hervorgeht, die die Ruinen des Gemetzels verlässt, um mitten hinein in eine mexikanische Großstadt zu torkeln – oder ist das alles auch nur wieder ein Traum?

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Wenn ich sage, dass ich die Liste an Referenzen noch eine Weile so hätte weiterführen können, ist das weder Prahlerei meinerseits noch der Versuch, Minter zum Plagiator zu stempeln. Minter plagiiert keineswegs, er zitiert all die oben aufgeführten Filme nicht mal wirklich, stattdessen bleibt nahezu jeder Verweis genau dort in der Schwebe, wo es schwerfällt zu entscheiden, ob Minter all diese Werke tatsächlich gesehen hat und deshalb bewusst mit ihnen arbeitet, oder ob die zuweilen ja auch nur sehr feinen Ähnlichkeiten nicht doch reiner Zufall oder Wunschdenken sein könnten. Während mir so ziemlich jeder Neo-Giallo deutlich ins Gesicht ruft, dass er sich alles für das Genre Relevante von Bava oder Argento mit der Lupe angeschaut hat, macht TENEMOS LA CARNE seine Bezugspunkte demgegenüber wesentlich weniger deutlich – und das ist eine der zahlreichen Stärken des Films, die ich nun noch kurz benennen möchte: Dass er für einen Freund des abseitigen Kinos mit vertrauten Situationen, Szenen, Motiven operiert, jedoch nie in einer Weise, die sie allzu eng mit ihrer ursprünglichen Quelle verknüpfen würde. Anders gesagt: Minter übernimmt keine wörtlichen Sätze aus seinen Vorlagen, sondern Stimmungen, Redensarten, ein bestimmtes Vokabular, integriert dieses aber voll und ganz in seinen eigenen Sprachstil – zumal man allein bei der Fülle an vermeintlich rezipierten Filmen schon davon sprechen müsste, dass TENEMOS LA CARNE, wenn schon, fast ein Jahrhundert transgressives Kino amalgiert, und – bei dem denkbar minimalistischen Setting, und mit gerade mal drei Hauptdarstellern! – so etwas bildet wie eine enzyklopädische Collage kinematographischer Grenzübertrittübungen vom Anbeginn der Zeit bis heute.

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Ähnliches könnte man vielleicht auch über ein Werk wie Marian Doras MELANCHOLIE DER ENGEL sagen. Warum kommt der bei mir aber so schlecht weg, wo man ihn doch ebenfalls als eine Abfolge von Szenen bezeichnen muss, die hauptsächlich schockieren und verwirren sollen? Sicher, Dora hat in jedem seiner Filme die eine oder andere schöne Melodie, schöne Bild-komposition, vielleicht sogar mal einen Moment, der fast poetisch wirkt, unterm Strich schafft es der Regisseur aber kaum, aus seinem subversivem Material mehr herauszuholen als die Subversion selbst, sprich: aus technischer Sicht wirken seine Filme oft uninspiriert, regelkonform, lediglich dazu ausgerichtet, in Großaufnahme einzufangen wie die Exkremente purzeln und die Tierschädel eingedrückt werden. Minter spielt für mich in einer ganz anderen Liga, nämlich in einer, die wohl noch nicht die der meisten weiter oben erwähnten Filmemacher erreicht, aber doch – immerhin ist der gute Mann gerade mal zarte siebenund-zwanzig! – Hoffnung lässt, dass da noch einige Großtaten zu erwarten sein dürfen, wenn er nicht vorzeitig vom rechten Weg ausschert. Ich meine, mein Gott, wie großartig ist TENEMOS LA CARNE denn bitteschön montiert! Mit zunehmender Laufzeit wird der Film immer elliptischer, weiten sich die Leerstellen, wo wichtige Informationen zu fehlen scheinen, werden Bilder auf äußerst befremdliche Weise kombiniert. Wie er beispielweise eine Figur einführt, die ich einmal den Priester nennen möchte, ist so schlicht wie genial. Minter hätte auch eine Serie fürs mexikanische Vorabendprogramm drehen können – mit dieser völlig durchdachten, jedoch kein bisschen verkopften, sondern vielmehr spielerischen Montage würde ich wohl eine Seifenoper noch abfeiern. Und wie wundervoll ist die Beleuchtung in TENEMOS LA CARNE eingesetzt! Da beginnt der Film noch regelrecht schmucklos, monoton, trist, höchstens mal durchbrochen von einer farbenfrohen Vision des Einsiedlers, in denen bunt beleuchtete Gliedmaßen aus einem Meer aus Schwarz tauchen, und steigert sich dann immer mehr hin zu Momenten, die ausschauen, als habe Gaspar Noe Sexszenen neu verfilmt, die ursprünglich auf Walerian Borowczyks Konto gingen, und wenn die Höhle schließlich von verschiedenfarbigen Leuchten erhellt wird, sind Refn und Argento nicht allzu weit. Minters vielleicht hübscheste ästhetische Entscheidung jedoch ist der Einsatz einer Wärmekamera bei der Inzestszene, durch die die sowieso schon sehr fragmentarisch, sehr dicht gefilmten kopulierende Körper rein visuell weit über den Rand der Abstraktion hinausgetragen werden. Sind das ihre Haare, ist das ihre Scham, ist das sein sich hebender und senkender Hintern? Dazu erklingt – das soll einmal als Beweis dafür dienen, wie versiert Minter zuweilen auch mit der Tonspur spielt – ein irgendwie deplatzierter, irgendwie genau richtiger kitschiger love song auf Spanisch. Das ist anrührend wie die Sexszene zwischen Alan Yates und Faye Daniels im niedergebrannten Eingeborenendorf von CANNIBAL HOLOCAUST – und irgendwie fast genauso mulmig. Überhaupt hat Minter die Poesie auf seiner Seite. Um was es ihm geht, das ist das exakte Gegenteil der Subversion wie sie zum Beispiel Spasojevics SRPSKI FILM. Während dieser sich in das Gewand einer völlig überzeichneten Satire kleidet, um mich mit gesellschafts- und medienkritischen Obertönen wachzurütteln, verliert sich TENEMOS LA CARNE in religiösen Allegorien, in zarten Stimmungsbildern, in einem Willen zur Transzendenz, der mich mit hinauf in Höhen nimmt, wo Tabus sowieso nicht mehr gebrochen werden können, weil es schlicht keine mehr gibt.

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Ich ziehe mich an den Fußknöcheln von meiner Schwärmerei zurück auf den Boden der Tatsachen. Natürlich kann man TENEMOS LA CARNE für einen schlechten Film halten, vollgestopft mit prätentiösen Symbolen und religiösen Metaphern, inkohärent, ohne richtige Story, ohne Figuren, deren Handlungen psychologisch irgendwie ansatzweise glaubwürdig sind, dafür mit literweise Explosionen echten Spermas, das zu Schauwerten eingesetzt wird wie die reihenweisen Explosionen echter Autos in einem Michael-Bay-Vehikel, nur dass Minter eben auf das Kunstkopfkissen pocht, und dadurch von pseudo-intellektuellen Hipstern goutiert wird, während Bay für die normal denkende Masse bleibt, die Filme dafür feiert, wenn sie ihre fehlende Substanz gar nicht erst hinter leeren Worthülsen zu verstecken versuchen. Aber, scheiße, was ich rede da, schon lange hat zumindest mich kein aktueller Film derart in seinen Bann gezogen, fasziniert, verstört, schlicht glücklich gemacht wie TENEMOS LA CARNE, und mag die Nische, in die er gehört und wo er sich wohlfühlt und aus der er wie ein gärender Pilz herausgewachsen ist, noch so klein sein, das ist dann trotzdem wohl der Platz, an dem ich mich noch öfter zum Schlafen zusammenrollen mag.