Die Träumer - Bernardo Bertolucci (2003)

Alles aus Italien, was nicht in die anderen Themenbereiche gehört.

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buxtebrawler
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Die Träumer - Bernardo Bertolucci (2003)

Beitrag von buxtebrawler »

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Originaltitel: The Dreamers

Herstellungsland: Italien / Großbritannien / Frankreich (2003)

Regie: Bernardo Bertolucci

Darsteller: Michael Pitt, Eva Green, Louis Garrel, Anna Chancellor, Robin Renucci, Jean-Pierre Kalfon, Jean-Pierre Léaud, Florian Cadiou, Pierre Hancisse, Valentin Merlet, Lola Peploe, Ingy Fillion u. A.
Gegen Ende der 60er-Jahre trifft ein amerikanischer Student in Paris auf ein Geschwisterpaar, das, ebenso wie er, absolut in Filme vernarrt ist. Als er bald bei ihnen einzieht, versinkt er ebenso wie sie in eine Welt von Politik, Filmen und Inzucht.
Quelle: www.ofdb.de
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buxtebrawler
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Re: Die Träumer - Bernardo Bertolucci

Beitrag von buxtebrawler »

Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was uns Bernardo Bertolucci mit seinem 2003 veröffentlichten Werk „Die Träumer“ mitteilen will. Der Handlung liegen drei Themen zugrunde: Filmliebhaberei, die Proteste der 68er-Bewegung und eine Dreierbeziehung bestehend aus ungewöhnlicher Geschwisterliebe, einer „normalen“ Beziehung zwischen zwei jungen Menschen und offenem Umgang mit Sexualität. Alle drei Themen hätten für sich allein schon genug Stoff für einen ganzen Film geboten, doch Bertolucci will alle miteinander verquicken – und wird dadurch meines Erachtens keinem wirklich gerecht. Dabei beginnt „Die Träumer“ vielversprechend: Der amerikanische Student Matthew trifft sich in einem verrauchten Pariser Kino mit Gleichgesinnten, um seinem Interesse für Filme nachzugehen. Als das Kino geschlossen werden soll, setzen er und andere Studenten sich zur Wehr. Dabei lernt er das eigenwillige Zwillingspärchen Isabelle und Theo kennen, worauf er bald in deren Wohnung aufgenommen wird, während die Eltern sich in längerer Abwesenheit befinden und nur ab und zu einen Scheck hereinreichen. Matthew verliebt sich in Isabelle, wird aber auch Zeuge der seltsamen, inzestuös anmutenden Beziehung der der möglicherweise ehemals siamesischen Geschwister. Bis zu diesem Punkt gewinnt „Die Träumer“, zumindest für uns Filmverrückte, immer dann, wenn der liebenswürdige Filmfanatismus der drei, gespickt mit Originalsequenzen diverser Schwarz-Weiß-Klassiker, dargestellt wird, indem z. B. ganze Filmszenen nachgestellt werden. Im Anschluss an Film-Frage- und Antwort-Spiele kommt es irgendwann zu sexuellen Handlungen, die aus „normaler“ Sicht amoralisch und bedenklich erscheinen, und generell pflegen die drei einen sehr offenherzigen Umgang miteinander. Da wird in Anwesenheit ihres Bruders die Schwester entjungfert und der Freikörperkultur gefrönt, während die Kamera immer voll draufhält. Zwar erscheint Matthew das Ganze durchaus befremdlich, aus Faszination für den Lebenswandel der Geschwister und seiner Liebe zu Isabelle macht er aber gerne mit. Anscheinend möchte uns „Die Träumer“ das Leben dieser Dreierkonstellation, das sich fast ausschließlich in den eigenen vier Wänden abspielt, als abgeschottet von der rauen Realität, eben „verträumt“, aufzeigen, bezieht seinen Unterhaltungswert aber in erster Linie aus den erotischen Szenen des späteren Bond-Girls Eva Green, die hier mit einer bemerkenswerten Natürlichkeit als Isabelle ihren Körper zur Schau stellt. Die sich zuspitzende, politische Brisanz des Landes findet eher am Rande statt, ist aber dann und wann immer mal wieder Gegenstand kurzer, kritischer Diskussionen. Wer nun aber glaubt, dass vor diesem Hintergrund auch die Beziehung Matthews und des Geschwisterpärchens eine dramatische Zuspitzung erfahren würde, irrt. Es gibt keine Klimax, keine interessante Wendung, keine größeren Emotionen, keine wirklichen Konflikte – bis ein vor der Wohnung der Protagonisten vorbeiziehender Protestzug auch unsere Träumer involviert. Doch damit endet der Film dann auch schon, ohne, dass ich sonderlich schlau daraus geworden wäre. Somit sind das einzig Spektakuläre an „Die Träumer“ die Erotikszenen, die auf manch einen provokativ wirken werden. Zwar spielen die drei Jungdarsteller wirklich gut und es macht großen Spaß, ihnen zuzusehen und wirkt die Umsetzung des Films stets niveauvoll und handwerklich geschickt, wer jedoch eine ausgefeilte Geschichte erwartet, wird enttäuscht werden. Zu überfrachtet und doch ideenlos und verfahren, ohne ein konkretes Ziel vor Augen habend, wirkt die Handlung, die zunächst eine große Erwartungshaltung gekonnt aufbaut, diese aber nicht zu befriedigen vermag. Die Intention dahinter blieb mir jedenfalls verwehrt.
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Arkadin
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Re: Die Träumer - Bernardo Bertolucci

Beitrag von Arkadin »

Ich mochte den überraschenderweise.
Für mich sind Isabelle und Theo weniger echte "Träumer", sondern "Möchte-gern"-Träumer.
Sie geniessen es in ihrer eigene Welt zu leben, ihre Macken, Probleme und Exzentriken zu zelebrieren und sich damit künstlich über ihre Mitmenschen (die schnöde Welt da draussen) zu erhöhen. Sie wollen eben unbedingt etwas Besonderes sein. Und um sich selbst ihrer "Einzigartigkeit" zu versichern, brauchen sie Matthew, der ihr Selbstbild durch seine Faszination bestättigt. Aber in Wirklichkeit ist ihr Leben hohl und nur auf sich selbst fixiert. All das, was Matthew am Anfang (verständlicherweise) anzieht, ist nur ein Maske, hinter der sich bemitleidswerte Kreaturen verstecken, die kein eigenes, sondern nur ein erfundenes Leben leben. Am Ende wird sehr deutlich, dass die Wirklichkeit ihnen völlig egal ist. Ja, sie ist für sie sogar bedrohlich, denn sie könnte ihre hohle Existenz verraten.
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buxtebrawler
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Re: Die Träumer - Bernardo Bertolucci

Beitrag von buxtebrawler »

Arkadin hat geschrieben:Ich mochte den überraschenderweise.
Für mich sind Isabelle und Theo weniger echte "Träumer", sondern "Möchte-gern"-Träumer.
Sie geniessen es in ihrer eigene Welt zu leben, ihre Macken, Probleme und Exzentriken zu zelebrieren und sich damit künstlich über ihre Mitmenschen (die schnöde Welt da draussen) zu erhöhen. Sie wollen eben unbedingt etwas Besonderes sein. Und um sich selbst ihrer "Einzigartigkeit" zu versichern, brauchen sie Matthew, der ihr Selbstbild durch seine Faszination bestättigt. Aber in Wirklichkeit ist ihr Leben hohl und nur auf sich selbst fixiert. All das, was Matthew am Anfang (verständlicherweise) anzieht, ist nur ein Maske, hinter der sich bemitleidswerte Kreaturen verstecken, die kein eigenes, sondern nur ein erfundenes Leben leben. Am Ende wird sehr deutlich, dass die Wirklichkeit ihnen völlig egal ist. Ja, sie ist für sie sogar bedrohlich, denn sie könnte ihre hohle Existenz verraten.
Interessante Interpretation.
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Salvatore Baccaro
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Re: Die Träumer - Bernardo Bertolucci

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Die Ratlosigkeit, mit der Herr Bux vor mittlerweile schon drei Jahren THE DREAMERS gegenüberstand, kann ich durchaus nachvollziehen. Meine These, die ich im Folgenden mit einem festen Fundament zu untermauern versuche, wäre nämlich, dass dieser Film im Grunde erst dann eine Wirkung, die darüber hinausgeht, sich von einem recht flott inszenierten Semi-Porno-Liebesdrama mit politischem Hintergrund unterhalten oder eben langweilen zu lassen, entfaltet, wenn man ihn in einen dezidiert filmhistorischen Kontext steckt. Bertolucci scheint mir seinen Film bewusst so konzipiert zu haben, dass mehrere Metaebenen nicht einfach nur über ihm schweben und den fundiertesten Filmnerds ähnlich wie in einem beliebigen Tarantino-Werk ein Vergnügen damit bescheren, dass sie die Zitate und Anspielungen erkennen und innerhalb der Filmgeschichte verorten können, sondern dass die Zitate und Anspielungen zum integralen Bestandteil der Handlung werden, sie schlussendlich eigentlich erst konstituieren und, außerhalb des bloßen Unterhaltungswert, den THE DREAMERS für mich unstreitbar hat, zu ihrer vollen Dimension aufblasen:

1. Bernardo Bertolucci ist zum Zeitpunkt der Dreharbeiten zu THE DREAMERS bereits ein über sechzig Lenze zählender renommierter Filmemacher. Sein erstes Werk, LA COMMARE SECCA, datiert zurück auf das Jahr 1962, als Bertolucci, gerade mal knapp über Zwanzig, noch unter der Ägide des ebenfalls eben erst als Regisseur zu Erfolg gekommenen Pasolinis, einem Freund seines Vaters, steht. Schon LA COMMARE SECCA, nachdrücklicher noch der kurz darauf folgende PRIMA DELLA REVOLUZIONE, stellen klar, dass Bertoluccis Selbstverständnis zur damaligen Zeit nicht das eines genuin italienischen Filmemachers ist. Gerade im Vergleich mit den Filmen, die Pasolini zeitgleich inszeniert, wird deutlich, wie stark die Orientierung Bertoluccis an der französischen Nouvelle Vague ist und wie wenig er sich beispielweise für das neorealistische Erbe interessiert, das im italienischen Kino der frühen 60er von Regisseuren wie Fellini, Antonioni und eben Pasolini auf undogmatische, subjektive, jedoch durchaus ehrfurchtvolle Weise verwaltet wird. Dafür, dass Bertoluccis Filmherz in roten, blauen und weißen Farbtönen pulsiert, liefert letztendlich sein dritter, erst 1968 auf dem Höhepunkt der internationalen Gesellschaftsumbrüche gedrehter Film PARTNER einen Beweis, der so schlagend ist, dass das Werk gerne als bloße Godard-Kopie abgetan wird, ein ungestümer, auf sämtliche Konventionen pfeifender Versuch, dem Franzosen in der kompromisslosen Art nachzueifern, mit der er nach WEEK END und ONE PLUS ONE dem kommerziellen Kinobetrieb für Jahre den Rücken kehrte und sich völlig in die Aufgabe versenkte, nicht mehr nur weiter im kapitalistischen System stehende Filme mit system-nonkonformen, anti-kapitalistischen Inhalten zu drehen, sondern sich völlig außerhalb des Systems zu stellen und als wahrer Agitator innerhalb eines marxistischen Autorenkollektivs zu operieren. Bezeichnend ist hierfür eine Szene in PARTNER, in der dem Zuschauer en detail die Bauweise eines Molotow-Cocktails erklärt wird, der anschließend dafür verwendet werden soll, Polizisten, Politiker und alles, was sonst noch zum unterdrückenden System zählt, als Zielscheiben anzusteuern. Somit ist PARTNER, ob man ihn nun für ein gelungenes oder missglücktes Filmexperiment halten will, durchaus ein Ausdruck seiner Zeit, und insofern interessant, da er Aufschluss über das Selbstverständnis Bertoluccis in den 68er Wirren gibt, der seine Kunst unleugbar in den Dienst einer revolutionären Idee stellte, und, zwar verschanzt hinter seiner Kamera, allerdings mit glaubhaftem, aufrührerischem Pathos seine Sympathien ganz auf die Seite der aufbegehrenden Jugend stellt, und in dem Zusammenhang selbst offene Gewalt für ein legitimes Mittel hält, den notwendigen Umsturz herbeizuführen. Innerhalb des Oeuvres Bertoluccis ist PARTNER indes selbst zu einem Werk des Umbruchs geworden. Mit dem TV-Film LA STRATEGIA DEL RAGNO, seiner ersten internationalen Großproduktion IL CONFORMISTA 1970 und vor allem dem Skandal-Erfolg ULTIMO TANGO A PARIGI 1972 nähert sich der Regisseur nach einer Sinnkrise, in der er sich verzettelt in seinem immer selbstreflexiver werdenden Kunstverständnis wähnte, ohne seinen avantgardistischen Grundsatz zu verleugnen oder gar aufzugeben, dem marktorientierten Kinosystem immerhin insoweit an, dass seine Filme, ohne ihren künstlerischen Anspruch zu verlieren, zum Beispiel durch den Einsatz von erfolgreichen Stars, der Behandlung kontroverser, tabuisierter Themen und einer atemberaubenden Ästhetik, die jeglichen Minimalismus hinter sich lässt und einzig für die große Leinwand konzipiert ist, einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. In dem Zusammenhang ist für mich gerade ULTIMO TANGO A PARIGI ein Meisterwerk darin, wie Bertolucci nach wie vor von der Nouvelle Vague inspirierte postmoderne Selbstreflexionen des Filmemachers über sein Werk und damit verbundene Irriationseffekte mit einem geradlinigen, sexualisierten, hochemotionalen Liebesdrama verknüpft, sodass man nicht etwa meint, zwei unterschiedliche Filme zur gleichen Zeit zu sehen, sondern sich diese Filme konsequent und konstant ineinander verzahnen, sich gegenseitig kommentieren, ohne einander nichts wären. Die spätere Entwicklung Bertoluccis ist dann eine immer tiefer in die Fallstricke des Systems hinein, angefangen von seinem Monumentalwerk NOVECENTO von 1976, der, wenn nicht künstlerisch, so doch zumindest ideologisch daran scheitern musste, dass der glühende Kommunist Bertolucci einen kaum verhohlenen Propagandafilm über den Sieg der Roten im Italien der letzten Kriegsjahre mit Geldern US-amerikanischer Produzenten drehte, die freilich allein auf die kommerzielle Verwertbarkeit des mehrstündigen Epos erpicht und dementsprechend schockiert über das Endresultat waren. Mit THE LAST EMPEROR, nach den verhältnismäßig kleineren Produktionen LA LUNA von 1979 und LA TRAGEDIA DI UN UOMO RIDICOLO von 1981, 1987 in die Kinos gebracht, führt Bertolucci in gewisser Weise die Linie der zunehmenden Kommerzialisierung seiner Kunst stetig voran, indem dieser ebenfalls mehrstündige, kurzweilige Historienfilm das Leben des letzten chinesischen Kaisers zwar dahingehend interessant nachzeichnet, dass fast ausschließlich asiatische Schauspieler verpflichtet wurden und an Kosten und Aufwand nicht gespart wurde, sich ästhetisch indes allerdings kaum noch so weit aus dem Fenster lehnt wie er es zehn Jahre zuvor noch getan hatte. THE LAST EMPEROR markiert für mich den Moment in Bertoluccis Schaffen, wo das Bedürfnis, so viele Menschen wie möglich zu erreichen, auf Kosten dessen geht, was ich einmal die subversive Aufgabe der Kunst nennen möchte. Bertolucci, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, was seinen Glauben an den Sozialismus marxistisch-leninistischer Prägung betrifft, einigermaßen beschädigt, erklärt mit THE LAST EMPEROR zudem sein beginnendes Interesse für fremde Kulturen, Religionen und Lebensanschauungen, das sich in der Folge in THE SHELTERING SKY von 1990 und LITTLE BUDDHA aus dem Jahre 1993 niederschlagen sollte. Während THE SHELTERING SKY, ein Ehedrama vor nordafrikanischer Kulisse, immerhin noch hübsch anzuschauen ist und einige großartige Aufnahmen und Einstellungen parat hält, hat Bertolucci mit LITTLE BUDDHA für mich sein bis dato tiefsten Punkt erreicht, erweist sich der Film nämlich als nichts weiter als ein nahezu eklig glattes Werbevideo für den Buddhismus, oder besser: für ein verwässertes, seichtes Buddhismus-Bild, zurechtgeschnitten für ein dezidiert westliches Publikum. Statt sich philosophisch, theologisch und historisch mit der Thematik auseinanderzusetzen, wählt Bertolucci den Weg des geringsten Widerstands und lässt seine Inszenierung in Familientauglichkeit und Angepasstheit kläglich ersaufen. Immerhin hatte LITTLE BUDDHA noch die eine oder andere interessante Szene zu bieten, vor allem in den Rückblenden, die sich mit dem Lebensweg Siddhartas, des historischen Buddhas, befassten, dieses Gespür für ansprechende, einfach schön anzuschauende Kinematographie geriet in STEALING BEAUTY von 1996 und BESIEGED von 1998 dann jedoch zu reinem Selbstzweck, zu einer Form ohne Inhalt, weshalb ich bei diesen beiden Filme, der erste ein Jugenddrama, angesiedelt in der italienischen Provinz, der zweite ein Liebesdrama zwischen einer exilierten Afrikanerin und einem Klavierlehrer, im Grunde keinen Aspekt mehr zu finden weiß, der sie in irgendeiner Weise über eine x-beliebige deutsche TV-Produktion heben würde, in der Anspruch gleichbedeutend mit völligem Subversionsverlust ist und der Zuschauer nichts mitnimmt außer das Gefühl, in seinen starren Normen und Werten bestätigt worden zu sein. Mit STEALING BEAUTY und BESIEGED hat sich Bertolucci für mich endgültig von einem ernstzunehmenden Künstler in jemanden verwandelt, der Kulturgüter wie am Fließband erzeugt, und dabei vor allem darauf bedacht ist, so wenig wie möglich aufzufallen.

Der Wandel könnte somit nicht dramatischer sein. Von dem Bertolucci, der 1968 in PARTNER noch den Kampf propagierte, in seinem Fall den Kampf mit der Kamera als Waffe und der Sprache der Bilder als Syntax der Revolution, ist dreißig Jahre später in BESIEGED nicht mehr nur nichts mehr zu spüren, er hat sich in sein Gegenteil verkehrt und stützt fortwährend das, was er in jungen Jahren zu stürzen hoffte. Das mag nun sicher kein ungewöhnlicher Lebensweg sein, ist es doch sozusagen eine feste Regel, nicht nur in der Kinogeschichte, dass die Revolutionäre von einst sich in die Ordnungswahrer der Gegenwart verpuppen - wäre da eben nicht die Existenz eines Films wie THE DREAMERS, der in einem solchen radikalen Gegensatz zu all dem steht, unter das Bertolucci seit Mitte der 80er seinen Namen setzte, dass meine erste Reaktion ein sprachloses Staunen war. Behält man seine Biographie im Auge und vergleicht sie mit dem Liebesdreieck in THE DREAMERS kann man, so meine ich, nicht umhin kommen, den Film, selbst wenn er einem persönlich nicht zusagt, außerordentlich aufschlussreich zu finden. Die Träumer, die Bertolucci hier portraitiert, sind, zumindest aus der Sicht eines 68er Godards oder eines 68er Bertoluccis, wahrlich keine Sympathiefiguren. Abgeschottet in dem Appartement ihrer Eltern, deren Geld sie mit vollen Händen verprassen, während sie zugleich die üblichen Slogans der Auflehnung dreschen, quasi einzig und allein in ihrer Leidenschaft für Sex, Drogen und vor allem das Kino lebend, geraten zwei von ihnen am Ende dann doch, wenn, wie es heißt, die Tumulte der Straße sich gewaltsam Zutritt in ihr behütetes Nest verschaffen, eher zufällig in die politischen Ereignisse hinein, scheinen sie jedoch wie etwas hinzunehmen, das nur dafür da ist, ihnen einen zusätzlichen Kick zu geben, ohne dass sie auch nur ansatzweise darüber reflektieren würden. Diese Träumer sind Möchtegern-Revolutionäre, viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie überhaupt einen Sinn für die Bandbreite der draußen tobenden gesellschaftlichen Entwicklungen besitzen würden, in die sie nur dann eingreifen, wenn die Auswirkungen sie persönlich betreffen, wie zu Beginn bei der Schließung der Cinémathèque francaise, die für sie bedeutet, dass sie erst einmal darauf verzichten müssen, regelmäßig mit ihren Kino-Räuschen versorgt zu werden. Bertoluccis Kunstgriff ist, dass er sich völlig auf die Sicht seiner Protagonisten einlässt. Er idealisiert nicht, sondern zeigt die Welt aus ihren Augen. Dass die Revolution da nur ein Randereignis ist, das kaum mehr Wichtigkeit besitzt als die tausend Filmzitate, die sich die Helden um die Ohren werfen, die Sexspiele mit Menstruationsblut und Marilyn-Monroe-Postern oder das Konsumieren von möglichst vielen Joints, ist im Konzept des Films immanent anlegt, der im Grunde wie ein Kammerspiel funktioniert, in dem die drei Personen unter sich bleiben und die Außenwelt kaum in Erscheinung tritt. Ich möchte nicht so weit gehen und Bertolucci unterstellen, er habe in den Figuren Theo und Isabelle das Dilemma seiner Gegenwart selbstkritisch reflektieren wollen, jedoch wundert mich schon, dass jemand, der jahrelang im seichtesten Fahrwasser des Mainstream-Betriebs fischte, sich nicht nur mit einer künstlerischen Kraft, die THE DREAMERS für mich zu seinem vielleicht besten Film seit ULTIMO TANGO A PARIGI werden lässt, zurückmeldet, sondern als Zentralthema für diese Rückkehr ausgerechnet eben jene Gruppe von Pseudo-Revoluzzern wählt, die er selbst im Jahre 1968 wahrscheinlich für ihre Weltflucht und ihr fehlendes Engagement zutiefst verurteilt hätte.

So wie Bertolucci in ULTIMO TANGO A PARIGI in Symbolgestalt von Marlon Brando, Massimo Girotti und Jean-Pierre Léaud das alte Hollywood, den italienischen Neorealismus und die Nouvelle Vague zusammentreffen ließ, so sind Louis Garrel und Eva Green, das Geschwisterpaar in THE DREAMERS, so etwas wie die Erben des französischen Films, letztere als Nichte von Marika Green, die unter anderem durch die Hauptrolle in Bressons PICKPOCKET in die Annalen der Filmgeschichte Einzug hielt, und als Tochter von Marlène Jobert, unter anderem in Godards MASCULIN FEMININ zu sehen, und ersterer als Sohn des immer noch weitgehend unbekannten Avantgarde-Regisseurs Philippe Garrel, ebenfalls seit den späten 60ern darin aktiv, die Regeln des Mainstream-Kinos zu torpedieren, und der 2005 mit dem nahezu dreistündigen LES AMANTS RÉGULIERS sozusagen seine eigene Version der 68er Ereignisse verfilmte, ein behutsam-zärtlicher, vor allem im Kontrast zu THE DREAMERS äußerst zurückhaltender, introvertierter Film, in dem ein Seitenhieb auf Bertolucci nicht fehlen darf. Die Botschaft hinter dieser Rollenbesetzung wäre in meiner Interpretation eine zutiefst pessimistische. Wenn Theo und Isabelle das moderne Kino repräsentieren, dann bedeutet das nichts anderes als dass dieses Kino sich in ein Luxusappartement zurückgezogen hat, von dem aus es die nach wie vor konfuse, konfliktreiche Welt nur insoweit nutzt, inwiefern es den immergleichen Liebesgeschichten dient, die es unters Volk bringt, um dieses zu betäuben. Das hat dann aber nichts mehr mit den Träumen eines Revolutionärs zu tun, der wie Bertolucci mit geballter Faust einen Film wie NOVECENTO ohne das geringste ironische Augenzwinkern quasi als neuer Eisenstein der Welt zu deren Verbesserung schenkt, sondern eher mit einem dumpfen Dahinhämmern wie unter Opiumeinfluss, und die wahre Dramatik in THE DREAMERS wäre, dass Bertolucci selbst jahrelang einer dieser Opium-Fabrikanten gewesen ist, und dass er nach THE DREAMERS in elfjähriges Schweigen verfiel, so, als ob er alles gesagt hätte, was gesagt werden musste, um sich, seine Vergangenheit, seine Gegenwart auf den Punkt zu bringen.
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Arkadin
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Re: Die Träumer - Bernardo Bertolucci

Beitrag von Arkadin »

Interessant. Da sind wir dann ja in unseren Interpretationen sehr nah beisammen.
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Re: Die Träumer - Bernardo Bertolucci

Beitrag von dr. freudstein »

Mein lieber Schwan, äääh Salvatore :o Was dir alles zu einem Film einfällt, welche Schlüsse du resultierst, welche Gedankengänge du uns offenbarst usw. ist wirklich phänomenal. Kenne den Film nicht, aber klingt sehr interessant. Selbst bei Gurken schaltest du dein Hirn nicht aus und hinterfragst eine ganze Menge. Was du in 200 Beiträgen geschrieben hast, schaffen andere nicht in 1000 oder mehr. Respekt :thup:
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Salvatore Baccaro
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Re: Die Träumer - Bernardo Bertolucci

Beitrag von Salvatore Baccaro »

@Dr. Freudstein: Danke, Danke. :-)

@Arkadin: Durchaus! Zumal der Blick von Außen, d.h. Matthew, ja, worauf andauernd hingewiesen wird, ein amerikanischer ist, was, ruft man sich ins Gedächtnis, dass dieser Blick von Außen eine so groe Dominanz besitzt, dass in einem Film, der in Frankreich spielt, der beinahe ausschließlich französische Schauspieler aufbietet und vor allem einer französischen Filmbewegung, eben der Nouvelle Vague, verpflichtet ist (obwohl natürlich auch reichlich altes Hollywood-Zeug erwähnt wird, keine Frage), bis auf einige ganz wenige Szenen bzw. Sätze Englisch gesprochen wird, d.h. die Sprache, die am ehesten noch jeder versteht (wobei das freilich ein Kommunikationserleichterungsmittel ist, das bei Bertolucci schon bis zum letzten Tango zurückreicht, mir aber gerade bei seinen neueren Produktionen eher übel aufstieß, da sie das irgendwie *noch* glatter bügelte...) Oh je, desto länger ich darüber nachdenke wird THE DREAMERS für mich zu einem unter der jugendlichen Oberfläche zu einem tieftraurigen Abgesang auf ein Kino, das in seinen eigenen, realitätsfernen Posen erstarrt ist.
Übrigens ist für November der deutsche Kinostart für einen neuen Film Bertoluccis nach beinahe zehnjährigem Schweigen angesetzt, der da IO E TE heißt! Mal sehen, ob damit die lange erwartete Revolution kommt... ;-)
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Re: Die Träumer - Bernardo Bertolucci

Beitrag von buxtebrawler »

Danke für deine ausführliche Interpretation, Salvatore, auf die ich im Leben nicht gekommen wäre - allein schon aufgrund meiner Unkenntnis der vielen Filme, auf die du verwiesen hast und generell des über diesen Film hinausgehenden Werks Bertoluccis.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Vinz Clortho
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Re: Die Träumer - Bernardo Bertolucci

Beitrag von Vinz Clortho »

Guter Soundtrack auch! Ich frage mich lediglich, was der bei Trash, Nunsploitation & Sleaze zu suchen hat? :?
Noch Sand und schon warm drauf.
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