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Das Schiff der verlorenen Frauen- Raffaello Matarazzo (1953)

Verfasst: Mo 21. Aug 2017, 12:56
von Salvatore Baccaro
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Originaltitel: La nave delle donne maledette

Produktionsland: Italien 1953

Regie: Raffaello Matarazzo

Darsteller: May Britt, Ettore Manni, Kerima, Tania Weber, Gualtiero Tumiati, Olga Solbelli, Romolo Costa
Isabella steht kurz vor einer Hochzeit, die, weil ihr Zukünftiger ein hoher Würdeträger und Vertrauter des Königs ist, zumindest das finanzielle Glück ihrer ökonomisch in eine Schieflage geratenen Familie besiegeln soll. Allerdings lassen die Gewitterwolken nicht auf sich warten: Während eines festlichen Balls zum Jungfrauenabschied erscheint ein Fremder unter den Gästen, reizt Isabella allein damit, dass er ihr gegenüber behauptet, das Wasser in dem Glas, mit dem er mit ihr anstoßen möchte, stamme aus der nahen Klosterquelle, zu einem Ohnmachtsanfall, und gibt sich ihren Eltern schließlich als Polizeiinspektor zu erkennen, der auf einen Fall von Kindesmord angesetzt wurde: Auf dem Gelände eben jenes Klosters nämlich sei kürzlich der Leichnam eines Säuglings gefunden worden, und Augenzeugen berichten, die Gestalt einer jungen Frau gesehen zu haben, die sich eines Nachts grabend an besagter Stelle zu schaffen gemacht haben soll. Dass die Personenbeschreibung exakt auf Isabella zutrifft, und dass diese wiederum allein bei der Erwähnung des Klosters sämtliche Sinne verliert, ist dem Inspektor Beweis genug für ihre Täterschaft. Tatsächlich muss ihr Vater von Tochter und Gattin das schreckliche Geheimnis erfahren: Isabella sei von irgendeinem dahergelaufenen Burschen geschwängert worden, habe das Kind tot zur Welt gebracht, und es dann, gemeinsam mit der Mama, außerhaus geschafft. Nun steht der Papa selbst kurz vor einem Kollaps: Wie soll er Isabella denn jetzt noch unter die lukrative Haube bringen, und damit den drohenden Ruin von seinem Haus abwenden?

Ein Lamm, das man schuldlos zur Opferbank führen kann, ist indes bald gefunden. Unterm Dach von Isabellas Eltern lebt nämlich auch deren verwaiste Cousine, Consuelo, die ihr zumindest dann einigermaßen ähnlichsieht, wenn man sie nur im Zwielicht zu Gesicht bekommt. Die Trias aus Mutter, Vater und Tochter bearbeitet Consuelo lange und ausgiebig, und nach Stunden des Flehens, des Drohens, des Beschimpfens und Tätschelns ist sie endlich bereit, sich dem Inspektor als wahre Täterin zu enthüllen: Sie habe den Säugling auf heiligem Grund verbuddelt, und Isabella sei nur deshalb bei der Erwähnung des Konvents bewusstlos geworden, weil sie sie als Vertraute in ihren Sündenfall miteinbezogen habe. Beim anstehenden Prozess verpflichtet Isabellas Vater, damit die Wahrscheinlichkeit eines Freispruchs für Consuelo noch weiter gegen Null tendiert, einen eher verlotterten Rechtsanwalt als Verteidiger, Da Silva, der direkt vom Spieltisch ins Gericht getaumelt bekommt, dann aber, kaum hat er die verschüchterte Consuelo auf der Anklagebank erblickt, plötzlich eine reinigende Läuterung erfährt: Auf einen Schlag ist er nicht nur von der Unschuld der vermeintlichen Kindsmörderin überzeugt – weshalb er (vergeblich) alles daransetzt, ihr eine Verurteilung zu ersparen -, sondern zudem unsterblich in sie verliebt. Nachdem Consuelo auf ein Schiff verladen worden ist, das sie zur Buße in eine Strafkolonie irgendwo mitten im Atlantik bringen soll, heftet sich Da Silva an ihre Fersen, versteckt sich als blinder Passagier an Bord, und findet dort einen Verbündeten in seinem ehemaligen Lehrer, einem gefallenen Priester, der sich nunmehr als Schiffskoch verdingt. Noch mehr Zufälle häufen sich: Auch Isabella ist mit ihrem Angetrauten, der zum Gouverneur irgendeiner tropischen Kolonie berufen wurde, an Deck, und ihr Herz schlägt nicht schlecht, als sie in dem Großraumkäfig, in dem Consuelo und mit ihr etliche andere Schwerverbrecherinnen untergebracht sind, ihre Cousine entdeckt, deren Erinnerung sie am liebsten aus ihrem Gedächtnis gebrannt hätte…

Bis hierhin – etwa die Hälfte der Laufzeit sind inzwischen vergangen – könnte man LA NAVE DELLE DONNE MALEDETTE, den der seinerzeit vor allem mit seinen Melodramen der 50er und 60er zu den erfolgreichsten Regisseuren des italienischen Kinos zählende, später dann aber genauso schnell in Vergessenheit geratene Raffaello Matarazzo in der Blütezeit seiner Karriere als opulenten Farbfilm gedreht hat, für ein Kostümdrama halten, das sich höchstens dadurch auszeichnet, dass es den Fokus nicht, wie manch anderes zeitgenössische Piraten- oder Hochseeabenteuer, so sehr auf den Abenteuer-Aspekt legt, sondern sich stattdessen an den Emotionen seiner strikt in ein Schwarzweißschema gepressten Protagonisten abarbeitet. Dass sämtliche Figuren problemlos aus einem Roman des achtzehnten Jahrhunderts gepurzelt sein könnten, hat nicht nur damit zu tun, dass die Handlung des Films in eben diesem angesiedelt ist. Isabella und ihre Eltern, das sind Prototypen perfider Aristokraten, die, damit ihr Geldsäckel gefüllt bleibt, über Leichen gehen, und wenn es die der eigenen Verwandtschaft sind, und Consuelo, das ist der Prototyp der verfolgten, noch in den schlimmsten Situation ihre Integrität wahrenden Unschuld, wie man sie bei Richardson oder später, ins Groteske übersteigert, bei Sade findet. Matarazzo inszeniert sie folgerichtig dann auch als halbe Heilige, die es sogar als mutmaßliche Kindsmörderin und Ehebrecherin schafft, einen Tunichtgut wie Da Silva zu bekehren, der dann, abrupt vom Schwarz ins Weiß übergewechselt, ebenso folgerichtig alles daran setzt, seine große Liebe auf den ersten Blick zu retten und in eine glückselige Ehe zu integrieren.

Daneben gibt es eine Reihe von Nebenfiguren, die im Prinzip nur dazu da sind, die Glorienscheine oder Teufelsschwänze der Hauptfiguren zu stützen: Der Kapitän des Schiffs, das zugleich Passagiere wie auch Gefangene transportiert, ist ein moralferner Hund, der Isabellas Offerten, ihr gegen Sex die unliebsame Cousine vom Hals zu schaffen, alles andere als ablehnend gegenübersteht, und Da Silvas ehemaliger Lehrer, das ist ein aus vermutlich amourösen Gründen ins gesellschaftliche Aus geratene Priester, der dadurch, dass er dem Anwalt helfen kann, an Consuelos Befreiung mitzuwirken, etwas abbekommt von dem Funkeln der reinen Liebe, die die beiden jungen Menschen miteinander verbindet. Ausstattungstechnisch ist LA NAVE DELLE DONNE MALDETTE nichts, was großartig die Norm sprengen würde: Das Schiff befindet sich offenbar in einem Studio, der Himmel und das Meer sind bloße Hintergrundfolien, die Kostüme sind solide Theaterware, und Kamera, Montage und Orchestersoundtrack bewegen sich in Bahnen, die mir so vertraut sind wie die narrativen Versatzstücke, die Matarazzo offenbar primär deshalb zusammenbastelt, um in mir heftige Gefühle hochkommen zu lassen – so wie sein Kino generell nie eins war, dem es besonders um eine politische oder gesellschaftskritische Haltung zur Welt ging, sondern hauptsächlich darum, die Tränendrüsen seines Publikums zu leeren und die Herzen bis zur Kehle schlagen zu lassen.

Allerdings habe ich den vorletzten Absatz im Konjunktion begonnen. Man könnte LA NAVE DELLE DONNE MALEDETTE für einen Kostümfilm von der Stange halten, heißt es dort, melodramatisch, unterhaltsam, voller hübscher Bilder und ausgeleierter Klischees. Was wohl niemand, der den Film, wie ich, ohne Vorabinformationen zum ersten Mal sieht, im Verlauf seiner ersten Hälfte auch nur ahnen kann, das sind die subversiven Sprengsätze, die Matarazzo offenbar ganz kalkuliert zwischen den weiten Roben und verschwitzten Steuermännerhemden, den leidenschaftlich schmachtenden Dialogen und den hart herausgeschleuderten Machthaberworten, dem falschen Südseehimmel und dem falschen Meeresgang platziert hat, und die, je näher der Film seinem Ende kommt, umso heftiger detonieren. Eine erste Explosion findet in einer Szene statt, die ich eher in einem Frauenknastfilm der 70er von, sagen wir, Rino Di Silvestro erwartet hätte, jedoch sicherlich nicht in einem kostümierten Melodram der frühen 50er: Die verdammten Frauen – offenbar, außer Consuelo natürlich, allesamt von der Gesellschaft exkludierte Geschöpfe, die mehr die Umstände denn ihre charakterliche Disposition zu Prostituierten, Mörderinnen oder Dieben gemacht haben – halten es in dem Käfig unter Deck, wo sie, fernab des Sonnenlichts und ohne ausreichende Nahrung, auf engstem Raum zusammengepfercht sind, nicht mehr aus, Konflikte brechen sich Bahn, schon fangen die ersten an, sich gegenseitig an den Haaren zu ziehen. Bald ist eine regelrechte Rauferei unter den verurteilten Damen ausgebrochen, ein cat figt par excellence wie man sie aus jedem einzelnen Exponenten des WIP-Genres kennt. Auch die Reaktion der Wärter bzw. des sie befehligenden Schiffskapitäns entspricht der, die man in einem Women-In-Prison-Exploiter etwa zwei Jahrzehnte später erwarten kann: Ohne Rücksicht auf Verluste werden die Frauen eimerweise mit eiskaltem Wasser übergossen. Obwohl einige der Schiffsleute sich weigern, mit der Tortur fortzufahren, denn der Käfigboden steht bereits unter Wasser und die Frauen klammern sich schlotternd und schreiend aneinander vor Kälte, peitscht sie der wahre Sadist mit der Kapitänsmütze weiter an. Nicht nur er allerdings scheint in dem Spektakel voller an grazilen weiblichen Körpern klebender, durchnässter Stofffetzen einen ästhetischen Genuss zu finden: Es ist schon erstaunlich, wie Matarazzo ständig zwischen dem kreischend umhertaumelnden, verzweifelten Gefangenen und den aus Froschperspektive beinahe direkt in die Kameralinse ergießenden Wasserströmen hin und her schneidet, und damit nicht nur wenig subtile sexuelle Konnotationen offenlegt, sondern vor allem eine unverhohlene Schaulust und Zeigefreude, die – erneut muss ich das betonen, so verblüfft bin ich davon! – kein dezidierter Exploitation-Film besser hingekriegt hätte.

Während man dieser Szene durchaus misogyne Züge unterstellen könnte, verkehrt sich das Blatt in der Folge noch mindestens zweimal: Es kommt nämlich – ebenfalls ein klassischer Topos – auf unserem Schiffchen zur Meuterei. Den Frauen reißt die Hutschnur, sie bemächtigen sich eines Wärters und seiner Schlüssel, stürzen sich auf Deck, und brüllen den sie mit ihren Gewehrläufen anvisierenden Schiffsleuten zu, sie sollten auf ihre Seite wechseln, dort erwarteten sie Lendenfreuden und Freiheit – und Matarazzo fokussiert in Großaufnahme, um die Verlockungen der Revolution zu verdeutlichen, zunächst die Gesichter der Matrosen, die unschlüssig sind, ob sie dem Befehlsgebrüll des Kapitäns und der aristokratischen Passagiere wirklich Folge leisten sollen, und die ausladenden Dekolletees einiger der Flintenweiber. Es dürfte klar sein, welche Argumente überwiegen: Während sich Kapitän, Isabella, deren Gatte und die übrigen Vertreter einer repressiven Oberschicht in ihren Kajüten verschanzen und einen aussichtlosen Verteidigungskampf führen, der sie letztlich den Hals kostet, zelebrieren die ihrer Repressionen entledigten Frauen und Männer eine beispiellose Sex-Orgie. Matrosengesichter werden stürmisch mit Küssen beschossen, Röcke heben sich im Sekundentakt, Körper poltern über die Bodenplanken, und selbst wenn dazwischen jemand von einem Schuss niedergestreckt wird, bringt das die Meute und den Film nicht aus seinem wahrlich hemmungslosen Rausch. Consuelo und Da Silva sind in dem Hexenkessel der Leidenschaft die einzigen Figuren, die ihre Triebe genug im Griff haben, um trotz des Chaos um sie herum weiterhin nach einem Ausweg zu suchen. Den eröffnet ihnen schließlich der ehemalige Priester, nachdem die von der schrankenlos ausagierten Lust gesteuerten Männer und Frauen bereits damit begonnen haben, die Nahrungsvorräte zu plündern oder über Bord zu schmeißen, und Feuer auf dem Schiff zu legen. Interessant ist, dass der Ex-Geistliche zwar den Liebenden ins einzige verbliebene Rettungsboot verhilft, dann aber selbst zurückkehrt ins Inferno, und dort inmitten der tobenden Körper ein Gebet anzustimmen beginnt, in das schließlich alle andern miteinstimmen. Als das Schiff in die Luft fliegt, hat jeder an Bord Herz und Geist gen Gott gerichtet.

Wenn die vorherigen Minuten durchaus als Allegorie auf gesellschaftliche Revolutionen gelesen werden können, die zunächst mit der Emanzipation des Individuums anfangen, dann aber, eher man sich versieht, in Mord und Totschlag gipfeln, versucht LA NAVE DELLE DONNE MALEDETTE in seinen Schlussbildern dann doch wieder die Restaurierung eines konservativen Weltbilds voll Schuld und Sühne. Als großangelegtes Purgatorium macht das explodierende Schiff mit all den Sündern genauso kurzen Prozess wie mit dem ausführlich illustrierten Treiben jenseits gesellschaftlich reglementierter Moralgrenzen zuvor. Dass LA NAVE DELLE DONNE MALDETTE trotzdem kein Film ist, der einen Kirchentag bereichert, ist auch den zeitgenössischen Zensoren klargewesen. Mit denen hat Matarazzo nämlich erhebliche Probleme bekommen, die Schere wurde eingesetzt, der Film selbst zu einem Verdammten. Für mich indes ist klar: So schön, so gewaltsam, so virtuos hat, glaube ich, kaum ein anderer kommerzieller Film der 50er eine sexuelle Revolte genutzt, um einen an sich biederen, verträglichen Film quasi in der Mitte entzweizureißen – und um dabei zugleich zu zeigen, wie viel Freude es bereitet, Schranken niederzureißen und dann nur notdürftig wieder zusammenzuflicken. LA NAVE DELLE DONNE MALEDETTE ist ein Wolf im Schafspelz, eine Wange, die glüht, und man weiß nicht, ob vor Scham oder vor Geilheit, ein ständiges Oszillieren zwischen brüskiertem Puritanismus und verschwitztem Sadomasochismus, bei dem schnell klar ist, was von beidem die Fassade darstellt, und was die noch feuchte Farbe.

Dass ich diesen Film liebe wie nichts Gutes, dürfte klar sein. Genauso wie der obligatorische Spruch am Ende: Schaut euch dieses willenlose Meisterwerk des subversiven Kinos so bald an wie möglich – und selbst wenn es nur die (leicht gekürzte) deutsche DVD-Fassung sein sollte!