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Die Abrechnung - Jack Gold (1970)

Verfasst: Mo 30. Okt 2017, 07:58
von sergio petroni
DIE ABRECHNUNG

Bild

Originaltitel: The Reckoning

Alternativtitel: A Matter of Honour

Herstellungsland-/jahr: GB 1970

Regie: Jack Gold

Darsteller: Nicol Williamson, Ann Bell, Lilita De Barros, Tom Kempinski, Kenneth Hendel,
Douglas Wilmer, Barbara Ewing, Zena Walker, Paul Rogers, Gwen Nelson,
Christine Hargreaves, Ernest C. Jennings, ..

Story: Ein junger Ire aus dem Liverpooler Arbeitermilieu, der sich in London ganz nach oben gekämpft hat, kehrt nach Jahren, anläßlich des Begräbnisses seines Vaters, ins Elternhaus zurück. Als er entdeckt, daß der Vater an den Folgen brutaler Schläge durch Jugendliche gestorben ist, bleibt ihm – genötigt von der Tradition und dem Versagen der Polizei – nur Selbstjustiz.
(quelle: moviepilot.de)

Re: Die Abrechnung - Jack Gold (1970)

Verfasst: Mo 30. Okt 2017, 08:09
von sergio petroni
Aus der "Zeit" aus Anlaß der Fernsehausstrahlung mehrere Jack Gold Filme im Jahre 1978:

Großaufnahme
Von Karsten Witte
17. März 1978, 7:00 UhrAktualisiert am 21. November 2012, 16:13 Uhr
AUS DERZEIT NR. 12/1978

Jack Gold-Filme in der ARD: „Die Schlacht in den Wolken“ (18. März, 22.20 Uhr); „Katholiken“ (20. März, 23 Uhr); „Der Mann aus Metall“ (31. 3.); „Die Abrechnung“ (1. 4.); Ereignisse beim Bewachen der Bofors-Kanone“ (10. 4.); „Freitag und Robinson“ (15. 4); „Bis zum letzten Patienten“ (29 4.).
England hat es schwer sich auf dem Filmmarkt zu behaupten. Wer, nach Joseph Losey und Ken Russell, bleibt zu nennen? Immer wieder kehren Fernsehdirektoren von Studienreisen nach London zurück, die Liberalität, Didaktik und Wagemut der BBC begeistert loben. Es war eine vernünftige Entscheidung, nun einmal nicht nur Richtlinien und Programmstrukturen, sondern ein Programm zu importieren, das uns eine brisante Lektion über die Schwierigkeiten, Engländer zu sein, erteilt.
Jack Gold, Jahrgang 1930, kommt aus der Schule des Fernsehens. Er begann bei der BBC als Cutter und wechselte mit Serien für das Nachrichtenmagazin „Tonight“ ins Regiefach. Unter seinen zahlreichen. Fernsehspielen ragten „Einquartierung“ (über einen Grubenarbeiterstreik von 1913, von der ARD bereits gesendet) und eine Kolportageversion von Brechts „Arturo Ui“ heraus. Die ARD zeigt jetzt sieben seiner Spielfilme, in der Regel Fernsehproduktionen.
In einem Interview betont Gold, er sähe sich durchaus als funktionalen Regisseur, der die Dinge so einfach wie möglich inszenieren möchte, Stilisierung ablehnt und daher nicht glaubt, die Filme trügen seine Handschrift. Natürlich hat jemand, nach zwanzig Jahren Fernseharbeit mit der Autorentheorie nicht viel im Sinn; dennoch sind typische Züge auszumachen, die alle diese Filme prägen: die Stoffwahl (was macht die nationale Identität aus?), Vorlagen (zumeist Theaterstücke), Verpackung (Stars, erstklassige Kameramänner wie Gerry Fisher der auch für Losey drehte; technologisch aufwendige Ausstattungen) und die Ästhetik: Vorherrschaft der Dialoge, abrupte Dramaturgie, stehende Typologie der Figuren, Ideenkonflikte, ein schneller Schnitt und die Aufdringlichkeit der Großaufnahmen. So abstrakt gefaßt erinnert das an typische Darbietungsformen des Fernsehens, die wir belehrend und kopflastig, abgetrennt von physischer Erfahrung, kennen. Jack Gold zeigt aber, wie Rasanz und Frechheit, die ein Kinofilm noch haben darf, die tantenhafte Ausgewogenheit des Fernsehens auf Trab bringt.
Die Reihe eröffnet der Kinofilm „Schlacht in den Wolken“ (Aces High, 1976), der den mörderischen Weg von Oxford-Studenten auf die Schlachtfelder in Frankreich verfolgt. Mit Patriotismus und zehn Stunden Flugerfahrung wird man Leutnant, schwärmt für Fliegerasse, die ihre Angst im Cockpit. mit Cognac ertränken und inmitten der Metzelei ritterliche Rituale üben. Während die Flieger in Hawks-Filmen zynisch aus Pragmatik werden und die Helden in den deutschen Fliegerfilmen (von Karl Ritter) sich aus Dummheit Göttern gleich glauben, geht Gold einen Schritt über die Modelle von Flieger-Psychogrammen hinaus. Er betont weder die ikarische noch die dädaleische Natur, sondern zeigt, daß Dädalus den Ikarus verheizt – hier vertreten von einem schneidigen Major, der einen jungen Freund gegen die Angst immunisieren will und ihn verliert. Ein nachdenklicher, stiller Film, durchsetzt mit brillanten Action-Szenen und einer Haltung, die soziales Lernen zwischen den Klassen noch denkbar macht.
Um Denkanstöße geht es auch in „Katholiken“ (The Visitor, 1973), der einen in der Zukunft gedachten Konflikt aufgreift, dessen Wahl für Gold typisch ist. Die katholische Kirche gibt ein Dogma auf und will Rebellen in Irland, die sich an die alten Formen klammern, zur Räson bringen. Das gelingt um den Preis, daß der Kirchenvertreter aus Rom – The Visitor – seinerseits zur Vernunft kommt. Gold greift soziale Konflikte genau an dem Punkt auf, wo ein Dogma im Umbruch erkennbar wird. Der Film fixiert kein Ideendrama, sondern macht das Drama beweglich, wo es die Menschen, die sich Am Dogma abarbeiten, porträtiert. Ein Abt wird Atheist und die Dogmatiker der Kirche sind schon halbe Protestanten.
Die „Ereignisse beim Bewachen der Bofors-Kanone (The Bofors Gun, 1968) spiegeln einmal mehr Golds Faszination mit den Mächten der Ordnung, ob Kirche oder Militär. Diese Agenturen müssen, um fortzubestehen, ihre Mitglieder zwangsintegrieren. Aus den Behauptungsängsten brechen Haß und Vorurteile auf, wie sie bei Briten und Iren, Walisern und Schotten existieren. Sehr monokausal beruht der Film „Die Abrechnung“ (The Reckoning, 1969) auf dem Klassenkonflikt zwischen England und Irland (Der Rachefeldzug eines in England lebenden Iren) und die turbulente, total verjuxte Krankenhausklamotte „Bis zum letzten Patienten“ (The National Health, 1972) ist geradezu ein Kaleidoskop von Landeseigentümlichkeiten.
Es sei traurig, den Engländern bei ihren Vergnügungen zuzuschauen, sagt ein alter Mann aus Liverpool zu einem Aufsteiger, der aus London heimkehrt („Die Abrechnung“). Jack Gold unterschlägt keines dieser traurigen Vergnügen, aus denen er seine bitteren Farcen macht. England ist ein Vereintes Königreich und er fährt alle Winkel dieses Reiches mit dem scharfen Blick eines Joseph Losey und mit Ken Russels Sinn für Verrücktheit ab, der das Grandiose an der englischen Idee mit Niedertracht platt macht.

Re: Die Abrechnung - Jack Gold (1970)

Verfasst: Sa 6. Apr 2019, 11:23
von sergio petroni
Mick Marler (Nichol Williamson) ist ein eiskalter Opportunist, der es in der Londoner Haifischgesellschaft
weit gebracht hat. Mit seiner in Haßliebe verbundenen Frau bewohnt er ein stattliches Anwesen,
fährt einen Jaguar und läßt auch sonst die Korken knallen. In seiner Firma steigt er immer weiter auf,
da er bereit ist, Zweckbündnisse einzugehen und ihm unliebsame bzw. im Wege stehende
Kollegen gnadenlos abzusägen. Eines Tages erreicht ihn ein Anruf aus seiner Heimat Irland;
sein Vater liegt im Sterben. Sofort begibt sich Marler auf die Fahrt in seine Geburtsstadt,
kommt aber zu spät. Im nachhinein findet er heraus, daß sein Vater kurz vor seinem Tod eine gewalttätige
Auseinandersetzung in einem Pub hatte, die wohl auch ursächlich für sein Ableben war.
Plötzlich verspürt Marler ein gewisses Ehrgefühl, das ihn antreibt, den Schuldigen für seines Vaters Tod zu
finden und zur Rechenschaft zu ziehen.

Jack Golds Film ist weniger als Thriller angelegt, denn als Psycho- und Gesellschaftsstudie
Großbritanniens in den 1970ern. Marler bildet hierfür einen Spiegel der Gesellschaft.
Aus ärmlichen Verhältnissen kommend schafft er seinen Aufstieg durch Rücksichtslosigkeit,
daß dabei andere auf der Strecke bleiben ist unvermeidlich. Der erwirtschaftete Reichtum
bleiben den Rücksichtslosen vorbehalten, alle anderen leben ein "normales" Leben, geprägt
von Geldsorgen und Existenzängsten. Und doch sind es diese Leute, die Gold in seinem
Film durch ihre Aussagen zu Hütern der Moral werden läßt. Die Abrechnung mit dem
jungen Delinquenten vollzieht sich dann folgerichtig sozusagen en passant.
Als bei einer Feier aus Marler der Ire hervorbricht und er sich damit bei seinen
Chefs unbeliebt macht, scheint sich sein Schicksal zum negativen zu wenden.
Doch Marler setzte alles auf eine Karte und läßt am Ende sogar höhere Gewalten über
sein Wohl entscheiden, was zu einer eindrucksvollen Schlußszene führt.
8/10