Originaltitel: Vaters Garten - Die Liebe meiner Eltern
Produktionsland: Schweiz 2014
Regie: Peter Liechti
Darsteller: Peter Liechtis Eltern
Am 4. April 2014 erliegt der Schweizer Filmemacher Peter Liechti mit dreiundsechzig Jahren einer langjährigen Krebserkrankung. Sein Vermächtnis: Seine frühen 16mm-Bergfilme wie AUSFLUG INS GEBIRGE (1986) oder TAUWETTER (1987), die ausschauen, als hätten sich Werner Herzogs sakral-meditativen Heimatfilmvisionen in HERZ AUS GLAS (1976) von ihrer Narration gelöst und verselbstständigt. Seine Dokumentationen über befreundete Künstler: Den Bildhauer und Maler Roman Signer in SIGNERS KOFFER (1997), das Avantgarde-Musik-Duo Andy Guhl und Norbert Moslang in KICK THAT HABIT (1989). Ein Schwarzweißspielfilm: MARTHAS GARTEN (1997). Ein faszinierender Filmessay über einen Mann, der in den Wald zieht, um sich langsam zu Tode zu hungern: DAS SUMMEN DER INSEKTEN (2009). Zuletzt: Ein Film über die eigenen Eltern, die Liechti, bereits krebskrank, einen Sommer lang mit der Digitalkamera in ihrem Alltag begleitet.
Der Vater schimpft gegen den Feminismus. Die Mama besucht einen Heimbibelkreis. Beim Essen betet nur sie, er nicht. Dafür bestimmt er, welche Lampe wo in welchem Zimmer aufgestellt werden darf. Obwohl die Mama schon zweimal in der Badewanne gestürzt ist, weigert sich der Papa, einen Haltegriff an der Wand anzubringen. Seine Begründung: Er könne doch nicht in die Wandfliesen bohren. Da seien dann doch Löcher. Was sollten die Leute denken, die, wenn sie beide tot sind, ihr Haus beziehen? Dass der blöde Liechti Löcher in die Wandfliesen gebohrt habe? Sie sagt ihm manchmal, dass sie ihn von Herzen liebe. Manchmal könne sie ihn knuddeln wie ein kleines Kind. Er sagt es seltener. Eigentlich gar nicht. Das sei nicht wirklich eine Männersache, Gefühle zeigen. Es sei denn, es geht um seinen Garten, den er hegt wie seinen Augapfel. Sie ist ein bisschen eifersüchtig auf das Gemüse und die Früchte, die er dort zieht, und denen er so viel Zeit schenkt. Aber sie hat ja Jesus, den sie mehr liebt als alles anderes. Wider Willen muss er mit zum Bibelkreis. Den Namen Gottes hat er lange nicht über die Lippen gebracht. Es kam ihm vor, als würde er etwas Obszönes aussprechen. Im Grunde, sagen sie beide, sind wir total unterschiedlich. Trotzdem sind wir seit weit über sechzig Jahren – in etwa so lange wie Liechti alt werden wird – zusammen. Wie, scheint sich ihr Sohn zu fragen, haben es diese beiden grundverschiedenen Menschen, die meine Eltern sind, überhaupt so lange miteinander ausgehalten?
VATERS GARTEN – DIE LIEBE MEINER ELTERN ist der Versuch einer Annäherung über aufmerksame Alltagsbeobach-tungen, über Gespräche, die der Sohn mit den Eltern führt, über gezielte Fragen, mit denen er Mutter und Vater aus der Reserve zu locken beabsichtigt, eine Dichte Beschreibung, wie man sie von Clifford Geetz aus der Ethnographie kennt: So viele Fakten wie möglich sammeln, und schauen, was für Schlüsse sich aus ihnen ergeben. Schlau wird Liechti dennoch nicht aus den beiden Menschen, ohne die er nicht existieren würde. Sein unbehauener Digitalkamera-Blick auf Mutter und Vater ist mehr gezeichnet von Ratlosigkeit und Verwunderung statt von Verständnis oder Konsens. Es ist nicht bloß eine andere Generation. Es ist eine ganz andere Welt. Eine Welt, in der der Mann wie eine Henne auf dem Haushaltsgeld sitzt. Eine Welt, in der die Frau sich kleine Nischen Freiraum schafft, indem sie sich in Büchern oder religiösen Riten versenkt. Eine Welt, in der man sogar das Gartenwerkzeug wie Hacke und Spaten nach dem Umgraben eines Gemüsefelds akribisch abwäscht und blitzeblank putzt.
Peter Liechti versteht nicht viel von dieser Welt. Nicht ihre Sprache, schon gar nicht ihre Grammatik. Er hat früh den Punk in sich entdeckt, heißt es. Er wollte anders leben. Das hat er dann auch getan. Im Vorspann klingt an: Das Verhältnis zu den Eltern ist ein eher distanziertes. Er hat seinen Vater einmal zufällig auf der Straße gesehen, inmitten einer Menschenmenge. Da kam ihm die Idee zu dem Film: Dass das ja mein eigener Vater ist, der da durch die Fußgängerzone läuft. Aus seiner Distanz heraus greift Liechti – er selbst taucht niemals selbst im Kamera-Bild auf, ist Teil der Inszenierung, aber so gut wie nie ihr Thema – mit vollen Händen in die Kiste der Verfremdungseffekte, um irgendwie mit dieser exotischen, und doch irgendwie zu ihm gehörigen Welt zu Rande zu kommen. Zwischen die in ihrer Banalität unglaublich aufschlussreich wirkenden Fragmente des elterlichen Tagein-Tagaus – man kocht, man isst, man schaut fernsehen, man wird älter, muss sich gegenseitig vom Bett hochhelfen: immerhin, die Beiden sind weit über achtzig -, und die Erinnerungen, die Liechti in Interview-Situationen aus Mutter und Vater hervorkitzelt – daran, dass Liechtis Großvater der Mutter immer aus den Werken Gotthelfs vorlas, und zu weinen anfing, wenn eine Stelle ihn besonders berührt hat, oder an den Krieg, an dem Liechtis Vater teilnahm, und wie er die Flüchtlinge mit Waffengewalt davon abhalten sollte, die Schweizer Grenze zu passieren -, sind in VATERS GARTEN die Realität überformende Sequenzen eingestreut, in denen die Eltern als lyncheske Häschenfiguren auftreten – und Peter Liechti selbst als Kasperle, das manchmal nicht wohin weiß mit dem Kopf, und ihn deshalb vehement gegen den Puppentheaterboden hämmert.
Die Häschen sind süß, sicher – die Mama mümmelt mit schüchterner Stimme, der Vater bewegt die Ohren aufmerksam hin und her, damit ihm keine Zwischenzeile entgeht -, etwas weniger Fiktionalisierung hätten es für mich vielleicht auch getan, um den gleichen Effekt von Empathie und Distanz, von voyeuristischem Starren und irritiertem Wegblinzeln zu erzielen. Vielleicht wäre der Effekt sogar ein größerer gewesen ohne all die Spierleien auf Ton- und Bildebene. Gerade die irren Montagesequenzen zwischendurch haben mich dann doch etwas aus dem hermetischen, ganz nach zu Regeln gewordenen Gewohnheiten tickenden Kosmos herausgebracht. Dafür ist die Musikwahl superb. Bach, Thelonious Monk. Für jeden etwas dabei. Trotzdem frage ich mich am Ende dieses neunzig Minuten langen Einblicks in die Privatsphäre eines älteren Ehepaars, wie ich sie aus meiner eigenen Familie zur Genüge kenne: Ist das nicht schon etwas zu sehr Bloßstellung, wie Liechti vor allem den eigenen Vater und dessen chauvinistisches Weltbild der Kamera preisgibt? Seine Kamera dringt tief ein in das organische Gebilde der elterlichen Beziehung. Sie legt offen, seziert, entblößt. Nicht per se grausam, nicht zynisch. Aber sie hält ihre Protagonisten auch nicht davon ab, sich um Kopf und Kragen zu reden. Oder ist das eine Form von Ehrlichkeit, die rückwirkend der Tod adelt?
VATERS GARTEN – DIE LIEBE MEINER ELTERN ist Liechtis letzter Film. Szenen einer Ehe, die ihre Signifikanz aus ihrer Banalität schöpfen. Am Ende verbeugen sich zwei Plüschhäschen für die Kamera.
Der Vater schimpft gegen den Feminismus. Die Mama besucht einen Heimbibelkreis. Beim Essen betet nur sie, er nicht. Dafür bestimmt er, welche Lampe wo in welchem Zimmer aufgestellt werden darf. Obwohl die Mama schon zweimal in der Badewanne gestürzt ist, weigert sich der Papa, einen Haltegriff an der Wand anzubringen. Seine Begründung: Er könne doch nicht in die Wandfliesen bohren. Da seien dann doch Löcher. Was sollten die Leute denken, die, wenn sie beide tot sind, ihr Haus beziehen? Dass der blöde Liechti Löcher in die Wandfliesen gebohrt habe? Sie sagt ihm manchmal, dass sie ihn von Herzen liebe. Manchmal könne sie ihn knuddeln wie ein kleines Kind. Er sagt es seltener. Eigentlich gar nicht. Das sei nicht wirklich eine Männersache, Gefühle zeigen. Es sei denn, es geht um seinen Garten, den er hegt wie seinen Augapfel. Sie ist ein bisschen eifersüchtig auf das Gemüse und die Früchte, die er dort zieht, und denen er so viel Zeit schenkt. Aber sie hat ja Jesus, den sie mehr liebt als alles anderes. Wider Willen muss er mit zum Bibelkreis. Den Namen Gottes hat er lange nicht über die Lippen gebracht. Es kam ihm vor, als würde er etwas Obszönes aussprechen. Im Grunde, sagen sie beide, sind wir total unterschiedlich. Trotzdem sind wir seit weit über sechzig Jahren – in etwa so lange wie Liechti alt werden wird – zusammen. Wie, scheint sich ihr Sohn zu fragen, haben es diese beiden grundverschiedenen Menschen, die meine Eltern sind, überhaupt so lange miteinander ausgehalten?
VATERS GARTEN – DIE LIEBE MEINER ELTERN ist der Versuch einer Annäherung über aufmerksame Alltagsbeobach-tungen, über Gespräche, die der Sohn mit den Eltern führt, über gezielte Fragen, mit denen er Mutter und Vater aus der Reserve zu locken beabsichtigt, eine Dichte Beschreibung, wie man sie von Clifford Geetz aus der Ethnographie kennt: So viele Fakten wie möglich sammeln, und schauen, was für Schlüsse sich aus ihnen ergeben. Schlau wird Liechti dennoch nicht aus den beiden Menschen, ohne die er nicht existieren würde. Sein unbehauener Digitalkamera-Blick auf Mutter und Vater ist mehr gezeichnet von Ratlosigkeit und Verwunderung statt von Verständnis oder Konsens. Es ist nicht bloß eine andere Generation. Es ist eine ganz andere Welt. Eine Welt, in der der Mann wie eine Henne auf dem Haushaltsgeld sitzt. Eine Welt, in der die Frau sich kleine Nischen Freiraum schafft, indem sie sich in Büchern oder religiösen Riten versenkt. Eine Welt, in der man sogar das Gartenwerkzeug wie Hacke und Spaten nach dem Umgraben eines Gemüsefelds akribisch abwäscht und blitzeblank putzt.
Peter Liechti versteht nicht viel von dieser Welt. Nicht ihre Sprache, schon gar nicht ihre Grammatik. Er hat früh den Punk in sich entdeckt, heißt es. Er wollte anders leben. Das hat er dann auch getan. Im Vorspann klingt an: Das Verhältnis zu den Eltern ist ein eher distanziertes. Er hat seinen Vater einmal zufällig auf der Straße gesehen, inmitten einer Menschenmenge. Da kam ihm die Idee zu dem Film: Dass das ja mein eigener Vater ist, der da durch die Fußgängerzone läuft. Aus seiner Distanz heraus greift Liechti – er selbst taucht niemals selbst im Kamera-Bild auf, ist Teil der Inszenierung, aber so gut wie nie ihr Thema – mit vollen Händen in die Kiste der Verfremdungseffekte, um irgendwie mit dieser exotischen, und doch irgendwie zu ihm gehörigen Welt zu Rande zu kommen. Zwischen die in ihrer Banalität unglaublich aufschlussreich wirkenden Fragmente des elterlichen Tagein-Tagaus – man kocht, man isst, man schaut fernsehen, man wird älter, muss sich gegenseitig vom Bett hochhelfen: immerhin, die Beiden sind weit über achtzig -, und die Erinnerungen, die Liechti in Interview-Situationen aus Mutter und Vater hervorkitzelt – daran, dass Liechtis Großvater der Mutter immer aus den Werken Gotthelfs vorlas, und zu weinen anfing, wenn eine Stelle ihn besonders berührt hat, oder an den Krieg, an dem Liechtis Vater teilnahm, und wie er die Flüchtlinge mit Waffengewalt davon abhalten sollte, die Schweizer Grenze zu passieren -, sind in VATERS GARTEN die Realität überformende Sequenzen eingestreut, in denen die Eltern als lyncheske Häschenfiguren auftreten – und Peter Liechti selbst als Kasperle, das manchmal nicht wohin weiß mit dem Kopf, und ihn deshalb vehement gegen den Puppentheaterboden hämmert.
Die Häschen sind süß, sicher – die Mama mümmelt mit schüchterner Stimme, der Vater bewegt die Ohren aufmerksam hin und her, damit ihm keine Zwischenzeile entgeht -, etwas weniger Fiktionalisierung hätten es für mich vielleicht auch getan, um den gleichen Effekt von Empathie und Distanz, von voyeuristischem Starren und irritiertem Wegblinzeln zu erzielen. Vielleicht wäre der Effekt sogar ein größerer gewesen ohne all die Spierleien auf Ton- und Bildebene. Gerade die irren Montagesequenzen zwischendurch haben mich dann doch etwas aus dem hermetischen, ganz nach zu Regeln gewordenen Gewohnheiten tickenden Kosmos herausgebracht. Dafür ist die Musikwahl superb. Bach, Thelonious Monk. Für jeden etwas dabei. Trotzdem frage ich mich am Ende dieses neunzig Minuten langen Einblicks in die Privatsphäre eines älteren Ehepaars, wie ich sie aus meiner eigenen Familie zur Genüge kenne: Ist das nicht schon etwas zu sehr Bloßstellung, wie Liechti vor allem den eigenen Vater und dessen chauvinistisches Weltbild der Kamera preisgibt? Seine Kamera dringt tief ein in das organische Gebilde der elterlichen Beziehung. Sie legt offen, seziert, entblößt. Nicht per se grausam, nicht zynisch. Aber sie hält ihre Protagonisten auch nicht davon ab, sich um Kopf und Kragen zu reden. Oder ist das eine Form von Ehrlichkeit, die rückwirkend der Tod adelt?
VATERS GARTEN – DIE LIEBE MEINER ELTERN ist Liechtis letzter Film. Szenen einer Ehe, die ihre Signifikanz aus ihrer Banalität schöpfen. Am Ende verbeugen sich zwei Plüschhäschen für die Kamera.