Originaltitel: Death - The Ultimate Horror
Produktionsland: USA 1995 [?]
Regie: ?
Darsteller: Menschen wie Du & Ich, die auf denkbar grausame Weise ums Leben kommen
Deliria-Schrottwichtel-Rezeptions-Kampagne, Teil 2:
Nach PSYCHO COP nun also DEATH – THE ULTIMATE HORROR. Ich fürchte, mein Schrottwichtel-Paket hat seine abgründigsten Trümpfe noch nicht ganz ausgespielt…
Es verheißt oft nichts Gutes, wenn sich nicht mal jemand finden lässt, der bereit ist, für ein bestimmtes Produkt mit seinem Namen zu zeichnen. Wer oder was für DEATH – THE ULTIMATE HORROR nun genau verantwortlich ist, darüber schweigt sich die mir vorliegende DVD eines Labels namens SYNC ENTERTAINMENT genauso aus wie über Entstehungsort und Entstehungszeitpunkt deren ersten Beitrags zur „Shockudrama Serie“, - von der ich eigentlich gar nicht wissen will, ob die später noch fortgeführt worden ist. In ein liebevoll gestaltetes Menü hat man ebenfalls kaum Zeit oder Geld investiert. Vor dem Bild eines Turms aus Totenschädeln prangt lediglich der Filmtitel, sowie die Auswahloption zwischen Kapitelwahl oder Filmstart. Ich atme tief durch, und klicke letzteres.
Nach der obligatorischen Warnung, das nachfolgende Programme beinhalte „HIGHLY graphic scenes“, und sei deshalb nur für Erwachsene empfohlen, und der Einblendung „Thumbs Up Video presents“, erscheint einmal mehr das aus dem Menü bekannte Eröffnungsbild, nur diesmal untermalt von Geisterbahngeräuschen und einer Sprecherstimme aus dem Off, die mir fast schon den Rest gibt. „Fasten your seatbelts for a ninety minute ride through an international world of horror!”, grunzt mir der männliche Kommentator in dieser jovialen Art entgegen, die mich sogleich an den Death-Metal-Fan Brain Damage, den Gastgeber der unsäglichen FACES-OF-GORE-Serie, erinnert: Genau diesen Tonfall stelle ich mir auch bei Ansagern von Zirkus-Freak-Shows vor – mit jeder Silbe das affizierende Potential seiner Ausstellungsstücke hervorhabend, aber auch sich selbst nachdrücklich als ordnende Instanz außerhalb des Kuriositätenkabinetts markierend. Der unbekannte Sprecher von DEATH steht – gemäß der Mondo-Tradition, auf die man den „Film“ natürlich rückbeziehen muss – distinktiv außerhalb des Bilderreigens der Diegese, der er deshalb aus seiner süffisanten Distanz heraus Paratexte unterjubeln kann, die ihre Bedeutung erst konstituieren, und sie für das Publikum erst konsumierbar machen. Ich muss an den Erhabenheits-Begriff denken, wie ihn Edmund Burke in die Philosophiegeschichte der Neuzeit einführt: Das Schöne, das sei einfach nur schön, doch das Erhabene, das könne der Mensch nur aus der Distanz heraus, in einer Mischung aus Schmerz und Schrecken, ertragen. Obwohl die sich bewusst oder unbewusst auf Burkes 1757 publizierten Essay beziehenden Schauerromantiker und Schauerromantikerinnen in ihrer Flut an Romanen nicht an horrorhaften Szenen sparen, hat der britische Philosoph aber freilich weniger vorliegenden „Film“, sondern - ähnlich wie wenig später Immanuel Kant - vielmehr imposante Naturphänomene wie Berggipfel oder sturmgepeitschte Ozeane gefiltert durch die menschliche Wahrnehmung im Blick gehabt, wenn er schreibt: „„Whatever is fitted in any sort to excite the ideas of pain and danger, that is to say, whatever is in any sort terrible, or is conversant about terrible objects […] is a source of the sublime.“
Man merkt (ich merke), dass ich abschweife, um mich davor zu drücken, den Kern der Sache selbst zu berühren. „Das wahre Leben“, heißt es erneut auf dem unglaublich hässlichen DVD-Cover, „schreibt die grausamsten Horrorgeschichten! Was Reporter weltweit zusammengetragen haben – authentisch und unzensiert – erleben Sie hautnah in der schockierendsten Dokumentation, die je veröffentlicht wurde.“ Tatsächlich besteht DEATH aus nichts anderem als aus (Amateur-)Aufnahmen, die die Verantwortlichen aus allen erdenklichen Quellen und Weltwinkeln zusammengetragen haben. In einer taxonomischen Strenge, die an den Marquis de Sade denken lässt, sind diese disparaten, wahllos zusammengeschusterten Bilder, die einzig verbindet, dass in ihnen Dinge zu sehen sind, die kaum ein gesunder Mensch sich bereitwillig anschauen würde, in mehrere Kapitel unterteilt, die wiederum sich lesen wie die Sektionsspalten einer beliebigen Internet-shock-site. Exekutionen, Autobomben, Stierkämpfe, Politische Gewalt, Mord und Totschlag, sogar Stammesunruhen. Von einer Website wie bestgore.com trennt DEATH dann auch wirklich einzig seine strukturelle Diachronie: Während ich mir auf besagter Internetplattform durch die Wunder der digitalen Synchronie als mein eigener Regisseur und –Cutter selbst aus all den Clips meine individuelle shockumentary zusammenstellen kann, indem ich den Mauszeiger als Lötkolben verwende, haben die Verantwortlichen von DEATH mir das bereits abgenommen. Was sie mir ebenfalls abnehmen, das ist, die einzelnen Aufnahmen einer Bewertung und Kontextualisierung zu unterziehen. Wie das abläuft, möchte ich nur kurz am ersten Segment „Executions“ untersuchen – vor allem deshalb, weil es mir danach bereits gereicht hat mit diesem Machwerk, dessen Rest ich mir nur noch stichprobenartig geben konnte/wollte.
„Executions“ besteht aus insgesamt fünf Szenen, die zusammen eine Laufzeit von unter fünf Minuten ergeben. Wem bereits MONDO CANE über die Aufmerksamkeitsspanne eines zappeligen Kindes verfügt, der wird mit DEATH - abgesehen vom "Film"inhalt - schon gar keine Freude haben. Unmotiviert springt der „Film“ zwischen seinen Versatzstücken hin und her, ohne dass er auch nur den Versuch unternehmen würde – wie Jacopetti und Prosperi das so meisterhaft gekonnt haben –, diese durch eine virtuose Montage, Kameraeffekte oder eine auditive Narration halbwegs sinnvoll miteinander zu verbinden – (was natürlich vor allem daran liegt, dass DEATH lediglich eine Resterampe von Szenen ist, die ursprünglich NICHT für einen derartigen „Film“ intendiert gewesen sind.) Obwohl das Segment „Executions“ heißt, schafft es der "Film" jedoch nicht einmal fünf Minuten lang, seinem eigenen Klassifikationssystem treuzubleiben - es sei denn, man weitet den Termiuns einer Exekution so weit aus, dass auch Attentate auf Ziviliste und Kriegsopfer dazu zu zählen sind: welche Gewalttat ist dann aber keine Exekution? Wir sehen nacheinander: Die Hinrichtung eines angeblichen Attentäters in Beirut durch Gewehrschüsse. Erschießungen von Rebellen im Afghanischen Hinterland. Die Resultate einer Autobombenexplosion in Moskau. Eine weitere Bombenexplosion, die ein ganzes Gebäude im Mittleren Osten (der genaue Ort wird uns verschwiegen) zerlegt hat. Bürgerkriegstote in Sarajevo. Der Erzähler tut das Seinige dazu, die Heterogenität des Materials zu unterstreichen. Informativ ist es jedenfalls nicht, was er zu den einzelnen Aufnahmen zu sagen hat - (was aber habe ich auch erwartet von einem "Film" dieses Titels?!). Es dominiert eine gewisse maskuline Coolness, – tja, der Mann, dem durch eine Autobombe der Kopf geplatzt ist, hätte eben besser mit der Mafia kooperieren sollen -, die mich, um ehrlich zu sein, mehr anwidert als die eigentlichen Bilder, bei denen es sich hauptsächlich um Dokumentarmaterial aus Nachrichtenberichten oder Amateurquellen handelt, und die erst dadurch zu Exploitation-Ware werden, weil sie ein „Film“ wie vorliegender dazu macht.
Das Segment „Executions“ scheint mir konstitutiv für die Machart des restlichen Werks zu sein: Auch später purzeln die Schock-Bilder als reiner Selbstzweck durcheinander, und wo man im Mondo-Genre, dessen Derivat solche shockumentaries wie DEATH nun einmal darstellen – ein Derivat, dessen Reduktionsimus im Prinzip nur den Willen zur Affektevokation beibehalten hat, und das sonst von allen Genre-Parametern entkleidet worden ist, das die frühen Mondos gerade vom Team um Jacopetti/Prosperi zumindest ästhetisch-strukturell dem Avantgardekino angenähert haben -, immerhin noch eine Botschaft mit auf den Weg gegeben bekommt, eine bestimmte Sicht auf die Welt, eine spezifische Ästhetik, die man annehmen oder ablehnen, kann, so bleibt am Ende von DEATH für mich einzig und allein eine Mischung aus Scham, Abscheu und schwerer Irritation darüber, dass es offenbar ökonomisch lohnend genug ist, ein solches mit menschlichem Leid nun wirklich nur rein ausbeuterisch verfahrendes Werk in Deutschland auf DVD zu veröffentlichen. Aber wieso irritiert mich das, wo ich doch die Klickzahlen von der bereits erwähnten DEATH 2.0-Variante bestgore.com kenne, und wo ich doch normalerweise der Erste bin, der Norbert Elias' Postulat vom "Zivilisationsprozess" als eines "Strukturwandels von Menschen in der Richtung auf eine größere Festigung und Differenzierung ihrer Affektkontrollen" bis hin zu einer relativen Gewaltfreiheit des menschlichen Daseins als signifikantes Moment der abendländischen Kultur anfechtet, und darauf hinweist: Die menschliche Schaulust an gewalttätigen Vorgängen ist mitnichten verblasst oder verschwunden, sie hat sich höchstens sublimiert, und auf öffentlich nicht zugängliche oder zumindest verbrämte Sphären verlagert: Das Schlachthaus, wo das Gros der Bevölkerung nicht länger den unangenehmen Anblick eines ausblutenden Schweins ertragen muss. Das Gefängnis, wo humane Hinrichtungsmethoden wie die sterile Giftspritze vor einem kleinen Kreis ausgewälter Zuschauer an Stelle von Marktplatzexekutionen getreten sind. Das Internet, wo ich nur wenige Klicks entfernt bin von Kätzchen, die japanische Schulmädchen zu Tode trampeln, präzise choreographierten ISIS-Enthauptungen, den verwackelten Handybildern einer Hexensteinigung in Westafrika. Sollte ich DEATH deshalb nicht fast schon wieder loben dafür, dass er seine eigentliche Agenda nicht unter einem fadenscheinigen Deckmäntelchen versteckt, sondern seinen Konsumenten offen und freimütig die Karten auf den Tisch legt, und sagt: Ich bin nur dafür gedacht, dass Du Dich am Martyrium Deiner Spezies aufgeilst?
„Vergessen Sie ALLES, was Sie bisher gesehen haben!“, verlangt das DVD-Cover übrigens von mir, und ich denke mir, wie schade das doch wäre um all die vielen schönen Dinge, die mich in der Gewissheit wiegen, dass es nicht nur Grauen auf der Welt gibt: Den Deutschen Boxer, den ich einen ganzen Mittag lang beim Sonnenbaden filmte zum Beispiel, und wie ich den richtigen Soundtrack dazu suchte, und ihn zufällig in Robert Johnson fand, und wie allein diese eine Szene alles von dem aufwiegt, worin ein "Film" wie DEATH sich suhlt.