Mondo Nudo - Die Welt der Erotik - V. Marinucci (1965)
Verfasst: Fr 19. Jan 2018, 21:06
Originaltitel: I Piaceri del mondo
Produktionsland: Italien 1965
Regie: Vinicio Marinucci
Darsteller: Nachtclub-Tänzerinnen, Prostituierte, mexikanische Minnesänger, Flamengo-Tänzer usw.
Anfang bis Mitte der 60er tun sich die Herren Vinicio Marinucci (Regie), Angelo Faccenna und Giuseppe Maria Scotese (beide Drehbuch) zusammen, um insgesamt zwei Mondo-Filme auf ihre besprapsten Beine zu stellen: LE DOLCI NOTTI (1962) sowie I PIACERI DEL MONDO (1965), der, trotz seines deutschen Verleihtitels, freilich genauso wenig mit dem zwei Jahre zuvor veröffentlichten MONDO NUDO von Francesco De Feo zu tun hat wie mit der visuellen Vulkaneruption, die 1963 Jacopettis, Prosperis und Cavaras MONDO CANE darstellte. Stattdessen sind die „Leidenschaften der Welt“, die das Werk seinem Publikum vor die geifertriefenden Augen stellen möchte, noch ganz jenem Strang von Filmen verpflichtet, aus dem sich die Visionen der MONDO-CANE-Regisseure quasi organisch entwickelt haben: Dem Genre von Nachtclubausflügen seit Ende der 50er, die meist in ihren Titeln solche Schlagwörter wie Notte, Sexy oder eben Mondo mit sich führen, und innerhalb derer Alessandro Blassetis EUROPA DI NOTTE (1958) sowohl Initialzündung wie berühmtester Exponent sein dürfte. Mit der Programmatik von MONDO CANE verbindet diese Filme, dass auch sie uns mitnehmen auf eine Reise um das Erdenrund. Der Unterschied besteht in der Art und Weise, wie sie ihr disparates Material kompilieren – (nämlich fernab der virtuosen, nahezu avantgardistischen, aber freilich genauso assoziativen und damit semantisch fragwürdigen Montage, die zu Jacopettis und Prosperis Markenzeichen werden sollte) -, und vor allem, um welches Material es sich dabei handelt – (nämlich nicht primär Szenen, die die Zuschauer und Zuschauerinnen in Schockstarre, Ekel oder baffes Staunen versetzen sollen, sondern die stattdessen gezielt deren Leistengegenden anvisieren.) I PIACERI DEL MONDO ist – so viel kann ich an dieser Stelle schon einmal verraten – ein Musterknabe von einem Film dieser Machart, weshalb ich ihn hiermit mit ein paar Zeilen beehre, die es so wenig verdient hat wie mein Nacken seine Steife von dem vielen Kopfschütteln während der Sichtung.
Wie bereits angedeutet: Auch I PIACERI DEL MONDO nimmt Dich bei der Hand, und führt Dich an Orte, die Du als mitteleuropäischer Kinogänger Mitte der 60er Jahre mehrheitlich bloß aus dem Reisekatalog kennst. Rio de Janeiro mit seinen prächtigen Sandstränden. Hongkong mit seinen im Seegang schwankenden Dschunken. Das Death Valley, wo der Highway sich im Unendlichen verliert. Außerdem: London, Mexiko, Granada. Die Liste der Kontinente, Städte, Landschaften, die vorliegender Film wie mit dem Finger auf der Landkarte immer mal wieder antippt, und dazu recht hübsche Panoramaaufnahmen liefert, die kein Touristikbüro besser hingekriegt hätte, ist recht lang dafür, dass er sie letztlich lediglich als Lötmaterial verwendet, um die Kernszenen damit notdürftig miteinander zu verschweißen. Diese Kernszenen wiederum spielen, wie ebenfalls schon angedeutet, nahezu ausschließlich in zwar öffentlich zugänglichen, aber zugleich hermetisch nach außen hin verschlossenen Unterhaltungsräumen, sprich: Nachtclubs, Bars, Variéte-Theater, Vaudeville-Hallen, Laufhäuser etc. Die Erotik, die einem der deutsche Verleihtitel verspricht, oder die Leidenschaften, von denen die Welt des italienischen Originaltitels voll ist, stellt sich freilich dennoch nicht ein – oder, anders gesagt: Das, was zum Zeitpunkt der Realisation von I PIACERI DEL MONDO noch unter den Stichworten „Sex“ oder „Erotik“ gebündelt werden konnte, erregt heute, wo mich gerade in dem Moment, während ich dies tippe, nur wenige Klicks von ganzen Archiven hardcore-pornographischer Bilderstürme trennen, nicht einmal mehr ein einziges verschämtes Lusttröpfchen. All diese Filme sind Substitute für ein Bürgertum, das sich (noch) nicht traut, seine Sexualität offen aufs Tableau zu packen, und stattdessen in moralisch gerade noch so akzeptierte Kinovorstellungen wie die von I PIACERI DEL MONDO tappt, um dort, da das Herz zu sehr klopft bei dem Gedanken, ein anrüchiges Etablissements in der Wirklichkeit zu besuchen, in der Sicherheit des Lichtspielsessels wenigstens voyeuristisch ausleben zu können, von dem man meint, dass es einem im eigenen tristen, unbefriedigten Alltag fehle.
Irgendwie erfüllt Marinuccis Film aber nicht einmal diese Mission wirklich. Was sehen wir denn eigentlich in I PIACERI DEL MONDO eher lieblos zusammengeschustert, eher uninspiriert, teilweise fast schon stummfilmhaft aus einer idealen Zuschauerposition in der ersten Reihe des Auditoriums abgefilmt, und mit eher grausamer Stimmungsmusik unterlegt? Sind das, frage ich rhetorisch, wirklich Dinge, auf die die Augen der Welt gewartet haben, sie sehen zu dürfen? Ein orientalischer Bauchtanz in Großaufnahme des Tänzerinnennabels? Wie die jungen Leute in den Staaten Twist tanzen, und eine zweit- oder drittklassige Band dazu „Twist & Shout“ intoniert? Der Dixieland-Posaunist Turk Murphy bei der Arbeit mit geblähten Backen? Eine groteske Zeitlupen-Pantomime, bei der ein Chicago-Cop zwei Gangster dingfestmacht? Eine Western-Show mit angeklebten Cowboy-Bärten? Mexikanische Minnesänger, die ihren Liebsten zwischen Kakteen ein Herzschmerzständchen bringen? Eine weibliche Trachtengruppe, die in einem britischen Park ein Dudelsackkonzert veranstaltet? Die weltberühmte (!?) Congo Bar, in der Schrumpfköpfe die Wände zieren? Am ehesten ansatzweise in die Nähe der affizierenden Überwältigungs-Ästhetik von MONDO CANE (nur inhaltlich, nicht technisch!) kommt eine Tätowierungs-Session, die angeblich in Malaysia abgefilmt worden ist, und bei der der Sprecher der deutschen Synchronfassung erklärt, nach dem Tod der Tätowierten würden diese gehäutet werden, und ihr Körperschmuck gegerbt im örtlichen Kunstmuseum landen. „Diese Art des Amüsements geht auf keine Kuhhaut!“, bemerkt er süffisant mit einem kahlen Kalauer. Überhaupt, dieser immaterielle Sprecher, mit seiner näselnden, penetranten Stimme, die unaufhaltsam von den spanischen „Mohrenkönigen“ schwadroniert, südostasiatische Prostituierte, die auf Flössen ihren Lebensunterhalt verdienen, als „Sumpfdotterblumen“ diskreditiert, und dazu, dass südlich der Sahara nun ebenfalls allmählich ein Nachtclub nach dem andern aus dem Boden sprießt, anmerkt: „Afrika hat sich angepasst! Endlich!“, kann einem schon den Tag verleiden, wenn seine lebhafte, um keinen blöden Spruch verlegene Vortragsweise auch in ziemlich herbem Kontrast zu den an sich sterbenslangweiligen Bildern steht, die zu mehr als sechzig oder siebzig Prozent in einer Samstagabendunterhaltungsshow des zeitgenössischen bundesdeutschen Fernsehens gutaufgehoben gewesen wären, und deren übrige vierzig oder dreißig Prozent, trotz des vermeintlich subversiven Potentials, das der noch immer nervtötende Sprecher ständig betont, nicht halb so anrüchig sind wie das, was man seit den 90ern im Nachtprogramm der bundesdeutschen Privatsender bespitzeln kann.
Ich glaube, wenn ich mir kontinuierlich und konsequent mehrere dieser „Notte-Mondos“ anschauen würde, würden die genau das Gegenteil des selbsterklärten Anspruchs erreichen, und bei mir ginge sexuell rein gar nichts mehr – und zwar nicht, weil ich so abgestoßen, paralysiert, verstört von allen sexuellen Abarten dieser schönen, perversen Welt bin, sondern weil mir vor lauter Langeweile die untere Körperhälfte schlicht in Winterschlaf gewiegt worden wäre. Filmhistorisch ist I PIACERI DEL MONDO interessant genug, dass ich mir vorstellen könnte, ein ganzes Buch über dieses Genre und seine gesellschaftlichen, kulturellen, politischen Implikationen zu schreiben, filmästhetisch allerdings so spannend, dass ich den Plan gleich wieder verwerfe, und lieber weiter an meiner Allgemeinen Kulturgeschichte der Kohlrabi arbeite, meine Güte…
Wie bereits angedeutet: Auch I PIACERI DEL MONDO nimmt Dich bei der Hand, und führt Dich an Orte, die Du als mitteleuropäischer Kinogänger Mitte der 60er Jahre mehrheitlich bloß aus dem Reisekatalog kennst. Rio de Janeiro mit seinen prächtigen Sandstränden. Hongkong mit seinen im Seegang schwankenden Dschunken. Das Death Valley, wo der Highway sich im Unendlichen verliert. Außerdem: London, Mexiko, Granada. Die Liste der Kontinente, Städte, Landschaften, die vorliegender Film wie mit dem Finger auf der Landkarte immer mal wieder antippt, und dazu recht hübsche Panoramaaufnahmen liefert, die kein Touristikbüro besser hingekriegt hätte, ist recht lang dafür, dass er sie letztlich lediglich als Lötmaterial verwendet, um die Kernszenen damit notdürftig miteinander zu verschweißen. Diese Kernszenen wiederum spielen, wie ebenfalls schon angedeutet, nahezu ausschließlich in zwar öffentlich zugänglichen, aber zugleich hermetisch nach außen hin verschlossenen Unterhaltungsräumen, sprich: Nachtclubs, Bars, Variéte-Theater, Vaudeville-Hallen, Laufhäuser etc. Die Erotik, die einem der deutsche Verleihtitel verspricht, oder die Leidenschaften, von denen die Welt des italienischen Originaltitels voll ist, stellt sich freilich dennoch nicht ein – oder, anders gesagt: Das, was zum Zeitpunkt der Realisation von I PIACERI DEL MONDO noch unter den Stichworten „Sex“ oder „Erotik“ gebündelt werden konnte, erregt heute, wo mich gerade in dem Moment, während ich dies tippe, nur wenige Klicks von ganzen Archiven hardcore-pornographischer Bilderstürme trennen, nicht einmal mehr ein einziges verschämtes Lusttröpfchen. All diese Filme sind Substitute für ein Bürgertum, das sich (noch) nicht traut, seine Sexualität offen aufs Tableau zu packen, und stattdessen in moralisch gerade noch so akzeptierte Kinovorstellungen wie die von I PIACERI DEL MONDO tappt, um dort, da das Herz zu sehr klopft bei dem Gedanken, ein anrüchiges Etablissements in der Wirklichkeit zu besuchen, in der Sicherheit des Lichtspielsessels wenigstens voyeuristisch ausleben zu können, von dem man meint, dass es einem im eigenen tristen, unbefriedigten Alltag fehle.
Irgendwie erfüllt Marinuccis Film aber nicht einmal diese Mission wirklich. Was sehen wir denn eigentlich in I PIACERI DEL MONDO eher lieblos zusammengeschustert, eher uninspiriert, teilweise fast schon stummfilmhaft aus einer idealen Zuschauerposition in der ersten Reihe des Auditoriums abgefilmt, und mit eher grausamer Stimmungsmusik unterlegt? Sind das, frage ich rhetorisch, wirklich Dinge, auf die die Augen der Welt gewartet haben, sie sehen zu dürfen? Ein orientalischer Bauchtanz in Großaufnahme des Tänzerinnennabels? Wie die jungen Leute in den Staaten Twist tanzen, und eine zweit- oder drittklassige Band dazu „Twist & Shout“ intoniert? Der Dixieland-Posaunist Turk Murphy bei der Arbeit mit geblähten Backen? Eine groteske Zeitlupen-Pantomime, bei der ein Chicago-Cop zwei Gangster dingfestmacht? Eine Western-Show mit angeklebten Cowboy-Bärten? Mexikanische Minnesänger, die ihren Liebsten zwischen Kakteen ein Herzschmerzständchen bringen? Eine weibliche Trachtengruppe, die in einem britischen Park ein Dudelsackkonzert veranstaltet? Die weltberühmte (!?) Congo Bar, in der Schrumpfköpfe die Wände zieren? Am ehesten ansatzweise in die Nähe der affizierenden Überwältigungs-Ästhetik von MONDO CANE (nur inhaltlich, nicht technisch!) kommt eine Tätowierungs-Session, die angeblich in Malaysia abgefilmt worden ist, und bei der der Sprecher der deutschen Synchronfassung erklärt, nach dem Tod der Tätowierten würden diese gehäutet werden, und ihr Körperschmuck gegerbt im örtlichen Kunstmuseum landen. „Diese Art des Amüsements geht auf keine Kuhhaut!“, bemerkt er süffisant mit einem kahlen Kalauer. Überhaupt, dieser immaterielle Sprecher, mit seiner näselnden, penetranten Stimme, die unaufhaltsam von den spanischen „Mohrenkönigen“ schwadroniert, südostasiatische Prostituierte, die auf Flössen ihren Lebensunterhalt verdienen, als „Sumpfdotterblumen“ diskreditiert, und dazu, dass südlich der Sahara nun ebenfalls allmählich ein Nachtclub nach dem andern aus dem Boden sprießt, anmerkt: „Afrika hat sich angepasst! Endlich!“, kann einem schon den Tag verleiden, wenn seine lebhafte, um keinen blöden Spruch verlegene Vortragsweise auch in ziemlich herbem Kontrast zu den an sich sterbenslangweiligen Bildern steht, die zu mehr als sechzig oder siebzig Prozent in einer Samstagabendunterhaltungsshow des zeitgenössischen bundesdeutschen Fernsehens gutaufgehoben gewesen wären, und deren übrige vierzig oder dreißig Prozent, trotz des vermeintlich subversiven Potentials, das der noch immer nervtötende Sprecher ständig betont, nicht halb so anrüchig sind wie das, was man seit den 90ern im Nachtprogramm der bundesdeutschen Privatsender bespitzeln kann.
Ich glaube, wenn ich mir kontinuierlich und konsequent mehrere dieser „Notte-Mondos“ anschauen würde, würden die genau das Gegenteil des selbsterklärten Anspruchs erreichen, und bei mir ginge sexuell rein gar nichts mehr – und zwar nicht, weil ich so abgestoßen, paralysiert, verstört von allen sexuellen Abarten dieser schönen, perversen Welt bin, sondern weil mir vor lauter Langeweile die untere Körperhälfte schlicht in Winterschlaf gewiegt worden wäre. Filmhistorisch ist I PIACERI DEL MONDO interessant genug, dass ich mir vorstellen könnte, ein ganzes Buch über dieses Genre und seine gesellschaftlichen, kulturellen, politischen Implikationen zu schreiben, filmästhetisch allerdings so spannend, dass ich den Plan gleich wieder verwerfe, und lieber weiter an meiner Allgemeinen Kulturgeschichte der Kohlrabi arbeite, meine Güte…