Orgasmo esotico - Mario Siciliano (1982)
Verfasst: Do 25. Jan 2018, 11:07
Originaltitel: Orgasmo Esotico
Produktionsland: Italien 1982
Regie: Mario Siciliano
Darsteller: Marina Hedman, Sonia Bennett, Giuseppe Curia, Fernando Arcangeli, Paolo Gramignano
Einen Orgasmo Esotico bitte, auf sizilianische Art!...
ORGASMO ESOTICO beginnt sowohl mit einer Sache, die bei einem Film dieses Titels zu erwarten gewesen ist, als auch mit einer, mit der ich persönlich nun nicht unbedingt gerechnet hätte. Erstere ist das explizite Liebesspiel zwischen Hauptdarstellerin Marina Lotar – (eigentlich: Marina Hedman, und ihres Zeichens schwedisches Model, ehemalige Diplomatengattin, sowie Schauspielerin in Horizontalfilmen, aber auch mit Minimalrollen besetzt in Werken von Federico Fellini und Dino Risi) – und ihrer intradiegetischen besseren Hälfte Giovanni, die es sich vorm knisternden Kamin ihres luxuriösen Prachtanwesens gutgehen lassen. Interessanter als das dann doch recht konventionelle, und wenig inspirierend abgefilmte Kopulieren der Beiden ist indes die Musik, die Mario Siciliano dazu einspielen lässt: Dass er sich große Teile des Scores von Joe D’Amatos ROSSO SANGUE ausgeliehen (oder gar stibitzt?) hat, führte in der Vergangenheit wohl hauptsächlich dazu, dass ORGASMO ESOTICO in diversen Quellen immer mal wieder als zumindest ko-dirigiert von Siciliancos das Horrorporno-Genre wesentlich inflationärer beackernden Kollegen geführt wurde – und dass später noch Takte aus mindestens einem anderen D’Amato-Vehikel (nämlich der himmelssüße Soundtrack Nico Fidencos für PORNO HOLOCAUST) erklingen, hat sicherlich ebenso seinen Teil zur Verwirrung beigetragen – (da im Vorspann allerdings Sicilianos Produktionsfirma Metheus als alleinfederführend aufgeführt wird, und sich die Darstellerriege aus Nasen zusammensetzt, die auch in anderen Fleischfilmen auftauchen, die Siciliano Anfang der 80er unter dem Pseudonym Lee Castle fabriziert hat, halte ich die These, D’Amato hätte seine Finger bei dieser Produktion im Spiel gehabt, für eher zweifelhaft – obwohl Maestro Massachessi ein derartig exzessiver Schlag in die Geschlechtsteile freilich durchaus zuzutrauen wäre.)
Kommen wir zurück zum faden Balztanz von Marina und Giovanni, der jäh durch Geisterbahngruseleffekte wie unheimlichen Geräuschen und flackernden Glühbirnen unterbrochen wird. Sonia Bennett, deren filmisches Wirken sich fast ausschließlich auf Siciliano-Pornos beschränkt, und die, wie Marina, der Einfachheit halber innerhalb der Film-Diegese den gleichen Vornamen trägt wie in der außerfilmischen Realität, wartet bereits draußen vor der Tür in sturmgepeitschter Nacht, um dem nach dem Rechten sehenden Giovanni einen Dolch in die Flanke zu rammen. Während Marinas Liebster sang- und klanglos verstirbt, wird uns mittels der Großaufnahme einer Schale mit Räucherzeug und einem hasserfüllten voice-over Sonias verdeutlicht, dass diese aus irgendwelchen Gründen Rachegelüste in Bezug auf das Ehepaar hegt, und diese nunmehr zusammen mit okkulten Kräften, die sie hierfür um Hilfe angerufen hat, in die Tat umsetzt. Für Marina bedeutet das konkret: Sie wird von Sonia attackiert, bekommt eine Spritze verabreicht, deren Inhalt wohl irgendein bewusstseinszersetzendes Aphrodisiakum sein soll, und sodann in lesbische Aktionen verwickelt, denen das Kamera-Auge gar nicht mehr von der Seite weichen möchte. Sonia ist übrigens nicht alleine gekommen, sondern hat Fernando Arcangeli (unter dem Pseudonym Mimi Losy) mitgebracht – ein Herr, der im italienischen Bahnhofskino der 70er und 80er ständig die Rolle der Vorzeigetunte verkörpert hat (unter anderem kann man ihn in D’Amatos SESSO NERO als Transvestit strippen sehen), und auch in ORGASMO ESOTICO nicht mit effeminiertem grotesken Gebaren geizt, das wie in einem Schmelztiegel so ziemlich alle Klischees amalgiert, die man Homosexuellen jemals angedichtet hat. In die sexuellen Handlungen von Sonia und Marina ist er allerdings nicht involviert, weshalb die Hexe, sich scheinbar nach männlicher Begattung sehnend, beschließt, dem unweit wohnenden Hausarzt der inzwischen mental vollkommen in ihrer Gewalt befindlichen Marina eine Audienz abzustatten. Da unsere Heldinnen dorthin zu Fuß aufbrechen, gibt das Kameramann Luigi Ciccarese (seine Meriten umfassen vor allem Bruno-Mattei-Meisterwerke wie LIBIDOMANIA oder CALIGULA ET MESSALINE) Gelegenheit, das wunderhübsche italienische Hinterland in seiner ganzen meditativen Schönheit in ansprechenden Bildkompositionen einzufangen, und Siciliano, seine Figuren einfach mal minutenlang dabei zu beobachten wie sie über Wiesen und Felder spazieren. Nach derartig elaborierter Ennui, die ein D’Amato tatsächlich auch nicht besser hinzuzaubern gewusst hätte, überstürzen sich die Ereignisse im Haus des Gynäkologen dann wiederum: Nach einer ménage-à-trois erschießt Sonia den Herrn Doktor ohne ersichtlichen Grund – einfach nur göttlich die vollkommen verwirrende, weil unübersichtliche Montage in dieser Szene! -, und schafft die Leiche sodann mit Marina zurück zu deren Anwesen, wo sie, während von der Tonspur verzerrte Krähenschreie krakeelen, in einem Brunnen versenkt wird.
Abb.1: Das Expliziste, was ich von den Fleischesfreuden vorliegenden Filmes an dieser Stelle zeigen darf - andererseits: weshalb sollte sich jemand freiwillig anschauen wollen, wie mehr oder minder attraktive Menschen in schlechter Ausleuchtung relativ standardisierte Sexposen miteinander ausprobieren?
Marina mag willenlos unter dem Bann von Sonias Hexenkünsten sein, ihr Gewissen regt sich aber doch wenigstens einmal kurz – oder zumindest interpretiere ich die nächste Szene so, in der sie sich plötzlich einem zombifizierten Giovanni gegenübersieht, der ihr einen gehörigen Schrecken mit der Aussicht einjagt, er sei von den Toten zurückgekehrt, um sie mit sich zu nehmen. Möglicherweise wäre das aber die bessere Alternative gewesen, denn als sie Sonia und deren side-kick Bruno von ihrer Begegnung der untoten Art erzählt, brennen bei denen offenbar sämtliche noch vorhandenen Sicherungen durch. Sonia drückt nicht nur brennende Zigaretten auf Marinas Körper aus – (dies sei die „Glut ihres Herzens“, heißt es in der mir vorliegenden deutschen Synchronfassung dazu) -, unsere Heldin wird außerdem auf einem Tisch fixiert und mit mehreren Dildos malträtiert: Einen stößt Bruno ihr unsanft zwischen die Beine, mit dem andern simuliert Sonia in ihrem Gesicht wüsten Oralverkehr – und der entwendete D’Amato-Score dröhnt darüber, als sollten etwaige Lustschreie schon im Keim erstickt werden. Giovannis zweite Existenz und Sonias BDSM-Affinitäten werden in der Folge übrigens vollkommen vergessen, wenn ORGASMO ESOTICO plötzlich zu Freunden von Marina und Giovanni wechselt, die unvermittelt in unserer Villa der Wollust aufkreuzen, und sich entschließen, da sie ihre Gastgeber nicht vorfinden, es erst einmal vor dem bekannten Kamin miteinander zu treiben. Sonia lässt nicht lange auf sich warten, und wie ein Maschengewehr schießt die Montage zwischen ihren hypnotischen Blicken und den erstaunten Gesichtern unseres Pärchens hin und her. Während dessen weiblicher Teil problemlos in die Schweinereien von Marina und Sonia integriert wird, nimmt es mit dem männlichen Part des Duos ein schlimmes Ende. Im Hof der Villa spielen Marina und Sonia zunächst „Stierkampf“ – (sprich: Eine von ihnen hält sich die Hände mit ausgestreckten Zeigefingern als Hörner gegen die Stirn und läuft auf die jeweils andere zu, die dann rechtzeitig ausweichen muss – ich habe nie ein spannenderes Gesellschaftsspiel kennengelernt!) -, während ihr neuer Gast ihnen dabei amüsiert grinsend zuschaut. Da man ihn am Rand des ebenfalls bereits bekannten Brunnens platziert hat, ist es natürlich ein Leichtes, ihn im Stier-Modus derart anzurempeln, dass er hintenüber in die Tiefe stürzt – (und das wiederum ist die genialste Idee, jemand Unliebsames um die Ecke zu bringen, die ich jemals gesehen habe!)
Einmal auf das Schema verfallen, zieht Siciliano es konsequent durch. Repetitiv wie die Sexszenen wird nun auch die Story, wenn nun ein weiteres heterosexuelles Pärchen das Gelände der Villa betritt. Diesmal handelt es sich indes nicht um Bekannte Marinas, sondern deren Eierfrau. Ihr Partner wartet am Hoftor, während die Dame nur schnell die Eier abgeben möchte. Allmählich wird die Zeit ihm lange. Er beginnt nach ihr zu rufen, berührt die Gatterstäbe – und die versengen ihm sofort die Hände, dass ihm das Fleisch brennt. Kurz darauf wird er von einem grässlichen Jucken befallen. Nackt umherspringend, nachdem er sich die Klamotten vom Leib gerissen hat, und als würden Millionen Flöhe ihn piesacken, vertreibt er sich die Zeit, die seine Freundin, inzwischen ebenfalls unter Sonias Allmacht geraten, zwangsweise nutzt, mit dieser, Marina und der Frau des Mannes, der im Brunnen hat enden müssen, ausgiebigen – und von Siciliano reichhaltig bebilderten – Geschlechtsverkehr abzuhalten. Diesmal ist Sonia gnädig: Beide, Männlein wie Weiblein, dürfen ihr Reich lebend verlassen, nachdem sie den einen genug gequält und die andere um genügend Körperflüssigkeiten erleichtert hat. „Das ganze Haus ist in meiner Hand!“, frohlockt die Schwarzmagierin. „Ich habe es verzaubert!“ Da sie nun schon einmal angefangen hat, Hausputz zu machen, muss jetzt auch die Frau des ersten Pärchens dranglauben. Die hat nämlich, für Sonias Begriffe, zu viel Zuneigung von Bruno erfahren, der sie zur Strafe verspeisen muss, nachdem Sonia sie lange genug im hauseigenen Bratofen hat garen lassen. (Nein, ich denke mir das alles wirklich nicht aus!)
Abb.2: Sicilianos Vorstellung eines "Zombies": Marinas Ehegatte kehrt aus dem Brunnengrab zurück, schaut böse - und wird vom Film dann schlicht vergessen...
Es wird Zeit für einen neuen Charakter, oder? Die junge Frau, die wir nun nicht vorgestellt, sondern einfach vorgesetzt bekommen, heißt Cindy, ist ebenfalls Marinas Freundin und wohnt in einem Großstadtappartement, wo sie Sonia – weshalb auch immer – anruft, und bittet, zu ihr und Marina in deren Landhaus zu kommen. Cindy leistet dem Ruf Folge, und tanzt erst einmal ausgiebig mit Bruno, als ginge es um ihr Leben. Dass es darum ginge, vermutet ihr Freund – weshalb auch immer -, der ihr gefolgt ist, und sich Zugang zur Villa verschafft, denn irgendwas ist ihm dort nicht ganz geheuer. Sonias Einflusssphäre, die das vielzimmerige Gebäude durchdringt wie die uferlose Emanation von etwas sehr Bösem und sehr Lüsternem, lässt Cindys Liebsten freilich nicht nur nicht ungeschoren, sondern hat für ihn ein besonders pikantes Detail in petto: Marina, die zwischenzeitlich von Sonia ebenfalls ermordet worden ist, wird von ihrer Gebieterin als Zombie reanimiert, und zur psychischen wie physischen Befriedigung Sonias dem neuen Mann im Haus als Sexspielzeug überantwortet. Bei Tagesanbruch aber wendet sich endlich das Blatt. Sonia, auf einmal ihrer übermenschlichen Kräfte beraubt, schafft es nicht, gegen Cindys Freund anzukommen, der sie rücklings auf ein Bett wirft, und zusammen mit seiner Freundin die Flucht ergreift. Der Körper der plötzlich metaphysisch kastrierten und reglos auf der Matratze liegenbleibenden Hexe verfällt allmählich in Schlaf, um, ohne dass ein Schnitt gesetzt worden wäre, gleich darauf wieder aus einem schlimmen Traum zu erwachen. Tatsächlich markiert diese Szene all die vorherigen Vorgänge als bloßen Wunsch- oder Alptraum Sonias, die wir nun als Hausmädchen der Villa wiederfinden. Marina und Giovanni behandeln sie wie ein Stück Dreck, und nur Bruno, der Hausknecht, ist ihr einziger Strohhalm in einem freudlosen Leben als Fußabtreter für die Oberschicht. Am Ende stehen wir dann wieder am Anfang: Marina und Giovanni erfreuen sich gegenseitig ihrer Körper, und Sonia schwört ihnen, bewaffnet mit ihrem Räucherschälchen, bittere Rache…
Dass Mario Siciliano, der durch seine Söldnerfilme, Italowestern und Kriegsspektakel seit Ende der 60er bewiesen hat, dass in ihm ein durchaus fähiger Regisseur mit einer Vorliebe für die eher härteren Stoffe steckt, ORGASMO ESOTICO primär konzipiert hat, um sein Publikum sexuell zu erregen, halte ich für äußerst zweifelhaft. Nicht nur sind die Sexszenen recht lieblos heruntergekurbelt, und verfügen nun nicht über irgendwelche nennenswerten Schauwerte, die man nicht auch bei einem kurzen Spaziergang durchs örtliche Laufhaus zu sehen bekommen könnte, zudem scheint es dem Beleuchter herzhaft egal gewesen sein, ob die Zuschauerschaft überhaupt etwas von den intimen Handlungen erkennen kann: Teilweise ist das Licht derart ungünstig gesetzt, dass ich Mühe habe, die Schluchten einer Vagina oder die Penetration eines Penis auszumachen – und wenn ich das nicht sehe, wieso wird dann überhaupt ein Film gedreht, der sich doch eigentlich hauptsächlich über seine vermeintlich stimulierenden Bilder definiert? Oder, halte ich inne, sollte man die Qualitäten von ORGASMO ESOTICO nicht ganz woanders suchen? Dass der Soundtrack Spaß macht, dafür kann Siciliano nichts, und genauso wenig dafür, dass die Landschaften außerhalb der Villa nun mal einfach hübsch anzusehen sind. Wofür er aber etwas kann, das ist die Geschichte, die ORGASMO ESOTICO erzählt. Trotz der zahllosen Ellipsen, die es teilweise schwermachen, der Handlung zu folgen, schälen sich an ihrem Ende dann doch einige Topoi heraus, die den Film in dichtere Verwandtschaft zu Sicilianos herben Anklagen gegen Rassismus, (Kriegs-)Gewalt und patriarchale Machtstrukturen wie SCORTICATELI VIVI! oder ROLF bringen, als man zunächst glauben möchte.
Abb.3: Da wird es selbst dem wandelnden Homosexuellen-Klischee des italienischen Bahnhofskinos Ende der 70er, Anfang der 80er zu viel: Fernando Arcangeli verschließt verschämt die Äuglein vor heißblütigem Sexualverkehr, während Botticellis Venus interessiert weiter hinguckt.
Sonia Bennet als dunkelhäutiges Hausmädchen leidet wie ein Hund unter dem Machtgefälle zwischen Herr und Knecht, dem sie ihr Brotherr und ihre Brotherrin Giovanni und Marina permanent aussetzen: Sie wird beleidigt, schikaniert, herumkommandiert, und naturgemäß wächst in ihr ein grenzenloser Hass nicht nur auf ihre Unterdrücker, sondern auch die gesamte Herrscherklasse und ihre mannigfaltigen Repräsentationen, dem sie in ihrem Traum zügellosen Lauf gelassen hat. Siciliano konnotiert die gesellschaftliche Oberschicht zwar nicht plakativ als dezidiert maskulin, zerteilt die machtdiskursive Hoheit stattdessen in Form Marinas und Giovannis in zwei gleichgroße (und gleichberechtigte) Hälften, bindet dafür aber Sonias Rache deutlich an eine Dichotomie zwischen rational ausgeübter Macht auf der einen, und ursprünglicher Macht auf der andern. Freilich kann man den Umstand, dass Sonia offenbar allein ihre Hautfarbe dazu prädestiniert, eine Art Voodoo-Ritual zu vollführen, als eine Fortschreibung kolonialistischer Signifikationsmuster lesen – allerdings wird gerade dadurch, dass all der übersinnliche Hokuspokus letztlich als bloßer Traum Sonias decodiert wird, der Fokus darauf gelegt, dass für das gemarterte Hausmädchen all die wirren Sex- und Gewalt-Phantasien, die sie nachts im stillen Kämmerlein hegt, nur ein Ventil für ihre unterschwelligen Aggressionen sind, sprich: Sonia selbst ist es, die sich in ihren Träumen mit einer schwarzmagischen Voodoo-Priesterin identifiziert, die über Leben und Tod bestimmt, und im Notfall auch schon mal Tote ins Leben zurückholen kann. Gewissermaßen wird ORGASMO ESOTICO dadurch aber ein Film über die Macht der Träume und, wenn man so will, die verführerische Magie des Kinos. Während die dunkelhäutigen Figuren in Sicilianos Söldnerfilmen in die Opferrolle gedrängt werden, und dort verbleiben – (die Studenten in der nubischen Ruinenstadt in SCORTICATELI VIVI! oder die wehrlosen, als Tontauben dienende Kinder in ROLF) –, gelingt Sonia, wenigstens imaginär, die Flucht aus ihrem besseren Sklavendasein. Dass Siciliano ihren phantasmagorischen Fluchtversuchen einen ganzen Film widmet – (und außerdem als ihren Leidensgenossen einen Mann wählt, den seine sexuelle Ausrichtung zum Paria der Gesellschaft macht) -, ist, wie ich finde, ein durchaus kluger politischer Kommentar, so wie die Wahl der Opfer und ihrer Schicksale: Während die Eierfrau als Vertreterin des Proletariats mit heiler Haut davonkommt, durchschlägt die frauenärztliche Brust eine Kugel.
Auch fernab solcher politischen Implikationen, die bei einem Feingeist wie Siciliano sicher kein Zufall sind, ist es faszinierend, wie ORGASMO ESOTICO mich zwingt, ihn von seinem Schluss her zu entschlüsseln – ein bisschen so wie bei David Lynchs MULHOLLAND DRIVE (oder besser: meiner persönlichen Lesart von David Lynchs MULHOLLAND DRIVE), dessen langes erstes Segment aus meiner Sicht ebenfalls einen Traum darstellt, dem dann im kürzeren zweiten Segment die Realität derjenigen gegenübergestellt wird, die ihn geträumt hat. All die Kopulationen, die sinn- und ziellosen Tötungsszenen, die zyklische Struktur des Films muss man vielleicht weniger als defizitäre Drehbuchstruktur begreifen, sondern als bewusst so konzipierte Ausgeburten einer schlafenden, und zudem stark in Mitleidenschaft gezogenen Psyche, für die sie die einzige Möglichkeit darstellen, der ansonsten unerträglichen Wirklichkeit die Stirn zu bieten. Wie MULHOLLAND DRIVE müsste man ORGASMO ESOTICO deshalb mehrmals sehen, und am besten in Begleitung einer psychoanalytischen Fachperson, die möglicherweise noch mehr intelligente Querverbindungen dort zu entdecken weiß, wo für mich bislang nur chaotischer Bildersalat herrscht.
Klar ist für mich allerdings jetzt schon: ORGASMO ESOTICO ist vieles zugleich – ein Bericht über die Brüchigkeit etablierter Herrschaftsstrukturen im Zeitalter gesellschaftlicher Umwälzungen / eine satirische Aufarbeitung der italienischen Kolonialgeschichte im Gewand eines entrückten Schmuddelhorrors / der preisgünstige Versuch, surrealistisch-psychoanalytische Traumlogik(en) in bewegte Bilder zu übersetzen, und dadurch eine ganz eigenwillige, eigenartige, manchmal betörende, manchmal abstoßende Poesie zu schaffen -, jedoch eins sicher ganz bestimmt nicht: Ein Film, den man sich anschauen sollte, wenn sich das Geschlechtsorgan pulsierend meldet. Oder, um auf meine originelle Cocktail-Metapher vom Anfang zurückzukommen, und sie bis zum Erbrechen auszureizen: Wäre ORGASMO ESOTICO ein Drink, dann hätte man Probleme, ihn abends in der Bar seines Vertrauens überhaupt die Kehle hinunterzubekommen, doch wenn man morgens verkatert in einem Stundenhotelbett zu sich kommt, lernt man auf einmal, seine Qualitäten zu schätzen…
ORGASMO ESOTICO beginnt sowohl mit einer Sache, die bei einem Film dieses Titels zu erwarten gewesen ist, als auch mit einer, mit der ich persönlich nun nicht unbedingt gerechnet hätte. Erstere ist das explizite Liebesspiel zwischen Hauptdarstellerin Marina Lotar – (eigentlich: Marina Hedman, und ihres Zeichens schwedisches Model, ehemalige Diplomatengattin, sowie Schauspielerin in Horizontalfilmen, aber auch mit Minimalrollen besetzt in Werken von Federico Fellini und Dino Risi) – und ihrer intradiegetischen besseren Hälfte Giovanni, die es sich vorm knisternden Kamin ihres luxuriösen Prachtanwesens gutgehen lassen. Interessanter als das dann doch recht konventionelle, und wenig inspirierend abgefilmte Kopulieren der Beiden ist indes die Musik, die Mario Siciliano dazu einspielen lässt: Dass er sich große Teile des Scores von Joe D’Amatos ROSSO SANGUE ausgeliehen (oder gar stibitzt?) hat, führte in der Vergangenheit wohl hauptsächlich dazu, dass ORGASMO ESOTICO in diversen Quellen immer mal wieder als zumindest ko-dirigiert von Siciliancos das Horrorporno-Genre wesentlich inflationärer beackernden Kollegen geführt wurde – und dass später noch Takte aus mindestens einem anderen D’Amato-Vehikel (nämlich der himmelssüße Soundtrack Nico Fidencos für PORNO HOLOCAUST) erklingen, hat sicherlich ebenso seinen Teil zur Verwirrung beigetragen – (da im Vorspann allerdings Sicilianos Produktionsfirma Metheus als alleinfederführend aufgeführt wird, und sich die Darstellerriege aus Nasen zusammensetzt, die auch in anderen Fleischfilmen auftauchen, die Siciliano Anfang der 80er unter dem Pseudonym Lee Castle fabriziert hat, halte ich die These, D’Amato hätte seine Finger bei dieser Produktion im Spiel gehabt, für eher zweifelhaft – obwohl Maestro Massachessi ein derartig exzessiver Schlag in die Geschlechtsteile freilich durchaus zuzutrauen wäre.)
Kommen wir zurück zum faden Balztanz von Marina und Giovanni, der jäh durch Geisterbahngruseleffekte wie unheimlichen Geräuschen und flackernden Glühbirnen unterbrochen wird. Sonia Bennett, deren filmisches Wirken sich fast ausschließlich auf Siciliano-Pornos beschränkt, und die, wie Marina, der Einfachheit halber innerhalb der Film-Diegese den gleichen Vornamen trägt wie in der außerfilmischen Realität, wartet bereits draußen vor der Tür in sturmgepeitschter Nacht, um dem nach dem Rechten sehenden Giovanni einen Dolch in die Flanke zu rammen. Während Marinas Liebster sang- und klanglos verstirbt, wird uns mittels der Großaufnahme einer Schale mit Räucherzeug und einem hasserfüllten voice-over Sonias verdeutlicht, dass diese aus irgendwelchen Gründen Rachegelüste in Bezug auf das Ehepaar hegt, und diese nunmehr zusammen mit okkulten Kräften, die sie hierfür um Hilfe angerufen hat, in die Tat umsetzt. Für Marina bedeutet das konkret: Sie wird von Sonia attackiert, bekommt eine Spritze verabreicht, deren Inhalt wohl irgendein bewusstseinszersetzendes Aphrodisiakum sein soll, und sodann in lesbische Aktionen verwickelt, denen das Kamera-Auge gar nicht mehr von der Seite weichen möchte. Sonia ist übrigens nicht alleine gekommen, sondern hat Fernando Arcangeli (unter dem Pseudonym Mimi Losy) mitgebracht – ein Herr, der im italienischen Bahnhofskino der 70er und 80er ständig die Rolle der Vorzeigetunte verkörpert hat (unter anderem kann man ihn in D’Amatos SESSO NERO als Transvestit strippen sehen), und auch in ORGASMO ESOTICO nicht mit effeminiertem grotesken Gebaren geizt, das wie in einem Schmelztiegel so ziemlich alle Klischees amalgiert, die man Homosexuellen jemals angedichtet hat. In die sexuellen Handlungen von Sonia und Marina ist er allerdings nicht involviert, weshalb die Hexe, sich scheinbar nach männlicher Begattung sehnend, beschließt, dem unweit wohnenden Hausarzt der inzwischen mental vollkommen in ihrer Gewalt befindlichen Marina eine Audienz abzustatten. Da unsere Heldinnen dorthin zu Fuß aufbrechen, gibt das Kameramann Luigi Ciccarese (seine Meriten umfassen vor allem Bruno-Mattei-Meisterwerke wie LIBIDOMANIA oder CALIGULA ET MESSALINE) Gelegenheit, das wunderhübsche italienische Hinterland in seiner ganzen meditativen Schönheit in ansprechenden Bildkompositionen einzufangen, und Siciliano, seine Figuren einfach mal minutenlang dabei zu beobachten wie sie über Wiesen und Felder spazieren. Nach derartig elaborierter Ennui, die ein D’Amato tatsächlich auch nicht besser hinzuzaubern gewusst hätte, überstürzen sich die Ereignisse im Haus des Gynäkologen dann wiederum: Nach einer ménage-à-trois erschießt Sonia den Herrn Doktor ohne ersichtlichen Grund – einfach nur göttlich die vollkommen verwirrende, weil unübersichtliche Montage in dieser Szene! -, und schafft die Leiche sodann mit Marina zurück zu deren Anwesen, wo sie, während von der Tonspur verzerrte Krähenschreie krakeelen, in einem Brunnen versenkt wird.
Abb.1: Das Expliziste, was ich von den Fleischesfreuden vorliegenden Filmes an dieser Stelle zeigen darf - andererseits: weshalb sollte sich jemand freiwillig anschauen wollen, wie mehr oder minder attraktive Menschen in schlechter Ausleuchtung relativ standardisierte Sexposen miteinander ausprobieren?
Marina mag willenlos unter dem Bann von Sonias Hexenkünsten sein, ihr Gewissen regt sich aber doch wenigstens einmal kurz – oder zumindest interpretiere ich die nächste Szene so, in der sie sich plötzlich einem zombifizierten Giovanni gegenübersieht, der ihr einen gehörigen Schrecken mit der Aussicht einjagt, er sei von den Toten zurückgekehrt, um sie mit sich zu nehmen. Möglicherweise wäre das aber die bessere Alternative gewesen, denn als sie Sonia und deren side-kick Bruno von ihrer Begegnung der untoten Art erzählt, brennen bei denen offenbar sämtliche noch vorhandenen Sicherungen durch. Sonia drückt nicht nur brennende Zigaretten auf Marinas Körper aus – (dies sei die „Glut ihres Herzens“, heißt es in der mir vorliegenden deutschen Synchronfassung dazu) -, unsere Heldin wird außerdem auf einem Tisch fixiert und mit mehreren Dildos malträtiert: Einen stößt Bruno ihr unsanft zwischen die Beine, mit dem andern simuliert Sonia in ihrem Gesicht wüsten Oralverkehr – und der entwendete D’Amato-Score dröhnt darüber, als sollten etwaige Lustschreie schon im Keim erstickt werden. Giovannis zweite Existenz und Sonias BDSM-Affinitäten werden in der Folge übrigens vollkommen vergessen, wenn ORGASMO ESOTICO plötzlich zu Freunden von Marina und Giovanni wechselt, die unvermittelt in unserer Villa der Wollust aufkreuzen, und sich entschließen, da sie ihre Gastgeber nicht vorfinden, es erst einmal vor dem bekannten Kamin miteinander zu treiben. Sonia lässt nicht lange auf sich warten, und wie ein Maschengewehr schießt die Montage zwischen ihren hypnotischen Blicken und den erstaunten Gesichtern unseres Pärchens hin und her. Während dessen weiblicher Teil problemlos in die Schweinereien von Marina und Sonia integriert wird, nimmt es mit dem männlichen Part des Duos ein schlimmes Ende. Im Hof der Villa spielen Marina und Sonia zunächst „Stierkampf“ – (sprich: Eine von ihnen hält sich die Hände mit ausgestreckten Zeigefingern als Hörner gegen die Stirn und läuft auf die jeweils andere zu, die dann rechtzeitig ausweichen muss – ich habe nie ein spannenderes Gesellschaftsspiel kennengelernt!) -, während ihr neuer Gast ihnen dabei amüsiert grinsend zuschaut. Da man ihn am Rand des ebenfalls bereits bekannten Brunnens platziert hat, ist es natürlich ein Leichtes, ihn im Stier-Modus derart anzurempeln, dass er hintenüber in die Tiefe stürzt – (und das wiederum ist die genialste Idee, jemand Unliebsames um die Ecke zu bringen, die ich jemals gesehen habe!)
Einmal auf das Schema verfallen, zieht Siciliano es konsequent durch. Repetitiv wie die Sexszenen wird nun auch die Story, wenn nun ein weiteres heterosexuelles Pärchen das Gelände der Villa betritt. Diesmal handelt es sich indes nicht um Bekannte Marinas, sondern deren Eierfrau. Ihr Partner wartet am Hoftor, während die Dame nur schnell die Eier abgeben möchte. Allmählich wird die Zeit ihm lange. Er beginnt nach ihr zu rufen, berührt die Gatterstäbe – und die versengen ihm sofort die Hände, dass ihm das Fleisch brennt. Kurz darauf wird er von einem grässlichen Jucken befallen. Nackt umherspringend, nachdem er sich die Klamotten vom Leib gerissen hat, und als würden Millionen Flöhe ihn piesacken, vertreibt er sich die Zeit, die seine Freundin, inzwischen ebenfalls unter Sonias Allmacht geraten, zwangsweise nutzt, mit dieser, Marina und der Frau des Mannes, der im Brunnen hat enden müssen, ausgiebigen – und von Siciliano reichhaltig bebilderten – Geschlechtsverkehr abzuhalten. Diesmal ist Sonia gnädig: Beide, Männlein wie Weiblein, dürfen ihr Reich lebend verlassen, nachdem sie den einen genug gequält und die andere um genügend Körperflüssigkeiten erleichtert hat. „Das ganze Haus ist in meiner Hand!“, frohlockt die Schwarzmagierin. „Ich habe es verzaubert!“ Da sie nun schon einmal angefangen hat, Hausputz zu machen, muss jetzt auch die Frau des ersten Pärchens dranglauben. Die hat nämlich, für Sonias Begriffe, zu viel Zuneigung von Bruno erfahren, der sie zur Strafe verspeisen muss, nachdem Sonia sie lange genug im hauseigenen Bratofen hat garen lassen. (Nein, ich denke mir das alles wirklich nicht aus!)
Abb.2: Sicilianos Vorstellung eines "Zombies": Marinas Ehegatte kehrt aus dem Brunnengrab zurück, schaut böse - und wird vom Film dann schlicht vergessen...
Es wird Zeit für einen neuen Charakter, oder? Die junge Frau, die wir nun nicht vorgestellt, sondern einfach vorgesetzt bekommen, heißt Cindy, ist ebenfalls Marinas Freundin und wohnt in einem Großstadtappartement, wo sie Sonia – weshalb auch immer – anruft, und bittet, zu ihr und Marina in deren Landhaus zu kommen. Cindy leistet dem Ruf Folge, und tanzt erst einmal ausgiebig mit Bruno, als ginge es um ihr Leben. Dass es darum ginge, vermutet ihr Freund – weshalb auch immer -, der ihr gefolgt ist, und sich Zugang zur Villa verschafft, denn irgendwas ist ihm dort nicht ganz geheuer. Sonias Einflusssphäre, die das vielzimmerige Gebäude durchdringt wie die uferlose Emanation von etwas sehr Bösem und sehr Lüsternem, lässt Cindys Liebsten freilich nicht nur nicht ungeschoren, sondern hat für ihn ein besonders pikantes Detail in petto: Marina, die zwischenzeitlich von Sonia ebenfalls ermordet worden ist, wird von ihrer Gebieterin als Zombie reanimiert, und zur psychischen wie physischen Befriedigung Sonias dem neuen Mann im Haus als Sexspielzeug überantwortet. Bei Tagesanbruch aber wendet sich endlich das Blatt. Sonia, auf einmal ihrer übermenschlichen Kräfte beraubt, schafft es nicht, gegen Cindys Freund anzukommen, der sie rücklings auf ein Bett wirft, und zusammen mit seiner Freundin die Flucht ergreift. Der Körper der plötzlich metaphysisch kastrierten und reglos auf der Matratze liegenbleibenden Hexe verfällt allmählich in Schlaf, um, ohne dass ein Schnitt gesetzt worden wäre, gleich darauf wieder aus einem schlimmen Traum zu erwachen. Tatsächlich markiert diese Szene all die vorherigen Vorgänge als bloßen Wunsch- oder Alptraum Sonias, die wir nun als Hausmädchen der Villa wiederfinden. Marina und Giovanni behandeln sie wie ein Stück Dreck, und nur Bruno, der Hausknecht, ist ihr einziger Strohhalm in einem freudlosen Leben als Fußabtreter für die Oberschicht. Am Ende stehen wir dann wieder am Anfang: Marina und Giovanni erfreuen sich gegenseitig ihrer Körper, und Sonia schwört ihnen, bewaffnet mit ihrem Räucherschälchen, bittere Rache…
Dass Mario Siciliano, der durch seine Söldnerfilme, Italowestern und Kriegsspektakel seit Ende der 60er bewiesen hat, dass in ihm ein durchaus fähiger Regisseur mit einer Vorliebe für die eher härteren Stoffe steckt, ORGASMO ESOTICO primär konzipiert hat, um sein Publikum sexuell zu erregen, halte ich für äußerst zweifelhaft. Nicht nur sind die Sexszenen recht lieblos heruntergekurbelt, und verfügen nun nicht über irgendwelche nennenswerten Schauwerte, die man nicht auch bei einem kurzen Spaziergang durchs örtliche Laufhaus zu sehen bekommen könnte, zudem scheint es dem Beleuchter herzhaft egal gewesen sein, ob die Zuschauerschaft überhaupt etwas von den intimen Handlungen erkennen kann: Teilweise ist das Licht derart ungünstig gesetzt, dass ich Mühe habe, die Schluchten einer Vagina oder die Penetration eines Penis auszumachen – und wenn ich das nicht sehe, wieso wird dann überhaupt ein Film gedreht, der sich doch eigentlich hauptsächlich über seine vermeintlich stimulierenden Bilder definiert? Oder, halte ich inne, sollte man die Qualitäten von ORGASMO ESOTICO nicht ganz woanders suchen? Dass der Soundtrack Spaß macht, dafür kann Siciliano nichts, und genauso wenig dafür, dass die Landschaften außerhalb der Villa nun mal einfach hübsch anzusehen sind. Wofür er aber etwas kann, das ist die Geschichte, die ORGASMO ESOTICO erzählt. Trotz der zahllosen Ellipsen, die es teilweise schwermachen, der Handlung zu folgen, schälen sich an ihrem Ende dann doch einige Topoi heraus, die den Film in dichtere Verwandtschaft zu Sicilianos herben Anklagen gegen Rassismus, (Kriegs-)Gewalt und patriarchale Machtstrukturen wie SCORTICATELI VIVI! oder ROLF bringen, als man zunächst glauben möchte.
Abb.3: Da wird es selbst dem wandelnden Homosexuellen-Klischee des italienischen Bahnhofskinos Ende der 70er, Anfang der 80er zu viel: Fernando Arcangeli verschließt verschämt die Äuglein vor heißblütigem Sexualverkehr, während Botticellis Venus interessiert weiter hinguckt.
Sonia Bennet als dunkelhäutiges Hausmädchen leidet wie ein Hund unter dem Machtgefälle zwischen Herr und Knecht, dem sie ihr Brotherr und ihre Brotherrin Giovanni und Marina permanent aussetzen: Sie wird beleidigt, schikaniert, herumkommandiert, und naturgemäß wächst in ihr ein grenzenloser Hass nicht nur auf ihre Unterdrücker, sondern auch die gesamte Herrscherklasse und ihre mannigfaltigen Repräsentationen, dem sie in ihrem Traum zügellosen Lauf gelassen hat. Siciliano konnotiert die gesellschaftliche Oberschicht zwar nicht plakativ als dezidiert maskulin, zerteilt die machtdiskursive Hoheit stattdessen in Form Marinas und Giovannis in zwei gleichgroße (und gleichberechtigte) Hälften, bindet dafür aber Sonias Rache deutlich an eine Dichotomie zwischen rational ausgeübter Macht auf der einen, und ursprünglicher Macht auf der andern. Freilich kann man den Umstand, dass Sonia offenbar allein ihre Hautfarbe dazu prädestiniert, eine Art Voodoo-Ritual zu vollführen, als eine Fortschreibung kolonialistischer Signifikationsmuster lesen – allerdings wird gerade dadurch, dass all der übersinnliche Hokuspokus letztlich als bloßer Traum Sonias decodiert wird, der Fokus darauf gelegt, dass für das gemarterte Hausmädchen all die wirren Sex- und Gewalt-Phantasien, die sie nachts im stillen Kämmerlein hegt, nur ein Ventil für ihre unterschwelligen Aggressionen sind, sprich: Sonia selbst ist es, die sich in ihren Träumen mit einer schwarzmagischen Voodoo-Priesterin identifiziert, die über Leben und Tod bestimmt, und im Notfall auch schon mal Tote ins Leben zurückholen kann. Gewissermaßen wird ORGASMO ESOTICO dadurch aber ein Film über die Macht der Träume und, wenn man so will, die verführerische Magie des Kinos. Während die dunkelhäutigen Figuren in Sicilianos Söldnerfilmen in die Opferrolle gedrängt werden, und dort verbleiben – (die Studenten in der nubischen Ruinenstadt in SCORTICATELI VIVI! oder die wehrlosen, als Tontauben dienende Kinder in ROLF) –, gelingt Sonia, wenigstens imaginär, die Flucht aus ihrem besseren Sklavendasein. Dass Siciliano ihren phantasmagorischen Fluchtversuchen einen ganzen Film widmet – (und außerdem als ihren Leidensgenossen einen Mann wählt, den seine sexuelle Ausrichtung zum Paria der Gesellschaft macht) -, ist, wie ich finde, ein durchaus kluger politischer Kommentar, so wie die Wahl der Opfer und ihrer Schicksale: Während die Eierfrau als Vertreterin des Proletariats mit heiler Haut davonkommt, durchschlägt die frauenärztliche Brust eine Kugel.
Auch fernab solcher politischen Implikationen, die bei einem Feingeist wie Siciliano sicher kein Zufall sind, ist es faszinierend, wie ORGASMO ESOTICO mich zwingt, ihn von seinem Schluss her zu entschlüsseln – ein bisschen so wie bei David Lynchs MULHOLLAND DRIVE (oder besser: meiner persönlichen Lesart von David Lynchs MULHOLLAND DRIVE), dessen langes erstes Segment aus meiner Sicht ebenfalls einen Traum darstellt, dem dann im kürzeren zweiten Segment die Realität derjenigen gegenübergestellt wird, die ihn geträumt hat. All die Kopulationen, die sinn- und ziellosen Tötungsszenen, die zyklische Struktur des Films muss man vielleicht weniger als defizitäre Drehbuchstruktur begreifen, sondern als bewusst so konzipierte Ausgeburten einer schlafenden, und zudem stark in Mitleidenschaft gezogenen Psyche, für die sie die einzige Möglichkeit darstellen, der ansonsten unerträglichen Wirklichkeit die Stirn zu bieten. Wie MULHOLLAND DRIVE müsste man ORGASMO ESOTICO deshalb mehrmals sehen, und am besten in Begleitung einer psychoanalytischen Fachperson, die möglicherweise noch mehr intelligente Querverbindungen dort zu entdecken weiß, wo für mich bislang nur chaotischer Bildersalat herrscht.
Klar ist für mich allerdings jetzt schon: ORGASMO ESOTICO ist vieles zugleich – ein Bericht über die Brüchigkeit etablierter Herrschaftsstrukturen im Zeitalter gesellschaftlicher Umwälzungen / eine satirische Aufarbeitung der italienischen Kolonialgeschichte im Gewand eines entrückten Schmuddelhorrors / der preisgünstige Versuch, surrealistisch-psychoanalytische Traumlogik(en) in bewegte Bilder zu übersetzen, und dadurch eine ganz eigenwillige, eigenartige, manchmal betörende, manchmal abstoßende Poesie zu schaffen -, jedoch eins sicher ganz bestimmt nicht: Ein Film, den man sich anschauen sollte, wenn sich das Geschlechtsorgan pulsierend meldet. Oder, um auf meine originelle Cocktail-Metapher vom Anfang zurückzukommen, und sie bis zum Erbrechen auszureizen: Wäre ORGASMO ESOTICO ein Drink, dann hätte man Probleme, ihn abends in der Bar seines Vertrauens überhaupt die Kehle hinunterzubekommen, doch wenn man morgens verkatert in einem Stundenhotelbett zu sich kommt, lernt man auf einmal, seine Qualitäten zu schätzen…