Biggi - Eine Ausreisserin - Charles Köhn (1980)
Verfasst: So 18. Mär 2018, 21:48
Originaltitel: Biggi - Eine Ausreisserin
Produktionsland: Deutschland 1980
Regie: Charles Köhn
Darsteller: Karin Hilges, Petra Dyrthen, Rainer Abendroth
Produktionsland: Deutschland 1980
Regie: Charles Köhn
Darsteller: Karin Hilges, Petra Dyrthen, Rainer Abendroth
Abt. Der Haus- und Hof-Dichter Delirias II
…und weiter geht das Suhlen im mir vom ehrenwerten Canisisus bereitgestellten Schlamm. Bevor ich mich den angepriesenen Filetstücken, zwei Filmen Pierre Chevaliers, zuwende, schaue ich zunächst einmal einer gewissen Biggi dabei zu, wie sie aus dem erdrückenden Elternhaus ausbüxt, sich mit ihrer besten Freundin Anita als Hobby-Hure verdingt, und am Ende doch ihren Traumprinzen findet.
Das Motiv ist alt wie die Pornographie selbst. Blutjunge Mädchen-Duos, die zum Beispiel dem Klosterleben entfliehen, dessen Enge sie gegen den eigenen Willen ausgeliefert worden sind, um in der weiten Welt allerhand pikante Abenteuer zu erleben, lassen sich beispielweise schon in schlüpfrigen Klassikern wie DIE VERLIEBTEN NONNEN, ODER DIE LIEBE IN DEN KLÖSTERN des Marquis d’Argens von 1748 ausfindig machen, und gehören seither zum festen Bestandteil einer durchaus pädagogisch motivierten Literatur, die einerseits dem Leser durch anschauliche Schilderungen sexuellen Genuss verschaffen möchte, andererseits aber, wie im Falle des erwähnten Marquis, aus dem Geist der europäischen Aufklärung heraus an einer Liberalisierung der Gesellschaft arbeitet: Hand anlegen soll ich, wenn ich die entsprechende (historisch wie schriftstellerisch) erste Garde der Porno-Literatur des achtzehnten Jahrhunderts wie de Latouche, Mirabeau oder de Nerciat lese, nicht nur an mein pulsierendes Geschlechtsteil, sondern – mal mehr, mal weniger stark intendiert – an meinen Verstand, um ihn Ideen wie dem Atheismus, der Stände- und Geschlechtergleichheit, oder der Relativität sämtlicher überlieferter Wertvorstellungen zu öffnen. Auch BIGGI – EINE AUSSREISSERIN des deutschen Regisseurs Charles Köhn, der außerhalb dieses einen Films offenbar bloß noch ein Schaf namens LEHRJAHRE EINES TEENAGERS gerissen hat, ist dieses Moment immanent eingeschrieben: Biggi und Anita, das sind keine psychologisch ausgefeilte Figuren, sondern wandelnde Zitate, die überdeutlich den skizzierten narrativ-motivischen Ballast der, um mit Foucalt zu sprechen, abendländischen "scientia sexualis" auf ihren schmächtigen Schultern tragen. Großartig bringt das die Eröffnungsszene auf den Punkt, die mich nicht nur mit den schrillsten Synthie-Sounds, die ich seit langem gehört habe, empfängt, sondern auch das Fahrwasser relativ genau abschöpft, in dem der Film für seine knapp achtzig Minuten schaukeln wird. „Ich bin abgehauen!“, erklärt die quietschfidele Biggi ihrer Freundin. „Wie toll!“, ruft diese aus. Alles ist ausgesprochen, obwohl nichts gesagt wurde. Die Revolte gegen kleinbürgerliche Spießigkeit scheint so natürlich wie die Luft, die einen umgibt. Nein, es ist schon von der ersten Filmminute an unmissverständlich klar: Für die beiden Mädchen, die das Drehbuch wohl jünger denkt als die eigentlichen Darstellerinnen tatsächlich sind, geht es nun ab in die „große Fickfreiheit!“
Wie diese Köhn sich imaginiert, nageln (im wahrsten Wortsinn) die folgenden fünf Minuten derart paradigmatisch fest, dass sie stellvertretend für den gesamten Film stehen können. Das soundtechnische Konzept von BIGGI erweist sich so simpel wie effektiv: Offenbar hat Köhn seinen Streifen als Stummfilm heruntergekurbelt – wenn überhaupt, dann höchstens mit äußerst rudimentären Anweisungen an seine zeigefreudigen Laien, dass sie ihre Münder so zu bewegen haben, als würden sie gerade miteinander sprechen. In der Postsynchronisation wurde dem Film dann nicht nur ein quicklebendiger Soundtrack aus Handclaps, stimmlicher Lautmalerei und groovigen Bassläufen hinzuaddiert, sondern vor allem Dialogen, die zwar selten kongruent mit den zu sehenden Lippenbewegungen sind, aber dafür kübelweise mit zitierfähigen Sätzen aufwarten – sofern man sie denn im richtigen Milieu an den richtigen Mann oder die richtige Frau bringt. Als erste Station landen Biggi und Anita, nachdem sie bei mehreren Autofahrern, denen sie sich als Anhalterinnen aufzwingen wollten, abgeblitzt sind („Nichts zu ficken! So eine Scheiße! War bestimmt ein ganz Schwuler!“), bei einem übergewichtigen, kleingliedrigen Industriellen, dessen Villa offenkundig offen für jeden steht, der sich in ihr fleischlich vergnügen möchte. Noch in seiner Luxuskarosse geht unser Duo Infernale dem „geilen Opi“ an die Eier, während Chauffeur Joe die expliziten Vorgänge als eine Art griechischer Chor kommentiert, in späteren Szenen dazu singt, oder hilfreiche Anweisungen erteilt („Gebt eure Sachen her, ihr Micky-Mäuse!") Im Anwesen des Industriellen nämlich angelangt, offeriert Köhn uns eine ausgewalzte Sex-Orgie, zu der noch zwei Punk-Girls und einige Mannsbilder stoßen, die wie selbstverständlich beim Herr Direktor ein- und ausgehen, und damit ein Handlungsmuster festigen, das man auch aus vielen Alpha-France-Pornos der damaligen Zeit kennt: Im Wendekreis des Sexus erweisen sich etablierte Kategorien wie Rasse, Geschlecht und vor allem Klasse als völlig obsolet, und die freie, ungezügelte Fleischeslust wird zur frei flottierenden Geschäftsform zwischen Körpern, deren Grenzen zueinander fließen sind. Auch in BIGGI verliert man als Rezipient schnell den Überblick, wer da eigentlich mit wem und warum. Es ist allerdings auch überhaupt nicht wichtig, ihn zu behalten. Wesentlich mehr Wert legt Köhn auf lyrische Kleinode wie folgendes, das irgendeine Frau zu Anita oder Biggi, die ich zu diesem Zeitpunkt bereits kaum noch auseinanderhalten kann, säuselt: „Reiß mir die Schamlappen richtig auf, streck Deine Zunge bis zur Gebärmutter rein, und lass meinen Lustgeifer in Dein freches, verkommenes Teenie-Maul fließen!“
Allein diese derangierte, an Tourette-Syndrom leidende, maschinengewehrartig über meine unschuldigen Ohren hinwegrollende Post-Synchro ist, wie man aus den obigen Beispielen schon ersieht, ein Erlebnis, mit dem die dann doch eher unattraktiven, statischen, schmucklosen Bilder nicht mithalten können. Auch auf die Gefahr, mich zu wiederholen – denn im Grunde schreibe ich das in letzter Zeit zu jedem Porno, den ich rezensiere [weshalb rezensiere ich in letzter Zeit eigentlich so viele Pornos?!]: Sexuell anreizend oder gar milde erotisch ist in BIGGI – im Gegensatz zu manchem der weiter oben erwähnten Romanklassiker – keine einzige Szene, schon eher muss man die visuellen Qualitäten des Films darin suchen, dass er Sexualität auf inhaltlicher Ebene zwar (zumindest in der ersten Hälfte) als positiven Gegenentwurf zum negativ konnotierten westlichen Spätkapitalismus als eine Ökonomie der Körper entwirft, andererseits aber alles dafür tut, diese kopulierenden Körper mir so unästhetisch wie möglich vor Augen zu führen. Auch das ist eine Frage, die ich mir nicht zum ersten Mal im Leben stelle: Wer bitte wird denn davon in irgendeiner wollüstigen Weise affiziert, wenn durchschnittlich ausschauende Menschen stumpf vor einer Kameralinse es miteinander treiben, ohne dass irgendein technisch-ästhetisches Ornament das basale Balzen irgendwie über seine bloße Physis hinaus transzendieren würde. Allerdings hat Köhn dann doch einige eigenwillige Szenen im Gepäck, die einen wahlweise entweder zutiefst verstören, abstoßen oder aufgrund ihrer schlichten Surrealität (wie in meinem Fall) faszinieren. Der Penis von Butler Joe hüpft munter in die Höhe, und die Tonspur suggeriert, er selbst sei es, der wie von Sinnen an einem Stück „Ficken! Ficken! Ficken!“ krakeelt. Später hat man einem andern Glied eine Brille aufgesetzt, und lässt es Obszönitäten ausstoßen. Zitiert werden in BIGGI außerdem mindestens zwei Filmklassiker: Wie in Antonionis BLOW UP wälzen sich in einer Szene mehrere nackte Leiber in Farbe auf Leinwänden, und wie in Kubricks CLOCKWORK ORANGE wird uns ein flotter Dreier aus ähnlicher Perspektive im Zeitraffer gezeigt. Wo die meisten Menschen sich indes mit verzerrtem Gesicht abwenden, das ist, wenn Köhn einem ganz bestimmten Fetisch frönt, der mit einer ganz anderen Art von „Lustgeifer“ zu tun hat. In Großaufnahme ergießen sich gefühlt minutenlang aus weiblichen Unterleibern Ströme von Urin, in denen sich Biggi oder Anita dann hysterisch lachend wälzen, sie trinken, oder versuchen, ihre Klitoriden in den jeweiligen Harnstoffstrahl zu halten. „Pisse macht geil! Pissen ist geil!“, wiederholen die Darstellerinnen, die die zweite Filmhälfte als Prosituierte in die „Bar zum geilen Pavian“ versetzt, mantrenartig, weshalb der Nierensaft von einem der Mitarbeiter des Etablissements in leere Champagnerflaschen gepieselt wird, die man daraufhin natürlich wieder gemeinschaftlich leert, oder sich gleich das Sektglas direkt am jeweiligen Penis füllt, um zusammen anzustoßen. Den gleichen Stellenwert, den der Mageninhalt in den Filmen des Emetophilen Lucifer Valentine einnimmt, hat der Harnsaft offensichtlich bei Köhn – wobei ich persönlich letzteres dann doch noch erträglicher finde. Mit Rino di Silvestros LE DEPORTATE DELLA SEZIONE SPECIALE SEE teilt BIGGI übrigens ebenfalls noch einen Fetisch: Abgesehen von jenem Film habe ich bislang noch keinen gesehen, der die Rasur von weiblichen Schamhaaren derart beinahe kultisch zelebriert wie vorliegendes Machwerk.
Um zu retten, was an Niveau nun nicht mehr zu retten ist, versuche ich doch hakenschlagend wie ein Hase zum Beginn meines Essays zurückzukehren. Romane wie der des Marquis d‘Argens von den flüchtigen Nonnen, mit denen es angesichts der Verlockungen der säkularen Welt (fast) ein schlimmes Ende nimmt, tragen, wie erwähnt, nicht nur steife Glieder, sondern auch immer einen erhobenen Zeigefinger vor sich her. Es wird plädiert an Eltern, ihre Kinder nicht in Klöster zu stecken (siehe auch Diderots LA RELIGIEUSE), oder an Frauen, sich mit Fragen der Verhütung auseinanderzusetzen, um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden und sich dadurch vom Patriarchat zu emanzipieren (siehe auch D’Argens‘ PHILOSOPHISCHE THERESE), oder an staatstragende Kräfte, sich mit den eigenen Defiziten auseinanderzusetzen (wie in Diderots BIOJUX INDISCRETS, in dem, vergleichbar mit den plaudernden Penissen bei Köhn, weibliche Schamlippen zu schwatzen anfangen). Ein philosophischer, gesell-schaftskritischer, letztlich subversiver Überbau deckt all diese Klassiker wie ein einender Himmel. Auch BIGGI riecht zunächst nach derartigem Anspruch, wenn Köhn das Haus des Herrn Direktor zur Spielweise freier Liebe stilisiert. Leider verblassen solche Ansätze im weiteren Verlauf, der im Grunde fernab jeder narrativen Dynamik eine eklige Sexszene nach der nächsten präsentiert, ziemlich schnell. Schon in der Pavian-Bar geht es Biggi und Anita bald nur noch um die Bereicherung der eigenen Tasche. Sektfreier stehen bei ihnen und ihren Kolleginnen hoch im Kurs, denn die lassen mehr springen als die gewöhnliche Laufhauskundschaft. Einmal beleidigt Biggi oder Anita eine Kollegin, dass sie ihrem Vorgesetzten einen blase, ohne eine Bezahlung dafür zu verlangen. Was Biggi und einen ihrer Freier letztlich miteinander verbindet, das ist Gott Mammon. Für seine „Fickmaus“ lässt er schon mal einen teuren Mantel springen – und dass die sich mit der „Lesbenfotze“, der Verkäuferin, einlässt, um sie in der Umkleidekabine zu lecken, wirkt unter diesem Gesichtspunkt wie eine pekuniär erkaufte Freiheit. Vollends entschleiert der Film seinen Konservatismus im absolut irrealen „Happy-End in Düsseldorf“: Biggi kehrt mit ihrem Liebsten, an den sie nicht ihr Herz, sondern seine Brieftasche bindet, zu den Eltern zurück, die Bier trinkend und rauchend irgendwo auf der Straße herumstehen, als seien es Passanten, die Köhn fünf Minuten zuvor aus irgendeiner Kneipe für seinen Film rekrutiert hat. Nun wird alles gut, und Biggi wird auch nicht mehr aufmüpfig sein, und man akzeptiert kurz und bündig den Schwiegersohn, und der Abspann rollt ab. BIGGI verhält sich damit aber zumindest ehrlich, und bildet mimetisch das Verhalten seines Publikums ab: Achtzig Minuten später tritt der gutsituierte Bürger aus dem Schlund des Porno-Kinos oder erhebt sich mit dem besudelten Schoß aus seiner Wohnzimmercouch, um zurückzukehren in seine Rolle als Angestellter, Familienvater, Ehemann – und in stillen Musestunden von Biggis juckender Muschi zu träumen.
Ganz so kritisch wie meine Zeilen klingen stehe ich BIGGI aber gar nicht gegenüber, ist Köhns Kloake aus Sperma, Vaginalsekret und Urin doch wohl einer der abwegigsten pornographischen Filme, die mir jemals untergekommen sind. Danke Canisius für diese Erfahrung! Trotzdem: Anders als im hinterletzten Regal meines persönlichen cineastischen Giftschranks kann dieses wundersame, unappetitliche, verlogene, zum Schreien komische Bilderbündel gar nicht seinen Platz bekommen. So gesehen ist es nur richtig und gut, dass ich mich passend zu Ostern erstmal hinter schützende Klostermauern zurückziehe, um Buße zu tun für meine Sünden - nur um dann von dort zu entwischen, und es noch viel toller zu treiben als jemals zuvor?
…und weiter geht das Suhlen im mir vom ehrenwerten Canisisus bereitgestellten Schlamm. Bevor ich mich den angepriesenen Filetstücken, zwei Filmen Pierre Chevaliers, zuwende, schaue ich zunächst einmal einer gewissen Biggi dabei zu, wie sie aus dem erdrückenden Elternhaus ausbüxt, sich mit ihrer besten Freundin Anita als Hobby-Hure verdingt, und am Ende doch ihren Traumprinzen findet.
Das Motiv ist alt wie die Pornographie selbst. Blutjunge Mädchen-Duos, die zum Beispiel dem Klosterleben entfliehen, dessen Enge sie gegen den eigenen Willen ausgeliefert worden sind, um in der weiten Welt allerhand pikante Abenteuer zu erleben, lassen sich beispielweise schon in schlüpfrigen Klassikern wie DIE VERLIEBTEN NONNEN, ODER DIE LIEBE IN DEN KLÖSTERN des Marquis d’Argens von 1748 ausfindig machen, und gehören seither zum festen Bestandteil einer durchaus pädagogisch motivierten Literatur, die einerseits dem Leser durch anschauliche Schilderungen sexuellen Genuss verschaffen möchte, andererseits aber, wie im Falle des erwähnten Marquis, aus dem Geist der europäischen Aufklärung heraus an einer Liberalisierung der Gesellschaft arbeitet: Hand anlegen soll ich, wenn ich die entsprechende (historisch wie schriftstellerisch) erste Garde der Porno-Literatur des achtzehnten Jahrhunderts wie de Latouche, Mirabeau oder de Nerciat lese, nicht nur an mein pulsierendes Geschlechtsteil, sondern – mal mehr, mal weniger stark intendiert – an meinen Verstand, um ihn Ideen wie dem Atheismus, der Stände- und Geschlechtergleichheit, oder der Relativität sämtlicher überlieferter Wertvorstellungen zu öffnen. Auch BIGGI – EINE AUSSREISSERIN des deutschen Regisseurs Charles Köhn, der außerhalb dieses einen Films offenbar bloß noch ein Schaf namens LEHRJAHRE EINES TEENAGERS gerissen hat, ist dieses Moment immanent eingeschrieben: Biggi und Anita, das sind keine psychologisch ausgefeilte Figuren, sondern wandelnde Zitate, die überdeutlich den skizzierten narrativ-motivischen Ballast der, um mit Foucalt zu sprechen, abendländischen "scientia sexualis" auf ihren schmächtigen Schultern tragen. Großartig bringt das die Eröffnungsszene auf den Punkt, die mich nicht nur mit den schrillsten Synthie-Sounds, die ich seit langem gehört habe, empfängt, sondern auch das Fahrwasser relativ genau abschöpft, in dem der Film für seine knapp achtzig Minuten schaukeln wird. „Ich bin abgehauen!“, erklärt die quietschfidele Biggi ihrer Freundin. „Wie toll!“, ruft diese aus. Alles ist ausgesprochen, obwohl nichts gesagt wurde. Die Revolte gegen kleinbürgerliche Spießigkeit scheint so natürlich wie die Luft, die einen umgibt. Nein, es ist schon von der ersten Filmminute an unmissverständlich klar: Für die beiden Mädchen, die das Drehbuch wohl jünger denkt als die eigentlichen Darstellerinnen tatsächlich sind, geht es nun ab in die „große Fickfreiheit!“
Wie diese Köhn sich imaginiert, nageln (im wahrsten Wortsinn) die folgenden fünf Minuten derart paradigmatisch fest, dass sie stellvertretend für den gesamten Film stehen können. Das soundtechnische Konzept von BIGGI erweist sich so simpel wie effektiv: Offenbar hat Köhn seinen Streifen als Stummfilm heruntergekurbelt – wenn überhaupt, dann höchstens mit äußerst rudimentären Anweisungen an seine zeigefreudigen Laien, dass sie ihre Münder so zu bewegen haben, als würden sie gerade miteinander sprechen. In der Postsynchronisation wurde dem Film dann nicht nur ein quicklebendiger Soundtrack aus Handclaps, stimmlicher Lautmalerei und groovigen Bassläufen hinzuaddiert, sondern vor allem Dialogen, die zwar selten kongruent mit den zu sehenden Lippenbewegungen sind, aber dafür kübelweise mit zitierfähigen Sätzen aufwarten – sofern man sie denn im richtigen Milieu an den richtigen Mann oder die richtige Frau bringt. Als erste Station landen Biggi und Anita, nachdem sie bei mehreren Autofahrern, denen sie sich als Anhalterinnen aufzwingen wollten, abgeblitzt sind („Nichts zu ficken! So eine Scheiße! War bestimmt ein ganz Schwuler!“), bei einem übergewichtigen, kleingliedrigen Industriellen, dessen Villa offenkundig offen für jeden steht, der sich in ihr fleischlich vergnügen möchte. Noch in seiner Luxuskarosse geht unser Duo Infernale dem „geilen Opi“ an die Eier, während Chauffeur Joe die expliziten Vorgänge als eine Art griechischer Chor kommentiert, in späteren Szenen dazu singt, oder hilfreiche Anweisungen erteilt („Gebt eure Sachen her, ihr Micky-Mäuse!") Im Anwesen des Industriellen nämlich angelangt, offeriert Köhn uns eine ausgewalzte Sex-Orgie, zu der noch zwei Punk-Girls und einige Mannsbilder stoßen, die wie selbstverständlich beim Herr Direktor ein- und ausgehen, und damit ein Handlungsmuster festigen, das man auch aus vielen Alpha-France-Pornos der damaligen Zeit kennt: Im Wendekreis des Sexus erweisen sich etablierte Kategorien wie Rasse, Geschlecht und vor allem Klasse als völlig obsolet, und die freie, ungezügelte Fleischeslust wird zur frei flottierenden Geschäftsform zwischen Körpern, deren Grenzen zueinander fließen sind. Auch in BIGGI verliert man als Rezipient schnell den Überblick, wer da eigentlich mit wem und warum. Es ist allerdings auch überhaupt nicht wichtig, ihn zu behalten. Wesentlich mehr Wert legt Köhn auf lyrische Kleinode wie folgendes, das irgendeine Frau zu Anita oder Biggi, die ich zu diesem Zeitpunkt bereits kaum noch auseinanderhalten kann, säuselt: „Reiß mir die Schamlappen richtig auf, streck Deine Zunge bis zur Gebärmutter rein, und lass meinen Lustgeifer in Dein freches, verkommenes Teenie-Maul fließen!“
Allein diese derangierte, an Tourette-Syndrom leidende, maschinengewehrartig über meine unschuldigen Ohren hinwegrollende Post-Synchro ist, wie man aus den obigen Beispielen schon ersieht, ein Erlebnis, mit dem die dann doch eher unattraktiven, statischen, schmucklosen Bilder nicht mithalten können. Auch auf die Gefahr, mich zu wiederholen – denn im Grunde schreibe ich das in letzter Zeit zu jedem Porno, den ich rezensiere [weshalb rezensiere ich in letzter Zeit eigentlich so viele Pornos?!]: Sexuell anreizend oder gar milde erotisch ist in BIGGI – im Gegensatz zu manchem der weiter oben erwähnten Romanklassiker – keine einzige Szene, schon eher muss man die visuellen Qualitäten des Films darin suchen, dass er Sexualität auf inhaltlicher Ebene zwar (zumindest in der ersten Hälfte) als positiven Gegenentwurf zum negativ konnotierten westlichen Spätkapitalismus als eine Ökonomie der Körper entwirft, andererseits aber alles dafür tut, diese kopulierenden Körper mir so unästhetisch wie möglich vor Augen zu führen. Auch das ist eine Frage, die ich mir nicht zum ersten Mal im Leben stelle: Wer bitte wird denn davon in irgendeiner wollüstigen Weise affiziert, wenn durchschnittlich ausschauende Menschen stumpf vor einer Kameralinse es miteinander treiben, ohne dass irgendein technisch-ästhetisches Ornament das basale Balzen irgendwie über seine bloße Physis hinaus transzendieren würde. Allerdings hat Köhn dann doch einige eigenwillige Szenen im Gepäck, die einen wahlweise entweder zutiefst verstören, abstoßen oder aufgrund ihrer schlichten Surrealität (wie in meinem Fall) faszinieren. Der Penis von Butler Joe hüpft munter in die Höhe, und die Tonspur suggeriert, er selbst sei es, der wie von Sinnen an einem Stück „Ficken! Ficken! Ficken!“ krakeelt. Später hat man einem andern Glied eine Brille aufgesetzt, und lässt es Obszönitäten ausstoßen. Zitiert werden in BIGGI außerdem mindestens zwei Filmklassiker: Wie in Antonionis BLOW UP wälzen sich in einer Szene mehrere nackte Leiber in Farbe auf Leinwänden, und wie in Kubricks CLOCKWORK ORANGE wird uns ein flotter Dreier aus ähnlicher Perspektive im Zeitraffer gezeigt. Wo die meisten Menschen sich indes mit verzerrtem Gesicht abwenden, das ist, wenn Köhn einem ganz bestimmten Fetisch frönt, der mit einer ganz anderen Art von „Lustgeifer“ zu tun hat. In Großaufnahme ergießen sich gefühlt minutenlang aus weiblichen Unterleibern Ströme von Urin, in denen sich Biggi oder Anita dann hysterisch lachend wälzen, sie trinken, oder versuchen, ihre Klitoriden in den jeweiligen Harnstoffstrahl zu halten. „Pisse macht geil! Pissen ist geil!“, wiederholen die Darstellerinnen, die die zweite Filmhälfte als Prosituierte in die „Bar zum geilen Pavian“ versetzt, mantrenartig, weshalb der Nierensaft von einem der Mitarbeiter des Etablissements in leere Champagnerflaschen gepieselt wird, die man daraufhin natürlich wieder gemeinschaftlich leert, oder sich gleich das Sektglas direkt am jeweiligen Penis füllt, um zusammen anzustoßen. Den gleichen Stellenwert, den der Mageninhalt in den Filmen des Emetophilen Lucifer Valentine einnimmt, hat der Harnsaft offensichtlich bei Köhn – wobei ich persönlich letzteres dann doch noch erträglicher finde. Mit Rino di Silvestros LE DEPORTATE DELLA SEZIONE SPECIALE SEE teilt BIGGI übrigens ebenfalls noch einen Fetisch: Abgesehen von jenem Film habe ich bislang noch keinen gesehen, der die Rasur von weiblichen Schamhaaren derart beinahe kultisch zelebriert wie vorliegendes Machwerk.
Um zu retten, was an Niveau nun nicht mehr zu retten ist, versuche ich doch hakenschlagend wie ein Hase zum Beginn meines Essays zurückzukehren. Romane wie der des Marquis d‘Argens von den flüchtigen Nonnen, mit denen es angesichts der Verlockungen der säkularen Welt (fast) ein schlimmes Ende nimmt, tragen, wie erwähnt, nicht nur steife Glieder, sondern auch immer einen erhobenen Zeigefinger vor sich her. Es wird plädiert an Eltern, ihre Kinder nicht in Klöster zu stecken (siehe auch Diderots LA RELIGIEUSE), oder an Frauen, sich mit Fragen der Verhütung auseinanderzusetzen, um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden und sich dadurch vom Patriarchat zu emanzipieren (siehe auch D’Argens‘ PHILOSOPHISCHE THERESE), oder an staatstragende Kräfte, sich mit den eigenen Defiziten auseinanderzusetzen (wie in Diderots BIOJUX INDISCRETS, in dem, vergleichbar mit den plaudernden Penissen bei Köhn, weibliche Schamlippen zu schwatzen anfangen). Ein philosophischer, gesell-schaftskritischer, letztlich subversiver Überbau deckt all diese Klassiker wie ein einender Himmel. Auch BIGGI riecht zunächst nach derartigem Anspruch, wenn Köhn das Haus des Herrn Direktor zur Spielweise freier Liebe stilisiert. Leider verblassen solche Ansätze im weiteren Verlauf, der im Grunde fernab jeder narrativen Dynamik eine eklige Sexszene nach der nächsten präsentiert, ziemlich schnell. Schon in der Pavian-Bar geht es Biggi und Anita bald nur noch um die Bereicherung der eigenen Tasche. Sektfreier stehen bei ihnen und ihren Kolleginnen hoch im Kurs, denn die lassen mehr springen als die gewöhnliche Laufhauskundschaft. Einmal beleidigt Biggi oder Anita eine Kollegin, dass sie ihrem Vorgesetzten einen blase, ohne eine Bezahlung dafür zu verlangen. Was Biggi und einen ihrer Freier letztlich miteinander verbindet, das ist Gott Mammon. Für seine „Fickmaus“ lässt er schon mal einen teuren Mantel springen – und dass die sich mit der „Lesbenfotze“, der Verkäuferin, einlässt, um sie in der Umkleidekabine zu lecken, wirkt unter diesem Gesichtspunkt wie eine pekuniär erkaufte Freiheit. Vollends entschleiert der Film seinen Konservatismus im absolut irrealen „Happy-End in Düsseldorf“: Biggi kehrt mit ihrem Liebsten, an den sie nicht ihr Herz, sondern seine Brieftasche bindet, zu den Eltern zurück, die Bier trinkend und rauchend irgendwo auf der Straße herumstehen, als seien es Passanten, die Köhn fünf Minuten zuvor aus irgendeiner Kneipe für seinen Film rekrutiert hat. Nun wird alles gut, und Biggi wird auch nicht mehr aufmüpfig sein, und man akzeptiert kurz und bündig den Schwiegersohn, und der Abspann rollt ab. BIGGI verhält sich damit aber zumindest ehrlich, und bildet mimetisch das Verhalten seines Publikums ab: Achtzig Minuten später tritt der gutsituierte Bürger aus dem Schlund des Porno-Kinos oder erhebt sich mit dem besudelten Schoß aus seiner Wohnzimmercouch, um zurückzukehren in seine Rolle als Angestellter, Familienvater, Ehemann – und in stillen Musestunden von Biggis juckender Muschi zu träumen.
Ganz so kritisch wie meine Zeilen klingen stehe ich BIGGI aber gar nicht gegenüber, ist Köhns Kloake aus Sperma, Vaginalsekret und Urin doch wohl einer der abwegigsten pornographischen Filme, die mir jemals untergekommen sind. Danke Canisius für diese Erfahrung! Trotzdem: Anders als im hinterletzten Regal meines persönlichen cineastischen Giftschranks kann dieses wundersame, unappetitliche, verlogene, zum Schreien komische Bilderbündel gar nicht seinen Platz bekommen. So gesehen ist es nur richtig und gut, dass ich mich passend zu Ostern erstmal hinter schützende Klostermauern zurückziehe, um Buße zu tun für meine Sünden - nur um dann von dort zu entwischen, und es noch viel toller zu treiben als jemals zuvor?