Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte (2016)
Moderator: jogiwan
- Salvatore Baccaro
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Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte (2016)
Originaltitel: Peter Handke - Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte
Produktionsland: Deutschland 2016
Regie: Corinna Belz
Darsteller: Peter Handke; seine Frau; zwei seiner Töchter; sein Hauskätzchen
Ein Freund, der plant, seine Dissertation über die Kino-Bezüge im Werk des österreichischen Schriftstellers Peter Handke zu schreiben, hat mir Corinna Belzs Dokumentation über denselben ausgeliehen, die auf den wirklich schönen Titel BIN IM WALD, KANN SEIN, DASS ICH MICH VERSPÄTE hört. Nachdem ich einen Text Handkes vor vielen Jahren für mein Studium hatte lesen müssen – DIE ABWESENHEIT, laut Untertitel angeblich ein „Märchen“ -, und ich mich zu diesem verhielt wie ein Internetmodem, das einfach nicht ins Netz findet, obwohl alle technischen Voraussetzungen dafür stimmen, hatte ich den Autor bislang vorwiegend als zeitweisen Drehbuch-Partner von Wim Wenders wahrgenommen – er schrieb beispielweise die Skripte von DER HIMMEL ÜBER BERLIN und FALSCHE BEWEGUNG – bzw. selbst als Regisseur, der in den Jahren zwischen 1971 und 1992 immerhin vier recht interessante Filmprojekte realisiert hat. Da ich neulich lange Zeit in einem Zug saß, der mich aus dem Norden Deutschlands in den Süden verfrachtete, hatte ich die Muße, mir doch einmal zwei der bekanntesten Prosatexte Handkes vorzunehmen: DIE ANGST DES TORMANNS VORM ELFMETER (verfilmt, natürlich!, von Wenders) sowie DER KURZE BRIEF ZUM LANGEN ABSCHIED, von denen mich vor allem letzterer dann doch ziemlich begeistert hat. Die Onanie-Schilderungen des Ich-Erzählers wirken zwar ein bisschen unbeholfen, dafür tritt am Ende John Ford auf, und löst die Fäden der katastrophalen Liebesgeschichte allein dadurch, dass er Anekdoten aus seiner Zeit als Western-Regisseur zum Besten gibt, und die Parallelen zu Wenders-Filmen wie zum Beispiel IM LAUF DER ZEIT sind unübersichtlich: Wo dort Rüdiger Voglers Kot in eine schwarzweiße Grenzlandschaft Mitteldeutschlands fällt, purzelt der des Bruders von Handkes Ich-Erzähler in kanadischen Schnee. Die Vorzeichen standen also gar nicht schlecht, dass mich Belzs Portrait dem Mensch Handke und seinem Werk noch näherbringen könnte…
Peter Handke, inzwischen über Siebzig, legt im Garten seines Landhauses nahe Paris einen künstlichen Weg aus Tiefseeschneckenpanzern an. Peter Handke schneidet Pilze, und freut sich über das Geräusch, dass die Klinge seines Messers macht, wenn es die Erde von den Stielen kratzt. Peter Handke versucht gefühlte Stunden, einen Faden durch ein Nadelöhr gezogen zu bekommen. Vor allem: Peter Handke liest – mal aus dem Off, mal On-Screen – aus seinem umfangreichen Werk vor. All das ist nicht etwa das Intro zu Belzs Dokumentation, sondern nahezu ihr gesamter Inhalt. Frau Belz verbringt offenbar ein paar Tage in Handkes geräumigen Häuschen, und filmt ihn bei seinen alltäglichen Verrichtungen. Mal kommt das jüngste Töchterchen zu Besuch vorbei, und man kocht zusammen Suppe. Auch die Ex-Frau darf im Garten aus Handkes Texten vorlesen. Dazwischen gleitet die Kamera immer mal wieder über Bücherstapel, deren Rücken allesamt den Namen Handke tragen, oder beobachtet das maunzende Hauskätzchen, oder wirft relativ zusammenhanglos Archivaufnahmen in den dahinplätschernden Bilderstrom: Handke, noch mit Beatles-Frisur, wie er die Gruppe 47 beschimpft und provoziert; Handke in einer TV-Show Ende der 60er; Handke als alleinerziehender Vater in den 70ern; Handke bei einer Podiumsdiskussion in den 90ern, wo er sich für Milosevic einsetzt; eine Szene aus DER HIMMEL ÜBER BERLIN. Der Handke der Gegenwart unterdessen gibt auf die interessierten Fragen Belzs reichlich kryptische Antworten, fabuliert darüber, dass Literatur sein müsse wie ein „angenehmer Hochofen“, wird teilweise ungehalten („Das können Sie sich gerne fragen, aber doch nicht mich!“), und weist den Vorwurf weit von sich, als Intellektueller lebe er im sprichwörtlichen Elfenbeinturm, denn gerade der wahre Dichter sei der Welt doch wesentlich schutzloser ausgeliefert als jeder andere Mensch.
Wer aber ist Handke? Was macht sein Werk nun so besonders? Konkret: Worüber schreibt er eigentlich? Antworten darauf sucht man in Belzs autistischem, zurückhaltendem Blick auf den alternden Schriftsteller vergebens. Dabei wirkt Handke nicht mal besonders sympathisch, sondern wie ein versponnener Eigenbrötler, dem es beinahe lästig zu sein scheint, dass ein Kamerateam ihm beim Pilzsäubern und Deklamieren autobiographischer Notizen stört. Weggefährten oder Kritiker kommen, außer Töchtern und Ex-Frau, nicht zu Wort. Die Zusammenarbeit mit Wenders findet genauso wenig Erwähnung wie Handkes eigene Betätigung als Filmregisseur. Wirklich interessant wird BIN IM WALD. KANN SEIN, DASS ICH MICH VERSPÄTE höchstens, wenn Vater und älteste Tochter beisammensitzen, und ein authentisch wirkendes Streitgespräch über ihre Kindheit und seine Zeit als Alleinerziehender führen, oder wenn Handke, wie erwähnt, die Regisseurin eher launisch ankeift, was denn ihre blöde Fragerei solle. Ansonsten bin ich eher abgeschreckt von diesem eigenartigen Herrn, und nicht wirklich dazu verleitet worden, mich in kommender Zeit noch tiefer in seine Schriften einzugraben. Aber wenigstens bei jener Entscheidungsfindung hat der Film mir bestens geholfen. Ich frage mich, ob die Reportage über Gerhard Richter, die Belz zuvor gedreht hat, genauso unkritisch, spannungsarm, lediglich abnickend ausgefallen ist wie diese hier.