Erträgt man die Stille?
Einige Vorbereitungsmaßnahmen, um Philippe Garrels elften Film LES HAUTES SOLITUDES von 1974 in angemessener Stimmung betrachten zu können: Man beziehe ein Zimmer, in dem sich exakt nichts befindet. Keine Möbel, keine Bilder an den Wänden, keine anderen Menschen. Man entrolle eine Leinwand. Man platziere einen Projektor vor der gegenüberliegenden Wand. Man senke die Läden. Man setze sich auf den nackten Boden, höchstens mit einem Kissen als Untersitz, den Rücken vor der Tapete, als solle man erschossen werden. Man denke erst einmal an nichts. Man erwarte auch nichts. Kaugummikauen ist in Ordnung, lautes Nüsseknacken nicht.
Jean Seberg schaut direkt in die Kamera. Sie lacht ausgelassen. Sie trägt einen verrückten Hut. Tina Aumont hat das Gesicht in die Fäuste gestemmt. Vor ihr steigt Rauch in die Höhe, als würde einer altägyptischen Göttin ein Opfer dargebracht. Sie schaut direkt in die Kamera. Jean Seberg wirkt unsicher. Erst guckt sie in die Linse, dann wieder in die Ferne, als suche sie etwas oder jemanden, fast so, als sei es ihr unangenehm, in diesem intimen Moment gefilmt zu werden. Ein Mantelkragen rahmt ihr Gesicht. Die blonden Haare fallen gelöst in ihren Nacken. Tina Aumont taucht auf, schließt sie in die Arme. Dazwischen: Garrels damalige Lebensgefährtin Nico, die ihre Lippen bewegt, als wolle sie zu uns sprechen. Es ist das Cover ihres Albums THE END, ebenfalls von 1974.
Dieser Film ist in Schwarzweiß auf 35mm und komplett ohne Ton gedreht. Er hat keinen Vor- und keinen Abspann, und besteht fast ausschließlich aus Großaufnahmen von Frauengesichtern. Kino pur: Diese Bilder hat niemand geschossen, entwickelt, oder montiert. Sie sind gewachsen wie die Flechten in meinem Badezimmer.
Beinahe hätte ich einen langen Text über Jean Sebergs Biographie geschrieben. Wie fehlbesetzt sie bei Preminger als JOAN OF ARC gewesen ist. Wie ideal besetzt sie bei Preminger in BONJOUR TRISTESSE gewesen ist. Dass Godard sie dann zur Nouvelle-Vague-Ikone hochstilisiert hat. In welcher desolaten psychischen und physischen Verfassung sie sich Mitte der 70er vor Garrels Kamera befunden hat. Welche Verschwörungstheorien sich um ihren Tod nur wenige Jahre später ranken. Aber all das hat nichts mit LES HAUTES SOLITUDES zu tun.
Für einen kurzen Moment hatte ich geglaubt, dass ich die Dinge dadurch bewahren kann, indem ich eine Kamera auf sie richte. Dann allerdings, als ich verloren hatte, was mir auf der Welt am liebsten war, und zwar obwohl ich mehrmals auf dieses Etwas eine Kamera gerichtet hatte, begriff ich: Wenn ich filme, photographiere, dann nur für ein momentanes, keinesfalls ewiges Sicherheitsgefühl, dann nur für das schnöde Wissen, etwas kurzfristig bewahrt zu haben, das mir morgen schon wieder durch die Finger gleiten kann. Die Dinge sterben sowieso.
Jean Seberg ist verzweifelt. Krampfhaft heulend klammert sie sich an einen Türrahmen. Die statische Kamera zuckt nicht weg. Jean Seberg liegt am Boden. Sie isst etwas, trinkt etwas. Es hat etwas Manisches, wie sie Bissen [?], Tropfen [?], Tabletten [?] zu ihrem Mund führt. Als sie zu schreien anfängt, stürzt Tina Aumont ins Bild, um sie in die Arne zu nehmen. Tina Aumont bettet ihre rechte Wange auf einen Tierpelz. Jean Seberg raucht. Jean Seberg blickt irritiert in die Kamera. Jean Seberg schürzt die Lippen, beinahe verführerisch. Dazwischen: Laurent Terzieff, wie er sich als Narziss über einem Spiegel räkelt, und seine eigene Reflektion verherrlicht.
Dieser Film ist in Schwarzweiß auf 35mm und komplett ohne Ton gedreht. Er hat keinen Vor- und keinen Abspann, und besteht fast ausschließlich aus Großaufnahmen von zwei Frauengesichtern. Kino pur: Jemand sitzt in einem dunklen Raum und schaut Bilder an, die sich bewegen.
Einige Vorbereitungsmaßnahmen, um Philippe Garrels elften Film LES HAUTES SOLITUDES von 1974 heil zu überstehen: Man rufe jemanden an, der einem etwas bedeutet, und erzähle ihm davon. Vielleicht hat man sich zu Tode gelangweilt. Vielleicht hat man geschluchzt. Vielleicht hat man die ganze Chose auch gar nicht ausgehalten, und vorzeitig abgebrochen. Man trinke Wein, eher etwas mehr als zu wenig. Man öffne die Fenster, hebe die Läden, ganz wichtig. Man locke mit der Nachttischfunzel Falter herein. Man schreibe einen Text darüber, dass man gerade Philippe Garrels elften Film LES HAUTES SOLITUDEs gesehen hat.
Man erträgt die Stille.
Einige Vorbereitungsmaßnahmen, um Philippe Garrels elften Film LES HAUTES SOLITUDES von 1974 in angemessener Stimmung betrachten zu können: Man beziehe ein Zimmer, in dem sich exakt nichts befindet. Keine Möbel, keine Bilder an den Wänden, keine anderen Menschen. Man entrolle eine Leinwand. Man platziere einen Projektor vor der gegenüberliegenden Wand. Man senke die Läden. Man setze sich auf den nackten Boden, höchstens mit einem Kissen als Untersitz, den Rücken vor der Tapete, als solle man erschossen werden. Man denke erst einmal an nichts. Man erwarte auch nichts. Kaugummikauen ist in Ordnung, lautes Nüsseknacken nicht.
Jean Seberg schaut direkt in die Kamera. Sie lacht ausgelassen. Sie trägt einen verrückten Hut. Tina Aumont hat das Gesicht in die Fäuste gestemmt. Vor ihr steigt Rauch in die Höhe, als würde einer altägyptischen Göttin ein Opfer dargebracht. Sie schaut direkt in die Kamera. Jean Seberg wirkt unsicher. Erst guckt sie in die Linse, dann wieder in die Ferne, als suche sie etwas oder jemanden, fast so, als sei es ihr unangenehm, in diesem intimen Moment gefilmt zu werden. Ein Mantelkragen rahmt ihr Gesicht. Die blonden Haare fallen gelöst in ihren Nacken. Tina Aumont taucht auf, schließt sie in die Arme. Dazwischen: Garrels damalige Lebensgefährtin Nico, die ihre Lippen bewegt, als wolle sie zu uns sprechen. Es ist das Cover ihres Albums THE END, ebenfalls von 1974.
Dieser Film ist in Schwarzweiß auf 35mm und komplett ohne Ton gedreht. Er hat keinen Vor- und keinen Abspann, und besteht fast ausschließlich aus Großaufnahmen von Frauengesichtern. Kino pur: Diese Bilder hat niemand geschossen, entwickelt, oder montiert. Sie sind gewachsen wie die Flechten in meinem Badezimmer.
Beinahe hätte ich einen langen Text über Jean Sebergs Biographie geschrieben. Wie fehlbesetzt sie bei Preminger als JOAN OF ARC gewesen ist. Wie ideal besetzt sie bei Preminger in BONJOUR TRISTESSE gewesen ist. Dass Godard sie dann zur Nouvelle-Vague-Ikone hochstilisiert hat. In welcher desolaten psychischen und physischen Verfassung sie sich Mitte der 70er vor Garrels Kamera befunden hat. Welche Verschwörungstheorien sich um ihren Tod nur wenige Jahre später ranken. Aber all das hat nichts mit LES HAUTES SOLITUDES zu tun.
Für einen kurzen Moment hatte ich geglaubt, dass ich die Dinge dadurch bewahren kann, indem ich eine Kamera auf sie richte. Dann allerdings, als ich verloren hatte, was mir auf der Welt am liebsten war, und zwar obwohl ich mehrmals auf dieses Etwas eine Kamera gerichtet hatte, begriff ich: Wenn ich filme, photographiere, dann nur für ein momentanes, keinesfalls ewiges Sicherheitsgefühl, dann nur für das schnöde Wissen, etwas kurzfristig bewahrt zu haben, das mir morgen schon wieder durch die Finger gleiten kann. Die Dinge sterben sowieso.
Jean Seberg ist verzweifelt. Krampfhaft heulend klammert sie sich an einen Türrahmen. Die statische Kamera zuckt nicht weg. Jean Seberg liegt am Boden. Sie isst etwas, trinkt etwas. Es hat etwas Manisches, wie sie Bissen [?], Tropfen [?], Tabletten [?] zu ihrem Mund führt. Als sie zu schreien anfängt, stürzt Tina Aumont ins Bild, um sie in die Arne zu nehmen. Tina Aumont bettet ihre rechte Wange auf einen Tierpelz. Jean Seberg raucht. Jean Seberg blickt irritiert in die Kamera. Jean Seberg schürzt die Lippen, beinahe verführerisch. Dazwischen: Laurent Terzieff, wie er sich als Narziss über einem Spiegel räkelt, und seine eigene Reflektion verherrlicht.
Dieser Film ist in Schwarzweiß auf 35mm und komplett ohne Ton gedreht. Er hat keinen Vor- und keinen Abspann, und besteht fast ausschließlich aus Großaufnahmen von zwei Frauengesichtern. Kino pur: Jemand sitzt in einem dunklen Raum und schaut Bilder an, die sich bewegen.
Einige Vorbereitungsmaßnahmen, um Philippe Garrels elften Film LES HAUTES SOLITUDES von 1974 heil zu überstehen: Man rufe jemanden an, der einem etwas bedeutet, und erzähle ihm davon. Vielleicht hat man sich zu Tode gelangweilt. Vielleicht hat man geschluchzt. Vielleicht hat man die ganze Chose auch gar nicht ausgehalten, und vorzeitig abgebrochen. Man trinke Wein, eher etwas mehr als zu wenig. Man öffne die Fenster, hebe die Läden, ganz wichtig. Man locke mit der Nachttischfunzel Falter herein. Man schreibe einen Text darüber, dass man gerade Philippe Garrels elften Film LES HAUTES SOLITUDEs gesehen hat.
Man erträgt die Stille.