Meine Meinung bezüglich Ruggero Deodato bevor ich mir seinen gnädigerweise von Jogi zur Verfügung gestellten Comeback-Film BALLAD IN BLOOD zum ersten Mal anschaue: Mit CANNIBAL HOLOCAUST hat Deodato einen der für mich wichtigsten, aufwühlendsten, intelligentesten Filme gedreht, die ich jemals gesehen habe. Wie Deodato dort die Tradition des Mondo-Kinos reflektiert, aus dem der italienische Kannibalenfilm geboren worden ist, dessen Apotheose CANNIBAL HOLOCAUST unleugbar darstellt, und wie er sich auf das Terrain einer Rundum-Schläge austeilenden Medienkritik begibt, aus der er sich selbst als ästhetisches Artefakt kein bisschen ausnimmt, und wie er in einem postmodernen portmanteau-Stil Genre-Elemente, cinéma vérité und Meta-Momente miteinander in Kongruenz bringt - all das macht mich selbst nach der mittlerweile dreißigsten Sichtung noch immer sprachlos. Ansonsten jedoch teilt sich das recht umfangreiche Oeuvre Deodatos für mich in kompetent inszenierte Reißer wie den atemlosen Menschenfresser-Reigen ULTIMO MONDO CANNIBALE, den zynischen Polizeistreifen UOMINI SI NASCE POLIZIOTTI SI MUORE oder die ménage à trois auf hoher See ONDATA DI PIACERE, deren Blick auf die Spezies Mensch man durchaus als abgründig bezeichnen kann, sowie in Streifzüge quer durch den bunten filone-Garten der italienischen Filmindustrie, deren routinierte Machart nicht darüber hinwegtäuscht, dass es sich - wie beim Science-Fiction-Actioner I PREDATORI DI ATLANTIDE oder dem Durchschnitts-Slasher CAMPING DEL TERRORE - mehrheitlich um Stangenware handelt, die für eineinhalb Stunden ambitionslos unterhalten kann, jedoch zu keinem Zeitpunkt den Eindruck erweckt, weitreichendere Ziele zu verfolgen.
Meine Meinung bezüglich Ruggero Deodato nachdem ich mir seinen gnädigerweise von Jogi zur Verfügung gestellten Comeback-Film BALLAD IN BLOOD zum ersten Mal angeschaut habe: Für eine Szene hat sich Deodato einen skurrilen Cameo-Auftritt auf den eigenen Leib geschrieben. In einem Video, das die in einer italienischen Kleinstadt weilende Austauschstudentin Elizabeth von ihrem Uni-Alltag gedreht hat, sehen wir den greisen Maestro als an den Rollstuhl gefesselten Professor, der von seinen eigenen Studenten, trotz vehementer Proteste, zum Abschluss des Studienjahres auf die Ladefläche eines Fahrzeugs gehievt, und auf Nimmerwiedersehen Gott weiß wohin abtransportiert wird. Sicherlich werden Deodatos Intentionen andere gewesen sein, doch kann ich es mir nicht verkneifen, diese merkwürdige Szene als Allegorie für den gesamten Film zu lesen, in dem sie stattfindet: Auch BALLAD IN BLOOD wirkt, als ob Deodato ab einem bestimmten Zeitpunkt von irgendwem irgendwohin verfrachtet worden ist, wo er keinen Einfluss mehr darauf ausüben konnte, seinen Film daran zu hindern, in gleich mehrere widerstrebende Richtungen zu zerfasern. Munter, und ohne dass ich dahinter irgendein Konzept erkannt hätte, oder dass ich überhaupt in ein, zwei Sätzen erklären könnte, wovon BALLAD IN BLOOD auf der reinen Plot-Ebene überhaupt handelt, wechseln surreale Sequenzen, in denen ein kleinwüchsiger Drogendealer und Gastwirt mit seinem ständigen Begleiter, einem als Engel verkleideten Jüngling, kryptische Dialogzeilen rezitiert, offenkundig witzig gemeinte Momente, in denen ein vollkommen zugedröhntes Pärchen miteinander kopuliert, und der männliche Part seinen Mageninhalt nicht mehr bei sich behalten kann, und ihn stattdessen auf den blanken Busen seiner Gespielin spuckt, und ernste, wenn nicht sogar grimmige Augenblicke, in denen der Film kurzfristig so tut, als würde ihm das Schicksal seiner Helden und Heldinnen wirklich am Herzen liegen: Ein solcher Augenblick wäre das Telefonat von Lenka, einer weiteren Austauschstudentin, die sich mit Elizabeth eine WG teilt, mit ihrer Mutter im fernen Prag. Sie kann die Tränen kaum unterdrücken, als die sie fragt, wie es denn ihrer Mitbewohnerin ginge. Die nämlich liegt mit durchschnittener Hals nur ein paar Schritte entfernt auf dem Badezimmerboden. Wer ihr die Kehle durchgeschnitten hat, ist die zentrale Frage, die Lenka, ihren kotzenden Bettgefährten Leo, und den Rauschmittelhändler Arden umtreibt, die nach einer exzessiven Kostümparty in Lenkas WG neben Elizabeths Leiche erwachen, und sich beim besten Willen keinen Reim darauf zu machen verstehen, was die Nacht zuvor, die ihnen ein kollektiver Filmriss aus den Gedächtnissen stibitzt hat, bloß passiert ist.
Allerdings dient diese Prämisse Deodato nicht dazu, ein gialloeskes murder mystery zu inszenieren, bei dem unsere Figuren Puzzlestück für Puzzlestück die Lücke in ihrer Erinnerung rekonstruieren dürfen. Stattdessen verliert sich BALLAD IN BLOOD schon früh in Storywendungen, die mir immer mehr Fragezeichen in den Schoß geschüttet haben. Obwohl Elizabeths noch warmer Körper zu Hause in der Stube ruht, ziehen Arden und Leo erstmal los, um einer Gruppe Gothics Drogen zu verticken, beziehungsweise den Anführer derselben, da dieser nicht liquide ist, nach allen Regeln der Kunst zu verdreschen. Obwohl Lenka, Leo und Arden felsenfest davon überzeugt zu sein scheinen, nichts mit Elizabeths Tod zu tun zu haben, beschließen sie, deren Leichnam aus der Welt zu schaffen - notfalls auch zerstückelt im Müllsack. Obwohl eine ihrer Freundinnen oder wenigstens Bekannten brutal aus dem Leben gerissen worden ist, haut sich unser infernalisches Trio kontinuierlich weiter die Joints, die Koks-Linien und literweise den Alkohol in die Köpfe, um die meisten Laufzeitstrecken torkelnd, lallend und dabei regelrechten Unsinn von sich gebend zu verbringen. Die Beziehung der Personen zueinander bleibt dabei genauso rätselhaft wie die Motive, die sie leiten – zumal sich ihr Verhalten in Sekundenbruchteilen komplett ins Gegenteil verkehren kann: Eben noch zerfließt Lenka in Schluchzen über den Tod ihrer Freundin, dann fasst sie den Plan, eine lästige Mitwisserin aus dem Weg zu räumen, die der Polizei verraten könnte, dass Elizabeth mit Lenka, Arden und Leo den Nachhausweg angetreten hat. Eben noch scheinen Arden und Leo beste Buddys zu sein, die es mit jedem Grufti aufnehmen, dann drohen sie einander plötzlich, sich gegenseitig die Fressen zu polieren. Eben noch ohrfeigt Arden Lenka, nachdem diese ihn grundlos bis aufs Blut beleidigt hat, dann lehnt er sich zurück, um einen Striptease zu beäugen, bei dem sie sich nur für ihn in Eva-Schale wirft. Wenn dann noch Nebenfiguren hinzutreten, von denen ich keinen blassen Schimmer habe, was die überhaupt mit dem Mordfall-Plot zu tun haben sollen – namentlich: den Schenkenwirt Jacopo und seinen geflügelten Knaben –, und wenn dann noch regelmäßig ohne Sinn und Verstand Rückblenden eingeflochten sind, die sich aus Videos zusammensetzen, die Elizabeth zu Lebzeiten gedreht hat, und die sich unsere Helden gemeinsam zu Gemüte führen, obwohl in denen nichts Aufregenderes passiert, als dass Professor Deodato von den eigenen Studenten auf Reise ins Nirgendwo geschickt wird, und wenn dann noch Lenka-Darstellerin Carlotta Morelli zu jeder sich bietenden Gelegenheit aus den Klamotten fährt, und ihre Brüste der Kamera entgegenhält, sei es nun in unmotivierten Sexszenen oder auch einfach mal so, dann verzweigt sich die Chose derart in einem Gewirr aus Unverständlichkeiten, dass ich bald schon die Waffen gestreckt, und gar nicht mehr nach einem tieferen Sinn in dem unverdaulichen Wust zu suchen versucht habe.
Als ob gleich mehrere Drehbücher gewaltsam zusammen in einen Pferch gesteckt worden wären, mäandert BALLAD IN BLOOD ohne Fokus vor sich hin, und versteht es leichtfüßig, jedweden Unterhaltungsfaktor im Keim zu ersticken. Das liegt freilich nicht nur an der nun wirklich höchstens durchschnittlichen Inszenierung Deodatos, dem es sichtlich schwerfällt, auch nur ein einziges interessantes Bild zu kreieren, sondern ebenso an den absolut unsympathischen und überzeichneten Hauptfiguren, die den Großteil des Films im Overacting-Modus bestreiten, und vor allem an einem der schlimmsten Film-Soundtracks, die ich seit langem hören musste: Dass Claudio Simonetti in den 70ern mit für einige der großartigsten Scores des italienischen Genrekinos verantwortlich zeichnete, würde ich niemals glauben, wenn ich nur das kennen würde, was er an uninspirierten Muzak auf die uninspirierten Bilder vorliegenden Films kippt, um sie noch generischer wirken zu lassen als sie sowieso schon sind.
Trotz seines Titels ist BALLAD IN BLOOD zudem nicht einmal die veritable Schlachtplatte, die er jemandem zu sein vorgibt, der einen flüchtigen Blick aufs DVD-Cover wirft. Einmal abgesehen von den intradiegetisch klar als Inszenierungen gekennzeichneten Exzesse der Kostümparty zu Beginn, bei der die Teufel tanzen, die Hexen ans Andreaskreuz gebunden werden, und das Blut in Fontänen über die feierwütige Meute hinwegspritzt, verzichtet Deodato auf allzu explizite Einblicke in die menschliche Anatomie. Stattdessen rekapituliert er lieber die eigene Vergangenheit: Riz Ortolanis‘ Titelmelodie aus LA CASA SPERDUTA NEL PACO erklingt ebenso wie sich unser Heldentrio à la CANNIBAL HOLOCAUST vor found-footage-Material versammelt. Dieses wiederum enthüllt dann ganz andere Kehrseiten der menschlichen Existenz als die Aufnahmen, die Alan Yates und sein Team im Amazonasgebiet geschossen haben, nämlich wie sehr der Alltag an italienischen Kunsthochschulen identisch mit der Welt zu sein scheint, die uns von US-amerikanischen High-School-Comedys vermittelt wird. Ein Kurs im Aktzeichnen kann schon mal in einer lesbischen Intervention enden, und eine gepflegte Party in den eigenen vier Wänden als Gruppensexorgie. BALLAD IN BLOOD indes endet wie er begonnen hat, nämlich mit einem gigantischen Fragezeichen, das mir von dem Film mit einer rostigen Rasierklinge mitten in die Stirn geritzt worden ist: Was, zur Hölle, will Ruggero Deodato mir nur mit diesem pubertären, enervierenden, irritierenden, grotesken Machwerk sagen? An meiner Meinung seinem Oeuvre gegenüber hat sich jedenfalls kein Jota gewandelt, ganz im Gegenteil.