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La momia nacional - José Ramón Larraz (1981)

Verfasst: Mi 24. Okt 2018, 12:55
von Salvatore Baccaro
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Originaltitel: La momia nacional

Produktionsland: Spanien 1981

Regie: José Ramón Larraz

Darsteller: Francisco Algora, Quique Camoiras, Azucena Hernández, Carlos Lucena, José Jaime Espinosa
Abt. Nachglühen von Köln…

Spanien um 1800: Saturnino ist ein wohlhabender Archäologe aus der oberen Gesellschaftsschicht, zwar trotz fortgeschrittenen Alters noch immer Junggeselle, aber immerhin wohnhaft in einem luxuriösen Anwesen, wo ihm eine Schar an Hausangestellten jeden Wunsch von den Lippen abliest, und ansonsten das gestrenge Auge der Mama Doña Perpetua auf ihm ruht. Sein eher monotones Leben gerät ordentlich aus den Fugen, als sich eines Tages unerwarteter Besuch einstellt: Sein ehemaliger Lehrer Don Felipe, gerade frisch zurückgekehrt von Ausgrabungen im Oberen Nilgebiet, bittet Saturnino, für eine gewisse Zeit bei ihm unterkommen zu dürfen. Er ist aber nicht allein, sondern hat sowohl sein hübsches Töchterchen Ana Maria, das Saturnino schon beim ersten Blickkontakt völlig den Kopf verdreht, im Schlepptau, sowie eine jahrtausendealte Mumie, die zu Lebzeiten eine mächtige ägyptische Prinzessin gewesen sein soll, und die ein ganz eigener amouröser Zauber umgibt: Sollte jemand sich an ihren Bandagen zu schaffen machen, erweckt er die Schlummernde aus ihrem Totenschlaf, worauf diese, gemäß eines über ihr ausgebreiteten Fluchs, jeden Mann vergewaltigen muss, der ihren Weg kreuzt. Damit nicht genug: Schnell stellt sich heraus, dass Don Felipe sich in Ägypten die Lykanthrophobie eingefangen hat, sprich, bei jedem Vollmond, und natürlich lässt der nicht lange auf sich warten, verwandelt er sich in einen bepelzten Werwolf mit Heißhunger auf Menschenfleisch. Während Saturnino seinen Mentor, um dessen Wolfsmenschentum zu heilen, in die Obhut des obskuren Arztes und Sanatoriumleiters Dr. Vilaseca gibt, der sich alsbald als leibhaftiger, über eine Meute sexlüsterner Vampirweibchen gebietender Blutsauger entpuppt, und andererseits gemeinsam mit seinem zwergwüchsigen Leibdiener Agapito kein Mittel unversucht lässt, das Herz seiner Angebeteten zu erobern, braut sich um ihn herum das Grauen zusammen: Ein gesichtsloser Killer scheint umzugehen, seine Bediensteten sterben wie die Fliegen, und eh man sich’s versieht hat sein Butler sich an den Brüsten der weiblichen Mumie vergriffen, und ihre Bandagen gelöst…

Der Tod General Francos 1975 bedeutete für Spanien auf allen erdenklichen Ebenen eine rapide Liberalisierung, die sich nicht zuletzt im Kino niedergeschlagen hat, wo relativ schnell ein zuvor aufgrund des repressiven politischen Systems nahezu undenkbares „cine de destape“ seine Blütezeit erlebt, das man am ehesten vielleicht mit Genreauswüchsen wie der commedia sexy all’italiana oder den brasilianischen pornochanchadas in einen Topf werfen kann: Im Vordergrund steht ein exzessives Feiern all dessen, von dem der rigide Katholizismus der Franco-Jahre nicht einmal eine Nasenspitze sehen wollte, darunter, vor allem, entblößte Frauenbrüste, sexuelle Verwicklungen jedweder Art, zotige, oft vulgäre Späße, sowie hemmungslos karnevaleske Plots, deren Subtexte vollgestopft sind mit augenzwinkernden Querverweisen auf Gesellschaft, Staat, Kirche. LA MOMIA NACIONAL, José Ramon Larrazs Beitrag zu diesem international scheinbar bislang kaum beachteten, seinerzeit in Spanien aus verständlichen Gründen allerdings enorm erfolgreichen Strang aus Filmen zwischen 1975 und 1984, wirkt wie ein Paradebeispiel für all das, was dieses „Kino der Enthüllungen“ auszeichnet: Soweit ich mit meinen rudimentären Spanischkenntnissen die Dialoge entziffert habe, stecken diese voller Anspielungen auf die zeitgenössische politische Situation, aber auch Referenzen spanischer Filmklassiker, dadaistischen Wortspielereien und reichlich Material, das die Körperbereiche unterhalb der Gürtellinie anvisiert, während die dazugehörige Story eher einer losen Abfolge von Gags gleicht, die dadurch zusammengehalten werden, das sie sich im Rahmen einer Persiflage auf klassisches, aber auch gegenwärtiges Horrorkino bewegen. Der geneigte Genrefreund bekommt eine ganze Bandbreite dessen geboten, was bis Anfang der 80er an kinematographischem Schauder existiert hat, von einem Vampir, der ausschaut wie eine ausgezehrte Variante von Murnaus Graf Orlok, über Universal-Grusel im Stile einer umhergeisternden Mumie, bis hin zu mehr oder minder deftigen, aber stets komplett überdreht präsentierten Gore-Effekten sowie Vampirinnen mit exorbitantem Geschlechtstrieb, die aus einem seine sexuellen Untertöne konsequent auslebenden Hammer-Paralleluniversum stammen könnten.

Überdreht und überzeichnet sind dann wohl auch die beiden Attribute, unter deren Flaggen LA MOMIA NACIONAL nahezu ausschließlich segelt. Der Ton des im Übrigen großzügig ausgestatteten und kompetent, wenn auch recht konventionellen abgedrehten Films wird bestimmt von einer aggressiven Heiterkeit, die sich ihrem Kernthema, der menschlichen Sexualität in all ihren Facetten, mit dem derben, insgeheim aber schamroten Slangs pubertierender Schulbuben nähert: Auf dem Schreibtisch des Halsbeißers thront ein monströser Dildo, den anzufassen Agapito nicht widerstehen kann, worauf er wie der Kopf eines Wackeldackels vor sich hin nickt. Beim Beischlaf Saturninos mit einer Vampirin schwebt ein homosexueller Amor von der Decke, der ihm seinen Pfeil in den Allerwertesten zu schießen gedenkt. Besiegt wird der Herr und Gebieter der Eckzahnfraktion schlussendlich nicht mit einem christlichen Kreuz, sondern einem, das Haken besitzt. Außerdem schält sich bei jeder möglichen, und oft genug auch unmöglichen Gelegenheit, der weibliche Cast aus seiner Historienfilmgarderobe, und hält der Kamera die blanken Brüste entgegen. Meinen persönlichen Humor hat LA MOMIA NACIONAL dabei selten wirklich getroffen – zu infantil sind mir all die Kalauer, zu sehr in einem sich selten selbst überschreitenden und letztlich konformistischen Klamauk gefangen die fasrige Handlung –, andererseits stellt der Film ein hochinteressantes Zeitdokument dar, an dem man nicht nur, wenn man denn möchte, viel über den status quo der spanischen Gesell-schaft Anfang der 80er ablesen kann, sondern das außerdem – wenn auch auf eher unorthodoxe Weise – nahezu der kompletten achtzigjährigen Genre-Genese Rechnung trägt, vereint das diesmal nicht von Larraz (mit-)verfasste Drehbuch doch jeden relevanten Eckpfeiler, der den filmischen Horror bis dato auf den Schultern getragen hat, vom abgesäbelten Arm über Trockeneisnebel, vom Käuzchenruf zum vampirischen Gebalze. Dennoch bleibt ein leicht bitterer Beigeschmack, wenn ich bedenke, was für großartige, zugleich engagierte wie auch unterhaltsame und durchaus politischen Filme Larraz in seinem Heimatland nur wenige Jahre zuvor noch in Form von Arthouse-Dramen wie EL MIRÓN oder LUTO RIGUROSO gedreht hat. Somit stellt LA MOMIA NACIONAL gewissermaßen bereits die Weichen des sukzessiven Abstiegs, der den Filmemacher, wie viele seiner Alters- und Professionsgenossen, in den 80ern ereilen, und ihn nach Stationen im Fach der primitiveren Blödeleien und des eher substanzlosen Softosex schließlich zu absolut generischen Slasher-Derivaten wie DEADLY MANOR führen wird.