Originaltitel: Le schiave esistono ancora
Produktionsland: Italien 1964
Regie: Maleno Malenotti, Roberto Malenotti, Folco Quilici
Im (italienischen) Mondo-Kino gehören solche „square-ups“ nicht erst seit Jacopettis, Prosperis und Cavaras Initialzündung MONDO CANE 1963 zum, je nach Perspektive, guten oder schlechten Gemre-Ton. Ergänzt werden sie dort allerdings meist noch um eine Komponente, die den Exploitation-Filmen in Schaefers Untersuchung naturgemäß fremd bleiben muss. Handelte es sich bei denen um zumeist kostengünstig produzierte Sex-, Drogen- oder Gangsterfilmchen mit eindeutigem Spielfilmcharakter, verortet sich das Mondo-Kino, seinem Selbstverständnis nach, im Dokumentarfilm-Sektor, was ihm Gelegenheit gibt, die eigenen Produktionsbedingungen viel stärker in den Fokus zu stellen. Auch Mondo-Filme warnen ihr potentielles Publikum ständig davor, doch noch einmal zu überdenken, ob es wirklich im richtigen Film sitzt, nur um es umso enger an sich zu binden, und auch Mondo-Filme pochen darauf, dass es, wenn man die Sache mit der Demokratie genau nehmen möchte, unablässig sei, die westliche Welt auch mit Themen und Informationen zu versorgen, die wahlweise irritierend, pikant oder regelrecht schockierend sind. Demgegenüber betont das Mond-Kino aber ebenso häufig und explizit die Strapazen, Entbehrungen und Opfergaben, die die jeweiligen Filmemacher für die Produktion des jeweiligen Films auf sich zu nehmen bzw. zu geben bereit gewesen sind.
Ein Paradebeispiel für letzteres findet sich in LE SCHIAVE ESISTONO ANCORA aus dem Jahre 1964, den ich kürzlich in der englischsprachigen Importfassung zum ersten (und höchstwahrscheinlich letzten) Mal in meinem Leben gesehen habe. Gleich zu Beginn des Films, noch bevor irgendein Name der Produktionsteilnehmer erscheint, verläuft auf blauem Hintergrund ein Text in gelber Schrift, dessen ostentativ zur Schau gestellter didaktischer Anspruch, sein unverhohlenes Pathos sowie die gleich mehrmals in die Waagschale geworfenen Risiken, denen das Team während des Drehs angeblich ausgesetzt gewesen sei, all das kondensieren, was ich oben zu skizzieren versucht habe: „The film you are about to see was photographed over a period of many months, and involved thousands of miles of travel in remote parts of Africa and Asia, much of it at great personal risk to the cameramen and their crews. The film was made to focus the attention of the peoples of the world and their governments on an evil that still plagues large portions of the earth – the evil of human slavery! If it succeeds in doing this, and if it succeeds further in helping to free one human being from slavery, it will have served its purpose and justified the risks.” Aber wie weit her ist es in LE SCHIAVE ESISTONO ANCORA denn mit den geschilderten Gefahren für Leib und Leben, und inwieweit darf man der eröffnenden Texttafel Glauben schenken, dass der Film sich seines Themas, der modernen Sklaverei in all ihren Facetten, mit journalistischer Seriosität annimmt, und, überhaupt, muss der Film denn zwangsläufig dem Mondo-Genre zugeschlagen werden, nur weil er im Italien des Jahrs 1964 entstanden ist, und sich einem eher spektakulären Subjekt widmet?
Dass gleich drei Personen als Regisseure des Films aufgeführt werden, hat seinen Grund in Zwistigkeiten zwischen Produzent Manelo Malenotti und Regisseur Folco Quilici. Als Malenotti Anfang der 60er Jahre an Quilici herantritt, um mit ihm einen gemeinsamen Dokumentarfilm zu planen, hat dieser sich mit Werken wie SESTO CONTINENTE (1954) oder L’ULTIMO PARADISO (1955) bereits geschickt darin erwiesen, an der Schnittstelle zwischen Dokumentar- und Spielfilm zu balancieren, und vor allem für seine atemberaubenden Unterwasseraufnahmen Lob von Publikum und Kritik eingeheimst. Was Malenotti, der wiederum seine Lorbeeren hauptsächlich Biopics über renommierte Musiker wie Enrico Caruso oder Giuseppe Verdi verdankt, vorschwebt, soll zwar eine Reportage über moderne Sklaverei sein, ein Thema, das nun nicht unbedingt dem zumeist in maritimen Terrain beheimateten Oeuvre Quilicis bis dato entspricht, trotzdem nimmt Quilici das Angebot an, zusammen mit Malenottis Sohn Roberto die Regie des ambitionierten Projekts zu übernehmen. 1964, als LE SCHIAVE ESISTONO ANCORA in den Lichtspielhäusern anläuft, ist im Vorspann von Quilici allerdings schon keine Spur mehr übriggeblieben; stattdessen wird einzig Roberto Malenotti als Regisseur aufgeführt, jedoch wohlgemerkt einzig und allein für die Szenen, die im Mittleren Osten entstanden sein sollen; die übrigen, scheint’s, sind dem Film einfach so zugeflogen. Natürlich hat Quilici anfangs aktiv an den Dreharbeiten für LE SCHIAVE ESISTONO ANCORA mitgewirkt, sich jedoch, als ihm klar wurde, wie weit her es mit Malenottis Seriosität tatsächlich ist, vollumfänglich von dem Film distanziert: Je nach Version entweder noch während der laufenden Dreharbeiten oder spätestens in dem Moment, als die Malenottis ihm den Endschnitt vorgeführt haben. Betrachtet man sich LE SCHIAVE ESISTONO ANCORA ein halbes Jahrhundert später mit den unbeteiligten Augen von jemandem, der schon mehr als eine Mondo-Sichtung auf dem Kerbholz hat, stellt sich der Film allerdings weitaus weniger marktschreierisch dar als es diese putzige Produktions-Anekdote vermuten ließe.
In einer der ersten Szenen des Films lernen wir Robin Maugham kennen, seines Zeichens nicht nur erfolgreicher Romancier, sondern entschiedener Anti-Sklaverei-Aktivist. Bei einem Besuch des Kamerateams in seinem zugegebenermaßen äußerst ansehnlichen Arbeitszimmer hält er uns einen Mini-Vortrag über das Problem der Sklaverei, wie es sich auch Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts vor allem in, wie es heißt, rückständigen Erdteilen des Nahen Ostens und Afrikas immer noch stellt: Da die Arabischen Emirate über kostbare Öl-Ressourcen verfügen, und die USA deshalb von diesen abhängig ist, würde, so lassen sich Maughams Ausführungen auf ihren undifferenzierten Punkt bringen, würden letztere beim modernen Sklavenhandel, der genau von diesen Emiraten ausginge, beide Augen zudrücken, und auch andere westliche Länder wie Großbritannien quasi dazu zwingen, dem florierenden Geschäftszweig der Araber keine Steine in den Weg zu legen. Zum Beweis streut der Film nach Maughams flammendem Plädoyer angeblich unter schwierigsten Bedingungen entstandene Handkameraaufnahmen ein, die im Grunde einzig und allein herrschaftliche arabische Anwesen von außen zeigen: Die hohen Mauern umschließen, berichtet der unvermeidliche Off-Sprecher im Brustton der Überzeugung, vielköpfige Harems voller Frauen, die den skrupellosen Scheichs als Gespielinnen dienen müssen; zu sehen freilich bekommen wir von diesen nichts. Stattdessen unterstreicht LE SCHIAVE ESISTONO ANCORA bereits eine Szene später, wie weit er sein Kernthema fasst, wenn – zumindest für mich ohne erkennbaren Zusammenhang – zu einem indigenen Volk irgendwo in Nordostafrika geswitcht wird, dessen männlichen Mitglieder gerade dabei sind, einen Initiationsritus zu durchleben, bei dem sie, unter anderem, mit einer Peitsche gezüchtigt werden, jedoch offenbar derart tief in einem tranceähnlichen Zustand stecken, dass sie noch den heftigsten Hieben mit einem breiten Grinsen begegnen. Der Kommentar aus dem Off: Auch dies sei eine Form der Sklaverei, denn diese Menschen würden sich einer metaphysischen Macht unterwerfen, die bloß in ihrer Einbildung besteht, und die Erfindung machthungriger Priesterkasten bzw. der arabischen Machthaber seien, die solcherlei Aberglaube raffiniert ausnutzen, um sich die afrikanischen Stämme zu Nutzen zu machen, und letztlich in die physische Sklaverei zu führen.
Immer wieder verheddert sich der rote Faden, der LE SCHIAVE ESISTONO ANCORA eigentlich durchziehen soll, auf ähnliche Weise, wenn der Film sich auf Bildmaterial einschießt, dessen Relevanz sich mir nicht unbedingt erschließt, und das wohl vorrangig auch nur aufgrund seiner affektiver Qualitäten nicht vom Schneideraum gewischt wurde. Immerhin gibt sich der voice-over-Kommentar redlich Mühe, jede noch so abwegige Aufnahme irgendwie argumentativ in den Restfilm einzubinden. Wenn wir beispielweise einer gewissermaßen die Exposition von Amando de Ossorios LA NOCHE DE LAS GAVIOTAS vorwegnehmenden Szene beiwohnen, in der sich auf an einem Inselstrand angespülten Menschenknochen und Wrackteilen große Krabbentiere tummeln, versichert der Off-Sprecher uns, das Treibgut könne eigentlich nur von Sklavenschiffen stammen, denn die würden regelmäßig im Fahrwasser des Eilands verkehren, und wenn sich der Film unvermittelt in Striptease-Clubs und Nachtbars westlicher Metropolen begibt, und dort fasziniert die tänzerischen Darbietungen halbnackter Frauen beäugt, lässt die Tonspur Peitschenknallen hören, um uns klarzumachen, dass auch all die Tänzerinnen und Animierdamen nichts weiter sind als Sklavinnen des Kapitals, das sie dazu nötigt, ihre Körper als Ware feilzubieten. Spätestens ein Reigen brutaler Boxkämpfe und weiterer dubioser Stammesriten, bei denen Männer bis zum Hals in die Erde eingebuddelt und mit Speeren beschossen werden, die ihre Köpfe oftmals nur um Zentimeter verfehlen, lässt das notdürftige Gerüst des Films aber endgültig krachend auseinanderbrechen. Letztere Szene bietet übrigens auch ein exzellentes Beispiel für die Kritik, die Quilici seinerzeit gegenüber Malenotti erhoben hat, nicht wenige Aufnahmen des Films seien offenkundige Fabrikate, die mit seinem Arbeitsethos als Dokumentarist nicht vereinbart werden können: Während die sich zu Pferde nahenden Speerschmeißer stets in einer Totale gezeigt werden, schneidet der Film jedes Mal in Großaufnahme zu den Gesichtern der im Boden Eingegrabenen, was den Verdacht nicht nur nahelegt, sondern gleich vollauf bestätigt, nie und nimmer haben Speerwurf und Speerlandung im gleichen Moment stattgefunden. Das ist aber nicht die einzige Selbstentlarvung des Films, der seine Fakes und Täuschungen zu keinem Zeitpunkt derart intelligent verschleiert wie man das beispielweise von Jacopetti und Prosperi gewohnt ist: Eine Frau, die angeblich längere Zeit als Haremsklavin gelebt hat, bevor ihr die Flucht zurück in den Westen gelang, bietet den Filmemachern, die sie in ihrer Privatwohnung aufsuchen, nonchalant an, ihnen eine brisante 16mm-Rolle mit Originalaufnahmen ihrer Haremszeit zu verkaufen – eine Szene, derart offenkundig geskriptet und derart ein Musterexempel für laienhaft-hölzernes Schauspiel, dass kein bundesdeutscher Privatsender mit ihr sein Doku-Soap-Nachmittagsprogramm schmücken würde, jedoch immerhin unfreiwillig komisch und keineswegs so anstrengend wie die fortwährenden Deklamationen, wie selbstlos sich das Filmteam immer wieder in Lebensgefahr gestürzt hat.
Von dieser Lebensgefahr spricht freilich nur der geschwätzige Herr aus dem Off; die Bilder selbst sind, im besten Falle, ambigue, oder regelrecht nichtssagend. Da sitzt eine junge Frau in der Wüste unweit einer Kamelgruppe, und zwei miteinander plaudernder Männer, und erst durch das voice-over wird diese unverfängliche Szene zu einem Beweisstück dafür, dass die Araber selbst die eigenen Töchter für ein paar Maultiere verschachern. Da fährt ein Auto über irgendeinen Marktplatz, wobei die Handkamera verwackelt aus dem Fenster schielt, und der Off-Sprecher versichert uns, dass man gerade ganz dicht an einem veritablen Sklavenmarkt vorbeigerauscht ist. Da trifft man sich im Busch mit einem vermeintlichen Sklavenhändler, der dem Filmteam zwei Frauen aus dem Unterholz bringt, und obwohl in dem anschließenden kurzen Kontakt rein gar nichts bedrohlich wirkt, pocht der Off-Kommentar darauf, dass nicht viel gefehlt hätte, und der Dealer hätte die versteckte Kamera bemerkt, und unsere Helden einen oder mehrere Köpfe kürzer gemacht. Inwieweit Malenotti und sein Team es nun wirklich mit Sklavenhändlern zu tun bekommen haben, mag ich nicht zu entscheiden: Es kann schon sein, dass die Sklavenkarawane, die etwa in der Mitte des Films ausgehoben wird, wirklich eine solche ist. Genauso gut vorstellbar für mich ist aber, dass Malenotti einfach ein paar umherstreifende Beduine als Statisten verpflichtet hat, die die skrupellosen Sklavenhändler mimen sollen. Konstatieren lässt sich immerhin: Gemessen an MONDO CANE und Epigonen, gar nicht erst zu sprechen von späteren Derivaten wie den Filmen der Castiglioni-Gebrüder oder von Antonio Climati und Mario Morra, ist LE SCHIAVE ESISTONO ANCORA ein durchweg handzahmer Genre-Vertreter, dessen Bilder sich größtenteils aus Ansichten arabischer oder nordafrikanischer Landstriche zusammensetzen, und zu dessen subversiven Höhepunkten es schon gehört, wenn die blanken Busen befreiter Sklavinnen von der Kamera aus nächster Nähe beäugt werden. Mit zu den interessantesten Aufnahmen gehören sicherlich die, die offenkundig in Mekka entstanden sind, und für die die Filmleute einen muslimischen Bündnispartner mit versteckter Kamera in die Heilige Stadt eingeschleust haben wollen. Zwar verspricht der Off-Kommentar auch in der Mekka-Sequenz mehr als die Bilder letztendlich zu halten imstande sind – ich jedenfalls habe von dem Sklavenmarkt im Herzen der Stadt keine Haarspitze gesehen –, und zudem erweisen sich die Verantwortlichen als nicht mal rudimentär in islamischer Geschichte und Theologie beschlagen – der Off-Sprecher behauptet doch beispielweise allen Ernstes, Prophet Mohammed habe die mekkanische Kaaba gebaut!? –, und andauernd bekräftigt zu bekommen, wie exklusiv diese Aufnahmen doch seien, da nie zuvor ein Kameramann das spirituelle Zentrum des Islams betreten habe, nervt auch eher früher als später, spannend ist es aber dennoch, einmal Einblicke darin zu halten, was für ein Trubel im Mekka der frühen 1960er während der Großen Hadsch geherrscht hat.
Alles in allem haben die Versprechen des zitierten „Square-Ups“ sich nicht bewahrheitet. Von der Lebensgefahr, die schon im Einleitungstext beschworen wird, sieht man im fertigen Film rein gar nichts; der investigative Anstrich, den der Film sich selbst gibt, steht auf äußerst strauchelnden Stelzen; und das Gefühl, während der neunzig Minuten Sklavenschau nun wirklich etwas gelernt zu haben, bleibt ebenfalls aus. LE SCHIAVE ESISTONO ANCORA ist sicherlich kein Früh-Mondo von der Stange, und auf jeden Fall ernster, betuchter und bodenständiger als reine Revuenummern wie MONDO DI NOTTE oder MONDO NUDO, dadurch aber geht dem Film das transgressive Potential eines MONDO CANE freilich vollends ab. Am Avantgarde-Film geschulte Montagetricks, schräge Kameraperspektiven und verblüffende Bild-Ton-Juxtapositionen, wie sie den Stil Jacopettis und Prosperis kennzeichnen, halten sich von LE SCHIAVE ESISTONO ANCO-RA weitgehend fern, was den Film letztendlich in einem uneindeutigen Bereich zwischen profunder Dokumentation und kitzelnder Exploitation auf der Stelle treten lässt. Wenn dann noch der Grundton, wie bereits angedeutet, derjenige ist, dass vor allem Arabien zum ultimativen Feindbild hochstilisiert wird, dessen Machenschaften den gesamten Erdball verdüstern, und die Tonspur permanent orientalische Melodien einspielt, die klingen, als sollten sie ursprünglich die Auftritte eines sinisteren Scheichs in irgendeinem Hollywood-Abenteuerfilm der 30er oder 40er Jahre akustisch untermalen, dann bleibt mir nicht viel mehr, als LE SCHIAVE ESISTONO ANCORA als eher vernachlässigbaren Genre-Vertreter beiseitezuschieben, und völlig nachzuvollziehen, dass ein renommierter Dokumentarist wie Folco Quilici nicht mit dem Werk in einem Atemzug genannt werden wollte.