THE KILLER RESERVED NINE SEATS / L'ASSASSINO HA RISERVATO NOVE POLTRONE (1974)
mit Rosanna Schiaffino, Chris Avram, Janet Agren, Lucretia Love, Paola Senatore, Gaetano Russo, Andrea Scotti, Edoardo Filippone sowie Howard Ross und Eva Czemerys
eine Produktion der Cinenove | Overseas Film Company
ein Film von Giuseppe Bennati
»Wie viel Stoff hast du dir eingeworfen, hm?«
15. Februar 1974. An seinem Geburtstag beschließt Patrick Davenant (Chris Avram) mit seinen Verwandten und sogenannten Freunden, ein verlassenes Theater aufzusuchen, dass sich seit ewigen Zeiten im privaten Familienbesitz befindet. Doch niemand der immer noch in Partylaune stehenden Clique ahnt, dass sich unter ihnen ein Mörder befindet, der die neun Gäste nach und nach bestialisch ermorden will. Zu diesem Zweck zieht der Killer eine Art altes Märchen zu Rate, dessen Grausamkeiten er kurzerhand kopiert. Ein herabstürzender Balken, der Patrick beinahe erschlägt, ist Auslöser für die unheimliche Mordserie und das erste Opfer lässt nicht lange auf sich warten. Da der maskierte Täter alle Ausgänge verriegelt hat, gibt es kein Entkommen aus diesem Käfig, in dem die Gäste ab sofort gehetzt werden wie Tiere. Schließlich erzählt Patrick den noch Überlebenden eine unglaubliche Geschichte, die das Geheimnis des Theaters lüften soll: Alle hundert Jahre, nämlich genau am 15. Februar, findet eine Serie von Morden in diesem Hause statt, aus welchem es nur ein Entkommen gibt, wenn man bereits tot ist...
Bereits der Vorspann und die ersten Minuten von "The Killer Reserved Nine Seats" deutet an, dass man es mit einer Perle zu tun bekommen könnte, die unterhaltsamer, also im übertragenen Sinne auch klassischer nicht sein könnte. Eine Straße bei Nacht, die Scheinwerfer der Luxus-Karossen blenden den Zuschauer, im Inneren sieht man alle beteiligten Personen der Geschichte und gleichzeitig kleinere Hinweise über die Konstellationen und Neigungen dieser Herrschaften. Sehr originell ist die Idee, dass bei den jeweilig gezeigten Person auch gleichzeitig die dazu passenden Namen der Darsteller eingeblendet werden und die schöne Musik von Carlo Savina begleitet diese Eskorte in den Tod mit träumerisch-trügerischen Klängen. Die unmittelbare Vertrautheit, die bereits in den ersten Minuten entsteht, lässt erahnen, dass man sich absolut im richtigen Film befinden dürfte. Angekommen am Schauplatz des Schreckens, stellen sich die Personen hemmungslos selbst vor, indem sie offen zur Schau stellen, wie sehr sie sich gegenseitig verachten, hassen oder auch lieben, wobei sich allerdings schnellstens die Frage stellt, wo diesbezüglich eigentlich der Unterschied liegen würde. Man macht die Bekanntschaft mit unverbesserlichen Snobs, selbstherrlichen Bonzen, einigen offensichtlich psychisch Gestörten, stutenbissigen Frauen, die ihre eigene Frustration und Eitelkeit in den Augen der anderen sehen und im Endeffekt einige Flittchen, die sich in dieser Nacht mal wieder als Damen verkleidet haben. Eine willkommene Maskerade innerhalb dieses wirklich imposanten Settings, und das Theater mit all seinen geheimen Gängen und Winkeln wird zunehmend zur unübersichtlichen Falle. Bei dieser Art von hochgradiger Ortsgebundenheit besteht schnell die Gefahr, dass sich ein Vakuum entwickelt, in dem sich alles im Kreis zu drehen beginnt, doch hier ist das glücklicherweise nicht der Fall, denn dafür wirkt alles Gezeigte zu variabel und als einheit zu gut konstruiert.
Die Besetzungsliste wird rückblickend recht unspektakulär von Rosanna Schiaffino angeführt, die keine Unbekannte im Kino ihrer Zeit darstellte. Großer Name, großes Kino? Es ist nicht einmal so, dass die Italienerin keine annehmbare Figur macht, es sind die vehementen Kolleginnen, die sie in die empfundene Bedeutungslosigkeit drängen und ihre Darbietung somit unterwandern. Somit ist der Einsatz als gewünscht deutlicher Kontrast zu den üblichen Personen etwas missglückt. Insbesondere die soeben gerade wieder entdeckte Eva Czemerys ("Hochzeitsnacht-Report") ist verantwortlich für diesen eindeutigen Eindruck, der von Lukretia Love, Janet Agren und in einer intensiven Art und Weise von Paola Senatore nur unterstützt wird. Schiaffinos Charakter wirkt in diesem Szenario einfach zu wenig markant oder geheimnisvoll. Bleiben wir also direkt bei den wirklichen Highlights der Interpretationen, beispielsweise bei derjenigen der Deutschen Eva Czemerys, die wie üblich mit einem Präzisionsauftritt überzeugt. Gerade sie reiht sich überragend in die oberflächlich-illustre Runde ein und trägt dabei offen zur Schau, dass das Ignorieren von gesellschaftliche Konventionen zu einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen zu gehören scheint. Im Rahmen der Dialoge bekommt der Zuschauer insbesondere bei den Damen einige Zuckerstückchen serviert und geschliffener Zynismus, und ganz offensichtliche, gegenseitige Verachtung setzt häufig zum Überholmanöver an. Daran zeigen sich natürlich alle Beteiligten überaus interessiert und schließlich auch versiert, so dass das Aufspüren nach Sympathieträgern zu einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen wird. Lukretia Love überzeugt insbesondere mit ihrer offensiven Art, verführen zu wollen. Dabei scheint es kaum wichtig zu sein, um wen es sich handeln soll, Hauptsache es ist eine attraktive, respektive willige Frau. Besonders Janet Agren erfreut das Auge und beschleunigt die Umdrehungen des Attraktivitäs-Karussells erheblich, was mit Hilfe eines sehr langsamen Aufbaus übrigens auch für Paola Senatore gilt, und das sogar im Besonderen. Mit Senatore hatte ich bislang definitiv die falschen Filme gesehen!
Bei den beteiligten Herren läuft vielleicht weniger Spektakuläres, aber dafür Solides ab. Chris Avram als Gastgeber und quasi Initiator dieser Zusammenkunft, stiftet eigentlich permanent Widersprüche und kolportiert die mysteriöse Atmosphäre recht überzeugend. Der Zuschauer ahnt, dass sein Wissen möglicherweise den Schlüssel in diesem Mörderspiel darstellt, doch es dauert sehr lange, bis er Informationen, und seine einhergehenden Bedenken weiter gibt, so dass sich die Anzahl der im Theater eingepferchten Personen teils spektakulär reduzieren kann. Überhaupt sind die charakterlichen Differenzierungs-Taktiken deutlich im Unterschied, und eindringlich in der Vermittlung. Howard Ross gehört wie viele andere Herrschaften zu denjenigen, die schnellstens ihr wahres Gesicht zeigen werden und die Clique als das entlarven, was sie in Wirklichkeit ist: Ein im Grunde genommen verkommener Haufen von Personen, die alle ihre offensichtlichen, oder unterschwelligen Störungen zu tragen haben und sich ausschließlich selbst am nächsten sind. Eigentlich bekommt man nur den Eindruck, dass es jeder gelegentlich mit jedem treibt, oder dies längst schon getan hat, dass sich die Damen nur mit den vom Eindruck her wesentlich schwächer bis untergebenen Männern eingelassen haben, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen, und die Herren selbst nach adäquaten Möglichkeiten suchen, diese geldgierigen Klötze am Bein so schnell wie möglich wieder abzuschütteln. Aufrichtigkeit und klarer Verstand sind nur äußerst selten aufzuspüren, ja, es handelt sich wirklich um eine niederträchtige Gesellschaft, bei der sich das Mitleid durch Ableben daher schwer in Grenzen hält. Im weiteren Verlauf ist der Film hauptsächlich an seiner Exposition interessiert als daran, Zusammenhänge zu knüpfen. Die Konstellationen erfahren keine lückenlose Durchleuchtung was dazu führt, dass die Fantasie des Zuschauers in gewissen Szenen verrückt spielen darf. Ein recht interessante Variante der Zuschauer-Gewalt, die auf Mutmaßungen, Andeutungen und Vorahnungen basiert.
Beim genauen Betrachten lassen sich in "The Killer Reserved Nine Seats" etliche Inhalte oder Fragmente aus anderen Filmen finden, beziehungsweise er selbst leitet sich teilweise aus diesen her, was keine Kritik, sondern nur eine Feststellung sein soll. Das Zehn-Kleine-Negerlein-Prinzip gefällt mir persönlich immer recht gut, insbesondere bei einer derartig soliden Umsetzung. Es gab gedankliche Querverbindungen zu Szenen aus "Schreie in der Nacht" oder "Mord in der Rue Morgue", eine andere erinnerte etwa an "Das Geheimnis der grünen Stecknadel", was im Zweifelsfall immer für eine willkommene Atmosphäre sorgt. Überhaupt liefert Giuseppe Bennatis Beitrag in dieser Hinsicht sehr dichte Elemente, abgesehen von dem prunkvollen Ambiente des barocken Theaters sieht man etliche dunkle Gänge und Gewölbe, mysteriös wirkende Räume und Requisiten, bis alles schließlich ein sehr stimmiges Gesamtbild ergibt, das trotz der bereits erwähnten Ortsgebundenheit tadellos funktioniert. Auch das Thema Spannung kam glücklicherweise nicht zu kurz, da das beunruhigend wirkende, maskierte Phantom die Gästeliste mit teils bestialischen Mordmethoden quasi abarbeitet. Dabei hält nicht nur der dargebotene Varianten-Reichtum bei der Stange, sondern auch die jeweilige Ausgiebigkeit der Inszenierung.
Bei den einen sieht man den Zeitpunkt des Mordes nicht, so dass man sich wundert, wer schließlich verantwortlich sein könnte, andere werden vorher wie bei einer Treibjagd gehetzt und auch so manche Konversation mit dem Täter sorgt für eine ungewöhnliche Form der Spannung. Die Regie ließ es sich daher auch nicht nehmen, im Rahmen der Exposition diverse Akzente zu setzen und einerseits erscheint der Film im Großen und Ganzen schließlich recht ausgewogen zu sein, andererseits schimmert er aber auch in einem merkwürdig verspielten Licht. Dass man insgesamt aber definitiv eher das Unerwartete erwarten sollte, hebt "The Killer Reserved Nine Seats" erfreulicherweise von teils über-ambitionierten Genre-Geschwistern ab und die relative Vorhersehbarkeit ist und bleibt im Verlauf ziemlich unberechenbar. Mich persönlich hat ein mir bis dato unbekannter Film jedenfalls schon lange nicht mehr so begeistern können, und vor allem den seltenen Impuls ausgelöst, mir das Spektakel nach dem (zugegebenermaßen etwas unbefriedigendem) Ende gleich wieder anschauen zu wollen. Von daher bleibt unterm Strich ein glasklarer Volltreffer zurück, der mich auch beim nächsten Mal sicherlich blendend unterhalten dürfte.