Volcano - Roman Bondarchuk (2018)
Verfasst: So 18. Nov 2018, 10:53
Produktionsland: Ukraine 2018
Regie: Roman Bondarchuk
Darsteller: Serhiy Stepansky, Viktor Zhdanov, Khrystyna Deilyk
Viel gesehen hab ich dieses Jahr ja mal wieder nicht auf dem Internationalen Braunschweiger Filmfestival, und stattdessen in Hitzacker in die Elbe geschaut. Von dem, was mir dann doch vor die Linse lief, handelte es sich fast ausschließlich um Altes und Vertrautes wie Abel Gances knapp dreistündiges pazifistisches Kriegs- und Liebesdrama J’ACCUSE von 1919, das mir in Gestalt des möglicherweise ergreifendsten Stummfilmkonzerts, dem ich in meinem Leben beiwohnen durfte, nämlich begleitet von einem einzigen Flügel, präsentiert wurde, Lewis Milestones ALL QUIET ON THE WESTERN FRONT in seiner zugegebenermaßen im Vergleich zur Tonfassung heftig absinkenden stummen Variante, Eisensteins BRONENOSSEZ POTJOMKIN, den ich innerhalb einer Woche gleich zweimal vorgesetzt bekam, einmal mit Musik aus der Konserve, und einmal mit einem den Revolutionspathos des Films regelrecht hervorpeitschenden Orchester, und natürlich VALKOINEN PEURA, einem finnischen Vertreter folkloristischen Horrors aus dem Jahre 1952, in dem es, obwohl man das dem Film möglicherweise zunächst nicht wirklich ansieht, eigentlich nur um Sex geht.
Im Grunde nur mit zwei Filmen bin ich auf dem BIFF zum ersten Mal zusammengestoßen – wobei die Begegnung mit dem irischen „Pagan Horror“ WITHOUT NAME von 2016 keine war, an die ich mich wohl lange erinnern werde, denn zu generisch gebärdete sich der Film mir gegenüber, dessen Plot sich nie richtig zwischen esoterischer Vagheit und Genreklischees zu entscheiden vermochte. Die zweite Zufallsbegegnung allerdings – der Debut-Spielfilm des bislang offenbar vor allem für seine Dokumentationen bekannten Ukrainers Roman Bondarchuk VOLCANO von 2018 – war demgegenüber eine, bei der ich gar nicht loslassen wollte vom Rockzipfel dieses herzerwärmenden, versponnenen, komischen, politischen Films, mit dem ich da unvermittelt kollidiert war.
Im Zentrum von VOLCANO steht Lukas, ein Übersetzer, der für die OSCE arbeitet, und sich zu Beginn des Films in der misslichen Lage befindet, ohne Pass, ohne Geld, ohne Auto, ohne Kontakt zu seinen spurlos verschwundenen Mitreisenden in der südukrainischen Stadt Beryslaw zu stranden, aus der nicht nur, wie Bondarchuk im anschließenden Q&A erzählte, seine eigene Familie stammt, sondern die zudem inmitten einer Region liegt, die für ihre anarchischen Zustände berühmt-berüchtigt ist: Bevor die Menschen dort, sagte Bondarchuk, die Polizei rufen, nehmen sie das Gesetz lieber selbst in die Hand, halten sich mit halb-legalen Broterwerben notdürftig über Wasser, hausen in verlassenen Kolchosen, sich mit einem System arrangierend, das vor Korruption nur so strotzt, und einem einzig die Perspektive bietet, in dem ärmlichen Landstrich früher oder später seinen Atem auszuhauchen. Lukas erlebt am eigenen Leib, dass das Leben in Beryslaw alles ist, nur kein Zuckerschlecken: Nachdem er, auf den nächsten Bus wartend, in eine Elektro-Party hineingeschneit ist, aus der er ausgenommen wie eine Weihnachtsgans hervorgeht, steckt ihn die örtliche Polizei, bei der er Anzeige gegen die Diebe erstatten will, kurzerhand in den Knast. Einzig die Intervention eines alten Mannes namens Vova bewahrt Lukas vor dem Schlimmsten. Sein Versuch, sich auf eigene Faust zurück in die Zivilisation durchzuschlagen, endet allerdings erneut damit, dass ihn eine Militäreinheit als potentiellen Rekruten verschleppt, und er zusammengeschlagen in einer Grube inmitten eines Maisfeldes landet. Erneut ist es Vova, der unserem Helden den Hals rettet, und ihn anschließend gar väterlich-freundlich bei sich aufnimmt, wo Lukas neben Vovas greiser Mutter und seiner Tochter Marushka allmählich zu einem Teil der Familie wird. Nicht nur scheint Marushka mehr als ein Auge auf den jungen Mann zu werfen, was diesen wiederum in Konflikt mit ihrem Ex-Freund bringt, sondern Lukas wird, in Ermangelung einer Alternative, denn inzwischen wird er ukraineweit per Steckbrief als mutmaßlicher russischer Geheimagent gesucht, zu Vovas Geschäftspartner: Mit einem Metalldetektor bewaffnet, suchen sie die Felder Beryslaws nach Überresten deutscher Weltkriegssoldaten ab, deren Knochen gewinnbringend ins Ausland verkauft werden sollen...
VOLCANO ist sich der Probleme des Heimatlandes seines Regisseurs bewusst genug, um eine aktuelle Brisanz zu besitzen, verfällt dabei aber nie in einseitige Polemik und einfache Lösungen zu komplexen Problemen. VOLCANO steckt voll genug von phantastischen Ideen – eine Schlägerei zwischen zwei verfeindeten Banden mit einer hysterisch-entfesselten Kamera wie aus einem Zulawski-Film; eine verrückte Showveranstaltung, bei der ein glatzköpfiger Hüne Ketten sprengt und Messer schluckt wie aus einem Fellini-Film; metaphysische Einsprengsel wie eine verwunschene Boje, die vor dem Hafen Beryslaws zirkuliert, und die bislang angeblich niemand habe einfangen können –, um niemals gelangweilt auf der Stelle zu treten, und setzt all diese Ideen doch nie ein, um oberflächliche Attraktionen zu erzeugen. VOLCANO hat zärtliche Momente, in denen sich der Wind in Maisfeldern verfangen darf, und wirklich komische Momente, wenn Lukas und Vova mit ihrem Detektor durch die triste Landschaft streifen, kann aber auch verstören – die quälend lange Szene, in der Lukas in seiner Grube auf den Tod wartet –, und pointiert Stellung zu gesellschaftlichen Fragen beziehen, und dabei weder verbittert noch eskapistisch zu wirken. Aus technisch-ästhetischer Sicht ist er zudem ein kleines Wunderwerk an ellipti-scher Montage, Plansequenzen wie die eines unterhalb der Kamera vorbeirauschenden Industriekahns gleich im Prolog, und atemberaubender Bildkompositionen, in denen dem verwahrlosten Hinterland mit viel Liebe weitgehend verborgene Schönheiten abgetrotzt werden. VOLCANO hat mich berührt, belustigt, betroffen gemacht, und ich hänge noch immer am Rockzipfel dieses wundervollen Films, und schaue zu, wie Lukas nach etlichen Entbehrungen, und Selbstfindungstrips es endlich schafft, den Teelöffel an seine Nasenspitze zu heften – worauf er klebenbleibt.
Übrigens hatte ich nach offiziellem Zapfenstreich des Festivals dann doch noch Gelegenheit, eine Best-Of-Veranstaltung in Wolfsburg zu besuchen, wo die zwei Gewinnerfilme von Publikum- respektive Jurypreis noch einmal aufgeführt wurden. Das Publikum sprach sich aus für die indisch-französische Co-Produktion SIR – (kongenialer deutscher Titel: DIE SCHNEIDERIN DER TRÄUME) –, das sich als nette, harmlose, handzahme, filmisch eher uninteressante, schauspielerisch schon interessantere Geschichte entpuppte, die sich an den Kastenunterschieden im Gegenwarts-Indien abarbeitet, und niemandem im Vorprogramm eines Öffentlich-Rechtlichen Senders auf die Füße treten dürfte. Die Jury wiederum prämierte X., einen ungarischen Politthriller, der mich mit seinem vollkommen überkonstruierten Plot, seinen plakativen Sound-Effekten, den fragwürdigen Kameraspielereien und den Charakterzeichnungen aus der Kiste mit den eindimensionalen Schablonen verärgerte, und dessen Optik ihn wahlweise wirken ließ wie das Derivat einer US-Serie aus den 90ern oder einer besseren TATORT-Folge. Wenn mir diese freiwillige Begegnung mit zwei mir zuvor vollkommenen unbekannten Filmen eines aufgezeigt hat, dann, dass mein Filmgeschmack und der der Welt scheinbar ziemlich weit auseinanderfasern.
Im Grunde nur mit zwei Filmen bin ich auf dem BIFF zum ersten Mal zusammengestoßen – wobei die Begegnung mit dem irischen „Pagan Horror“ WITHOUT NAME von 2016 keine war, an die ich mich wohl lange erinnern werde, denn zu generisch gebärdete sich der Film mir gegenüber, dessen Plot sich nie richtig zwischen esoterischer Vagheit und Genreklischees zu entscheiden vermochte. Die zweite Zufallsbegegnung allerdings – der Debut-Spielfilm des bislang offenbar vor allem für seine Dokumentationen bekannten Ukrainers Roman Bondarchuk VOLCANO von 2018 – war demgegenüber eine, bei der ich gar nicht loslassen wollte vom Rockzipfel dieses herzerwärmenden, versponnenen, komischen, politischen Films, mit dem ich da unvermittelt kollidiert war.
Im Zentrum von VOLCANO steht Lukas, ein Übersetzer, der für die OSCE arbeitet, und sich zu Beginn des Films in der misslichen Lage befindet, ohne Pass, ohne Geld, ohne Auto, ohne Kontakt zu seinen spurlos verschwundenen Mitreisenden in der südukrainischen Stadt Beryslaw zu stranden, aus der nicht nur, wie Bondarchuk im anschließenden Q&A erzählte, seine eigene Familie stammt, sondern die zudem inmitten einer Region liegt, die für ihre anarchischen Zustände berühmt-berüchtigt ist: Bevor die Menschen dort, sagte Bondarchuk, die Polizei rufen, nehmen sie das Gesetz lieber selbst in die Hand, halten sich mit halb-legalen Broterwerben notdürftig über Wasser, hausen in verlassenen Kolchosen, sich mit einem System arrangierend, das vor Korruption nur so strotzt, und einem einzig die Perspektive bietet, in dem ärmlichen Landstrich früher oder später seinen Atem auszuhauchen. Lukas erlebt am eigenen Leib, dass das Leben in Beryslaw alles ist, nur kein Zuckerschlecken: Nachdem er, auf den nächsten Bus wartend, in eine Elektro-Party hineingeschneit ist, aus der er ausgenommen wie eine Weihnachtsgans hervorgeht, steckt ihn die örtliche Polizei, bei der er Anzeige gegen die Diebe erstatten will, kurzerhand in den Knast. Einzig die Intervention eines alten Mannes namens Vova bewahrt Lukas vor dem Schlimmsten. Sein Versuch, sich auf eigene Faust zurück in die Zivilisation durchzuschlagen, endet allerdings erneut damit, dass ihn eine Militäreinheit als potentiellen Rekruten verschleppt, und er zusammengeschlagen in einer Grube inmitten eines Maisfeldes landet. Erneut ist es Vova, der unserem Helden den Hals rettet, und ihn anschließend gar väterlich-freundlich bei sich aufnimmt, wo Lukas neben Vovas greiser Mutter und seiner Tochter Marushka allmählich zu einem Teil der Familie wird. Nicht nur scheint Marushka mehr als ein Auge auf den jungen Mann zu werfen, was diesen wiederum in Konflikt mit ihrem Ex-Freund bringt, sondern Lukas wird, in Ermangelung einer Alternative, denn inzwischen wird er ukraineweit per Steckbrief als mutmaßlicher russischer Geheimagent gesucht, zu Vovas Geschäftspartner: Mit einem Metalldetektor bewaffnet, suchen sie die Felder Beryslaws nach Überresten deutscher Weltkriegssoldaten ab, deren Knochen gewinnbringend ins Ausland verkauft werden sollen...
VOLCANO ist sich der Probleme des Heimatlandes seines Regisseurs bewusst genug, um eine aktuelle Brisanz zu besitzen, verfällt dabei aber nie in einseitige Polemik und einfache Lösungen zu komplexen Problemen. VOLCANO steckt voll genug von phantastischen Ideen – eine Schlägerei zwischen zwei verfeindeten Banden mit einer hysterisch-entfesselten Kamera wie aus einem Zulawski-Film; eine verrückte Showveranstaltung, bei der ein glatzköpfiger Hüne Ketten sprengt und Messer schluckt wie aus einem Fellini-Film; metaphysische Einsprengsel wie eine verwunschene Boje, die vor dem Hafen Beryslaws zirkuliert, und die bislang angeblich niemand habe einfangen können –, um niemals gelangweilt auf der Stelle zu treten, und setzt all diese Ideen doch nie ein, um oberflächliche Attraktionen zu erzeugen. VOLCANO hat zärtliche Momente, in denen sich der Wind in Maisfeldern verfangen darf, und wirklich komische Momente, wenn Lukas und Vova mit ihrem Detektor durch die triste Landschaft streifen, kann aber auch verstören – die quälend lange Szene, in der Lukas in seiner Grube auf den Tod wartet –, und pointiert Stellung zu gesellschaftlichen Fragen beziehen, und dabei weder verbittert noch eskapistisch zu wirken. Aus technisch-ästhetischer Sicht ist er zudem ein kleines Wunderwerk an ellipti-scher Montage, Plansequenzen wie die eines unterhalb der Kamera vorbeirauschenden Industriekahns gleich im Prolog, und atemberaubender Bildkompositionen, in denen dem verwahrlosten Hinterland mit viel Liebe weitgehend verborgene Schönheiten abgetrotzt werden. VOLCANO hat mich berührt, belustigt, betroffen gemacht, und ich hänge noch immer am Rockzipfel dieses wundervollen Films, und schaue zu, wie Lukas nach etlichen Entbehrungen, und Selbstfindungstrips es endlich schafft, den Teelöffel an seine Nasenspitze zu heften – worauf er klebenbleibt.
Übrigens hatte ich nach offiziellem Zapfenstreich des Festivals dann doch noch Gelegenheit, eine Best-Of-Veranstaltung in Wolfsburg zu besuchen, wo die zwei Gewinnerfilme von Publikum- respektive Jurypreis noch einmal aufgeführt wurden. Das Publikum sprach sich aus für die indisch-französische Co-Produktion SIR – (kongenialer deutscher Titel: DIE SCHNEIDERIN DER TRÄUME) –, das sich als nette, harmlose, handzahme, filmisch eher uninteressante, schauspielerisch schon interessantere Geschichte entpuppte, die sich an den Kastenunterschieden im Gegenwarts-Indien abarbeitet, und niemandem im Vorprogramm eines Öffentlich-Rechtlichen Senders auf die Füße treten dürfte. Die Jury wiederum prämierte X., einen ungarischen Politthriller, der mich mit seinem vollkommen überkonstruierten Plot, seinen plakativen Sound-Effekten, den fragwürdigen Kameraspielereien und den Charakterzeichnungen aus der Kiste mit den eindimensionalen Schablonen verärgerte, und dessen Optik ihn wahlweise wirken ließ wie das Derivat einer US-Serie aus den 90ern oder einer besseren TATORT-Folge. Wenn mir diese freiwillige Begegnung mit zwei mir zuvor vollkommenen unbekannten Filmen eines aufgezeigt hat, dann, dass mein Filmgeschmack und der der Welt scheinbar ziemlich weit auseinanderfasern.