Simpel - Markus Goller (2017)

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Simpel - Markus Goller (2017)

Beitrag von buxtebrawler »

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Originaltitel: Simpel

Herstellungsland: Deutschland / 2017

Regie: Markus Goller

Darsteller: David Kross, Frederick Lau, David Berton, Annette Frier, Maxim Kovalevski, Oscar Ortega Sánchez, Ludger Pistor, Uwe Rohde, Anneke Kim Sarnau, Emilia Schüle, Axel Stein, Devid Striesow u. A.

Irgendwo in der norddeutschen Einöde kümmert sich Ben (Frederick Lau) liebevoll um seine schwerkranke Mutter und seinen 22-jährigen behinderten Bruder Barnabas (David Kross), der geistig auf dem Stand eines Kleinkinds zurückgeblieben ist und von allen nur Simpel genannt wird. Als die Mutter stirbt, beschließen die Behörden, dass Simpel von Ben getrennt werden und in ein Heim eingewiesen werden soll, weil Ben sich nicht genügend um ihn kümmern könne. Lediglich der Vater der beiden Brüder (Devid Striesow) könnte erwirken, dass Ben sich auch weiterhin um Simpel kümmern darf. Dieser hat sich jedoch bereits vor 15 Jahren von seiner Familie abgewandt und ein neues Leben begonnen. Mit Ben und Barnabas möchte er nichts zu tun haben. Als die Dorfpolente Simpel abholen und ins Heim bringen soll, ermächtigt sich Ben kurzerhand des Peterwagens und düst mit Simpel gen Hamburg, wo der Erzeuger ausfindig gemacht und überzeugt werden soll…

Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Simpel - Markus Goller (2017)

Beitrag von buxtebrawler »

Im Winter 2017 kam Regisseur Markus Gollers („Alles ist Liebe“) sechster Spielfilm in die deutschen Kinos: Der tragikomische Roadmovie „Simpel“ basiert auf einem Jugendbuch der französischen Autorin Marie-Aude Murail und wurde ins norddeutsche platte Land sowie nach Hamburg verlegt.

Irgendwo in der norddeutschen Einöde kümmert sich Ben (Frederick Lau, „Nicht mein Tag“) liebevoll um seine schwerkranke Mutter und seinen 22-jährigen behinderten Bruder Barnabas (David Kross, „Knallhart“), der geistig auf dem Stand eines Kleinkinds zurückgeblieben ist und von allen nur Simpel genannt wird. Als die Mutter stirbt, beschließen die Behörden, dass Simpel von Ben getrennt werden und in ein Heim eingewiesen werden soll, weil Ben sich nicht genügend um ihn kümmern könne. Lediglich der Vater der beiden Brüder (Devid Striesow, „Freischwimmer“) könnte erwirken, dass Ben sich auch weiterhin um Simpel kümmern darf. Dieser hat sich jedoch bereits vor 15 Jahren von seiner Familie abgewandt und ein neues Leben begonnen. Mit Ben und Barnabas möchte er nichts zu tun haben. Als die Dorfpolente Simpel abholen und ins Heim bringen soll, ermächtigt sich Ben kurzerhand des Peterwagens und düst mit Simpel gen Hamburg, wo der Erzeuger ausfindig gemacht und überzeugt werden soll…

Nein, glücklicherweise wurde „Simpel“ um den kleinkindlichen 22-Jährigen mit leichter Spastik, eingeschränktem Wortschatz und Ausspracheproblemen kein ausschließlich auf Rührseligkeit bedachtes Melodram. Stattdessen wird mit viel sympathischem Witz ein Roadmovie der etwas anderen Art geschildert, der Vorschläge für den respekt- und liebevollen Umgang der Gesellschaft mit geistig Behinderten unterbreitet. Ihre „Verreise“ führt die Brüder nach Hamburg und lässt sie eine Menge unterschiedlicher Menschen kennenlernen, beginnend beim Lastwagenfahrer (toller Charakterdarsteller: Maxim Kovalevski, „Das Mädchen und der Tod“) über Punks am S-Bahnhof Reeperbahn und die Medizinstudenten Aria (Emilia Schüle, „Besser als nix“) und Enzo (Axel Stein, „Feuer, Eis & Dosenbier“) bis hin zur Prostituierten Chantal (Annette Frier, „Dani Lowinski“). Dass sie dabei fast ausschließlich an freundliche und hilfsbereite Mitmenschen geraten, ist jedoch reichlich naiv und einer der Schwachpunkte des Films. Zudem würde eine Medizinstudentin wohl kaum die dumme Frage stellen, ob sich Simpels Zustand noch bessern würde.

Dem gegenüber stehen authentische, schöne Bilder der Hansestadt (die Werbung für den unsäglichen Jahrmarkt „Hamburger Dom“ hätte man sich jedoch sparen können), eine über weite Strecken spannende, sehr unterhaltsame Handlung (die bisweilen übers Ziel hinausschießt, es z.B. mit der Action-Einlage im Sexclub übertreibt) sowie Autoritätskritik in Bezug auf Ämter und Polizei inkl. eines Seitenhiebs auf die örtliche Politik aufgrund eines in negativer Hinsicht populären Namensvetters Barnabas‘: Als die Hamburgerinnen und Hamburger sich dereinst nicht entblödeten, den hochnotpeinlichen Z-Promi Ronald Barnabas Schill mit einem politischen Amt zu betrauen, hatten sie „einen noch viel größeren Idioten gleichen Namens im Senat“. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Simpel verhält sich in den meisten Situationen wie ein Kind, wirkt dadurch sympathisch und umgänglich. Genauso wenig wie Kinder sind geistig Behinderte jedoch ausschließlich lieb und lustig; ein Aspekt, der in „Simpel“ etwas zu kurz kommt. Zwar spitzt sich die Lage extrem zu, als Simpel Arias Wohnung in Brand setzt – dass diese dies mit nur wenig mehr als einem Schulterzucken zur Kenntnis nimmt, ist der o.g. Naivität des Drehbuchs zuzuordnen. Ungefähr das letzte Drittel wird für die Konfrontation mit dem Vater der beiden aufgewendet, wo zentrale Aspekte der Aussagen des Films kulminieren. Es geht um Inklusion und ihre Herausforderungen, um den Spagat zwischen Selbstverwirklichung und Selbstaufgabe und um eine vermeintlich heile Welt, in die jemand wie Simpel nicht hineinpasst. Die Emotionalisierung des Publikums funktioniert unter Goller formidabel, ab und zu wird etwas stärker auf die Tränendrüse gedrückt und sogar „Marco“, ein supertrauriger Jugendliteraturklassiker, den ich in Form seiner großartigen Anime-Serienadaption kennengelernt hatte, erwähnt.

Im Vorfeld hatte ich befürchtet, dass Kross einen geistig Zurückgebliebenen nicht richtig mimen könnte oder seine Darstellung peinlich werden würde – unnötig. Kross löst diese Herausforderung mit Bravour, nach kurzer Eingewöhnungszeit ist man als Zuschauer „drin“ und akzeptiert seine Rolle. Sämtliche Schauspieler harmonieren gut miteinander, die Chemie zwischen beiden Hauptdarstellern scheint perfekt. Die Schnittanschlüsse wirken in Dialogszenen mitunter etwas holprig, ansonsten gibt es auch technisch wenig auszusetzen. Der Film appelliert ans Publikum, mit den Simpels dieser Welt so umzugehen, wie es die guten Menschen in diesem Film tun, und ist damit aller Naivität zum Trotz ein inspirierendes Stück Nicht-nur-Wohlfühlkino und sympathischer norddeutscher Roadmovie mit viel Lokalkolorit.
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