Originaltitel: Sexy proibitissimo
Produktionsland: Italien 1963
Regie: Marcello Martinelli
Bereits Jahre bevor Gualtiero Jacopetti, Franco Prosperi und Paolo Cavara mit MONDO CANE das gleichnamige Genre entfesseln werden, lassen sich einige der Statuten, die für diese Initialzündung sowie die meisten ihrer Derivate konstitutiv sein würden, innerhalb der italienischen filone-Industrie nachweisen: Spätestens nachdem Alessandro Blasetti 1959 zumindest kommerziell erfolgreich ein Originaldrehbuch Jacopettis unter dem Titel EUROPA DI NOTTE verfilmt hat, das einen Querschnitt dessen bietet, was feierwütigen Grenzgängern an nächtlichen Freizeitaktivitäten in europäischen Metropolen wie Paris, London, Madrid Ende der 50er zur Verfügung stand – von Tanz- und Sang über Striptease-Nummern bis hin zu Zaubertrickshows –, wimmelt es im italienischen Kino von semi- oder pseudo-dokumentarischen Ausflügen in Nachtclubs, Bordelle oder Vaudeville-Etablissements, die ihrem Kinopublikum die große, weite Welt der Unterhaltungsformate, und damit nicht selten den einen oder anderen Landstrich blanker Frauenhaut, vor die örtliche Leinwand holen, und, so aufsehenerregend sie seinerzeit gewesen sein mögen, dem geneigten Rezipienten heutzutage höchstens noch ein müdes Lächeln abringen: MONDO DI NOTTE (1963), MONDO SEXY DI NOTTE (1962), MONDO NUDO (1963) sind filmhistorisch interessante Dokumente, die anschaulich visuelle Ausdrucksformen des (männlichen, heterosexuellen) Begehrens wie in einer Zeitkapseln bündeln, jedoch mit ihrem Reigen harmloser Fleischbeschau, trivialen Showeinlagen und gefälligen Gesangs- und Tanzstücken wohl – gerade weil ihnen die Avantgarde-Sensibilitäten und Schock-Strategien der MONDO-CANE-Macher vollends abgehen - nur noch jemanden wie mich hinter dem Ofen hervorlocken, der – aus welchen Gründen auch immer – einen Narren an ihnen gefressen hat. Wenn ein Film nun also SEXY PROIBITISSIMO heißt, und im Italien des Jahres 1963 das Licht der Projektoren erblickt hat, dann kann dieser Narr in mir nicht anders, als mich regelrecht mit gezückter Waffen, und wider besseres Wissen dazu zu nötigen, mir den Streifen unverzüglich anschauen – und sei es in einer möglicherweise gekürzten, nämlich nur knapp einstündigen englischen Synchronfassung, die vor etlichen Jahren auf dem US-amerikanischen Kontinent in erbarmungswürdiger Bildqualität auf VHS Veröffentlicht worden ist.
Zumindest im Ansatz bin ich jedoch einer Täuschung erlegen: Der offenbar einzige Film Marcello Martinellis, der für SEXY PROIBITISSIMO nicht nur den Regiestuhl in Beschlag nahm, sondern aus dessen Feder ebenso das Drehbuch stammt, ist nicht so sehr ein Sammelsurium „authentischer“ Dokumentaraufnahmen rund um den Erdenball wie beispielweise Gianni Proias MONDO-DI-NOTTE-Serie, sondern versteht sich als - *hust* - historische Rekonstruktion: Sein Thema – das Phänomen des Striptease - wird nicht synchron aufgearbeitet, sprich, in der Gegenwart des Jahres 1963 panoramaartig in all seinen unterschiedlichen kulturellen Manifestationen vor die Kamera gezerrt. Vielmehr folgt Martinelli seinen Spuren entlang eines diachronen Zeitstrahls vom angeblich ersten Striptease der Menschheitsgeschichte, als eine Frau ihren von der Jagd erschöpften Steinzeitmann in der gemeinsamen Höhle mit lasziven Körperbewegungen (erfolglos) zum Beischlaf animieren möchte, über den berühmten Schleiertanz Salomes am Hofe ihres Stiefpapas Herodes dem Großen, und eigenwillige Prozesse im Römischen Reich, wo die geladenen Zeuginnen sich vor dem Senat ihrer Garderobe entledigen müssen, bis hin zum zeitgenössischen Rom, wo Martinelli dann doch den einen oder anderen kunterbunten Abend im obligatorischen Tanzlokal beäugt. Es muss wohl nicht extra herausgestrichen werden, dass der Film sich aufgrund seines Konzeptes noch wesentlich weiter vom Dokumentarfilm-Gestus des Mondos-Genre fortbewegt als seine oben genannte Verwandtschaft: Mal abgesehen von den erwähnten Nachtclub-Szenen stellt jede einzelne der etwa fünfzehn Striptease-Nummern eine arrangierte Inszenierung in historischen Kostümen, historischen Kulissen und mit einer zumindest ansatzweise vorhandenen Dramaturgie dar. Großes darf man freilich nicht erwarten: Wenn das Alte Rom vor unseren Augen ersteht, oder das Italien der Renaissance-Zeit, oder die Schafotte der französischen Revolution, dann wirken Kostüme und Kulissen zu keinem Zeitpunkt so, als ob sie in irgendeinem drittklassigen Peplum oder Mantel-und-Degen-Abenteuer hätten Verwendung finden dürfen, während die einzelnen Episoden inhaltlich ungefähr auf dem Niveau von Karnevals-Kalauern rangieren. Ein „Sketch“ beispielweise arbeitet sich an der Lady-Godiva-Legende aus dem 11. Jahrhundert ab: Besagte angelsächsische Adlige reitet demzufolge, um die Steuerlast vom durch ihren Gatten geknechteten Volk zu nehmen, nackt durch die Straßen der Hauptstadt, nachdem ihr Mann dies als Bedingung dafür gestellt hat, sein rigides Finanzregime zu mildern. Martinelli nun fällt hierzu nichts Besseres ein als einen dicklichen Herrn die Godiva voyeuristisch von seinem Stubenfenster aus betrachten zu lassen – wobei er jedoch zu spät die Gardine beiseiteschiebt, und nur noch den Hintern ihres Pferdes zu Gesicht kriegt.
Auch sonst zeichnet sich SEXY PROIBITISSIMO nicht unbedingt durch einen feinsinnigen Humor aus: Eine zu Tode durch die Guillotine verurteilte Frau während der Jakobinischen Terrorherrschaft bringt ihren rotbemützten Henker per Striptease dazu, blind vor Geilheit selbst unters Beil zu geraten. Ein Frischvermählter muss im Spätmittelalter feststellen, als seine Angetraute sich erstmals vor ihm entkleidet, dass sich unter ihrer weitschweifigen Robe ein spindeldürres Hutzelweibchen versteckt. In irgendeinem nordischen Hafen imaginiert sich ein Trunkenbold einen bauchtanzenden und strippenden Flaschengeist in die leergesoffene Schnapspulle. Heterogen und inkohärent fädelt Martinelli solcherlei zotigen Späße an einem Faden auf, dessen Rot man – einmal abgesehen vom Oberthema „Striptease“ – mit der Lupe suchen muss. Wären wenigstens die Herzstücke des Films, die einzelnen Tanznummern nämlich, irgendwie beeindruckend ausgefallen, hätte ich ja noch ein oder zwei Augen zukneifen können. Leider erschöpfen sich die Darbietung der sich aus ihren Hüllen schälenden Damen (wohlgemerkt allerdings allesamt renommierte Gäste der internationalen Tanzbühnen) in monotoner Wiederholung, und gewinnen höchstens durch die wenigstens zuweilen grotesken Settings, in die Martinellis Skript sie hineinschreibt: Ein narzisstischer Muskelprotz thront auf einem Sockel, und hat für die ihn umwerbende, sukzessive mehr Haut zeigende Dame, die um ihn herumbalzt, nicht halb so viel Aufmerksamkeit übrig wie für den eigenen Bizeps. In einem angeblich in Hongkong spielendem Segment wiederum becirct eine Stripperin die mannshohe Statue des altägyptischen Totengottes Anubis. Vollends abstrus wird es, wenn Martinelli gar ins Phantastische Kino abschweift, und nicht nur Graf Dracula eine schlafende Schöne per Fernhypnose in ekstatisches Zucken unterm Bettzeug versetzt, und die Assistentin des Doktor Frankensteins dessen frischgebackenes Monster mit kokettem Hüftschwung zu Lustseufzern hinreißt, sondern seinen Film zudem in den Weiten des Alls beschließt, wo irdische Astronauten in den Genuss extraterrestrischer Nabelschauen gelangen. Auch wenn die Lichtchoreographie mit ihrem dominanten Primärtönen teilweise an Mario Bava erinnert, und auch wenn jede der Episoden immerhin kurz und bündig genug ist, dass keine von ihnen zur wahren Geduldsprobe wird, und auch wenn manche der kruderen Ideen wie eine Stripperin im Spinnenkostüm, die ihre männlichen Opfer in ihrem Netz wie Fliegen fängt, dann doch derangiert genug sind, mich nicht ganz von der Stange herabzustoßen, auf der der Film sich mit letzter Not hält, kann ich unterm Strich nun wirklich keine Empfehlung außerhalb eines kollektiven Trash-Abends, dessen Teilnehmer nun wirklich bis zum allerhöchsten Himmel schreien sollen, für dieses billig heruntergekurbelte, seine Schauwerte mehrheitlich einzig aus (wenig expliziter) weiblicher Nacktheit rekrutierende, und ansonsten reichlich einschläfernde Machwerk aussprechen, das in der englischen Synchronisation mit ihrem frivolen und Späße à la, dass Dracula einen festen Posten beim örtlichen Steueramt innehabe, oder dass Cleopatras Sklaven revoltiert hätten, weil man ihnen die Milch vorgesetzt habe, in der ihre Herrscherin tags zuvor gebadet habe, reißenden Sprecher offenbar noch die allerletzten Niveau-Weisheitszähne gezogen bekommen hat.