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Tumbling Doll of Flesh - Tamakichi Anaru (1998)

Verfasst: Sa 29. Dez 2018, 18:37
von Salvatore Baccaro
Originaltitel: Niku Daruma

Produktionsland: Japan 1998

Regie: Tamakichi Anaru

Darsteller: Tamakichi Anaru, Kanako Ooba, Kikurin, Yuji Kitano
Das Jahr neigt sich seinem Ende entgegen. Die Raunächte halten Einzug, der erste Schnee fällt, die Uhren ticken leiser und langsamer – und ich komme auf die großartige Idee, mit NIKU DARUMA aus dem Jahre 1998 einen der berühmt-berüchtigtsten Faux-Snuff-Filme überhaupt zu sichten, von dem es heißt, er könne selbst Connaisseure von ebenfalls in Japan entstandenen Gewaltorgien wie Yūji Makiguchis TOKUGAWA ONNA KEIBATSU-EMAKI: USHIA-ZAKI NO KEI (1976) oder Satoru Oguras GUINEA PIG: AKUMA NO JIKKEN (1985) nachhaltig traumatisieren…

NIKU DARUMA beginnt wie ein Pornofilm mit deutlichem Reality-Soap-Einschlag: Zwei Typen – einer davon der tatsächliche Regisseur und Autor des vorliegenden Spektakels, Tamakichi Anaru, sowie sein Kameramann – bitten zur Audienz. Jüngling Kiku und eine Dame namens Kana ziehen das große Los, und werden von ihren Arbeitgebern in ein angemietetes Häuschen gebracht, wo sie sich sodann vor laufender Kamera sexuell vergnügen sollen. Etwa eine Dreiviertelstunde lang dürfen wir in einem veristischen Stil, dem es kein bisschen angelegen ist, auch nur ein einziges interessantes oder gar hübsches Bild zu kreieren, sondern der die Vorgänge rau, schnörkellos entweder aus fixer Kameraperspektive oder per wackliger Handkamera präsentiert, den beiden Männern zusehen, wie sie ihren Porno drehen, und den beiden Darstellern, wie sie für diesen Porno physisch miteinander interagieren. Zwischendurch gibt es längere Dialogszenen, die in der mir vorliegenden Fassung zwar ohne Untertitel auskommen müssen, jedoch nicht unbedingt so wirken, als würden darin philosophische Weisheiten diskutiert werden, die für das Verständnis des Plots von entscheidender Bedeutung sind: Man geht zusammen einkaufen, man bereitet sich die Einkäufe zu, man verzehrt sie gemeinsam. Zwischendurch wird auch mal in Großaufnahme ein noch lebender Hummer zerteilt. Über die eminente Langeweile der ersten Hälfte von NIKU DARUMA tröstet mich indes wenigstens etwas der Fakt hinweg, dass auch in diesem Film die Scheu der japanischen Kultur vor dem Anblick von Geschlechtsteilen zum Tragen kommt, was dem Film eine ungemein groteske Note verleiht: Obwohl wir über weite Strecken Kiku und Kana beim Kopulieren beiwohnen, und obwohl die Kamera sich natürlich, wie es sich für einen Fleischfilm geziemt, immer wieder auf Penis und Vagina der Akteure einschießt, bleiben die Intimsphären unserer Helden konsequent verpixelt – eine Geste der Prüderie, die mich dann doch erstaunt hat, und mich darüber rätseln ließ, welcher Pornokonsument sich denn von einem Film affizieren lassen soll, in dem genau der Primärgrund, weshalb er sich diesen Film überhaupt anschaut, unkenntlich gemacht worden ist. Wäre das nicht genauso wie wenn man einen Splatterfilm drehen würde, aber jeglichen Gewaltexzess konsequent im Off geschehen lässt, oder einen Western ohne Cowboys und Pferde, oder eine Dschungeldokumentation, die im Harzvorland spielt? Wobei ich allerdings bezweifeln möchte, dass die stumpf heruntergerasselten, absolut unästhetischen Missionarstellungs-Balzereien in NIKU DARUMA irgendwer, der noch alle fünf Sinne beisammenhat, auch nur ansatzweise stimulierend finden könnte, selbst wenn sie nicht verpixelt wären…

Dass es mit dem erotischen Potential ihres Films nicht weit her ist, befinden endlich auch Regisseur und Kameramann, und bringen mit zunehmender Laufzeit mehr Drastik ins Liebesspiel ihrer Protagonisten, die sich zunächst darin äußert, dass Kana gefesselt und geschlagen, von mehreren Dildos penetriert, und mit Kerzenwachs übergossen wird. Spätestens als Anaru entscheidet, ihr solle auch noch ein Einlauf verpasst werden, meldet die junge Frau Protest gegenüber der Richtung an, die der Film zu nehmen begonnen hat, und verkündet, dass sie zu weiteren Dreharbeiten nicht zur Verfügung stehe. Weit kommt sie mit ihrer Weigerung freilich nicht: Als sie das Haus verlassen möchte, zieht ihr Kiku von hinten eins über. Was folgt, nachdem Kana zurück zur Besinnung gelangt ist, und sich ans Bett gekettet wiederfindet, kann man in einem Satz zusammenfassen: Man stelle sich die Quälereien vor, der die junge Frau im zweiten GUINEA-PIG-Teil ausgesetzt ist, nur noch schmuckloser abgefilmt, und statt mit einem wahnsinnigen Metzelsamurai, der ihr Stück für Stück die Gliedmaßen amputiert, mit drei nicht minder geisteskranken Kerlen, die es sich zudem nicht nehmen lassen, ihr Opfer, nachdem es bereits zwei Beine, einen Arm und die Zunge eingebüßt hat, auch noch zu vergewaltigen – und zwar nicht etwa vaginal oder anal, vielmehr penetriert Kiku eine ihr beigefügte Bauchwunde. Solche Phantasien möchte man nun wirklich nicht im eigenen Kopf haben. Damit aber noch nicht genug: Nach erfolgreicher Verwandlung Kanus in die titelgebende stolpernde Fleischpuppe wendet sich das Blatt erneut, und auch Kiku wird zur Zielscheibe der Sadismen Anarus und seines Kameramanns, die den Pornodarsteller kurzerhand bewusstlos schlagen, um ihm anschließend sein bestes Stück abzuschneiden…

Es wäre wahrscheinlich verlorene Liebesmüh, wenn ich mich nun darüber auslassen würde, dass NIKU DARUMA dramaturgisch eine völlig unausgegorene Nummer ist, die einen zuerst mit irrelevantem Leerlauf angähnt, und einem dann in der letzten halben Stunde eine geschmacklose Abartigkeit nach der andern vorsetzt, oder dass der Film das Handeln seiner Figuren nicht halbwegs psychologisch nachvollziehbar macht, sodass weder zu irgendeinem Zeitpunkt eine klare Motivation der Täter erkennbar wäre noch, dass sich Kiku mir nichts, Dir nichts für die menschenverachtende Chose einspannen lässt, obwohl er ursprünglich doch eigentlich als normaler Pornodarsteller angetreten ist. Genauso würde ich an der Intention der Filmemacher vorbeigaloppieren, wenn ich nun meinen Unmut über den Look des Films äußern würde, diese verwackelte, vollkommen ungenießbare Dilettanten-Optik, oder darüber, dass die Möglichkeit zur metareflexiven Brechung des Spektakels – man denke bloß an A SERBIAN FILM oder ZIVOT I SMRT PORNO BANDE –, obwohl hypothetisch vorhanden, letztlich unberührt linksliegengelassen wird. NIKU DARUMA will offenkundig gar nichts anderes sein als ein fiktionaler Film, der der Erfahrung, wie das wohl sein mag, wenn man tatsächlich Videoaufnahmen eines zu Tode gefoltert werdenden Menschen zu Gesicht bekommt, so nahe wie möglich zu kommen versucht, ohne dabei eine Botschaft zu vermitteln, die über den bloßen Inhalt seiner Bilder hinausgreifen würde.

Was mir an NIKU DARUMA besonders negativ aufgestoßen ist, das sind allerdings nicht mal so sehr die graphischen Sudeleien im letzten Drittel. Freilich, die Spezialeffekte-Abteilung hat ganze Arbeit geleistet, und besonders eine Szene, in der die Zunge Kanas und ein Kartoffelschäler in Beziehung zueinander treten, wird mir noch lange im Gedächtnis bleiben. Dennoch sind die maskenbildnerischen Eingriffe, meiner Meinung nach, immer klar als solche zu erkennen, - so wie sich der Film auch mehrmals selbst demaskiert, wenn er eine Szene aus mehr Kamerawinkeln filmt als sich Kameras im diegetischen Raum befinden; wer wegen NIKU DARUMA das FBI kontaktiert, weil er den Film für ein authentisches Snuff-Video hält, der glaubt auch, in CANNIBAL HOLOCAUST werden echte Menschen verspachtelt. Zudem führt gerade im Schlussakt das permanente Fogging der primären Geschlechtsorgane zu beinahe surrealen Effekten – am deutlichsten wohl in der Szene, als Anaru den Penis Kikus vor die Kamera wirft, und wir nur ein verpixeltes Etwas erkennen, das im Grunde alles sein könnte. Nein, was mich dazu bringt, Anarus Machwerk in dasjenige Giftschrankregal einzuordnen, in dem die abstoßendsten, unverdaulichsten Filme nisten, die mir jemals vor Augen getreten sind, hat mehr damit zu tun, dass die Agenda von NIKU DARUMA es offenbar ist, sein Publikum sexuell zu erregen. Sukzessive steigert sich der Film von normalen heterosexuellen Geschlechtsverkehr über extremere Spielereien wie Einläufe und BDSM-Bondage, um schließlich dadurch zum ultimativen Orgasmus zu kommen, dass er seine Protagonistin auf die denkbar widerlichste Weise aus dem Leben treten lässt – und das Ganze, wie gesagt, ohne die geringste selbstironische oder selbstkritische Spiegelung, ohne das geringste Indiz dafür, dass es hinter den visuellen Gräueln noch eine zweite Ebene zu entdecken geben könnte, die die dargestellten Grausamkeiten irgendwie kontextualisieren und konsumierbar machen würde. Dass auch noch ein paar bemitleidenswerte Hummer vor laufender Kamera zerhackstückt werden, ist da nur der berühmte Tropfen ins berühmte Fass.

Ich höre schon die Apologeten schreien, dass genau das die Qualität eines Films wie NIKU DARUMA sei: Solche transgressiven Werke konfrontieren uns mit dem Unsagbaren bzw. Undarstellbaren, und fördern gerade dadurch, dass sie uns die Stellung, die wir zu ihren furchtbaren Bildern zwangsläufig einnehmen müssen, nicht aufoktroyieren, dass wir eine selbstständige moralische Position ihren Bildern gegenüber entwickeln müssen. Ich höre allerdings viel lauter das Hecheln derjenigen, die sich von solchen Vernichtungsphantasien anturnen lassen, und einen Film wie NIKU DARUMA tatsächlich so konsumieren wie andere Leute Sexclips im Internet.

Re: Tumbling Doll of Flesh - Tamakichi Anaru (1998)

Verfasst: Sa 29. Dez 2018, 18:50
von jogiwan
"Niku Daruma" hatte ich vor einigen Jahren auch mal im Fokus, aber damals war irgendwie kein rankommen und mittlerweile bin ich auch nicht böse, dass ich diesen Fake-Snuffler nicht zu Gesicht bekommen habe. Da lese ich lieber deine Texte darüber. ;)

Re: Tumbling Doll of Flesh - Tamakichi Anaru (1998)

Verfasst: Sa 29. Dez 2018, 19:05
von Salvatore Baccaro
Sei nur froh, dass Du von diesem filmischen Auswurf verschont geblieben bist, und nimm mein Angebot ja nicht an, Dir ein Rankommen an dieses Machwerk zu verschaffen... ;-)

Re: Tumbling Doll of Flesh - Tamakichi Anaru (1998)

Verfasst: So 9. Jun 2019, 08:52
von jogiwan
Die junge Japanerin Kana wird eines Tages von einer kleinen Filmcrew angeheuert, wo sie in Produktion mit Mini-Budget als Darstellerin in einem Fetish-Porno mit Sadomaso-Elementen mitwirken soll. Dazu fährt sie mit dem Regisseur, seinem Assistenten und einem weiteren Darsteller namens Kiku in ein abgelegenes Haus, wo zuerst relativ harmlose Sexszenen im Gonzo-Style gedreht werden. Am nächsten Tag kippt die Situation jedoch relativ rasch als Kana trotz Vereinbarung die von ihr verlangten Dinge nicht mehr drehen möchte. Sie beginnt zu weinen, es kommt zum Streit und als sie das Haus verlassen will, wird sie von dem Regisseur mit einem Baseballschläger niedergeschlagen. Wenig später wacht Kana ans Bett gefesselt wieder auf und die Beteiligten beginnen die wehrlose Frau auf unvorstellbare Weise zu quälen und die junge Frau muss entsetzt und hilflos ausgeliefert feststellen, dass sie mitten in einem Snuff-Film gelandet ist.

Found Footage die Drünfzigste, dieses Mal in Form eines Fake-Snuff-Films, der wohl zum berüchtigtsten seiner Zunft zählt. Die japanische Mischung aus Porno und herben Splatter wirkt gerade aufgrund seiner rohen und ungeschönten Bilder sehr authentisch und hier werden im Verlauf von knapp 70 Minuten auch definitiv keine Gefangenen gemacht, wenn sich die anwesenden Männer als Psychopathen entpuppen und die Darstellerin im wahrsten Sinne des Wortes vor laufender Kamera auseinandergenommen wird. Wer „Tumbling Doll of Flesh“ a.k.a. „Niku daruma“ a.k.a. “Psycho: The Snuff Reels” in die Finger nimmt, weiß aber vermutlich auf was er sich einlässt und da darf man sich hinterher auch nicht beschweren. Ohne Interesse an den ganz herben Werken der Filmgeschichte wird man einem derartigen Film auch nicht auf die Spur kommen und das Ganze ist naturgemäß sehr schwer verdaulich und hochgradig unsympathisch, selbst wenn die Effekte relativ billig gemacht und leicht zu durchschauen sind. Das sogenannte „Fogging“, also das Blurren von Geschlechtsteilen macht es den Machern zusätzlich einfach, während beim Zuschauer das Kopfkino rattert und man sich gedanklich natürlich die schlimmsten Dinge ausmalen wird. „Tumbling Doll of Flesh“ macht auch keinerlei Spaß, ist dabei zugegeben aber überraschend funktional und fällt auch in die Kategorie filmischer Erfahrungen, über die wohl jeder selbst entscheiden muss, ob man sie machen möchte.

Re: Tumbling Doll of Flesh - Tamakichi Anaru (1998)

Verfasst: So 9. Jun 2019, 09:29
von Salvatore Baccaro
Da läutet aber jemand das Pfingstfest, immerhin die "Ausgießung des Heiligen Geistes", mit Pauken und Trompeten, sprich, Ergüssen ganz anderer Couleur ein... :shock:

Re: Tumbling Doll of Flesh - Tamakichi Anaru (1998)

Verfasst: Mo 30. Dez 2019, 12:19
von jogiwan
ich erwarte mir hier in Kürze dann die Beschlagnahme und einen damit einhergehenden und ungeheuren Popularitätsschub... ;)

Bild

quelle: schnittberichte.com

Re: Tumbling Doll of Flesh - Tamakichi Anaru (1998)

Verfasst: Mo 30. Dez 2019, 23:12
von Salvatore Baccaro
jogiwan hat geschrieben:Ohne Interesse an den ganz herben Werken der Filmgeschichte wird man einem derartigen Film auch nicht auf die Spur kommen
Oder man durchstöbert einfach die aktuellen Indizierungslisten, haha!