Handlung:
Das junge Ehepaar Fabio und Flavia wird tot aufgefunden. Während Commissario Dotterbart einige unschöne Geheimnisse der beiden aufdeckt, begeht ein Mann mit dunkler Sonnenbrille mehrere äußerst brutale Morde…
Kritik:
Wenn man es genau betrachtet, so hat „Giallo a Venezia“ zwei Handlungsstränge, die uns den Großteil des Filmes über vorgaukeln etwas miteinander zutun zu haben, im Endeffekt aber vollkommen unabhängig voneinander verlaufen. Wir haben auf der einen Seite Fabio, der seine Perversionen zum Leidwesen seiner jungen Gattin auslebt und auf der anderen Seite Mr. Sonnenbrille, der aus Liebeskummer den Gewaltanteil des Filmes drastisch erhöht. Betrachten wir beide Teile der Einfachheit halber mal getrennt und untersuchen dann, wie sie aufeinander passen:
Die Fabio/ Flavia Story, welcher die meiste Screentime gewidmet wurde, weist eine recht clevere Erzählweise auf. Wir beginnen mit dem unaufgeklärten Tod der beiden und erfahren dann immer mehr über sie in Form von Rückblenden, in der Hoffnung dadurch die Identität ihres Mörders zu erfahren. Dies ist eine recht originelle Vorgehensweise, wie auch die Auflösung, unbefriedigend zwar aber originell.
Was leider nicht so originell ist, ist, dass wir zwischen dem Fund ihrer Leichen und der Auflösung des Falles schier endlos lange Sex-Szenen der beiden über uns ergehen lassen müssen. Prinzipiell ist ihr Liebesleben zwar ein wichtiger Teil der Story, aber man hätte ihm nicht ein Drittel der gesamten Laufzeit widmen müssen. Die beiden schlafen gern miteinander und Fabio ist ein kranker Mistkerl – wunderbar, das habe ich schon nach drei Minuten kapiert und die restliche halbe Stunde war dann nur noch Langeweile. Ein gutes Beispiel wie quälend lange die Szenen sind, die nebenbei bemerkt nicht das geringste Bisschen Erotik aufweisen, ist die eine, in der Fabio schon nach zwei Minuten fertig ist. Das Publikum denkt sich: „Super, jetzt können wir uns endlich wieder etwas Spannenderem zuwenden!“ Aber nein, Flavia macht für die nächsten zehn Minuten alleine weiter und dann kommt auch schon Fabio zurück und will noch mal.
Wenigstens wird man durch den Gedanken wachgehalten, dass diese Szenen einen Hinweis auf das Motiv liefern könnten.
Ebenfalls um das Publikum daran zu hindern wegzunicken gibt es allerdings den Mr.-Sonnenbrille-Plot mit dem ich ehrlich gesagt wenig Probleme habe. Von dem Killer geht eine spürbare Bedrohung aus, sodass das Publikum nicht nur angeekelt sondern auch gefesselt vom Geschehen werden kann. Außerdem sind die einzelnen Mordszenen gekonnt in Szene gesetzt, auch von rein technischer Seite aus. Da sieht man den Mörder beispielsweise in einer Totalen sein Opfer mit Benzin übergießen, dann in einer größeren Aufnahme wie er ein Streichholz entzündet und dann wie der skrupellose Killer selbst erschrocken zurückweicht als plötzlich mannshohe Flammen direkt vor der Kameralinse hochzüngeln. Das ist eine extrem gute Einstellungsfolge.
Wer auch immer Mr. Sonnenbrille spielt leistet einen extrem guten Job den sadistischen Bösewicht zu verkörpern. Besonders als wir erfahren, dass er kein abgesottener Auftragskiller ist, sondern ein simpler Student mit Liebeskummer, wirken seine Taten umso erschreckender. Außerdem ist diese Handlung wesentlich kürzer geraten als die Fabio/Flavia-Story und beinhaltet selbst keine Langweiligen stellen.
Das Problem nun ist, dass die beiden Handlungen nicht wirklich zueinander passen. Der Hauptplot ist ein Gialloeskes Mörderrätsel, mit (zu) viel Sex und (relativ) wenig Blut. Bei der anderen Handlung erspart man sich das Mörderraten (Spoiler: Die Morde, die von Mr. Sonnenbrille begangen wurden, wurden tatsächlich von Mr. Sonnenbrille begangen
), ebenso wird der Sex reduziert um Platz für mehr Gewalt zu lassen. Diese Handlung ist zwar flott inszeniert, ist aber zu kurz für einen ganzen Film. So kommt es nur allzu oft vor, dass wir uns denken: „Oh Gott, da hat Mr. Sonnenbrille wieder einen brutalen Mord begangen, ich bin gespannt wie das weitergeht…oh nein ein Schnitt…oh nein Fabio und Flavia schlafen wieder für die nächsten zwanzig Minuten miteinander.“ Wie sagte Commissario Dotterbart nicht schon...
Allerdings vermittelt der Film gekonnt eine düstere Stimmung, dies liegt allerdings nicht daran, dass man die titelgebende Lagunenstadt atmosphärisch in Szene setzt (ich kann Dutzende Filme nennen, die den melancholischen Charakter Venedigs besser rüberbringen ohne die Stadt im Titel zu führen), sondern daran, dass es praktisch keine positiven Figuren gibt (Vassili Karis bietet da die einzige Ausnahme). Alle anderen sind Mörder, Voyeure, Sadisten, Vergewaltiger, usw. usw.
Selbst die Polizei ist nicht ganz astrein. Vom geschmacklosen Pathologen mal abgesehen, der tatsächlich einen Nekrophilie-Witz macht haben wir Commissario Dotterbart, gespielt von dem Typen, der am Cover von „Die Killermeute“ so aussieht als wäre er Maurizio Merli.
Er ist so ein abgehärteter pietätloser Bastard, dass sich Harry Callahan angeekelt abwenden würde. Als man ihm beispielsweise mitteilt, dass Flavia vor ihrem Tod sexuellen Verkehr hatte, zeigt er sich weder bestürzt noch interessiert sondern meint mit sarkastischer Abwesenheit „Too bad for her.“ Des weiteren hat man versucht durch seine Person mit ihrem Eierfetisch und ihren abstrusen Ermittlungstaktiken (er schreibt die Vornamen seiner Opfer auf ein Stück Papier – Ende der Ermittlung) offenbar ein wenig Humor in den Film zu bringen, was aber ziemlich in die Hose ging.
Dadurch wird „Giallo a Venezia“ zu einem sehr düsteren Film voll unsympathischer fremder Menschen und…Mariangela Giordano, bist du das? Hey, schön dich auch wieder mal zu sehen, nett dass du uns durch den Film begleitest. Hoffentlich überlebst du, oder hast zumindest einen schnellen, schmerzlosen und unblutigen Tod, der in keinster Weise ein Filetiermesser inkludiert.
Fazit: „Giallo a Venezia“ besitzt einige interessante Ideen und gut gefilmte Szenen, allerdings verliert das Publikum durch die übertrieben langen Sexszenen dazwischen einiges an Aufmerksamkeit. Wenn man sich für das Genre interessiert sollte man den Film schon mal gesehen haben, ansonsten kann man aber auch die Finger von lassen. So oder so handelt es sich bei "Giallo a Venezia" wahrscheinlich um einen der brutalsten Donna-Leon-Streifen aller Zeiten
. 6/10