Under the Shadow - Babak Anvari (2016)
Verfasst: Mi 30. Jan 2019, 11:10
Originaltitel: Zir-e Sayeh
Produktionsland: Großbritannien / Jordanien / Katar 2016
Regie: Babak Anvari
Darsteller: Narges Rashidi, Avin Manshadi, Bobby Naderi, Arash Marandi
Hamid Nacify unterscheidet in seiner der Filmemacherin Rakhshan Banietemad gewidmeten Untersuchung zu „Veiled Voice and Vision in Iranian Cinema“ zwischen drei, sich freilich überlappenden und ineinanderfließenden, Phasen der Repräsentation des Weiblichen innerhalb des post-revolutionären Iranischen Kinos. Die frühen 80er Jahre, kurz nach Sturz des Schah-Regimes und Installation eines muslimischen Gottesstaates, seien, laut Nacify, gekennzeichnet durch die Absenz von Frauen in kommerziellen Spielfilmen. Nicht nur werden Filme der wesentlich westlicher orientierten Schah-Zeit nachträglich um allzu verfängliche Szenen gekürzt – prominentestes Beispiel ist möglicherweise der erste Kuss der irani-schen Filmgeschichte in Samuel Khachikians großartigem Noir-Thriller CHAHAR-RAHE HAVADES (1955), von dem heute bloß noch ein Still-Photo existiert – oder aber, wenn allzu heftige Kürzungen den jeweiligen Film komplett sinnentstellt hinterlassen hätte – (was durchaus der Fall sein konnte, denn mitunter wurde mehr als eine halbe Stunde „anstößiges“ Material entfernt) – mittels schwarzer Balken in Ordnung gebracht, die beispielweise westlich gekleidete Frauenfiguren oder als unschicklich empfundene Handlungen wie Zigarettenkosum verdecken. Aus Angst vor staatlichen Regulierungen beginnen die Filmemacher in dieser Phase aber auch aus reiner Selbstzensur, ihre Kameras von weiblichen Wesen fernzuhalten. Manche, wie Abbas Kiarostami, drehen Filme für Kinder oder Filme, die zwar an Erwachsene gerichtet sind, aber hauptsächlich von Kinderdarstellern bestritten werden. Andere, wie der erwähnte iranische Hitchcock Khahikian, verlagern sich aufs Kriegsfilmgenre: Seine kinematographische Kriegserklärung an den Irak, OGHABHA (1985), wird zur ersten bahnbrechenden iranischen Materialschlacht, in deren Bilderreigen von einander jagenden, abschießenden und explodierenden Luftwaffen Frauen allein rein storytechnisch keinen Platz haben.
Ab Mitte der 80er fängt dieses strikte Schema an, sich ein bisschen aufzuweichen. Nacify spricht von der „fahlen Präsenz“ der Frauen, die nunmehr zwar wieder auf der Leinwand akzeptiert werden, jedoch einzig als geisterhafte Erscheinungen im Hintergrund, verschleiert bis zum Kinn, und auch unter ihren Hidschabs von einer bruchlosen Tugendhaftigkeit gezeichnet. Das bringt aber natürlich neue Probleme für einen etwaigen filmischen Realismus mit sich: Da der (männliche) Betrachter des fertigen Films im Kinosaal stets während des Filmdrehs bereits implizit anwesend ist, benehmen sich die Filme dieser Phase selbst in intimen Momenten, in Szenen, die im privaten häuslichen Bereich spielen, wo es der muslimischen Frau im Kreis ihrer Engsten normalerweise erlaubt ist, ihren Schleier zu lüften, so, als würden sie auf öffentlichen Plätzen spielen. Anders gesagt: Die Schauspielerinnen im iranischen Kino schlagen deshalb ihre Hidschabs nicht zurück, weil ihre Rolle innerhalb der Diegese das erfordert, sondern weil das extradiegetische (männliche) Auge dies von ihnen verlangt. Erst in den späten 80er Jahren stellt Nacify ansatzweise so etwas wie einen Paradigmenwechsel fest: Immer mehr Frauen wechseln von vor der Kamera hinter die Kamera, werden, wie die erwähnte Rakshan Banietemad, selbst Regisseurinnen, aber auch vor der Kamera etablieren sich starke Frauenhauptrollen, die teilweise einen ganzen Film tragen. Die Determinanten sind jedoch immer noch: Tugendhaftigkeit und Sittsamkeit, und die vorgeschriebene Verschleierung, die sich, zumindest im vom iranischen Spielfilm evozierten Paralleluniversum, bis tief in den privaten Raum hinein fortsetzt.
Weshalb die lange Einleitung? Nun, weil es sich bei dem kürzlich von mir inspizierten ZIR-E SAYEH aus dem Jahre 2016 a) um einen Film handelt, der im Iran spielt, der von einem Iraner, Babak Anvari, konzipiert wurde, in dem sämtliche iranischstämmigen Darsteller Farsi sprechen, und der damit nicht von iranischer Kultur und Gesellschaft zu trennen ist, der aber b) von einer britischen Produktionsfirma finanziert wurde, und in Jordanien hat gedreht werden müssen, und der c) nicht in Teheran hat inszeniert werden können, weil er genau dieses dem post-revolutionären Kino des Irans inhärente Tabu verletzt, das ich oben zu skizzieren versucht habe: In seinem Fokus stehen zwei Frauen, Shideh und Dorsa, Mutter und Tochter, und größtenteils angesiedelt ist seine Handlung im privaten Raum derer Stadtwohnung, wo die beiden über weite Strecken des Films nur miteinander interagieren, und auf die strengen Moral- und Bekleidungsvorschriften der Scharia dabei wenig achtgeben. Dass Shideh und die kleine Dorsa den Großteil der Laufzeit in geschlossenen Räumen verbringen, hat aber nicht allein mit dem herrschenden politischen System zu tun, in dem sie leben, sondern vor allem mit dessen außenpolitischen Verwicklungen: ZIR-E SAYEH spielt im letzten Jahr des Ersten Golfkrieges, 1988, als Teheran unter rapidem Beschuss des Iraks steht, und sich das Alltagsleben nicht nur von Shideh zwischen Normalität und Todesdrohung abspielt.
Dabei hätte Shideh aber auch ohne die feindlichen Bomben und das ständige Fliehen in den hauseigenen Schutzbunker schon genügend Gründe, verzweifelt zu sein: Erfolglos bewirbt sie sich seit Ende der Revolution immer wieder bei der örtlichen Universität darum, ihr Medizinstudium wieder aufnehmen zu können. Zu Beginn des Films versichert ihr der zuständige Beamte, dass sie ein für allemal die Hoffnung aufgeben müsse, noch einmal an irgendeiner akademischen Einrichtung des Iran Fuß zu fassen. Zu heftig wirkt sich ihre Beteiligung bei einer linksgerichteten Gruppierung während der Revolutionsjahre auf ihre Biographie aus. Shideh, deren Mutter Ärztin gewesen ist, und deren größter Wunsch wiederum, dass ihre Tochter einmal in ihre Fußstapfen tritt, und damit ihr positives Beispiel weiblicher Emanzipation fortsetzt, trifft dieser Schlag beinahe noch härter als die Einberufung ihres Ehemanns Iraj zum Militärdienst. Als ob die Rekrutierung seine Schuld sei, gestaltet sie ihre verbleibende gemeinsame Zeit als einzigen unausgesprochenen Vorwurf, und verwehrt sich vor allem auch gegen seine Versuche, sie dazu zu überreden, mit Dorsa bei den Schwiegereltern auf dem Land unterzuschlüpfen. Nachdem Iraj abkommandiert worden ist, verläuft ihr Leben in monotonen Bahnen: Während Dorsa Privatunterricht bei einer Nachbarin erhält, lenkt Shideh, zum Nichtstun verdammt, sich mit Hausarbeiten ab, oder mit Aerobic-Kursen von Jane Fonda auf illegal erworbenen VHS-Kassetten. In unbestimmten Intervallen ertönt der Bombenalarm, und das gesamte Haus rennt um sein Leben in den Keller. Nach einem solchen Bombenangriff stellt Shideh indes Veränderungen bei Dorsa fest: Angeblich sei ihre Lieblingspuppe spurlos verschwunden, und sie sei sicher, dass die Dschinn sie geholt hätten, und es nun auch auf sie beide abgesehen haben. Als das Haus sich nach und nach leert – die Bewohner verreisen zu Verwandten, erst recht, nachdem eine Rakete direkt in das Dach des Gebäudes eingeschlagen ist –, isolieren Shideh und Dorsa sich immer mehr in ihren eigenen vier Wänden, und alsbald beginnt unsere Heldin, die Visionen ihrer Tochter nicht mehr als bloße Ausgeburten überreizter Kinderphantasien wegzuwischen…
Ich kann natürlich verstehen, weshalb ZIR-E SAYEH gemeinhin unter dem Etikett des Horrorfilms beworben und bespro-chen wird. Neben kommerziellen Erwägungen, einigen ikonographischen Genre-Anleihen und Storywendungen, die auf den ersten Blick tatsächlich in die Richtung übersinnlichen Spuks zu tendieren scheinen, fällt für mich allerdings nicht viel in die Waagschale, was diese Etikettierung rechtfertigen würde – sofern man das Genre denn nicht weit genug fasst, dass beispielweise auch eine klaustrophobische Seelenschau wie Roman Polanskis REPULSION hinzuaddiert werden kann. Letztlich findet sich in ZIR-E SAYEH für jeden vermeintlichen Einbruch des Irrationalen und Gespenstischen eine vielleicht nicht logische, aber psychologisch fundierte Erklärung, und wenn Babak Anvari eins nicht möchte, dann ist das, die Probleme seiner Figuren in einem wie auch immer gearteten metaphysischen Eskapismus zu kanalisieren. Stattdessen stellt ZIR- E SAYEH ein unglaublich dichtes, konzentriertes, von überzeugenden Darstellern getragenes Psychodrama dar, das die Auswirkungen repressiver Außenumstände auf das Seelenleben von Menschen nicht nur zum Thema hat, sondern diese Auswirkungen auch intensiv an sein Publikum weitergibt. Neben einem zunehmend fiebriger werdenden Kammerspiel, dem sein limitiertes Budget nur zum Vorteil gereicht, ist ZIR-E SAYEH aber noch viel mehr: Ein erschütternder Bericht aus dem kriegsgebeutelten Teheran der 80er Jahre heraus, und wie, allgemeiner gefasst, Krieg, wenn er nur lange genug dauert, irgendwann zu einem Teil des Alltags wird: Bei ihrem Bewerbungsgespräch an der Uni zu Beginn sitzt Shideh mit einem Beamten in dessen Büro, und beide zucken kaum, als in der Ferne eine Detonation zu hören ist, und gucken kaum aus dem Fenster, als irgendwo in der Stadt eine Rauchsäule den Himmel hinaufzuklettern beginnt. Eine niemals plakative Illustration der Repressalien, die Frauen im post-revolutionären Iran zu erdulden hatten und haben: Als Shideh einmal panisch mit Dorsa aus ihrem Eigenheim auf die nächtliche Straße flieht, wird sie sofort von der Sittenpolizei einkassiert, da sie ihren Hidschab vergessen hat, und entgeht der Züchtigung per Rutenschlägen nur, weil eine andere Frau sich für sie einsetzt. Eine kluge Reflexion der drei Stadien von femininer Repräsentation im Kino des Iran, wie ich sie anfangs skizziert habe: Im Grunde zeigt ZIR-E SAYEH das, was Kriegsfilme wie Khachikians OGHABHA aussparen – die Heimatfront jenseits des Schlachtfelds, wo es keine Helden, sondern nur Opfer gibt –, und im Grunde thematisiert ZIR-E SAYEH in seinen wenigen Szenen, die im öffentlichen Raum spielen, auch, was die Filme der „fahlen Präsenz“ als Agenda haben – Shideh ist kein eigenständiges Individuum, sondern eine von vielen, bei einem oberflächlichen Blick kaum voneinander unterscheidbaren Frauen in schwarzer Vollverschleierung –, und im Grunde löst ZIR-E SAYEH sogar das Versprechen ein, das die Filme von Nicays dritter Phase der spärlichen Emanzipation geben: In einer regelrecht befreienden Geste reißt sich Shideh einmal, als sie gerade nach Hause gekehrt ist, den Schleier vom Kopf.
Ab Mitte der 80er fängt dieses strikte Schema an, sich ein bisschen aufzuweichen. Nacify spricht von der „fahlen Präsenz“ der Frauen, die nunmehr zwar wieder auf der Leinwand akzeptiert werden, jedoch einzig als geisterhafte Erscheinungen im Hintergrund, verschleiert bis zum Kinn, und auch unter ihren Hidschabs von einer bruchlosen Tugendhaftigkeit gezeichnet. Das bringt aber natürlich neue Probleme für einen etwaigen filmischen Realismus mit sich: Da der (männliche) Betrachter des fertigen Films im Kinosaal stets während des Filmdrehs bereits implizit anwesend ist, benehmen sich die Filme dieser Phase selbst in intimen Momenten, in Szenen, die im privaten häuslichen Bereich spielen, wo es der muslimischen Frau im Kreis ihrer Engsten normalerweise erlaubt ist, ihren Schleier zu lüften, so, als würden sie auf öffentlichen Plätzen spielen. Anders gesagt: Die Schauspielerinnen im iranischen Kino schlagen deshalb ihre Hidschabs nicht zurück, weil ihre Rolle innerhalb der Diegese das erfordert, sondern weil das extradiegetische (männliche) Auge dies von ihnen verlangt. Erst in den späten 80er Jahren stellt Nacify ansatzweise so etwas wie einen Paradigmenwechsel fest: Immer mehr Frauen wechseln von vor der Kamera hinter die Kamera, werden, wie die erwähnte Rakshan Banietemad, selbst Regisseurinnen, aber auch vor der Kamera etablieren sich starke Frauenhauptrollen, die teilweise einen ganzen Film tragen. Die Determinanten sind jedoch immer noch: Tugendhaftigkeit und Sittsamkeit, und die vorgeschriebene Verschleierung, die sich, zumindest im vom iranischen Spielfilm evozierten Paralleluniversum, bis tief in den privaten Raum hinein fortsetzt.
Weshalb die lange Einleitung? Nun, weil es sich bei dem kürzlich von mir inspizierten ZIR-E SAYEH aus dem Jahre 2016 a) um einen Film handelt, der im Iran spielt, der von einem Iraner, Babak Anvari, konzipiert wurde, in dem sämtliche iranischstämmigen Darsteller Farsi sprechen, und der damit nicht von iranischer Kultur und Gesellschaft zu trennen ist, der aber b) von einer britischen Produktionsfirma finanziert wurde, und in Jordanien hat gedreht werden müssen, und der c) nicht in Teheran hat inszeniert werden können, weil er genau dieses dem post-revolutionären Kino des Irans inhärente Tabu verletzt, das ich oben zu skizzieren versucht habe: In seinem Fokus stehen zwei Frauen, Shideh und Dorsa, Mutter und Tochter, und größtenteils angesiedelt ist seine Handlung im privaten Raum derer Stadtwohnung, wo die beiden über weite Strecken des Films nur miteinander interagieren, und auf die strengen Moral- und Bekleidungsvorschriften der Scharia dabei wenig achtgeben. Dass Shideh und die kleine Dorsa den Großteil der Laufzeit in geschlossenen Räumen verbringen, hat aber nicht allein mit dem herrschenden politischen System zu tun, in dem sie leben, sondern vor allem mit dessen außenpolitischen Verwicklungen: ZIR-E SAYEH spielt im letzten Jahr des Ersten Golfkrieges, 1988, als Teheran unter rapidem Beschuss des Iraks steht, und sich das Alltagsleben nicht nur von Shideh zwischen Normalität und Todesdrohung abspielt.
Dabei hätte Shideh aber auch ohne die feindlichen Bomben und das ständige Fliehen in den hauseigenen Schutzbunker schon genügend Gründe, verzweifelt zu sein: Erfolglos bewirbt sie sich seit Ende der Revolution immer wieder bei der örtlichen Universität darum, ihr Medizinstudium wieder aufnehmen zu können. Zu Beginn des Films versichert ihr der zuständige Beamte, dass sie ein für allemal die Hoffnung aufgeben müsse, noch einmal an irgendeiner akademischen Einrichtung des Iran Fuß zu fassen. Zu heftig wirkt sich ihre Beteiligung bei einer linksgerichteten Gruppierung während der Revolutionsjahre auf ihre Biographie aus. Shideh, deren Mutter Ärztin gewesen ist, und deren größter Wunsch wiederum, dass ihre Tochter einmal in ihre Fußstapfen tritt, und damit ihr positives Beispiel weiblicher Emanzipation fortsetzt, trifft dieser Schlag beinahe noch härter als die Einberufung ihres Ehemanns Iraj zum Militärdienst. Als ob die Rekrutierung seine Schuld sei, gestaltet sie ihre verbleibende gemeinsame Zeit als einzigen unausgesprochenen Vorwurf, und verwehrt sich vor allem auch gegen seine Versuche, sie dazu zu überreden, mit Dorsa bei den Schwiegereltern auf dem Land unterzuschlüpfen. Nachdem Iraj abkommandiert worden ist, verläuft ihr Leben in monotonen Bahnen: Während Dorsa Privatunterricht bei einer Nachbarin erhält, lenkt Shideh, zum Nichtstun verdammt, sich mit Hausarbeiten ab, oder mit Aerobic-Kursen von Jane Fonda auf illegal erworbenen VHS-Kassetten. In unbestimmten Intervallen ertönt der Bombenalarm, und das gesamte Haus rennt um sein Leben in den Keller. Nach einem solchen Bombenangriff stellt Shideh indes Veränderungen bei Dorsa fest: Angeblich sei ihre Lieblingspuppe spurlos verschwunden, und sie sei sicher, dass die Dschinn sie geholt hätten, und es nun auch auf sie beide abgesehen haben. Als das Haus sich nach und nach leert – die Bewohner verreisen zu Verwandten, erst recht, nachdem eine Rakete direkt in das Dach des Gebäudes eingeschlagen ist –, isolieren Shideh und Dorsa sich immer mehr in ihren eigenen vier Wänden, und alsbald beginnt unsere Heldin, die Visionen ihrer Tochter nicht mehr als bloße Ausgeburten überreizter Kinderphantasien wegzuwischen…
Ich kann natürlich verstehen, weshalb ZIR-E SAYEH gemeinhin unter dem Etikett des Horrorfilms beworben und bespro-chen wird. Neben kommerziellen Erwägungen, einigen ikonographischen Genre-Anleihen und Storywendungen, die auf den ersten Blick tatsächlich in die Richtung übersinnlichen Spuks zu tendieren scheinen, fällt für mich allerdings nicht viel in die Waagschale, was diese Etikettierung rechtfertigen würde – sofern man das Genre denn nicht weit genug fasst, dass beispielweise auch eine klaustrophobische Seelenschau wie Roman Polanskis REPULSION hinzuaddiert werden kann. Letztlich findet sich in ZIR-E SAYEH für jeden vermeintlichen Einbruch des Irrationalen und Gespenstischen eine vielleicht nicht logische, aber psychologisch fundierte Erklärung, und wenn Babak Anvari eins nicht möchte, dann ist das, die Probleme seiner Figuren in einem wie auch immer gearteten metaphysischen Eskapismus zu kanalisieren. Stattdessen stellt ZIR- E SAYEH ein unglaublich dichtes, konzentriertes, von überzeugenden Darstellern getragenes Psychodrama dar, das die Auswirkungen repressiver Außenumstände auf das Seelenleben von Menschen nicht nur zum Thema hat, sondern diese Auswirkungen auch intensiv an sein Publikum weitergibt. Neben einem zunehmend fiebriger werdenden Kammerspiel, dem sein limitiertes Budget nur zum Vorteil gereicht, ist ZIR-E SAYEH aber noch viel mehr: Ein erschütternder Bericht aus dem kriegsgebeutelten Teheran der 80er Jahre heraus, und wie, allgemeiner gefasst, Krieg, wenn er nur lange genug dauert, irgendwann zu einem Teil des Alltags wird: Bei ihrem Bewerbungsgespräch an der Uni zu Beginn sitzt Shideh mit einem Beamten in dessen Büro, und beide zucken kaum, als in der Ferne eine Detonation zu hören ist, und gucken kaum aus dem Fenster, als irgendwo in der Stadt eine Rauchsäule den Himmel hinaufzuklettern beginnt. Eine niemals plakative Illustration der Repressalien, die Frauen im post-revolutionären Iran zu erdulden hatten und haben: Als Shideh einmal panisch mit Dorsa aus ihrem Eigenheim auf die nächtliche Straße flieht, wird sie sofort von der Sittenpolizei einkassiert, da sie ihren Hidschab vergessen hat, und entgeht der Züchtigung per Rutenschlägen nur, weil eine andere Frau sich für sie einsetzt. Eine kluge Reflexion der drei Stadien von femininer Repräsentation im Kino des Iran, wie ich sie anfangs skizziert habe: Im Grunde zeigt ZIR-E SAYEH das, was Kriegsfilme wie Khachikians OGHABHA aussparen – die Heimatfront jenseits des Schlachtfelds, wo es keine Helden, sondern nur Opfer gibt –, und im Grunde thematisiert ZIR-E SAYEH in seinen wenigen Szenen, die im öffentlichen Raum spielen, auch, was die Filme der „fahlen Präsenz“ als Agenda haben – Shideh ist kein eigenständiges Individuum, sondern eine von vielen, bei einem oberflächlichen Blick kaum voneinander unterscheidbaren Frauen in schwarzer Vollverschleierung –, und im Grunde löst ZIR-E SAYEH sogar das Versprechen ein, das die Filme von Nicays dritter Phase der spärlichen Emanzipation geben: In einer regelrecht befreienden Geste reißt sich Shideh einmal, als sie gerade nach Hause gekehrt ist, den Schleier vom Kopf.