Zwei Anekdoten über den Magie des Kinos und den Zuschauerkörper als Hexenkessel, in dem sie brodelt
Vor sehr vielen Jahren saß ich in einer Vorstellung von Michelangelo Antonionis BLOW UP in einem Mannheimer Programmkino, (das diesen Film gefühlt alle drei bis vier Monaten zeigte, weswegen ich noch heute quasi blind David Hemmings' Spuren durch London folgen könnte, so oft wie ich ihn damals gesehen habe.) Diese eine Vorstellung jedoch war anders, denn links von mir hatte eine Dame Platz genommen, der der Film im wahrsten Wortsinne physisch mitspielte: Erinnert ihr euch an die Szene, wenn Hemmings, der glaubt, zufällig einen Mord geknipst zu haben, mitten in der Nacht in den nunmehr verlassenen Park zurückkehrt, und die Büsche inspiziert, ob er da nicht Spuren der vermeintlichen Bluttat findet? Im Prinzip passiert in dieser Szene ja nichts Spektakuläres, und trotzdem sind die Nerven bis zum Zerreißen gespannt - oder aber sie reißen, wie das bei meiner Sitznachbarin an diesem Abend passiert ist, denn in dem Moment greift sie zu mir rüber, um sich an meinem Arm festzukrallen, den sie dann auch während der folgenden Stunde immer wieder anfassen wird, wenn auf der Leinwand die Emotionen hochkochen. Später entschuldigt sie sich: Ich habe den Film so oft gesehen, aber vor allem diese eine Szene im Park, puh...
Diesen Mittwoch sehe ich dann erstmals ONE CUT OF THE DEAD im Kino. Ich wusste, was mich erwartete, und war vor allem auf die Reaktionen der überschaubaren ahnungslosen Cineasten, aus deren Foyer-Gesprächen ich aufschnappte, das viele wohl eine Parodie auf DAWN OF THE DEAD oder etwas Ähnliches erwarteten. Die Konstellation von einst wiederholt sich: Links von mir sitzt erneut eine junge Frau, und erneut werde ich zur Zielscheibe der Affekte, die der Film ihr geradewegs einimpft. Ich schwöre, dass ich noch nie einen Menschen jemals derart lachen gehört habe. Im Grunde ist es schon gar kein normales Lachen mehr, sondern ein schrilles Schreien, zu dem sie epileptisch in ihrem Sitz herumzuckt, mir andauernd auf den Leib rückt, mich einmal gar mit einem ihrer zappelnden Arme streift, als wolle sie mich ohrfeigen. Zudem steigert sich ihre Begeisterung mit zunehmender Film-Laufzeit: Es gibt eine kurze Ruhephase im Mittelsegment, doch im finalen Drittel ist die Dame nicht mehr zu halten, und kreischt sich um Leib und Leben bei jedem "Pomm!", das die in letzter Sekunde zur Schauspielerin ernannte Gattin des Regisseurs von sich gibt, wenn sie jemanden mit ihren Selbstverteidigungs-Moves niederstreckt; bei jedem einzigen Mal, wenn der alkoholkranke Statist zu sehen ist, wie er umhertorkelt oder aber, da er schon nicht mal mehr Torkeln kann, vom Regisseur gestützt und wie eine Marionette dirigiert wird; bei jedem Mal, wenn der unter Flatulenzen leidende Assistent sich an den Magen greift, und das Set zu verlassen versucht, um sich zu erleichtern. Ich weiß nicht, wovon ich mehr entzückt sein soll: Von dem originellen, intelligenten, sympathischen Meta-Zombiefilm, (den ich, was das betrifft, jederzeit Francois Truffauts LA NUIT AMÉRICAINE vorziehen würde, wenn es darum ginge, ein Werk zu finden, das ein liebevoll-verklärtes Bild von der Produktion von Filmen zeichnet), oder von diesem Menschen, den dieser originelle, sympathische, intelligente Meta-Zombiefilm für neunzig Minuten zu einem Kind hat werden lassen, das hilflos seinen Emotionen ausgesetzt ist. Als ich zu Hause bin, stelle ich fest, dass sich mein linkes Ohr einen leichten Tinnitus eingefangen hat...