Oltretomba - Fabio Salerno (1987)
Verfasst: Fr 7. Jun 2019, 12:28
Originaltitel: Oltretomba
Produktionsland: Italien 1987
Regie: Fabio Salerno
Darsteller: Francesco Rinaldi, Rudy Amisano, Francesca Bartellini, Maurizio Faulisi, Mario Monzoni
Obwohl ich mich selbst als durchaus nicht unbeflecktes Blatt im Gebiet des italienischen Horrorkinos gerade der 80er Jahre bezeichnen würde, habe ich den Namen Fabio Salerno bis vor ein paar Wochen nie zuvor vernommen. Dabei hat der Mailänder nicht nur bereits als Teenager in den 70ern zur Super8-Kamera gegriffen, und erste private Filmprojekte realisiert, sondern baute dieses Hobby im Laufe der 80er weiter zu (semi)-professioneller Qualität aus. VAMPIRI, CADAVERI oder MEZZANOTTE heißen nur einige der angeblich dutzenden Amateur-Filme, die Salerno in dieser Dekade nunmehr auf 16mm oder Video schießt, und die 1991 in seinem ersten und einzigen Langfilm NOTTE PROFONDA kulminieren. Die Achtungserfolge, die das Werk auf Filmfestivals einstreicht, halten den aufstrebenden Jungregisseur aber auch nicht davon ab, sich zwei Jahre später mit gerade mal neunundzwanzig Jahren das Leben zu nehmen. Zurückbleibt ein obskures Korpus an vollständig außerhalb kommerzieller Produktions- und Distributionssysteme entstandener Horrorfilme, die etwa zeitgleich zu den (wesentlich höher budgetierten und professioneller inszenierten) Großtaten von Argento-Schülern wie Lamberto Bava oder Michele Soavi als Erbverwalter eines sterbenden Genres auftreten, es allerdings, im Gegensatz zu Bava und Soavi, offenbar nie geschafft haben, bis zu einem größeren Publikum vorzudringen oder gar Kult-Status zu erreichen.
OLTRETOMBA beginnt mit dem männlichen Hauptdarsteller von ARPIE, Francesco Rinaldi, der, trotz seiner jungen Jahre, bereits knietief im parapsychologischen Grenzgebietet watet. Sein erklärtes Ziel ist es, wie er uns unfreiwillig verrät, während er einem Tonbandgerät seine neusten Forschungskenntnisse anvertraut, einen Blick ins Jenseits werfen zu wollen - bzw. konkreter: in die Hölle höchstpersönlich, die es in der Vorstellung des Wissenschaftlers als physischen Ort zu geben scheint. Hierfür ist im Grunde nur eins vonnöten: Ein sterbender Mensch, von dem man sicher sein kann, dass ihm nach dem Ableben die Pforten des Paradieses verschlossen bleiben werden. Diesen armen Teufel nun möchte Francesco kurz vor dem letzten Herzschlag hypnotisieren, und seinen verscheidenden Geist mit seinem eigenen koppeln, bzw. sich selbst in den Körper des Sterbenden hineintelepathieren, oder so etwas Ähnliches zumindest, denn die Ausführungen Francescos bleiben relativ vage, und rücken für mich auch ein bisschen in den Hintergrund, als uns Salerno eröffnet, welche Sorte Mensch denn, seiner Meinung nach, für alle Zeiten der Verdammnis anheimfällt: Es ist nämlich ein obdachloser Junkie, den der Parapsychologe sich wie selbstverständlich als Versuchskaninchen herauspickt. (Schon in ARPIE ist, wir erinnern uns, das erste Todesopfer der titelgebenden Weibsdämonen ein Heroinsüchtiger gewesen, wodurch mich fast der Verdacht beschleicht, Salerno sei ein entschiedener Drogengegner gewesen oder habe sonst irgendein Hühnchen explizit mit Fixern zu rupfen gehabt.) Nachdem unser Held dem Junkie seinen Goldenen Schuss verpasst hat, verfällt der eine in seinen Todesschlummer und der andere in eine kontemplative Pose, inklusive an die Schläfen gepresste Finger, wobei der Kegel eines Pinpoint-Lämpchens ihm die Stirn erhellt, als würde ihm dort gleich ein drittes Auge wachsen. Der im Vergleich zu ARPIE wesentlich dezentere, synthielastigere und primär an Evokation von Atmosphäre und weniger an brachialen Gitarrenriffs interessierte Klangteppich verhehlt seine Blaupausen bei Frizzi und Goblin erneut kein bisschen.
Trotz passender musikalischer Untermalung sieht es allerdings ganz so aus, als ob dem Experiment kein Erfolg beschieden sei. Francesco erwacht aus seiner Trance, und muss feststellen, dass er sich immer noch neben dem inzwischen leblosen Junkie befindet – keine jenseitige Welt weit und breit in Sicht. In nachvollziehbar schlechter Stimmung hält unser Held ein Taxi an, das ihn nach Hause befördern soll. Nur: Kaum ist er eingestiegen, und, ohne dass er mitbekommen hätte, dass das Gefährt überhaupt in Bewegung gesetzt worden wäre, verkündet ihm der Fahrer, sie seien längst vor seinem Wohnhaus angelangt. Irritiert, aber seine Konfusion der zurückliegenden Trance und dem Frust über sein Scheitern in die Schuhe schiebend, zieht der Parapsychologe sich in die eigenen vier Wänden zurück, - wo aber die Parade an befremdlichen Ereignissen erst recht nicht abreißt: Die wuselnden Lebendmaden, die schon in ARPIE für einige ekelhafte Großaufnahmen hatten herhalten müssen, haben beispielweise sein Waschbecken okkupiert; der herbeizitierte Kammerjäger steht, obwohl Francesco gerade erst den Telefonhörer aufgelegt hat, bereits auf der Matte, und hält ein Plädoyer für den Verzehr des Ungeziefers, (wobei er sich einen besonders feisten Wurm kurzerhand zwischen die Kauleiste steckt). Man muss wirklich kein Genie sein, um zu erraten, dass die alsbald in Francescos Wohnung herumliegenden pulsierenden Menschenherzen, die Stromstöße, die er von handelsüblichen Türklinken versetzt bekommt, und die Anwesenheit des Junkies als zombifiziertem Wiedergänger die Vermutung unseres Helden Lügen strafen, seine Hypnose-/Telepathie-Session habe keine Früchte getragen: Es ist seine ganz private Hölle, in der Francesco gelandet ist, und deren böse Geister nun ausschwärmen, ihn davon zu überzeugen, wie viele schlimme Dinge man in der Unterwelt erleben kann…
So zerfasert, so unausgegoren, so konfus und letztlich a-logisch der reine Plot von ARPIE gewesen ist, so sehr erweist sich Salernos Händchen als ein glückliches darin, wenn es darum geht, im TWILIGHT-ZONE-Modus eine überschaubare Handlung flott auf eine Pointe hin zu inszenieren. Während ARPIE bei mir den Eindruck erweckt hat, der Film verheddere sich in seinen viel zu vielen narrativen Seitenarmen, seinen viel zu vielen Protagonisten, seiner unnötig komplexen Erzählstruktur, entschuldigt OLTRETOMBA etwaige logische Entgleisungen allein schon dadurch, dass ein Großteil des Films aus der Perspektive Francescos dessen ganz persönliche und phantasmagorische Fahrt ins Jenseits schildert. OLTRETOMBA handelt nicht, wie beispielweise der in ARPIE über Gebühr zitierte DEMONI, vom Einbruch des Phantastischen in eine mehr oder weniger vertraute Realität, sondern siedelt, wie auch Fulcis Schocker der frühen 80er, von der ersten Minute an in einer Welt, wo nun wirklich alles aus dem Lot geraten und dadurch alles möglich ist. Die unbekümmerten Volten, die die das Drehbuch pausenlos vollführt, werden allein dadurch entschuldbar, dass sie in einem Universum verortet sind, in dem die physischen und dramaturgischen Gesetze unseres eigenen Universums ganz bewusst außer Kraft gesetzt worden sind. Der Katalog an Fragen, den ich nach meiner Sichtung von ARPIE mit mir herumgeschleppt habe, erübrigt sich bei einem Film wie OLTRETOMBA. So wie ich nie auf die Idee käme, Fulcis L’ALDILÀ enträtseln zu wollen, versperrt sich auch Salernos Kurzfilm gegen jeden solchen Versuch: Wenn plötzlich eine junge Frau in Francescos Wohnung auftaucht, und von den Verheißungen des Jenseits raunt, oder wenn Francescos Körper plötzlich in sich zusammensackt und sich zu zersetzen beginnt, nur um eine Szene später wieder heil und unversehrt panisch von einem Zimmer zum nächsten zu sprinten, und wenn krude Effekte wie ein animierter Stromschlag wie aus einem Cartoon einen aus der filmischen Illusion herauskicken, dann ergibt das innerhalb der inhärenten Logik des Films gerade dadurch Sinn, dass es überhaupt keinen Sinn macht. Anders gesagt: Während mir die Handlungsfragmente in ARPIE wie eine (fadenscheinige) Substanz vorkommen, die vom reinen Stilwillen Salernos eher ablenken als ihn perpetuieren, hat sich beides – Style & Substance – in OLTRETOMBA harmonisch miteinander verschwistert: Man kann sich zurücklehnen und einfach nur darüber staunen, wie dieser Mailänder es ohne nennenswertes Budget geschafft hat, eine Fulci-Hommage herunterzukurbeln, für die er sich nun wirklich nicht zu schämen braucht.
Auch für OLTRETOMBA gilt allerdings: Subtrahiert man von dem Film all das, was er seinen Vorbildern zu verdanken hat, bleibt als Essenz nicht mehr viel übrig. Der Soundtrack ist einer, den man in einem Lexikon unter dem Eintrag „Italienische Horrorfilm-Scores“ dudeln lassen könnte; die gesamte Exposition mit dem Hypnosemumpitz unseres Parapsychologen kann man, wenn man mag, bis zur eigentlichen Initialzündung des (nicht nur italienischen) Splatterkinos, Gianni Hopelis und Ubaldo Magnaghis 1936 gedrehter experimentelle Poe-Adaption IL CASO VALDEMAR, zurückverfolgen, (auf dessen schlicht unglaubliche zweiminütige finale Verwesungsprozedur auch die Szene, in der Francesco regelrecht vaporisiert, eine Anspielung sein könnte, wenn es denn nachzuweisen wäre, dass Salerno den reichlich obskuren Stummfilm überhaupt gekannt hat; anzumerken sei an dieser Stelle jedoch: Effekttechnisch kann OLTRETOMBA dem, was IL CASO VALDEMAR fünfzig Jahre zuvor auffährt, kein Stilles Wasser reichen); die Pointe nach der Pointe, in der Francesco sich lebendig begraben im Sarg vorfindet, und die Kamera von seinem entsetzten Gesicht nach oben bis zur Friedhofsoberfläche fährt, ist natürlich eine hübsche Verneigung vor der Premature-Burial-Szene in PAURA NELLA CITTÁ DIE MORTI VIVENTI, (die natürlich ihrerseits eine Ahnengalerie aufweist, an deren Anfang man mindestens auf Dreyers VAMPYR von 1930 stößt). Den Vorwurf, den ich bereits ARPIE gemacht habe, im Grunde eine Nummernrevue von Szenen zu sein, die der Horrorfilm-Fan Salerno für andere Horrorfilm-Fans nach Vorbild derjenigen Filme gedreht hat, von denen er Fan ist, kann man auch OLTRETOMBA machen. Unbeschwert von einem, wenn auch noch so bruchstückhaften, Plot fällt das aber kaum ins Gewicht. Mehr noch: Die von mir in ARPIE bemängelte krude Montage, die zuweilen selbstzweckhaften Ekelszenen und das Laienschauspiel tragen dazu bei, dass OLTRETOMBA stellenweise schon beinahe ins Feld des Avantgarde- und Experimental-Films hinüberragt. Als Francesco aus seiner Trance hochschreckt, beugt er sich beispielweise über den längst erkalteten Junkie. Salerno hat die Szene aus unterschiedlichen Kameraperspektiven gefilmt: Hinter Francescos Rücken; frontal auf Francescos Gesicht usw. Wenn diese Einstellungen im Finalschnitt außerordentlich sprunghaft aufeinanderfolgen, kann man das entweder Salernos Schludrigkeit ankreiden, oder aber als optischen Marker dafür, dass unser Held nunmehr in eine andere Dimension rübergemacht hat. Die erwähnte Verwesung Francescos bläst in ein ähnliches Rohr: Sicher, man kann das unfreiwillig komisch finden, dass es sich offenkundig um eine aufblasbare Puppe handelt, die statt des Schauspielers in sich zusammenfällt, für mich hat dieser groteske Moment die absurde Gesamtatmosphäre dieses vielleicht nicht allzu innovativen, aber unterhaltsamen und auf positive Weise verstörenden Kurzfilms vielmehr unterstützt.
Als Werk eines Fans für Fans ist ARPIE demnach durchaus einen Blick wert, und als Produkt eines Hobbyfilmers mit nur ein paar Lire in der Tasche durchaus beeindruckend, und ich kann mir gut vorstellen, dass Salerno, hätte man ihm jemals das Budget eines Soavi zur Verfügung gestellt, zu Filmen in der Lage gewesen wäre, deren visuelle Frontalattacken auf ihr Publikum heftig genug ausgefallen wären, um darüber jedes noch so laute Stottern innerhalb der narrativen Dynamik vergessen zu lassen, oder die gar, wenn ich mir OLTRETOMBA so anschaue, spielerisch über die Grenze zwischen Amateur-Splatter und Avantgarde-Experimenten hätten hinweghüpfen können. Aber das sind natürlich bloße Spekulationen, und Salernos tragischer Tod fällt bezeichnenderweise exakt in die gleiche Zeitperiode, in der Regisseure wie Michele Soavi, Mariano Baino und Al Festa das italienische Horrorkino - jeder auf seine Weise, und in unterschiedlicher Qualität – endgültig zu Grabe tragen.
OLTRETOMBA beginnt mit dem männlichen Hauptdarsteller von ARPIE, Francesco Rinaldi, der, trotz seiner jungen Jahre, bereits knietief im parapsychologischen Grenzgebietet watet. Sein erklärtes Ziel ist es, wie er uns unfreiwillig verrät, während er einem Tonbandgerät seine neusten Forschungskenntnisse anvertraut, einen Blick ins Jenseits werfen zu wollen - bzw. konkreter: in die Hölle höchstpersönlich, die es in der Vorstellung des Wissenschaftlers als physischen Ort zu geben scheint. Hierfür ist im Grunde nur eins vonnöten: Ein sterbender Mensch, von dem man sicher sein kann, dass ihm nach dem Ableben die Pforten des Paradieses verschlossen bleiben werden. Diesen armen Teufel nun möchte Francesco kurz vor dem letzten Herzschlag hypnotisieren, und seinen verscheidenden Geist mit seinem eigenen koppeln, bzw. sich selbst in den Körper des Sterbenden hineintelepathieren, oder so etwas Ähnliches zumindest, denn die Ausführungen Francescos bleiben relativ vage, und rücken für mich auch ein bisschen in den Hintergrund, als uns Salerno eröffnet, welche Sorte Mensch denn, seiner Meinung nach, für alle Zeiten der Verdammnis anheimfällt: Es ist nämlich ein obdachloser Junkie, den der Parapsychologe sich wie selbstverständlich als Versuchskaninchen herauspickt. (Schon in ARPIE ist, wir erinnern uns, das erste Todesopfer der titelgebenden Weibsdämonen ein Heroinsüchtiger gewesen, wodurch mich fast der Verdacht beschleicht, Salerno sei ein entschiedener Drogengegner gewesen oder habe sonst irgendein Hühnchen explizit mit Fixern zu rupfen gehabt.) Nachdem unser Held dem Junkie seinen Goldenen Schuss verpasst hat, verfällt der eine in seinen Todesschlummer und der andere in eine kontemplative Pose, inklusive an die Schläfen gepresste Finger, wobei der Kegel eines Pinpoint-Lämpchens ihm die Stirn erhellt, als würde ihm dort gleich ein drittes Auge wachsen. Der im Vergleich zu ARPIE wesentlich dezentere, synthielastigere und primär an Evokation von Atmosphäre und weniger an brachialen Gitarrenriffs interessierte Klangteppich verhehlt seine Blaupausen bei Frizzi und Goblin erneut kein bisschen.
Trotz passender musikalischer Untermalung sieht es allerdings ganz so aus, als ob dem Experiment kein Erfolg beschieden sei. Francesco erwacht aus seiner Trance, und muss feststellen, dass er sich immer noch neben dem inzwischen leblosen Junkie befindet – keine jenseitige Welt weit und breit in Sicht. In nachvollziehbar schlechter Stimmung hält unser Held ein Taxi an, das ihn nach Hause befördern soll. Nur: Kaum ist er eingestiegen, und, ohne dass er mitbekommen hätte, dass das Gefährt überhaupt in Bewegung gesetzt worden wäre, verkündet ihm der Fahrer, sie seien längst vor seinem Wohnhaus angelangt. Irritiert, aber seine Konfusion der zurückliegenden Trance und dem Frust über sein Scheitern in die Schuhe schiebend, zieht der Parapsychologe sich in die eigenen vier Wänden zurück, - wo aber die Parade an befremdlichen Ereignissen erst recht nicht abreißt: Die wuselnden Lebendmaden, die schon in ARPIE für einige ekelhafte Großaufnahmen hatten herhalten müssen, haben beispielweise sein Waschbecken okkupiert; der herbeizitierte Kammerjäger steht, obwohl Francesco gerade erst den Telefonhörer aufgelegt hat, bereits auf der Matte, und hält ein Plädoyer für den Verzehr des Ungeziefers, (wobei er sich einen besonders feisten Wurm kurzerhand zwischen die Kauleiste steckt). Man muss wirklich kein Genie sein, um zu erraten, dass die alsbald in Francescos Wohnung herumliegenden pulsierenden Menschenherzen, die Stromstöße, die er von handelsüblichen Türklinken versetzt bekommt, und die Anwesenheit des Junkies als zombifiziertem Wiedergänger die Vermutung unseres Helden Lügen strafen, seine Hypnose-/Telepathie-Session habe keine Früchte getragen: Es ist seine ganz private Hölle, in der Francesco gelandet ist, und deren böse Geister nun ausschwärmen, ihn davon zu überzeugen, wie viele schlimme Dinge man in der Unterwelt erleben kann…
So zerfasert, so unausgegoren, so konfus und letztlich a-logisch der reine Plot von ARPIE gewesen ist, so sehr erweist sich Salernos Händchen als ein glückliches darin, wenn es darum geht, im TWILIGHT-ZONE-Modus eine überschaubare Handlung flott auf eine Pointe hin zu inszenieren. Während ARPIE bei mir den Eindruck erweckt hat, der Film verheddere sich in seinen viel zu vielen narrativen Seitenarmen, seinen viel zu vielen Protagonisten, seiner unnötig komplexen Erzählstruktur, entschuldigt OLTRETOMBA etwaige logische Entgleisungen allein schon dadurch, dass ein Großteil des Films aus der Perspektive Francescos dessen ganz persönliche und phantasmagorische Fahrt ins Jenseits schildert. OLTRETOMBA handelt nicht, wie beispielweise der in ARPIE über Gebühr zitierte DEMONI, vom Einbruch des Phantastischen in eine mehr oder weniger vertraute Realität, sondern siedelt, wie auch Fulcis Schocker der frühen 80er, von der ersten Minute an in einer Welt, wo nun wirklich alles aus dem Lot geraten und dadurch alles möglich ist. Die unbekümmerten Volten, die die das Drehbuch pausenlos vollführt, werden allein dadurch entschuldbar, dass sie in einem Universum verortet sind, in dem die physischen und dramaturgischen Gesetze unseres eigenen Universums ganz bewusst außer Kraft gesetzt worden sind. Der Katalog an Fragen, den ich nach meiner Sichtung von ARPIE mit mir herumgeschleppt habe, erübrigt sich bei einem Film wie OLTRETOMBA. So wie ich nie auf die Idee käme, Fulcis L’ALDILÀ enträtseln zu wollen, versperrt sich auch Salernos Kurzfilm gegen jeden solchen Versuch: Wenn plötzlich eine junge Frau in Francescos Wohnung auftaucht, und von den Verheißungen des Jenseits raunt, oder wenn Francescos Körper plötzlich in sich zusammensackt und sich zu zersetzen beginnt, nur um eine Szene später wieder heil und unversehrt panisch von einem Zimmer zum nächsten zu sprinten, und wenn krude Effekte wie ein animierter Stromschlag wie aus einem Cartoon einen aus der filmischen Illusion herauskicken, dann ergibt das innerhalb der inhärenten Logik des Films gerade dadurch Sinn, dass es überhaupt keinen Sinn macht. Anders gesagt: Während mir die Handlungsfragmente in ARPIE wie eine (fadenscheinige) Substanz vorkommen, die vom reinen Stilwillen Salernos eher ablenken als ihn perpetuieren, hat sich beides – Style & Substance – in OLTRETOMBA harmonisch miteinander verschwistert: Man kann sich zurücklehnen und einfach nur darüber staunen, wie dieser Mailänder es ohne nennenswertes Budget geschafft hat, eine Fulci-Hommage herunterzukurbeln, für die er sich nun wirklich nicht zu schämen braucht.
Auch für OLTRETOMBA gilt allerdings: Subtrahiert man von dem Film all das, was er seinen Vorbildern zu verdanken hat, bleibt als Essenz nicht mehr viel übrig. Der Soundtrack ist einer, den man in einem Lexikon unter dem Eintrag „Italienische Horrorfilm-Scores“ dudeln lassen könnte; die gesamte Exposition mit dem Hypnosemumpitz unseres Parapsychologen kann man, wenn man mag, bis zur eigentlichen Initialzündung des (nicht nur italienischen) Splatterkinos, Gianni Hopelis und Ubaldo Magnaghis 1936 gedrehter experimentelle Poe-Adaption IL CASO VALDEMAR, zurückverfolgen, (auf dessen schlicht unglaubliche zweiminütige finale Verwesungsprozedur auch die Szene, in der Francesco regelrecht vaporisiert, eine Anspielung sein könnte, wenn es denn nachzuweisen wäre, dass Salerno den reichlich obskuren Stummfilm überhaupt gekannt hat; anzumerken sei an dieser Stelle jedoch: Effekttechnisch kann OLTRETOMBA dem, was IL CASO VALDEMAR fünfzig Jahre zuvor auffährt, kein Stilles Wasser reichen); die Pointe nach der Pointe, in der Francesco sich lebendig begraben im Sarg vorfindet, und die Kamera von seinem entsetzten Gesicht nach oben bis zur Friedhofsoberfläche fährt, ist natürlich eine hübsche Verneigung vor der Premature-Burial-Szene in PAURA NELLA CITTÁ DIE MORTI VIVENTI, (die natürlich ihrerseits eine Ahnengalerie aufweist, an deren Anfang man mindestens auf Dreyers VAMPYR von 1930 stößt). Den Vorwurf, den ich bereits ARPIE gemacht habe, im Grunde eine Nummernrevue von Szenen zu sein, die der Horrorfilm-Fan Salerno für andere Horrorfilm-Fans nach Vorbild derjenigen Filme gedreht hat, von denen er Fan ist, kann man auch OLTRETOMBA machen. Unbeschwert von einem, wenn auch noch so bruchstückhaften, Plot fällt das aber kaum ins Gewicht. Mehr noch: Die von mir in ARPIE bemängelte krude Montage, die zuweilen selbstzweckhaften Ekelszenen und das Laienschauspiel tragen dazu bei, dass OLTRETOMBA stellenweise schon beinahe ins Feld des Avantgarde- und Experimental-Films hinüberragt. Als Francesco aus seiner Trance hochschreckt, beugt er sich beispielweise über den längst erkalteten Junkie. Salerno hat die Szene aus unterschiedlichen Kameraperspektiven gefilmt: Hinter Francescos Rücken; frontal auf Francescos Gesicht usw. Wenn diese Einstellungen im Finalschnitt außerordentlich sprunghaft aufeinanderfolgen, kann man das entweder Salernos Schludrigkeit ankreiden, oder aber als optischen Marker dafür, dass unser Held nunmehr in eine andere Dimension rübergemacht hat. Die erwähnte Verwesung Francescos bläst in ein ähnliches Rohr: Sicher, man kann das unfreiwillig komisch finden, dass es sich offenkundig um eine aufblasbare Puppe handelt, die statt des Schauspielers in sich zusammenfällt, für mich hat dieser groteske Moment die absurde Gesamtatmosphäre dieses vielleicht nicht allzu innovativen, aber unterhaltsamen und auf positive Weise verstörenden Kurzfilms vielmehr unterstützt.
Als Werk eines Fans für Fans ist ARPIE demnach durchaus einen Blick wert, und als Produkt eines Hobbyfilmers mit nur ein paar Lire in der Tasche durchaus beeindruckend, und ich kann mir gut vorstellen, dass Salerno, hätte man ihm jemals das Budget eines Soavi zur Verfügung gestellt, zu Filmen in der Lage gewesen wäre, deren visuelle Frontalattacken auf ihr Publikum heftig genug ausgefallen wären, um darüber jedes noch so laute Stottern innerhalb der narrativen Dynamik vergessen zu lassen, oder die gar, wenn ich mir OLTRETOMBA so anschaue, spielerisch über die Grenze zwischen Amateur-Splatter und Avantgarde-Experimenten hätten hinweghüpfen können. Aber das sind natürlich bloße Spekulationen, und Salernos tragischer Tod fällt bezeichnenderweise exakt in die gleiche Zeitperiode, in der Regisseure wie Michele Soavi, Mariano Baino und Al Festa das italienische Horrorkino - jeder auf seine Weise, und in unterschiedlicher Qualität – endgültig zu Grabe tragen.