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Gefährlich sind die hellen Nächte - R. af Hällström (1952)

Verfasst: Mo 22. Jul 2019, 21:44
von Salvatore Baccaro
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Originaltitel: Noita palaa elämään

Produktionsland: Finnland 1952

Regie: Roland af Hällström

Darsteller: Mirja Mane, Toivo Mäkela, Hillevi Lagerstam, Helge Herala, Sakari Jurkka
Hannu ist Archäologe. Außerdem ist er glücklich verheiratet mit Greta. Beide sind zu Ausgrabungen im finnischen Hinterland, wo sie der Baron Hallberg, verschrien in der gesamten Gegend als Lüstling, von dem potentiell jede zweite junge Frau der Region abstammt, freundlicherweise auf seinem Landsitz unterbringt. Der Baron hat einen Sohn, Veikku, Single bislang, eben weil er fürchtet, jede junge Frau der umliegenden Dörfer, die er daten wollen würde, könnte aus einer Affäre seines Vaters mit einer Bäuerin hervorgegangen sein. Greta gefällt ihm allerdings ganz gut, doch wesentlich heftigere Blicke hat der ebenfalls beim Baron einquartierte Boheme-Künstler Kauku auf die Archäologinnengattin geworfen – wobei er nicht mal in Anwesenheit Hannus einen Hehl daraus macht, wie gerne er Greta doch einmal in die Horizontale lotsen würde. Was fehlt nun noch, um die vorhandene Spannung zwischen den um Greta gruppierten Männern übers bloße Knistern hinaus zu wahren Orgasmen anzustacheln? Erstens: die Grabstätte einer weiteren jungen Frau, die Hannu eines Tages aus dem Morast freikratzt, und zweitens: die tauben Ohren der modernen Wissenschaft, die den Protest der lokalen Bevölkerung als abergläubisches Gewäsch abtut, genau an dieser Stelle sei vor dreihundert Jahren eine Hexe verbuddelt worden. Es dauert nicht lange und die allzu neugierigen Hände Hannuss haben den Pfahl aus der skelettierten Brust der Toten herausgepfriemelt. Noch ein Genre-Topos gefällig? Nun, Blitz und Donner ziehen auf, und im frisch ausgehobenen Grab findet unser Trio aus Hannu, Veikku und Kauku in derselben Nacht noch eine splitterfasernackte junge Frau, die offenbar unter Schock steht, nur zu wissen scheint, dass ihr Name Birgit ist, und aufgrund der Witterung und nicht zuletzt ihrer Schönheit ins Schloss mitgenommen wird, - wo sie alsbald dem Archäologen, dem adligen Junggesellen sowie dem Akademiemaler die Köpfe verdreht. Während das Bauernvolk in Birgit die Reinkarnation der erwähnten Hexe wiedererkennt, und keine Gelegenheit auslässt, die wahlweise verführerische oder kindlich-naive Frau mit Forken nach dem Leben zu trachten, und während der Baron in der Fremden eine seiner unehelichen Töchter vermutet, die sich seinen Sohn zu angeln versucht, um an ihr unrechtmäßiges Erbteil zu gelangen, häufen sich nach und nach sowohl die mysteriösen Vorkommnisse – ein Kuh gibt Blut statt Milch; eine Holzbrücke birst grundlos auseinander – als auch die Eruptionen allzu lange verschütteter erotischer Energien auf Seiten unserer männlichen Protagonisten..

Kürzlich habe ich mit NOIDAN KIROT einen wahren Schatz gehoben: Einen finnischen Film von 1927, der sich zwar vorwiegend aus den Genres des Ehedramas, des naturalistischen Melodrams und gar des Rape-&-Revenge-Thrillers speist, gerade in seiner ersten Hälfte aber genügend folkloristische Schauerstimmung aufbietet, dass man ihn wohl gut und gerne als den ersten Beitrag Finnlands zur internationalen Horrorfilmgeschichte bezeichnen kann. Üblicherweise schiebt man diesen Trumpf ja dem 1952 in die Lichtspielhäuser gelangten VALKOINEN PEURA zu, der mit NOIDAN KIROT nicht nur ästhetische Konstanten teilt, sprich, die in ihrer Schwermut schönen Winterlandschaften, sondern auch die eine oder andere Plot-Kapriole: Bei VALKOINEN PEURA haben wir es mit einer recht schwermütig-melancholischen Geschichte um eine sexuell frustrierte Frischverheiratete zu tun, die ihrem Gefühl, von ihrem durch Abwesenheit glänzenden Gatten in jedweder Hinsicht vernachlässigt zu werden, dadurch verheerenden Ausdruck verleiht, dass sie sich, nach einem Besuch beim örtlichen Schamanen, in Vollmondnächte in das titelgebende weiße Rentier verwandelt, das auf todbringende Weise zur Männerjagd bläst. Im gleichen Jahr erscheint kurioserweise aber noch ein zweiter finnischer Film, der ebenfalls dem Phantastischen Kino zugeschlagen werden muss. Wo NOIDAN KIROT und VALKOINEN PEURA mit Vorliebe in schneeverhangener Wintertristesse schwelgen, und dabei jegliches reißerische Potential ihrer Plots zugunsten einer zurückhaltenden, atmosphärischen Inszenierung in den Hintergrund drängen, tanzt der auf einem (mir unbekannten) Theaterstück von Mika Waltari fußende NOITA PALAA ELÄMÄÄN derweil auf einem ganz anderen dionysischen Fest.

Roland af Hällströms Film als grell zu bezeichnen, wäre angesichts seiner Produktionszeit vielleicht sogar noch untertrieben: Was mit gotischem Gruseln á la Bavas LA MASCHERA DEL DEMONIO anfängt, entpuppt sich schnell zur Gesellschaftssatire, in der sozial nur halbseiden überformte und kaschierte Triebe spätestens dann den Ton angeben, wenn die titelgebende Hexe bei unseren Helden Einzug hält, und für Verwicklungen sorgt, die ich nicht nur als recht amüsant empfunden habe, sondern die zuweilen unbeirrt über Stränge hinausschlagen, von denen man Anfang der 50er eigentlich hätte vermuten müssen, dass die Filmzensur diese noch weitgehend fest in ihrem Griff hält. Im Klartext: Wenn Hauptdarstellerin Minja Mane so wie Gott sie schuf durch von Gewittern erhellte Nordnächte springt, wenn sie den ihr reihenweise verfallenden Männern verheißt, sie sehne sich nach ihren Körpern wie nach der Wärme des Feuers und der Wärme des Blutes, und wenn diese Männer wiederum in ihrer (übernatürlichen) Becircung blindlinks ins Moor stapfen, einander gegenseitig die Schädel einzuschlagen drohen und die eigenen Ehefrauen mit der kältesten Schulter bedenken, dann durchzieht NOITA PALAA ELÄMÄÄN eine nicht nur schwüle, sondern regelrecht impulsive Erotik, die gar keine expliziten Sexszenen oder Aufnahmen von Geschlechtsorganen braucht, um klarzumachen: Auch in diesem Film dreht sich, wie bei VALKOINEN PEURA, alles um eine unter den Teppich gekehrte Sexualität, die jedes Vehikel daran setzt, doch irgendwie zum Ausbruch zu kommen. Wo VALKOINEN PEURA sich allerdings in (recht leicht decodierbare) Metaphern flüchtet, dominiert bei NOITA PALAA ELÄMÄÄN ein fast schon aggressiver Tonfall, wenn die Hirne unserer Helden beim Anblick der nackten Hexe in ihre Leistengegenden rutschen, und dort auch nicht so bald wieder hervorkommen. Obwohl der Film seinen Punkt vorrangig über einen verschrobenen, bizarren Humor macht, der sich niederschlägt in zugleich pointierten wie haarsträubenden Dialogen und Szenen – einfach nur göttlich: wie die Dörfler der Hexe andauernd über die Felder hinterherjagen - verschmäht er es aber doch nicht, einige durchaus effektvolle Schauerbilder aufzubieten, von denen Minja Manes andauernd von purer Einfalt in eine hysterische, blutgierige Fratze sich verwandelndes Gesicht für mich wohl das eindrucksvollste darstellt. Was selbst bei Hammer fünf bis zehn Jahre später noch mit Feigenblättern versehen wird, ist hier so handfest wie es sein kann, ohne ins rein Pornographische abzurutschen. Eros und Thanatos halten Händchen; Birgit beißt ihren Verehrern in die Lippen; ihr Gesicht wird zu einem bleckenden Totenschädel, wenn vor Geilheit zitternde Finger ihre Wangen berühren; nur mit einem hauchdünnen, durchsichtigen Stofffetzen bedeckt bringt sie ihre Brüste im Mondschein zum Hüpfen: Schaurig und sexy in einem Atemzug.

Dabei lässt NOITA PALAA ELÄMÄÄN tatsächlich aber lange Zeit offen, ob es sich bei der klamottenlosen Dame nicht doch um eine Bewohnerin einer der umliegenden Ortschaften handeln könnte, die aus irgendwelchen Gründen traumatisiert ist, sprich, die Befürchtungen der Bauernschaft nicht doch plumpen Aberglaube darstellen, und der Umstand, dass die vermeintliche Hexe eine nicht zu leugnende Wirkung auf jeden Mann ausübt, der ihre Wege kreuzt, nicht einfach nur mit ihrer unzweifelhaften Schönheit erklärt werden kann. Im letzten Drittel freilich schmeißt der Film derartige Ambivalenzen ins Moor, und es wird exzessive Hexerei betrieben: Da lösen sich Pferdchen in Luft auf, und Sensen bohren sich unter dem Kommando eines bloßen Blicks der Zauberin in ihr feindlich gesinnte Bauernbeine. Natürlich kann man dem Film, wenn man denn unbedingt möchte, eine misogyne Attitüde unterjubeln – die Frau als leibhaftiger Teufel, der die Männer ins Verderben zieht –, auch wenn diese Interpretation freilich davon etwas aufgeweicht wird, dass sich der gesamte Hexenspuk letztlich als (Alp-)Traum Hannus herausstellt, (eine recht blöde Pointe btw, die sicher nur dazu gedacht gewesen ist, die zeitgenössischen Zensoren dem Film gegenüber gnädiger zu stimmen). Andererseits komme ich nicht umhin, dem Film zu unterstellen, dass er doch ziemliche Freude daran hat, gerade in seinen letzten zehn Minuten ein regelrechtes Weltuntergangsszenario an hervorplatzender Leidenschaften zu inszenieren, das bestimmt keine Filmprüfstelle unbeschadet hätte passieren können, sofern es nicht auf irgendeine abschwächende Art und Weise kontextualisiert und damit abgemildert worden wäre.

Auch weil sie zeitlich so nahe beieinander liegen, ist mir als mögliche Referenz übrigens zuallererst LA NAVE DELLE DONNE MALEDETTE in den Sinn gekommen. Kleidet Raffaello Matarazzo seine kinematographische Ejakulation formell ins Gewand eines Kostümfilms, und lässt erst im letzten Drittel die Hüllen auf unmissverständliche Weise fallen, so schlüpft Roland af Hällströms kleine Priaposorgie ebenso rein an der Oberfläche in gotische Schauer, um allerdings viel früher, nämlich bereits im ersten Drittel, seine Katze aus dem Sack zu lassen. Seine Katze, das ist natürlich die splitterfasernackte Minja Mane, die halb wie ein verschrecktes Reh, halb wie ein angriffslustiger Bär zwischen Sturmbrausen, Regengüssen und in Flammen stehenden Scheunen umherspringt. Wann hört das eigentlich auf, dass ich immer noch quasi am laufenden Band Filme entdecke, von denen ich nie gedacht hätte, dass die wirklich in dieser Form zu dieser Zeit gedreht werden konnten, und dann auch noch kommerziell vertrieben worden sind!? (Ich hoffe nie.)