Als wir träumten - Andreas Dresen (2015)

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Als wir träumten - Andreas Dresen (2015)

Beitrag von buxtebrawler »

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Originaltitel: Als wir träumten

Herstellungsland: Deutschland / Frankreich (2015)

Regie: Andreas Dresen

Darsteller(innen): Merlin Rose, Julius Nitschkoff, Joel Basman, Marcel Heuperman, Frederic Haselon, Ruby O. Fee, Chiron Elias Krase, Luna Rösner, Tom von Heymann, Nico Ramon Kleemann, Kilian Enzweiler, Henning Beeck u. A.

Die Leipziger Clique, bestehend aus Dani (Merlin Rose), Rico (Julius Nitschkoff), Pitbull (Marcel Heupermann), Mark (Joel Basman) und Paul (Frederic Haselon), gehört zu jener Generation, in deren Pubertät die Wende und das Ende der DDR platzten. Ihre Nachwendezeit ist geprägt von Kleinkriminalität, Angriffen von Neonazis, Drogen – aber auch dem Traum, aus der neu gewonnenen Freiheit etwas zu machen, sei es durch Eröffnung eines Techno-Clubs, durchs Einschlagen einer Karriere als Boxer oder durch eine feste Beziehung zu einem Mädchen, in das man schon so lange verliebt ist. Doch ein Traum nach dem anderen zerplatzt.

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Re: Als wir träumten - Andreas Dresen (2015)

Beitrag von buxtebrawler »

„Wir werden die Größten sein, dann kommen auch die Mädchen!“

Im Jahre 2015 kam „Als wir träumten“, die Verfilmung des gleichnamigen Romans Clemens Meyers, und damit ein wichtiges Stück Aufarbeitung früher deutscher Nachwendegeschichte, in deutsch-französischer Koproduktion in die Kinos. Wolfgang Kohlhaase schrieb die Vorlage in Drehbuchform um, Andreas Dresen („Halbe Treppe“) führte Regie.

„Jetzt seid doch mal vernünftig!“

Die Leipziger Clique, bestehend aus Dani (Merlin Rose, „Doktorspiele“), Rico (Julius Nitschkoff, „Komasaufen“), Pitbull (Marcel Heupermann, „Mitten in Deutschland: NSU - Die Täter“), Mark (Joel Basman, „Wir sind jung. Wir sind stark.“) und Paul (Frederic Haselon), gehört zu jener Generation, in deren Pubertät die Wende und das Ende der DDR platzten. Ihre Nachwendezeit ist geprägt von Kleinkriminalität, Angriffen von Neonazis, Drogen – aber auch dem Traum, aus der neu gewonnenen Freiheit etwas zu machen, sei es durch Eröffnung eines Techno-Clubs, durchs Einschlagen einer Karriere als Boxer oder durch eine feste Beziehung zu einem Mädchen, in das man schon so lange verliebt ist. Doch ein Traum nach dem anderen zerplatzt.

Der Prolog: In einem alten Kino sitzen zwei Jugendliche, die man im Weiteren näher kennenlernen wird. Einer von ihnen, Mark, ist drogenabhängig. Gemeinsam schwelgen sie in Erinnerungen, die fortan in verschiedenen Rückblenden visualisiert werden. Die erste führt in eine Wehrsportübung in der DDR-Schule, die nächste spielt vier Jahre später, kurz nach der Wende. Die alte Clique ist mittlerweile kleinkriminell und begeht Ladendiebstähle. Sie prügelt sich mit Neonazis um eine einsame Großmutter (Dorothea Walda, „Club Las Piranjas“), bei der sie abzuhängen pflegen und von der sie dafür Geld und Alkohol bekommen. In der Vorwendezeit kommt es zu einem Konflikt mit der Schule, in der Nachwendezeit befindet sich Rico beim Boxtraining. Ansonsten wird gesoffen und randaliert, eine Destruktivität, die hin und wieder aus dem Off von den Zurückblickenden kommentiert wird.

Das mit der Disco scheint zu klappen. Eine leerstehende Bruchbude wird zu einem Underground-Techno-Club umgebaut, rechtzeitig zur Eröffnung wird man fertig. Doch kommen leider auch die Neonazis und machen Stunk. Dennoch läuft der Laden gut an, man kann sich als jüngste Discobesitzer feiern lassen. Die Neonazis wollen den Club aber übernehmen und kommen mit der ganzen Bande wieder, bis Rico deren Anführer (Thomas Brandt, „Das richtige Leben“) mit einer Pistole bedroht. Generell werden sie immer mehr und machen Jagd auf die Clique, bis sie schließlich die ganze Disco auseinandernehmen. Paul verknallt sich in eine 28-jährige Kioskverkäuferin (Lynn Femme, „Der Nachtmahr“) und ist völlig fertig, als sie seine Liebe nicht erwidert, bricht sogar nachts in den Kiosk ein. Nicht viel besser geht es Dani. Katja, genannt „Sternchen“ (Ruby O. Fee, „Löwenzahn – Das Kinoabenteuer“), auf die er seit Langem ein Auge geworfen hat, ist zu den Neonazis übergelaufen.

Zurück in der Vorwendezeit werden die Montagsdemos in der Schule thematisiert, nach dem Ende der DDR werden Punks und Antifas ins Bild gerückt. Letztere enttäuschen, denn sie bleiben untätig, die Clique hat von ihnen nichts zu erwarten. Dani und Ruby kommen sich wieder näher, doch Dani wird verknackt – für nichts. In einer Parallelmontage wird der legendäre Kampf Graciano „Rocky“ Rocchigianis gegen Henry Maske mit Ricos Kampf gegen einen Neonazi zusammengeschnitten: Geballtes Zeitkolorit, das ans kollektive TV-Gedächtnis einer Nation erinnert. Kurz vor Ende knüpft man wieder an den Prolog an: Paul war Marks Dealer, Mark stirbt an den Folgen seiner Drogenabhängigkeit. Sternchen arbeitet mittlerweile in einem Striptease-Lokal und trifft dort Mark und Rico wieder. Von Rico lässt sie sich Stoff andrehen. Letztlich zerbricht die ganze Clique, ohne Katharsis, ohne Happy End.

Dresens verschachtelt erzählter Film ist frei von jeder Wende-Euphorie. Wer will es ihm verdenken? Mit der Aufoktroyierung des kapitalistischen BRD-Systems auf die DDR blutete diese wirtschaftlich aus, nahm man ihren Bewohnern ihre Identität. In unverantwortlicher Weise erzeugte die Politik unter dem korrupten Kanzler Kohl zusammen mit den westlichen Kapitalseignern, denen die vor ihrer Raffgier geschützte DDR schon immer ein Dorn im Auge war und die sie sich nun endlich unter den Nagel reißen konnten, Millionen sog. Wendeverlierer(innen), die sich mit industriellem Abbau, Massenarbeits- und Perspektivlosigkeit, ausufernder Kriminalität, Ellbogenmentalität, Drogensucht und einem entfesselten Neofaschismus konfrontiert sahen und nicht selten unter die Räder gerieten. Besonders einschneidend waren diese negativen Folgen für diejenige Generation, die unter diesen Umständen aufwachsen und erwachsen werden musste.

Dresen & Co. gelang mit „Als wir träumten“ das Porträt einer verdammt beschissenen Zeit, einer Zeit der Verrohung und des sozialen Abstiegs, von der insbesondere der Osten der Republik betroffen war, von der man aber im Zuge der Wiedervereinigungseuphorie im Westen nur wenig wissen wollte und will. Deshalb freue ich mich über jedes Buch und jeden Film, der diesen finsteren Abschnitt deutscher Geschichte adäquat aufgreift. Dresens Film ist harter, ungeschönter Stoff, einzelne Szenen bewegen sich an der Grenze des Erträglichen. Dass die Grenzöffnung und die Auflösung der DDR trotz aller Zeitsprünge in Bilderform komplett ausgespart werden, unterstreicht die Stimmung des Films, zu der unreflektierte Jubelbilder nicht gepasst hätten.

Mord in Berlin, Konkurrenz, Gewitter im Kopf, Lottofee, Eastside, Straßenköter, Immer bereit, JVA Zeithain, Großer Wagen, Die großen Kämpfe, Strahlen, Abschied – so lauten die in Textform eingeblendeten Kapitel, in die der Film unterteilt wurde und helfen, den episodischen Aufbau zu strukturieren. Sie stehen stellvertretend für die Biographien der Cliquenmitglieder, die ausreichend ambivalent und charakterlich verschieden sind, dass sie viel Reflektionsfläche für eigene Erlebnisse selbst Betroffener bieten, Wer keinen Zugang zu den Themen des Stoffs hat, wird ihn hoffentlich finden und zumindest mit der einen oder anderen Perspektive etwas anfangen können – die politischen und gesellschaftlichen Hintergründe werden nämlich nicht explizit benannt, sondern finden zwischen den Bildern statt. Gelingt dies nicht, ist all dies zu weit weg vom eigenen behüteten Aufwachsen, stößt das Gezeigte evtl. auf Unverständnis.

Die Kameraarbeit ist auf hohem Niveau, die Schauspielerinnen und Schauspieler agieren grandios (Romanautor Meyer hat einen Gastauftritt als Polizist), aus den Radios dudelt viel zeitgenössische Musik (inkl. diverser Grausamkeiten) – neben dem realistischen Ambiente ein wichtiger Authentisierungsfaktor. Letztlich ist „Als wir träumten“ etwas zu lang geraten, mit den Nazis verschwindet auch die bis dahin aufgebaute Dramaturgie. Tatsächlich ist dies der einzige Kritikpunkt in einem ansonsten auf fast schon schmerzhafte Weise gelungenen Stück jüngerer deutscher Vergangenheitsbewältigung, das lange nachwirkte und mir 8,5 von 10 Urinierszenen wert ist.
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nico giraldi
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Re: Als wir träumten - Andreas Dresen (2015)

Beitrag von nico giraldi »

Tolle Rezension, BUXTEBRAWLER , habe mir den Film gleich mal bestellt .Hatte den Film auch schon mal in der Hand gehabt, wußte aber nicht ob der was ist. Von Andreas Dresen hatte ich schon lange vorher was über „ HALBE TREPPE „ gehört.
Letztes Jahr habe ich aber „ GUNDERMANN „ im Kino gesehen und zuerst wusste ich nicht so richtig, wie ich Gundermann als Person einschätzen sollte. Ist Gundermann ein Arschloch ? , weil er seine Kollegen anscheißt und für die Stasi arbeitet oder einen seiner besten Freunde die Frau ausspannt. Irgendwie fand ich ihn ambivalent , aber dann begann der Film nachzuwirken und ich schaute ihn mir den Film noch mal im Kino an und ich fand den Liedermacher Gundermann immer faszinierender und ich würde mir den Film auch noch ein drittes Mal ansehen.
„ GUNDERMANN „ war für mich mit „ BLACKKKLANSMAN „ der beste Film den ich im 2018 Kino gesehen habe.
Jetzt bin ich mal auf „ ALS WIR TRÄUMTEN „ gespannt.
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buxtebrawler
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Re: Als wir träumten - Andreas Dresen (2015)

Beitrag von buxtebrawler »

nico giraldi hat geschrieben:Tolle Rezension, BUXTEBRAWLER , habe mir den Film gleich mal bestellt .Hatte den Film auch schon mal in der Hand gehabt, wußte aber nicht ob der was ist. Von Andreas Dresen hatte ich schon lange vorher was über „ HALBE TREPPE „ gehört.
Letztes Jahr habe ich aber „ GUNDERMANN „ im Kino gesehen und zuerst wusste ich nicht so richtig, wie ich Gundermann als Person einschätzen sollte. Ist Gundermann ein Arschloch ? , weil er seine Kollegen anscheißt und für die Stasi arbeitet oder einen seiner besten Freunde die Frau ausspannt. Irgendwie fand ich ihn ambivalent , aber dann begann der Film nachzuwirken und ich schaute ihn mir den Film noch mal im Kino an und ich fand den Liedermacher Gundermann immer faszinierender und ich würde mir den Film auch noch ein drittes Mal ansehen.
„ GUNDERMANN „ war für mich mit „ BLACKKKLANSMAN „ der beste Film den ich im 2018 Kino gesehen habe.
Jetzt bin ich mal auf „ ALS WIR TRÄUMTEN „ gespannt.
Das freut mich! "Gundermann" interessiert mich auch, habe ihn noch nicht gesehen.
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McBrewer
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Re: Als wir träumten - Andreas Dresen (2015)

Beitrag von McBrewer »

Ich schrieb damals nach dem Kinobesuch in Kurzform:
Als wir träumten ...nach "Wir sind jung. Wir sind stark." noch ein weiteres sehr interessantes Nachwendedrama. Andreas "Halbe Treppe" Dresen siedelt seine Geschichte um die 90iger Clique in ein abenteuerliches Leipzig. Anders als aber die Jungen Leute aus "Wir sind jung. Wir sind stark." versuchen diese Jugendliche nicht, die Perspektivlosigkeit irgend jemanden (Ausländer) anzukreiden, sondern stellen selber was auf die Beine: einer der ersten Techno-Clubs in der sächsischen Stadt! Wenn da nur die Skinheads, Drogen & Frauen nicht wären...ganz großartig!
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Arkadin
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Re: Als wir träumten - Andreas Dresen (2015)

Beitrag von Arkadin »

nico giraldi hat geschrieben:Von Andreas Dresen hatte ich schon lange vorher was über „ HALBE TREPPE „ gehört.
Dresen ist meiner Meinung nach einer der besten Regisseur des Landes. Wobei ich zugeben muss, jetzt nur seine Filme bis einschließlich "Sommer vorm Balkon" zu kennen. Danach habe ich ihn irgendwie aus den Augen verloren. Wohl weil "Wolke 9" und "Whisky mit Soda" mich nicht so interessierten und ich mich an "Halt auf freier Strecke" nicht ran getraut habe, da er einfach zu nahe an meinen realen Ängsten ist. Anguck-Tipp: "Nachtgestalten" und "Die Polizistin".
Früher war mehr Lametta
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