Seite 1 von 1
Depeche Mode und die DDR - H. Sittner/N. Werner (2018, Doku)
Verfasst: Sa 10. Aug 2019, 22:52
von buxtebrawler
Originaltitel: Depeche Mode und die DDR - Just Can't Get Enough
Herstellungsland: Deutschland / 2018
Regie: Heike Sittner, Nils Werner
Mitwirkende: Gerald Ponesky, Thilo Schmied, Andreas Schreiber, Martin L. Gore, Detlef Bergmann, Sascha Lange, Daniel Miller, David Gahan, Andrew Fletcher, Thomas Müller, Anja Tomczak, Torsten Hahn u.A.
Anlässlich des 30. Jahrestags des legendären Konzerts von Depeche Mode in der Ost-Berliner Werner-Seelenbinder-Halle widmet sich der MDR mit einer Dokumentation dem Fankult in der ehemaligen DDR. Depeche Mode genossen in der Ostrepublik eine riesige Popularität. Die Anhänger organisierten sich in zahlreichen Fan-Clubs, wo sie gemeinsam zur Musik der vier Engländer feierten und versuchten, den coolen Look ihrer Stars nachzuahmen. Ein Autorenteam des MDR ist dem Fankult im Osten der 80er-Jahre jetzt in einer ausführlichen, fast 90-minütigen Dokumentation nachgegangen. Zahlreiche Zeitzeugen berichten von ihrem Fan-Dasein jenseits des eisernen Vorhangs. Historische, bislang nicht gezeigte Aufnahmen des Fan-Clubs Zwickau geben einen Einblick in die Fan-Kultur von damals.
Quelle:
https://www.depechemode.de/mdr-zeigt-tv ... ddr-57983/
Re: Depeche Mode und die DDR - H. Sittner/N. Werner (2018, Doku)
Verfasst: Sa 10. Aug 2019, 22:54
von buxtebrawler
„Depeche Mode ist die größte ostdeutsche Band!“
Die MDR-Autoren Heike Sittner und Nils Werner drehten anlässlich des 30. Jahrestags des legendären Depeche-Mode-Konzerts in der Ost-Berliner Werner-Seelenbinder-Halle diesen Dokumentarfilm zum Fankult, der um die britische Synthie-Pop/Wave-Band in der DDR entstanden war. Es war das einzige Konzert der Band in der DDR. Der Film wurde am 10.03.2018 erstausgestrahlt.
Knapp 90 Minuten lang gehen Sittner und Werner der Popularität der Gruppe unter den Jugendlichen der DDR auf den Grund. Von Sittner aus dem Off kommentiert unternimmt man eine Zeitreise in die 1980er, zeigt Unmengen toller Fotos und Bewegtbilder aus jener Zeit und konnte viele O-Töne der Fans, damals involvierten Verantwortungsträger und der Band gewinnen – alte wie neue: Der damalige Zwickauer Jugendclubleiter Detlef Bergmann bekam Unterstützung von der SED-Jugendorganisation FDJ und interessierte sich besonders für die wachsende, subkulturelle Gruppe Depeche-Mode-Fans, woraufhin er sie mit seiner Videokamera dokumentierte. Dieses erstmals gezeigte Material enthält authentische Aufnahmen aus dem Leben der Zwickauer Depeche-Mode-Fans vor der Wende, inkl. persönlichen Aussagen über ihr Leben in der DDR, ihre Leidenschaft und ihre Träume. Es kommt zu einem Wiedersehen des alten Zwickauer-Fanclubs „Great Fans“ mit Bergmann, als Historiker kommt Sascha Lange zu Wort und „Mute Records“-Gründer Daniel Miller berichtet von den Anfängen dieser Musik, wie er die Band entdeckte und schließlich veröffentlichte.
Die „Great Fans“ waren nur einer von vielen Fanclubs, die die Musik der Briten feierten, akribisch alles über sie sammelten, Tonträger austauschten und sich wie ihre Vorbilder stylten. Kein Wunder also, dass die Ticketvergabe fürs Konzert streng reguliert werden musste: Platz war für lediglich 6.500 Besucher(innen), die aus der ganzen DDR anreisten, teilweise auf gut Glück. Die minutiös nacherzählte Entstehung des Konzerts ist hochspannend, sie war richtiggehend konspirativ: Um exorbitanten Massenandrang und mögliche daraus resultierende Eskalationen zu verhindern, wurde es als Feierlichkeit zum 42. Geburtstag der FDJ „getarnt“. Zu Depeche Mode passte das Konzert perfekt: In den 1980ern hatte die Band bereits wiederholt in der geteilten deutschen Stadt an ihren Alben gearbeitet, die kühle Ästhetik ihrer Musik fand ihren Widerhall in der DDR-Realität. Die Band äußert sich in alten DDR-TV-Aufnahmen auch selbst zu ihrem Auftritt in der DDR und ihren dortigen Fans. Diese Geschichte endet mit der Wende. Eine Label-Managerin weiß darüber hinaus noch über Fans aus dem Osten Deutschlands auf West- und Auslandskonzerten zu berichten. In den 1990ern kollabierte die Band, der Fanclub zerstreute sich.
Im Schlussteil wird die Brücke zur Gegenwart und zum Depeche-Mode-Comeback geschlagen, womit der Film gewissermaßen auch zur Bandbiographie avanciert. Der Zwickauer Fanclub findet noch einmal zusammen und fährt zum aktuellen Berliner Konzert, was mit aktuellen Live-Bildern illustriert wird. Ein schöner, versöhnlicher Abschluss eines Films, der nicht nur Einblicke in das besondere Verhältnis zwischen Depeche Mode und ihren Fans offenbart, sondern auch in den Kulturbetrieb der DDR, der mit Depeche Mode keine ideologischen Probleme hatte und mit dem Ost-Berliner Konzert ein unvergessliches popkulturelles Ereignis mit immenser Strahlkraft ermöglichte – ganz ohne Stasi-Mist. Trotz des starken sächsischen Akzents vieler Beteiligter fördert dieser Film Verständnis für die damalige Zeit und ihre Umstände und setzt nicht nur der Band ein weiteres, sondern vor allem den aufopferungsvollen Die-Hard-Fans in entbehrungsreichen Zeiten ein Denkmal. Das ist grandios und mitnichten ausschließlich für Depeche-Mode-Fans interessant. 8,5 von 10 Amiga-Lizenzpressungen für dieses Kleinod des ostdeutschen TV-Dokumentarfilms der Neuzeit.
Ergänzend ist übrigens mit „Behind the Wall – Depeche Mode-Fankultur in der DDR“ ein Buch Sascha Langes und Dennis Burmeisters erschienen, das mir noch unbekannt, aber sicherlich viele weitere spannende Geschichten und Eindrücke bereithält.