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Salamander - Alberto Cavallone (1969)

Verfasst: Do 26. Sep 2019, 18:10
von Salvatore Baccaro
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Originaltitel: Le Salamandre

Produktionsland: Italien 1969

Regie: Alberto Cavallone

Darsteller: Erna Schurer, Beryl Cunningham, Antonio Casale, Tony Carrel, Michelle Stamp, Walter Fabrizio
Dass der erste Spielfilm Alberto Cavallones mit folgender Szene einsetzt, sollte niemanden überraschen, der mit dem späteren Oeuvre dieses wahrhaften Querschützen des italienischen Kinos vertraut ist: Ein dunkelhäutiger Mann wird an einem nordafrikanischen Strand von drei Weißen in ihrem Jeep wie ein wildes Tier gehetzt. Als man den Flüchtigen endlich ergreift, belässt man es nicht dabei, ihn nach allen Regeln der Kunst zu vermöbeln, sondern entledigt ihn auch mittels Messer seines Geschlechtsteils. Der Kastration wohnt eine dunkelhäutige Dame bei, die dem blutigen Spektakel aus dem Versteck eines Gestrüpps heraus zuschaut. Schließlich ergreift sie selbst die Flucht, und findet Schutz in den weit ausgebreiteten Armen einer weißhäutigen Frau, die sie als Lichtgestalt im wahrsten Wortsinn auf dem Scheitelpunkt eines Hügels erwartet. Dass sich diese Prologsequenz letztlich als Traum einer unserer Heldinnen herausstellt, ändert nicht viel an der verstörenden Impulsivität, mit dem ein solcher Auftakt gerade auch auf ein argloses Publikum des Jahres 1969 hereingebrochen sein dürfte.

Mehr zur Verblüffung regt indes an, dass LE SALAMANDRE den Spielfilmkanon seines Regisseurs, dem später zumeist einzig Schnürsenkel-Budgets zur Verwirklichung seiner Visionen zur Verfügung standen, und dessen Filme deshalb größtenteils genauso sang- und klanglos in die Lichtspieltheater gerieten wie sie daraus verschwanden, mit einem veritablen Erfolg eröffnet: 500 Millionen Lire soll der übrigens auch in Deutschland ausgewertete Streifen allein in Italien eingespielt haben – ein Konzert klingelnder Kinokassen, von dem Cavallones nachfolgende transgressive Epen nur träumen konnten. Andererseits muss aber auch gesagt werden: LE SALAMANDRE ist tatsächlich wohl Cavallones zugänglichstes Werk, ein Film zudem direkt am Puls der Zeit, der aktuelle politische und gesellschaftliche Themen mit jener Prise Erotik und nackter Haut behandelt, die nötig ist, um auch ein breiteres Publikum anzusprechen, und der, von der beschriebenen Schock-Sequenz gleich zu Beginn einmal abgesehen, ansonsten darauf verzichtet, seine Zuschauer mit jenen subversiven Sujets zu provozieren, die Cavallones Meisterwerke wie BLUE MOVIE oder SPELL (DOLCE MATTAIAO) strukturieren. Wenn es einen Film dieses Regisseurs gibt, der mehr und weniger auch in einem herkömmlichen Arthouse-Kino Platz finden könnte, und dabei das Potential besitzt, Fans solch unterschiedlicher Exponenten des europäischen Autorenfilms wie Eric Rohmer oder Michelangelo Antonioni anzusprechen, dann ist es sicherlich dieser hier: Wie bei Antonioni muss man nach einem geradlinigen Plot nicht lange fragen, sondern sich darauf einlassen, dass einen die höchstens rudimentär vorhandene Handlung von alleine irgendwohin trägt (oder auch nicht), und wie bei Rohmer verbringen die Protagonisten die Zeit, die der eher gemächlich dahinfließende Bilderstrom braucht, um uns neunzig Minuten lang mal in die eine, dann wieder in die andere Richtung schlingern zu lassen, vor allem damit, miteinander zu plaudern, und zwar über so ziemlich alles, was 1969 als Tagesgespräch herhält: Rassismus, Kolonialismus, 68er Aufbruchstimmung, der Konnex zwischen Kunst und Tod, die marginale Linie zwischen Kunst und Kommerz, und, natürlich, immer wieder einen Überschwang an Emotionen, den man wahlweise in die Begriffe Liebe oder Geilheit pressen kann.

Im Zentrum von LE SALAMANDRE stehen zwei Frauen. Uta haben wir ja bereits anhand ihrer Träume kennengelernt. Sie ist Modell, und seit einiger Zeit ausschließliches Objekt der Kamera von Ursula, einer hochdotierten Photographin an der Schnittstelle von Kunst und Kitsch. Gemeinsam befinden sich die Damen, die nicht zuletzt eine On/Off-Liebesbeziehung miteinander verbindet, auf Shooting-Reise in Marokko. Schon von Beginn wird klar, dass das Machtgefälle zwischen unseren Heldinnen einerseits ein beträchtliches, andererseits aber ebenso sehr von Ambivalenzen durchzogen ist. Wenn die um keinen zynischen Scherz verlegene Ursula Uta nicht unter die Nase reibt, dass sie es gewesen ist, die sie aus der Harlemer ins Blitzlichtgelichter der internationalen VIP-Szene gehievt hat, lässt sie sie vielleicht nicht mit Worten, aber durch ihr Verhalten wissen, wie sehr emotional abhängig sie von ihr ist. Auch Uta verbindet zwar eine gewisse Hörigkeit gegenüber Ursula, von der sie genau weiß, dass sie ihre Karriere mit einem Fingerschnippen ruinieren kann, zugleich schreckt sie aber nicht davor zurück, ihr in entsprechenden Situationen verbales oder handgreifliches Kontra zu bieten. Es scheint mir nicht zu weit gegriffen, die paradoxe, beinahe schon sadomasochistische, auf jeden Fall aber ungesunde, da psychisch zermürbende und immanent toxische Beziehung der Beiden mit der zu vergleichen, die sich in BLUE MOVIE zwischen Photograph Claudio und Modell Silvia in dessen abgeschiedenem Haus abspielt. Nie weiß man, wer gleich die nächste Ohrfeige einfängt, oder ob Ursula eine intime Szene mit einem rassistischen Seitenhieb zerstören, und ob Uta sie im Gegenzug dafür mit Liebesentzug bestrafen wird.

Verkompliziert wird dieses Geflecht aus Abhängigkeiten und Ausbeutungen, als Ursula und Uta beim Strandbaden auf den Arzt Henry treffen, mit dem beide Frauen – aus ganz unterschiedlichen, jedoch kaum einmal dezidert benannten Gründen – ein Tête-à-Tête beginnen, vor allem aber lange und intensive Diskussionen führen, während man beispielweise durchs marokkanische Hinterland cruist, einen Markt besucht, oder sich gepflegt zu Hause einen hinter die Binde kippt. Viertes Rad am Wagen wird, als sich die vor Eifersüchteleien und andauernd Neuformierungen der etablierten Machtkonstellationen nur so strotzende Ménage-à-trois zwischen Uta, Ursula und Henry mehr und mehr zuspitzt, ein junger Tramp, (quasi eine Frühform des namenlosen Fremden in SPELL), der permanent versucht, Uta zur Revolte gegen alles und jeden anzustacheln: Gegen das Wirtschaftssystem; gegen die Vorherrschaft der weißen Rasse; gegen das Patriarchat. In einer ergreifenden Szene entlädt sich Utas (Selbst-)Hass jedoch letztlich an einem geschundenen Bettler, sprich, am schwächsten Glied der Gesellschaft, den sie, von einer Party fliehend, auf der Ursula einmal mehr ihre (vermeintliche) Überlegenheit zur Schau gestellt hat, krankenhausreif prügelt. Allzu konkret wie in diesem Moment wird Cavallones Film allerdings selten: Zwischen den Zeilen scheint mir noch ein ganzer Roman zu stecken, zumal wir selten sicher sein können, ob das, was die Figuren einander anvertrauen, auch wirklich dem entspricht, was sie fühlen oder meinen, und die Erzählstruktur immer wieder von Rückblenden durchbrochen wird, die die Dinge zusätzlich verrätseln: So erfahren wir, dass Henry als Arzt in Indochina arbeitete, wo ihm der Vietkong die eigene Frau wegbombte, obwohl er einzig deshalb in das kriegsgebeutelte Land reiste, um als Psychiater der vom internationalen Kolonialismus in Mitleidenschaft gezogenen Zivilbevölkerung zu helfen, oder, dass Ursulas frühere Freundin Lynn Selbstmord vor laufender Kamera beging, die alle paar Sekunden eine neue Aufnahme des ihr entschwindenden Lebens schoss, während Uta heimlich und tatenlos ihr beim Sterben zuguckte.

Offensichtlich wird in solchen Szenen allerdings, dass ein Großteil der Cavallone noch bis in die 80er beschäftigenden Ideen in LE SALAMANDRE bereits in nuce angelegt sind: Ein Ausflug in die Ruinen von Karthago erinnert mich an die verlassene Waldsiedlung in BLUE MOVIE; eine dann doch noch einmal aufrüttelnde Szene relativ zu Beginn nimmt die Integration authentisches Vietnamkriegs- und Holocaust-Footages in besagtem Film vorweg, wenn Henry unseren Heldinnen vor eine Mauer in Strandnähe führt, die von der örtlichen Bevölkerung gemieden wird, da dort vor geraumer Zeit regelmäßige Hinrichtungen stattfanden, worauf Cavallone die Gelegenheit nutzt, dokumentarische Aufnahmen tatsächlicher Erschießungen einzufädeln; schlicht beeindruckend empfinde ich auch die letzten Szenen, in denen sich Utas und Ursulas vergiftete Liaison in Mord und Totschlag entlädt, nur um Cavallone plötzlich den Final-Joke von Jodorowskys HOLY MOUNTAIN antizipieren zu lassen: Zoom back, Camera!, und auf einmal erkennen wir das Blut auf Ursulas Körper als rote Farbe, und Cavallone und sein Team erscheinen im Bildkader, die Illusion brechend und mir ein breites Grinsen ins Gesicht zaubernd. Einzig die ausführlichen Sex- und Erotikszenen, die dem Vernehmen nach Cavallone von seinen Produzenten aufoktroyiert worden sein sollen, mindern das Vergnügen ein bisschen, das mir LE SALAMANDRE als vergleichsweise zahmes, zugleich aber stilbildendes Frühwerk meines persönlichen Lieblings-Mavericks des italienischen Kinos bereitet; andererseits: Hätte LE SALAMANDRE weniger nackte Körper im Gepäck gehabt, wäre er möglicherweise an der Kinokasse kläglich durchgefallen, und Cavallone hätte nicht die Gelegenheit bekommen, im Fahrwasser seines frühen Erfolgs noch flink mit DAL NOSTRO INVIATO A COPENAGHEN (1970) ein Drama um einen traumatisierten Vietnam-Veteran in der titelgebenden dänischen Hauptstadt, und mit QUICKLY – SPARI E BACI A COLAZIONE (1971) einen wahren Pop-Art-Exzess hinterherschieben können, bevor mit AFRIKA (1974) die Phase seines Schaffens eröffnet, in der er seine Sprengung etablierter Konventionen so weit treibt, dass es ihn an den marginalsten Rand der italienischen Filmindustrie drängt - und darüber hinaus...