The Cleaners - Hans Block / Moritz Riesewieck (2018) [Doku]
Verfasst: Mo 14. Okt 2019, 17:44
von buxtebrawler
Originaltitel: The Cleaners
Herstellungsland: Deutschland, Niederlande, Italien, USA, Brasilien (2018)
Regie: Hans Block, Moritz Riesewieck
Löschen oder Ignorieren - das ist die Frage für mehrere tausend Mitarbeiter einer Firma in Manila auf den Philippinen, denn sie haben eine belastende Aufgabe: sie sind sogenannte "Content-Moderatoren" für die großen und größten Websiten und sozialen Netzwerke wie "Google" oder "Facebook". Was immer den Richtlinien dieser Seiten nicht entspricht, muss nach deren Leitlinie gelöscht werden, sei es nun vom Algorithmus ausgesucht oder von Usern gemeldet. Doch die "Löschcenter" sind nicht mit Fachleuten besetzt, sondern mit ganz normalen Mitgliedern der Gesellschaft, die meisten aus den ärmeren Schichten, mit wenig bis mittlerer Schulbildung. Meistens katholisch erzogen, müssen sie im Sekundentakt für kargen Lohn entscheiden, ob die Bilder oder Filme, die sie sehen, nun Pornographie sind, herabwürdigend oder tolerabel, ob ein Video gewaltverrlichend ist, dem Terrorismus dient oder historisch bedeutend ist. Nach auswendig gelernten Richtlinien und ohne inhaltlichen Bezug glauben die meisten - sofern sie noch gut schlafen können - dass sie die Welt vor dem Bösen schützen. Sie ahnen zumeist nicht, dass ihre Arbeit nur ein Outsourcingprodukt für die Webindustrie ist, die sich plötzlich mit Anfeindungen und dem Wunsch nach Übernahme von Verantwortung für die Inhalte auf ihren Plattformen auseinander setzen muss - was ein Heer von gut ausgebildeten Moderatoren nötig machen würde. Doch das ist viel zu teuer und so entstehen Interessenkonflikte über das was wichtig und was unwichtig ist, nicht zuletzt ergänzt um die Frage, für wen. Gleichzeitig kommen die Konzerne immer mehr unter Druck, da sie vor Regierungen kuschen, die nur ausgewählte Inhalte für "ihr Volk" zulassen wollen. Die Befürchtung ist, dass die Fähigkeit zum kontroversen Denken, zur Abstraktion bald dank Filterblasen und Zensur der breiten Masse verloren gehen...
Re: The Cleaners - Hans Block / Moritz Riesewieck (2018) [Doku]
Verfasst: Mo 14. Okt 2019, 17:47
von buxtebrawler
„Die Unternehmen verfügen über immer mehr Entscheidungsgewalt darüber, was online bleiben darf und was gelöscht werden muss. Sie profitieren von unserem Wunsch nach Bequemlichkeit, unserer Abneigung allem Anstrengenden und Schwierigen gegenüber. Und das wird sich mit der Zeit […] negativ auf unser kritisches Denkvermögen auswirken, und auch auf unsere Fähigkeit, Dinge infrage zu stellen. Das geht so weit, dass wir Meinungsvielfalt, Konfliktfähigkeit und Anstrengungsbereitschaft einschränken. Die Leute sollten sich nicht wundern, wenn ihnen in Zukunft weniger Informationen zur Verfügung stehen, es weniger unbequeme, provokante Informationen im Netz gibt. Und ich denke, unsere Gesellschaften werden dadurch viel verlieren.“
Die meisten von uns nutzen in irgendeiner Form soziale Netzwerke im Internet. Wir sind uns darüber bewusst, dass das Hochladen und Verbreiten bestimmter Inhalte wie Pornographie, reale Folter- und Mordszenen, terroristische Aufrufe und eigentlich auch Volksverhetzungen, Beleidigungen u.ä. untersagt sind. Stoßen wir selbst auf Derartiges, haben wir die Möglichkeit, diese Beiträge zu melden, um die Netzwerkbetreiber auf sie aufmerksam zu machen und ggf. ihre Beseitigung zu erwirken. Die Algorithmen der Netzwerke erkennen bei Weitem nicht alle unerwünschten oder gar strafbaren Inhalte automatisch, zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Fleisch und Blut werden mit dieser Aufgabe betraut. Doch wer sind diese Menschen, die sich durch Millionen fragwürdiger bis indiskutabler Inhalte klicken und entscheiden, was bleiben darf und was im virtuellen Sondermüll entsorgt wird?
Dieser Frage widmeten sich die deutschen Dokumentarfilmer Hans Block und Moritz Riesewieck in ihrem mit viel internationaler Unterstützung (es handelt sich um eine deutsch-niederländisch-italienisch-US-amerikanisch-brasilianische Koproduktion) 2018 in die Kinos gekommenen und anschließend regelmäßig im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlten Dokumentarfilm „The Cleaners“ alias „Im Schatten der Netzwelt“.
Dies herauszufinden scheint gar nicht so einfach gewesen zu sein, denn Facebook, Twitter und Konsorten sprechen nicht gern darüber. Man fand heraus, dass ein Großteil dieser Tätigkeiten auf die Philippinen nach Manila ausgelagert werden, wo Subunternehmen betraut werden, die ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geringe Löhne zahlen und sie Knebelverträge unterschreiben lassen, die sie zu strengster Geheimhaltung verpflichten. Über diese Schattenseiten der sozialen Netzwerke soll offenbar so wenig wie möglich nach außen dringen.
Löschen oder ignorieren – innerhalb weniger Sekunden müssen die philippinischen Angestellten ihre Entscheidung treffen, während sie permanent mit verstörenden und menschenverachtenden konfrontiert werden. Den widrigen Umständen zum Trotz gelang es, einige von ihnen vor die Kamera zu bekommen und für Interviews zu gewinnen oder sogar bei ihrer Arbeit zu beobachten. Dadurch lässt sich erahnen, was diese Arbeit mit den Menschen macht, wie sie das Gesehene verarbeiten und mit welchem Selbstverständnis, das ihnen bei der Akzeptanz ihrer Tätigkeit hilft, die meist katholisch geprägten Menschen an diese Art des Broterwerbs herantreten. Dies gelingt nicht immer, wie der Suizid eines ehemaligen „Cleaners“ zeigt. Darüber hinaus kommen der US-Jurist David Kaye sowie Facebook-Chef Mark Zuckerberg und ein ehemaliger Google-Manager zu Wort, angereichert mit kritischen Einschätzungen von Journalisten und Auszügen aus Kongressanhörungen. Erschreckend sind die Aussagen des faschistoiden philippinischen Präsidenten und eines rechten US-Internettrolls.
Zwischen den verschiedenen Interview-Partner(innen) und begleitendem dokumentarischem Material wie u.a. zahlreichen Auszügen aus Original-E-Mails wechselnd, versucht „Cleaners“ auch, ein Bewusstsein für das globale Ausmaß dieses Aufgabengebiets zu schaffen. So werden Sperrungen und IP-Blockaden in anderen Ländern ebenso thematisiert wie Filterblasen und Echokammern, insbesondere in Entwicklungsländern, und die Gefahr der mit den „Aufräumarbeiten“ einhergehenden Zensur, durch die beispielsweise der Genozid an den Rohingya medial unterrepräsentiert blieb und in letzter Konsequenz eine Art unmündige Nutzer(innen)-Generation heranzüchten könnte, die verlernt hat, mit unliebsamen Informationen umzugehen und im Endeffekt von den Netzwerken einfordert, sie mit der Realität zu verschonen. Lösungen präsentiert der Film nicht, liefert aber zahlreiche Diskussionsansätze und sensibilisiert für die Gefahren und Probleme der schönen neuen Netzwelt, die sich zynischerweise perfekt ins Gefälle zwischen reichen Industrienationen und ärmeren Entwicklungsländern einordnet, indem sie die anfallende Drecksarbeit hinter den Kulissen in Billiglohnländer auslagert.
Aufgrund seines inhaltlichen Anspruchs verliert dieser Film leider mitunter den Fokus auf die irgendwo zwischen Sittenwächter(inne)n, Zensor(inn)en und Verhinderern von Straftaten anzusiedelnden Netzreinigungskommandos, sodass diverse Fragen offenbleiben: Wie kommen sie an diese Jobs? Was haben sie gelernt, welche Qualifikationen müssen sie mitbringen, welche erhalten sie in welcher Form? Unabhängig davon stellt sich unweigerlich die Frage, welche negativen Begleiterscheinungen solche sozialen Netzwerke eigentlich mit sich bringen und welcher immense Aufwand in der Konsequenz anfällt – und ob man damit nicht eigentlich ein Monster geschaffen hat, dessen Gefahren, dessen Pflege und dessen permanente Überwachung den Nutzen längst in unzumutbarem Ausmaß übersteigen. Das ist ziemlich desillusionierend.
Als Kritik müssen sich die Filmemacher aber auch den Vorwurf gefallen lassen, unter Meinungsvielfalt fallende Beiträge nicht klar genug von menschenverachtenden Inhalten abzugrenzen, sodass der Eindruck entstehen könnte, die Beseitigung aus gutem Grund strafbarer Inhalte habe bereits etwas mit Zensur zu tun. Die spacige Cyber-Ästhetik der Dokumentation im Neo-Noir-Stil und ihre bisweilen fast schon manipulativ eingesetzte, von melancholisch bis dramatisch reichende musikalische Untermalung ist für eine sachliche Auseinandersetzung mit diesen Themen zudem etwas arg prätentiös.