Der Ochsenkrieg - Franz Osten (1920)

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Salvatore Baccaro
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Der Ochsenkrieg - Franz Osten (1920)

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Originaltitel: Der Ochsenkrieg

Produktionsland: Deutschland 1920

Regie: Franz Osten

Darsteller: Fritz Greiner, Thea Steinbrecher, Viktor Gehring, Ernst Rückert
Das Berchtesgadener Land im Spätmittelalter: Die bäuerliche Bevölkerung befindet sich unter der nicht allzu frommen Herrschaft einiger Klosterherren und deren aristokratischer Handlanger, die nicht nur unerbittlich ihren Zehnt einfordern, und die politischen Geschicke der Region ohne Mitspracherecht des Plebs bestimmen, sondern, wie im Falle des Chorherren Aschacher, auch schon mal in die nahegelegenen Dörfer streifen, um wehrlose Mägde und Bauernfrauen zu notzüchtigen. Als sich Aschacher allerdings an der Gattin des angesehenen Ramsauer Bauern Runotter vergreift, wird es selbst dem Landesfürst zu wild, und man straft den jungen Mann mit strenger Klosterklausur. Monatelang hält die geschändete Frau die Vergewaltigung geheim, dann entdeckt sie sich doch dem überraschend verständnisvollen Gatten, der indes freilich auch nichts daran ändern kann, dass die Angetraute bei der Geburt des körperlich wie geistig zurückgebliebenen Vergewaltigungssprösslings verstirbt. Obwohl Runotter dem verbannten Aschacher blutige Rache schwört, zieht er die Loyalität seinen Oberen gegenüber trotzdem zu keiner Zeit in Zweifel. Jahre gehen ins Land, und während Aschacher sich im Klosterexil zu einem Muster an Gottesfurcht gewandelt hat, ist Runotters Tochter Jula inzwischen zur jungen Frau herangereift, kümmert sich rührend um ihren behinderten Bruder und die väterlichen Kühe, und sieht sich außerdem den ihr durchaus angenehmen Avancen von Lampert ausgesetzt, seines Zeichens Sohn des neuen Amtmanns Someier. Lamperts Vater ist ein staubtrockener Kopf, der das Land allein nach dem Buchstaben des Gesetzes regiert. Als Lampert sich einmal verplappert und beiläufig erwähnt, er sei bei Jula auf der Alm gewesen und habe dort frische Kuhmilch getrunken, schellen bei dem gestrengen Papa sofort sämtliche Alarmglocken: Laut Weiderecht ist es doch verboten, auf der Alm Kühe zu halten; einzig und allein Ochsen seien erlaubt! Zunächst hält Runotter die Drohung für einen schlechten Scherz, er solle binnen eines Tages seine Kühe von der Alm schaffen, sonst würden sie zwangskonfisziert werden: Ob es nun Kühe oder Ochsen sind, die das Gras da fressen, ist doch vollkommen gleichgültig, und niemand wird deshalb doch wohl einen Krieg anzetteln wollen! Schließlich wird es unserem Helden aber doch mulmig, gerade auch, weil zu allem Überfluss jenes Schriftdokument auf einmal unerfindlich ist, in dem ihm von Someiers Vorgänger zugestanden wird, auch weibliche Tiere auf seinem Grund und Boden grasen lassen zu dürfen. Letztlich kommt es also doch zum Konflikt: Gedungene Pfandeintreiber brennen Runotters Gehöft nieder, verschleppen die Kühe, und töten versehentlich gar seinen Ziehsohn. Nun reißt den Bauern noch die letzte Geduldsschnur: An der Seite Runotters erklärt man weltlichem und kirchlichem Gesetz den offenen Kampf – und die Liebenden Lamprecht und Jula geraten beim folgenden Guerilla-Gefecht zwischen beide Fronten…

Das, was wir heute gemeinhin unter Heimatfilmen verstehen – rührselige Herzschmerzgeschichten, eingebettet in Bildern wie aus Tourismuskatalogen, und gewürzt mit mehr oder minder subtilen Dichotomisierungen zwischen verlottertem Stadtleben und traditionellem Landidyll –, ist eine Entwicklung, die so richtig erst nach dem Zweiten Weltkrieg Fahrt gewinnt, um die zurückliegenden traumatischen Jahre mittels einer heilen Welt zumindest auf der Kinoleinwand zu kompensieren. Die nominellen Vorläufer des Heimatkinos aus den 40ern, 30ern oder 20ern sind demgegenüber gemeinhin wesentlich düsterer gemalt: In den Bergfilmen Arnold Fancks und deren Derivate wie Hans Steinhoffs GEIERWALLY von 1940 oder Luis Trenkers DER VERLORENE SOHN von 1934 begegnet uns eine zwar zuweilen überirdisch schöne, nahezu mystische, aber ebenso übermächtige und dadurch zerstörerische Natur, die nichts zu tun hat mit den Bundesgartenschau-Kulissen voller Zierblumen und Hoppelhäschen eines GRÜN IST DIE HEIDE (1951) oder DER FÖRSTER VOM SILBERWALD (1954). Für Franz Ostens DER OCHSENKRIEG aus dem Jahre 1920 gilt, trotz des drolligen Titels, das Gleiche: Zum Schmunzeln oder Schmusen lädt wenig ein, wenn die Adaption eines Ganghofer-Romans den Bauernalltag im 15. Jahrhundert als schmerzensreiches Los schildert, bei dem einem nicht nur die grausame Natur andauernd ein Bein zu stellen bereit ist, sondern sich das einfache Volk außerdem der drückenden und unterdrückenden Gewalt sowohl säkularer wie sakraler Fremdherrschaft ausgesetzt sieht.

Sicher, wenn der Film ein Kontrastprogramm fährt zwischen unschuldig-reinem Leben der Landbevölkerung, die sich noch im Ein- und Gleichklang mit sich und der sie umgebenden Landschaft befindet, und dem bornierten Rechtsverständnis der Amtmänner sowie dem sündhaften Lebenswandel des Adels, dann ist das nicht allzu weit entfernt von späterer Schwarz-Weiß-Malereien zwischen unberührtem Hinterland und in jedweder Hinsicht schädlicher Großstadt. Andererseits sind die Konflikte in DER OCHSENKRIEG, ganz im Gegensatz zu den meisten Heimatfilmen der 50er und 60er, immer welche, die sich nicht einfach mit einem Volkslied oder einem Busserl beiseiteschieben lassen: Wenn die Bauern gegen ihre unerwünschten Herren in den Krieg ziehen, dann geht es um Leib und Leben, und erinnert gerade auch wegen seiner kraftvollen Bilder und der atemlos voranschreitenden, sich kaum einmal eine Verschnaufpause gönnenden Inszenierung durchaus bereits an ähnliche Freiheitskampfepen wie beispielweise Luis Trenkers sensationellem DER REBELL (1932), in dem der Freiheitskampf der Tiroler gegen die Truppen Napoleons ähnlich sowohl unterhaltsam wie auch aufwühlend geschildert wird. Wenn Trenker ein Regisseur ist, der zumindest mit dem Nationalsozialismus kokettiert und in seinen Regie-Arbeiten unverhehlt nationalistische Töne anschlägt, dann hat DER OCHSENKRIEG freilich einen anderen historischen Hintergrund: Entstanden ist der Film zwei Jahre nach der Novemberrevolution, und man muss gar kein kluger Kopf sein, um das Finale, in dem sich Bauern und Adel nach Verlusten auf beiden Seiten gegenseitig die Hände reichen, als Aufruf der Versöhnung zwischen überkommener Monarchie und frischgegründeter Demokratie zu verstehen.

Da ich ein großer Fan bin von Filmen, in denen Wildbären entweder durch Männer in lausigen Karnevalskostümen oder durch ausgestopfte Vertreter ihrer Gattung dargestellt werden, muss ich den wirklich unterhaltsamen, kurzweiligen, inhaltlich an Kleists Michael Kohlhass erinnernden und, was seine Massenszene betrifft, zuweilen gar die Opuelnz von Fritz Langs NIBLEUNGEN vorwegnehmenden OCHSENKRIEG übrigens noch besonders ins Herz schließen. In einer Szene relativ zu Beginn nämlich flüchten Runotters Frau und die kleine Jula vor einem Meister Petz, der durch einen halbwegs glaubhaften Puppenkopf verkörpert wird, den irgendein Praktikant hinter einem Gebüsch in die Höhe hält, und langsam hin und her bewegt: So kurz diese Einstellung ist, so sehr kommt sie meiner eigenartige Vorliebe entgegen: Ein Untier wie aus einer Grottenbahn! Dass Mutter und Tochter zu einem nahen Wegkreuz flüchten, wo sie erstmal lang und breit Christus um Schutz bitten, statt zuzusehen, so schnell wie möglich aus dem Gefahrengebiet zu kommen, macht diesen Moment umso schöner.

Gesichtet habe ich den Film in der restaurierten Fassung, die ARTE zurzeit kostenlos in seiner Mediathek bereitstellt, und empfehle jedem und jeder Mitlesenden, dies ebenfalls zu tun, wenn er oder sie einmal das Gefühl haben möchte, die eigene Scholle unter Einsatz des Lebens gegen die übelwollenden Zugriffe sowohl des Klerus wie des Lokaladels verteidigen zu müssen.

P.S.: Im Jahre 1943 verfilmt Hans Deppe den Stoff erneut. Leider ist diese Fassung kommerziell nicht zugänglich, und höchstens als 35mm-Kopie im Bundesarchiv einsehbar. Mich juckt es ja in den Füßen, einmal wieder nach Berlin zu pilgern, um zu schauen, welche Modifikationen die Vorlage gemäß der NS-Ideologie unterlaufen hat.

P.S.S.: Regisseur Franz Osten wurde in der Folge zu einem der Gründerväter Bollywoods. Bereits in den 20ern zieht es ihn nach Indien, um deutsche Co-Produktionen wie SHIRAZ (1928) zu realisieren. 1935 folgt die endgültige Übersiedlung, und er führt bei insgesamt sechzehn Bollywood-Produktionen Regie bevor der Zweite Weltkrieg seiner Karriere ein jähes Ende bereitet.

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Ein Bärenkopf im Dickicht, oder doch der eines Chamäleons?
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