Jessica Forever - Caroline Poggi/Jonathan Vinel (2018)
Verfasst: Do 28. Nov 2019, 15:38
Originaltitel: Jessica Forever
Produktionsland: Frankreich 2018
Regie: Caroline Poggi, Jonathan Vinel
Darsteller: Aomi Muyock, Sebastian Urzendowsky, Augustin Raguenet, Maya Coline, Lukas Ionesco
Für mich ist das diesjährige Braunschweiger Filmfestival eine eher unbefriedigende Angelegenheit gewesen. Mag sein, dass ich einfach konsequent in Filme geriet, die nicht für mich gemacht worden sind, aber eine derart hohe Dichte an Werken, von denen mir nichts bleiben wird als die Irritation darüber, weshalb man sie überhaupt auf solch ein Festival einlädt, ist mir wirklich selten untergekommen.
Leonardo Guerra Seràgnolis LIKEMEBACK aus dem Jahre 2018 möchte beispielweise, laut Selbstverständnis, einen kritischen Blick auf das Social-Media-Verhalten zeitgenössischer Teenager werfen, weshalb der Film seine drei Protagonistinnen auf einen Kroatien-Segeltörn begleitet, wo die Damen ihren College-Abschluss feiern, indem sie den ganzen Tag an Deck ihrer Yacht herumliegen, sich auf Instagram und Facebook selbstinszenieren, und zwischendurch mal an Land gehen, um sich zu betrinken, ihre Jungfernschaft zu verlieren und in Zickenkriege verwickelt zu werden. Leider schafft es LIKEMEBACK, trotz seines hauchdünnen Plots, nicht nur erfolgreich, sein eigentliches Thema komplett zu verfehlen, – (die Art und Weise, wie virtuelle Phänomene hier beäugt werden, kommt kaum über ein, zwei kulturpessimistische Gemeinplätze hinaus) -, sondern ergeht sich auch noch in an dieser Stelle völlig deplatziertem D’Amato-Voyeurismus: Weshalb zumindest eine der jungen Frauen andauernd ihre blanken Brüste in die Handkamera halten muss, erschließt sich mir jenseits der Privatgelüste von Signore Seràgnoli nun wirklich beim besten Willen nicht. Sicher, ein substanzloses Machwerk wie LIKEMEBACK ist der Debut-Film der aufstrebenden Autodidaktin Mariko Minoguchi namens MEIN ENDE. DEIN ANFANG (2019) sicher nicht, doch frage ich mich dennoch, ob all die Menschen, die mir vorschwärmten, was für ein hochkomplexer Streifen das doch sei, und wie intelligent in ihm mehrere Zeitebenen und dann auch noch Referenzen an die Quantentheorie verwoben werden würden, nicht doch vielleicht versehentlich in einem andern Werk gesessen haben. Dieses Liebesdrama mit leichten Gangster-Allüren hat für meine Begriffe nämlich exakt ein Alleinstellungsmerkmal darin, dass die Geschichte non-linear erzählt wird – ein Stilmittel, von dem ich eigentlich dachte, allerallerspätestens sei das mit PULP FICTION in den Mainstream eingesickert. Ansonsten verharrt MEIN ENDE. DEIN ANFANG vollkommen in überaus konventionellen Bahnen, die ein ganzer Geröllhaufen an Zufälle auf Story-Ebene kein bisschen erträglicher machen: Vielleicht muss man aber auch durch das Fegefeuer des aktuellen deutschsprachigen Kommerzkinos gegangen sein, um sich froh um jeden halbwegs mutigen Strohhalm zu zeigen, der einem hingehalten wird. Konventionell indes ist wiederum gar kein Ausdruck, um den US-amerikanischen Survival-Horror BODY AT BRIGHTON ROCK (2018) zu beschreiben. Im Ernst: Wieso werden solche Filme, die sich ausnahmslos aus verknöcherten Genre-Klischees zusammensetzen, überhaupt noch gedreht? Eine junge Frau verirrt sich in den Wäldern, muss eine Nacht unterm Sternenhimmel verbringen, und bekommt es mit Panikattacken, einem hungrigen Braunbären und Gespenstererscheinungen zu tun, die das Ganze auf den letzten Metern wie die langatmigste TWILIGHT-ZONE-Episode aller Zeiten wirken lassen – und wenn ich nicht vorher schon eine Allergie gegen inflationär eingesetzte jump und false scares gehabt hätte, hätte ich sie mir sicherlich mit diesem uninspirierten Streifen eingehandelt.
Nicht mal Volker Schlöndorff, von dem man anlässlich der Mario-Adorf-Retrospektive zwei Filme zur Aufführung brachte, kann da noch etwas retten. Auch wenn ich nun wahrscheinlich meine letzten Reste Reputation verspiele: Meine Erstbegegnung sowohl mit DIE VERLROENE EHRE DER KATHARINA BLUM sowie DIE BLECHTROMMEL verlief nicht wie erhofft, denn immerhin zählen beide doch gemeinhin zum Nonplusultra des bundesdeutschen Arthouse der 70er Jahre. Ihr könnt mich tagtäglich mit Werner Herzog, Wim Wenders, Peter Fleischmann, Rainer Werner Fassbinder füttern, und ich werde trotzdem nicht satt werden, aber was die Filmgeschichte an einem drögen, psychologiehörigen Realisten wie Schlöndorff findet, wird sich mir wohl nie erschließen – zumal dann, wenn er, wie in der erwähnten Grass-Verfilmung, versucht, halbseiden einen auf Fellini oder Jodorowsky zu machen. Mein Festivalhighlight jedenfalls ist Roland Klicks DEADLOCK gewesen: Puh, den endlich mal auf der großen Leinwand, da schmeckt man richtig den Staub und man fühlt richtig, wie einem Blut und Schlamm die Poren verkrusten. Allerdings stammt der Film aus dem Jahre 1971. Kurzum: Gab’s denn überhaupt keinen aktuellen Film, mit dem das Festival mich irgendwie einfangen konnte?
Doch, gab es, und witzigerweise ist es einer, der den meisten übrigen Besucher scheinbar grob auf die Füße trampelte. Schuld daran dürfte sein Trailer sein. Der lässt JESSICA FOREVER, den ersten Langfilm des seit Jahren im court-métrage-Sektor operierenden Regie-Duos Caroline Poggi und Jonathan Vinel, nämlich ausschauen wie ein hyperaktives Endzeit-Spektakel, in dem Jugendliche unter der Führung einer Steampunk-Amazone gegen ganze Armadas von Drohnen in die Schlacht ziehen. Tatsächlich eröffnet der Film mit einer prallen Actionszene – ein Jüngling muss von Titelheldin Jessica und den wie um Aposteln um sie gescharten jungen Männern vor besagten wild um sich schießenden CGI-Drohnen gerettet werden –, jedoch wird es für die kommenden neunzig Minuten dann auch die einzige nennenswerte bleiben: Die Stimmung von JESSICA FOREVER ist elegisch, melancholisch; erzählt wird in Schneckentempo, und oft genug manchmal gar nicht, wenn die streng komponierten Bilder sich einfach auf den Alltag der Dissidenten einschießen, die in leerstehenden Villen campieren, sich gegenseitig mit Kuriositäten beschenken, zusammen kochen und speisen, an Swimming-Pools schlummern, zu brachialem Drone-Metal tanzen; die Darsteller sind allesamt in die Robert-Bresson-Schule des emotionslosen Schauspiels gegangen, und bestreiten die wahlweise mäandernde oder schlicht nicht vorhandene Handlung im Lethargie-Modus.
Kein Wunder, dass ein Großteil des Publikums den Film zum Sterben langweilig fand, - was umso verständlicher ist, wenn einem der Trailer eine Karacho-Wundertüte an Schießereien, Explosionen und Weltuntergangsszenarien verspricht. Ebenso kein Wunder, dass sich die Kritikergeister daran scheiden, um was es in JESSICA FOREVER nun überhaupt gehen soll. Die Interpretation, dss Poggi und Vinel den Niedergang klassischer testosterongeschwängerter Männlichkeitsideale zelebrieren würden, kann ich jedenfalls genauso nur in zarten Ansätzen nachvollziehen wie die Konsum- und Zivilisationskritik, die manche in die Fragmente einer Story hineininterpretieren wollen. Dazu ist der Film einfach zu offen, zu unfokussiert, zu (im besten Sinne) sinnlos. Weshalb leben Jessica und ihre Jünger in einer Welt scheinbar ohne Erwachsenen? Wer steuert die Drohnen, die schon mal für eine komplette Stunde aus der Handlung verschwinden, nur um dann umso garstiger unsere Helden zu attackieren? Wo sind die Besitzer der Luxusanwesen hin verschwunden, in denen unsere Nomaden immer mal wieder ihre Zelte aufschlagen? Wieso sind die Supermärkte manchmal übervoll und dann wieder menschenleer? Wieso gibt es andere Jugendliche, die offenbar unbekümmert ein hedonistisches Dasein führen, während unsere Helden demgegenüber wie wilde Tiere außerhalb der Gesellschaft existieren müssen? Der Turm an Fragen wird noch um den einen oder anderen Ziegelstein komplettiert, wenn sich immer mal wieder unmotiviert Gegenstände wie von Geisterhand bewegen, wenn einer der jungen Männer zuweilen Besuch von seiner Schwester erhält, die er, wie wir per Rückblende erfahren, eigenhändig getötet hat, oder wenn sich ein anderer Jüngling in ein Mädchen von außerhalb der Gruppe verliebt, die ihn in der verlassenen Schule, wo sie ihr erstes Date abhalten wollen, mittels eines eigenartigen Ausdruckstanzes becirct. Bei aller mangelnden inhärenten Logik berühren viele dieser Szenen mich aber doch ungemein, transportieren Gefühle, die von keiner geradlinigen Narration aufgefangen und erdrückt werden können, stehen wie kleine Vignetten für sich, so, als wolle JESSICA FOREVER mehr eine Abfolge von hermetischen Clips sein als eine durchgängige Erzähllinie bedienen.
Dass ich über die mitunter äußerst trashigen (und weitgehend unnötigen) CGI-Effekte nicht so meckere wie sie es eigentlich verdient haben, liegt an dem Soundtrack, der tatsächlich mit zum Abwechslungsreichsten und dennoch Harmonischsten gehört, was ich dieses Jahr in einem Spielfilm hören durfte: Von Henry Purcell und Heinrich Schütz über warme, hoffnungsvolle Elektronik bis hin zu ekstatischem Black-Metal-Gekreisch fahren Poggi und Vinel so ziemlich alles auf, was sich auch in meiner privaten Playliste finden lassen könnte. Auch die Wiederbegegnung mit Aomi Muyock in ihrer zweiten Hauptrolle nach Gaspar Noés LOVE, (dem im Abspann ein Dankesgruß ausgesprochen wird), hat mich genauso gefreut wie die Tatsache, dass dieser Film – (im Gegensatz zu allen andern oben erwähnten) – sich ein Sprödigkeit und Unangepasstheit auf die Fahne geschrieben hat, die zumindest mir selten einmal wirklich prätentiös vorkam, sondern, sofern das Sinn ergibt, sich in ihrer Heterogenität durchweg organisch anfühlen, und vor allem wie ein folgenschwerer Riss im Gefüge konventioneller Kino-Codes, der dazu führt, dass diese endlich einmal ins Leere laufen und ersaufen.
Leonardo Guerra Seràgnolis LIKEMEBACK aus dem Jahre 2018 möchte beispielweise, laut Selbstverständnis, einen kritischen Blick auf das Social-Media-Verhalten zeitgenössischer Teenager werfen, weshalb der Film seine drei Protagonistinnen auf einen Kroatien-Segeltörn begleitet, wo die Damen ihren College-Abschluss feiern, indem sie den ganzen Tag an Deck ihrer Yacht herumliegen, sich auf Instagram und Facebook selbstinszenieren, und zwischendurch mal an Land gehen, um sich zu betrinken, ihre Jungfernschaft zu verlieren und in Zickenkriege verwickelt zu werden. Leider schafft es LIKEMEBACK, trotz seines hauchdünnen Plots, nicht nur erfolgreich, sein eigentliches Thema komplett zu verfehlen, – (die Art und Weise, wie virtuelle Phänomene hier beäugt werden, kommt kaum über ein, zwei kulturpessimistische Gemeinplätze hinaus) -, sondern ergeht sich auch noch in an dieser Stelle völlig deplatziertem D’Amato-Voyeurismus: Weshalb zumindest eine der jungen Frauen andauernd ihre blanken Brüste in die Handkamera halten muss, erschließt sich mir jenseits der Privatgelüste von Signore Seràgnoli nun wirklich beim besten Willen nicht. Sicher, ein substanzloses Machwerk wie LIKEMEBACK ist der Debut-Film der aufstrebenden Autodidaktin Mariko Minoguchi namens MEIN ENDE. DEIN ANFANG (2019) sicher nicht, doch frage ich mich dennoch, ob all die Menschen, die mir vorschwärmten, was für ein hochkomplexer Streifen das doch sei, und wie intelligent in ihm mehrere Zeitebenen und dann auch noch Referenzen an die Quantentheorie verwoben werden würden, nicht doch vielleicht versehentlich in einem andern Werk gesessen haben. Dieses Liebesdrama mit leichten Gangster-Allüren hat für meine Begriffe nämlich exakt ein Alleinstellungsmerkmal darin, dass die Geschichte non-linear erzählt wird – ein Stilmittel, von dem ich eigentlich dachte, allerallerspätestens sei das mit PULP FICTION in den Mainstream eingesickert. Ansonsten verharrt MEIN ENDE. DEIN ANFANG vollkommen in überaus konventionellen Bahnen, die ein ganzer Geröllhaufen an Zufälle auf Story-Ebene kein bisschen erträglicher machen: Vielleicht muss man aber auch durch das Fegefeuer des aktuellen deutschsprachigen Kommerzkinos gegangen sein, um sich froh um jeden halbwegs mutigen Strohhalm zu zeigen, der einem hingehalten wird. Konventionell indes ist wiederum gar kein Ausdruck, um den US-amerikanischen Survival-Horror BODY AT BRIGHTON ROCK (2018) zu beschreiben. Im Ernst: Wieso werden solche Filme, die sich ausnahmslos aus verknöcherten Genre-Klischees zusammensetzen, überhaupt noch gedreht? Eine junge Frau verirrt sich in den Wäldern, muss eine Nacht unterm Sternenhimmel verbringen, und bekommt es mit Panikattacken, einem hungrigen Braunbären und Gespenstererscheinungen zu tun, die das Ganze auf den letzten Metern wie die langatmigste TWILIGHT-ZONE-Episode aller Zeiten wirken lassen – und wenn ich nicht vorher schon eine Allergie gegen inflationär eingesetzte jump und false scares gehabt hätte, hätte ich sie mir sicherlich mit diesem uninspirierten Streifen eingehandelt.
Nicht mal Volker Schlöndorff, von dem man anlässlich der Mario-Adorf-Retrospektive zwei Filme zur Aufführung brachte, kann da noch etwas retten. Auch wenn ich nun wahrscheinlich meine letzten Reste Reputation verspiele: Meine Erstbegegnung sowohl mit DIE VERLROENE EHRE DER KATHARINA BLUM sowie DIE BLECHTROMMEL verlief nicht wie erhofft, denn immerhin zählen beide doch gemeinhin zum Nonplusultra des bundesdeutschen Arthouse der 70er Jahre. Ihr könnt mich tagtäglich mit Werner Herzog, Wim Wenders, Peter Fleischmann, Rainer Werner Fassbinder füttern, und ich werde trotzdem nicht satt werden, aber was die Filmgeschichte an einem drögen, psychologiehörigen Realisten wie Schlöndorff findet, wird sich mir wohl nie erschließen – zumal dann, wenn er, wie in der erwähnten Grass-Verfilmung, versucht, halbseiden einen auf Fellini oder Jodorowsky zu machen. Mein Festivalhighlight jedenfalls ist Roland Klicks DEADLOCK gewesen: Puh, den endlich mal auf der großen Leinwand, da schmeckt man richtig den Staub und man fühlt richtig, wie einem Blut und Schlamm die Poren verkrusten. Allerdings stammt der Film aus dem Jahre 1971. Kurzum: Gab’s denn überhaupt keinen aktuellen Film, mit dem das Festival mich irgendwie einfangen konnte?
Doch, gab es, und witzigerweise ist es einer, der den meisten übrigen Besucher scheinbar grob auf die Füße trampelte. Schuld daran dürfte sein Trailer sein. Der lässt JESSICA FOREVER, den ersten Langfilm des seit Jahren im court-métrage-Sektor operierenden Regie-Duos Caroline Poggi und Jonathan Vinel, nämlich ausschauen wie ein hyperaktives Endzeit-Spektakel, in dem Jugendliche unter der Führung einer Steampunk-Amazone gegen ganze Armadas von Drohnen in die Schlacht ziehen. Tatsächlich eröffnet der Film mit einer prallen Actionszene – ein Jüngling muss von Titelheldin Jessica und den wie um Aposteln um sie gescharten jungen Männern vor besagten wild um sich schießenden CGI-Drohnen gerettet werden –, jedoch wird es für die kommenden neunzig Minuten dann auch die einzige nennenswerte bleiben: Die Stimmung von JESSICA FOREVER ist elegisch, melancholisch; erzählt wird in Schneckentempo, und oft genug manchmal gar nicht, wenn die streng komponierten Bilder sich einfach auf den Alltag der Dissidenten einschießen, die in leerstehenden Villen campieren, sich gegenseitig mit Kuriositäten beschenken, zusammen kochen und speisen, an Swimming-Pools schlummern, zu brachialem Drone-Metal tanzen; die Darsteller sind allesamt in die Robert-Bresson-Schule des emotionslosen Schauspiels gegangen, und bestreiten die wahlweise mäandernde oder schlicht nicht vorhandene Handlung im Lethargie-Modus.
Kein Wunder, dass ein Großteil des Publikums den Film zum Sterben langweilig fand, - was umso verständlicher ist, wenn einem der Trailer eine Karacho-Wundertüte an Schießereien, Explosionen und Weltuntergangsszenarien verspricht. Ebenso kein Wunder, dass sich die Kritikergeister daran scheiden, um was es in JESSICA FOREVER nun überhaupt gehen soll. Die Interpretation, dss Poggi und Vinel den Niedergang klassischer testosterongeschwängerter Männlichkeitsideale zelebrieren würden, kann ich jedenfalls genauso nur in zarten Ansätzen nachvollziehen wie die Konsum- und Zivilisationskritik, die manche in die Fragmente einer Story hineininterpretieren wollen. Dazu ist der Film einfach zu offen, zu unfokussiert, zu (im besten Sinne) sinnlos. Weshalb leben Jessica und ihre Jünger in einer Welt scheinbar ohne Erwachsenen? Wer steuert die Drohnen, die schon mal für eine komplette Stunde aus der Handlung verschwinden, nur um dann umso garstiger unsere Helden zu attackieren? Wo sind die Besitzer der Luxusanwesen hin verschwunden, in denen unsere Nomaden immer mal wieder ihre Zelte aufschlagen? Wieso sind die Supermärkte manchmal übervoll und dann wieder menschenleer? Wieso gibt es andere Jugendliche, die offenbar unbekümmert ein hedonistisches Dasein führen, während unsere Helden demgegenüber wie wilde Tiere außerhalb der Gesellschaft existieren müssen? Der Turm an Fragen wird noch um den einen oder anderen Ziegelstein komplettiert, wenn sich immer mal wieder unmotiviert Gegenstände wie von Geisterhand bewegen, wenn einer der jungen Männer zuweilen Besuch von seiner Schwester erhält, die er, wie wir per Rückblende erfahren, eigenhändig getötet hat, oder wenn sich ein anderer Jüngling in ein Mädchen von außerhalb der Gruppe verliebt, die ihn in der verlassenen Schule, wo sie ihr erstes Date abhalten wollen, mittels eines eigenartigen Ausdruckstanzes becirct. Bei aller mangelnden inhärenten Logik berühren viele dieser Szenen mich aber doch ungemein, transportieren Gefühle, die von keiner geradlinigen Narration aufgefangen und erdrückt werden können, stehen wie kleine Vignetten für sich, so, als wolle JESSICA FOREVER mehr eine Abfolge von hermetischen Clips sein als eine durchgängige Erzähllinie bedienen.
Dass ich über die mitunter äußerst trashigen (und weitgehend unnötigen) CGI-Effekte nicht so meckere wie sie es eigentlich verdient haben, liegt an dem Soundtrack, der tatsächlich mit zum Abwechslungsreichsten und dennoch Harmonischsten gehört, was ich dieses Jahr in einem Spielfilm hören durfte: Von Henry Purcell und Heinrich Schütz über warme, hoffnungsvolle Elektronik bis hin zu ekstatischem Black-Metal-Gekreisch fahren Poggi und Vinel so ziemlich alles auf, was sich auch in meiner privaten Playliste finden lassen könnte. Auch die Wiederbegegnung mit Aomi Muyock in ihrer zweiten Hauptrolle nach Gaspar Noés LOVE, (dem im Abspann ein Dankesgruß ausgesprochen wird), hat mich genauso gefreut wie die Tatsache, dass dieser Film – (im Gegensatz zu allen andern oben erwähnten) – sich ein Sprödigkeit und Unangepasstheit auf die Fahne geschrieben hat, die zumindest mir selten einmal wirklich prätentiös vorkam, sondern, sofern das Sinn ergibt, sich in ihrer Heterogenität durchweg organisch anfühlen, und vor allem wie ein folgenschwerer Riss im Gefüge konventioneller Kino-Codes, der dazu führt, dass diese endlich einmal ins Leere laufen und ersaufen.