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Originaltitel: La lloba
Produktionsland: Mexiko 1965
Regie: Rafael Baledón
Darsteller: Kitty de Hoyos, Joaquín Cordero, Columba Domínguez, José Elías Moreno, Roberto Cañedo
Es gibt so viele Dinge, die man an diesem zu Unrecht in die dritte oder vierte Popularitätsreihe des mexikanischen Unterhaltungskinos gewanderten Film heiß und innig lieben kann:
- Seine schier unfassliche Eröffnungssequenz beispielweise, wo sich ein weiblicher Werwolf aus einem Friedhofsgrab heraushievt – (diese Krallenpranke, fast ein Vorläufer der skelettierten Patschhändchen von de Ossorios reitenden Leichen!) –, um den angrenzenden Wald zu terrorisieren; vignettenhaftes Tötungsringelpiez: Ein Jäger, noch ein Jäger, ein Pärchen; die Wölfin hüpft durch die Gegend, als seien überall im Unterholz Trampolins versteckt, (und möglicherweise sind sie das auch); immer wieder diese zugleich unheilschwangeren und sehnsüchtigen Zooms und Großaufnahmen des Vollmondes, die den gesamten Film strukturieren werden, (Fulcis Augen-Fetisch auf Bunuels Mond projiziert); die Nebelmaschine läuft derweil auf Hochtouren; allein für sich genommen sind diese ersten sechs bis acht Minuten eine Nussschale, die wunderschön all das in sich einschließt, was man an einem dialogfreien, rein handlungsorientierten, somatischen Bewegungskino bewundern sollte.
- Sein konfuses Drehbuch beispielweise, das sich vor allen Dingen in einem schier unüberschaubaren Personenensemble verheddert: Ein Professor, der irgendwelche mikrobiologischen Experimente vollführt, lebt mit insgesamt sechs Frauen und einem zwielichtigen Diener in seinem herrschaftlichen Schloss; die Haushälterin und deren taubstummes Töchterchen kann ich noch leicht identifizieren; seine eigene Tochter wird namentlich so genannt, da ein zweiter Wissenschaftler, der gerade zu Gast weilt, sie heiraten möchte, (sein Spezialgebiet: Die Lykanthropie); dann gibt es noch zwei Schwestern (?) und eine (Stief-)Mutter (oder Tante?); ein dritter Arzt, der eine zweite Tochter des Hauses zur Gattin gewinnen möchte; ein Indio zieht mit seinem treuen Hund, der darauf abgerichtet ist, Werwölfe zur Strecke zu bringen, durch die Wälder; ein Inspektor ermittelt wegen sich häufender bestialischer Mord in der ruralen Gegend; eine Blutprobe bringt zu Tage: Der mutmaßliche Täter ist weder Mensch noch Tier! Bald steht fest: Das Töchterchen des Professor wird bei Vollmondschein zur Wölfin; Fragen über Fragen: Hat ihre Verwandlung erbbiologische Gründe, oder ist sie das Ergebnis eines missglückten Experiments des Papas?; weshalb wandelt sich auch ihr Verlobter parallel dazu zum Wolfsmenschen, sobald der Mond prall am Himmel steht?; wissen die Verlobten von ihrer gegenseitigen Affinität für Wolfspelze?; ahnt der Papa etwas?; welche Rolle spielt der Hausdiener, der unsere Wölfin bei jedem ihrer Anfälle durch einen Geheimgang hinterm Kamin in das Grab auf dem Friedhof entlässt?; das Mad-Scientist-Labor blubbert vor sich hin, die gotischen Kostüme rauschen: In welchem Jahrhundert befinden wir uns überhaupt?; dieser gesamte Film ist eine Nussschale, die wunderschön all das in sich einschließt, was man an einem logikfeindlichen, rein affektorientierten, surrealistischen Kino der Träume und Schäume bewundern sollte.
- Seine bizarren Regie-Einfälle beispielweise wie den running gag mit dem taubstummen Mädchen: Das Kind hat ein Faible für Marionetten, Puppen, Harlekins; immer mal wieder stiehlt es sich nachts zu einem Schuppen im Wald, wo es ihre Spielkameraden, weshalb auch immer, versteckt hält; auch dem Schlafzimmer der Werwölfin bleibt es nicht fern, denn dort stapeln sich ebenso die Püppchen; insgesamt dreimal gerät die Göre dabei in Lebensgefahr; einmal schleicht der männliche Werwolf sich an das Kind heran, während es im Wald mit seinen Spielfiguren beschäftigt ist, und wird im letzten Moment vom Spürhund des Indios abgehalten; hinter ihm tobt ein Kampf auf Leben und Tod, und das Mädchen hört und sieht nichts, ganz in ihren Pappkameraden versunken; als es endlich nach Hause aufbricht, ist die Flur schon wieder leer; später wird sie, sich unterm Bett versteckend, Zeuge der Verwandlung der Tochter des Hauses in geifernden Flausch; (eine der herrlichsten Werwolfs-Mutation, die ich jemals gesehen habe, ist das übrigens: Die Darstellerin trägt doch tatsächlich Hausschuhe mit Pelzbezug!); obwohl sich die Wölfin keinen Meter entfernt von dem bibbernden Mädchen wälzt, bemerkt sie das Kind trotzdem nicht; ebenfalls befremdlich ist das Grande Finale; zwei Werwölfe kämpfen unabhängig voneinander mit ihren Feinden; ich verliere genauso den Überblick wie bei den Familienverhältnissen des Professors; am Ende wird’s dann noch herzzerreißend tragisch; die sich liebenden Werwölfe schleppen sich sterbend zueinander; in der Ewigkeit werden wir zusammenfinden; vorher wurde noch nahezu die gesamte Familie des Professors dezimiert; überleben werden lediglich ein Hausfreund und eine der Schwestern; als ob die Mutter des Mädchens, die Haushälterin, schlicht vom Drehbuch vergessen worden sei, betreten diese den Abspann mit dem Kind als frischgebackene Familie; hat de Ossorio hierher die Idee für die lebensbejahende Schlusseinstellung seines EL ATAQUE DE LOS MUERTOS SIN OJOS?; all diese verwirrenden und verworrenen Geistesblitze sind wie eine Nussschale, die wunderschön all das in sich einschließt, was man an einem juvenilen, wenn nicht gar pubertären, von Marionettentheatern und Vaudeville-Shows gleichermaßen inspirierten Pulp-Kino bewundern sollte.
Sicherlich ist das mexikanische Genre-Kino nicht bekannt für seine Kohärenz, für seine Stringenz, für seine Contenance. Ein Meisterwerk wie LA LLOBA allerdings, das in weniger als achtzig Minuten ein ganzes Paralleluniversum erschafft, in dem ich mich staunend bewege wie in einem Spiegelkabinett, hebt sich selbst noch vom buntgewürfelten Hummus seiner Geschwister deutlich ab. Weshalb noch einmal ist dieser erste Werwolf-Reißer des lateinamerikanischen Kinos in keiner mir bekannten Filmgeschichte jemals gebührend gewürdigt worden?