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Originaltitel: Horse Girl
Produktionsland: USA 2020
Regie: Jeff Baena
Darsteller: Allison Brie, Matthew Gray Gubler, Debby Ryan, Lauren Weedman, John Ortiz, Jake Picking
Kürzlich habe ich mir nun auch einmal ein paar aktuellere (und teilweise extrem gehypte) Spielfilme angeschaut. Auf MY FRIEND DAHMER von Marc Meyers aus dem Jahre 2017 bin ich gestoßen, weil ein lieber Freund mir die gleichnamige Graphic Novel von John Backderf geschenkt hatte, auf der der Film basiert. (Fürs Protokoll: Ich habe tatsächlich meine erste Graphic Novel gelesen – und ziemlich gefeiert.) Da die Vorlage allerdings bereits sehr kinematographisch daherkommt, kann die Leinwandadaption dem nichts Nennenswertes mehr hinzufügen – und wenn MY FRIEND DAHMER nicht einfach eins zu eins die Illustrationen Backderfs kopiert, dann ersinnt sich das Drehbuch befremdliche Mainstream-Modifikationen, auf die ich gut und gerne verzichtet hätte. Auch Todd Phillips JOKER von 2019 konnte mich zwar durchaus unterhalten, den Stachel der Begeisterung ins Fleisch getrieben hat mir diese zweistündige Apologie eines Comic-Bösewichts jedoch zu keinem Zeitpunkt. Um Verständnis werbend bringt der Film alles aufs Tableau, was man sich vorstellen kann, um einen Unhold zu entschuldigen – Kindesmissbrauch, abwesende Vaterfigur, soziale Ungerechtigkeiten, unfreiwilliges Single-Dasein –, und bietet dabei für jemanden, der TAXI DRIVER gesehen hat, im Grunde keine wirklichen Überraschungen. Auch die Netflix-Produktion EL HOYO von Galder Gaztelu-Urrutia, die ebenfalls 2019 durch die Decke ging, will ich nun nicht in Grund und Boden verdammen, (zumal es bemerkenswert ist, wie viel das Werk aus seinen limitierten Kulissen herausholt), doch bei einem Film, der zurzeit derart als Heilsbringer gehandelt wird, hätte ich mir doch eine etwas weniger plakative und komplexere Gesellschaftskritik gewünscht, - und vor allem, dass das Drehbuch einen innovativeren Ausweg aus seinem Gefangenendilemma findet als am Ende die Zuflucht in chiliastischer Heilserwartung zu suchen. Der Film, der für mich aus dem Pulk vergleichsweise aktueller Werke herausstach, ist dann wohl auch der, der von allen drei genannten am weitesten unterhalb des Radars stattfindet: Ein weiteres Netflix-Produkt namens HORSE GIRL, inszeniert von einem gewissen Jeff Baena – ein Film, in dem sich nicht nur Allison Brie, die auch am Drehbuch mitgeschrieben hat, um Haut und Haare spielt, sondern der auch eine sowohl kurzweilige wie verstörende Charakterstudie einer jungen Frau darstellt, die Stück für Stück in die Psychose rutscht, und dabei vor schwarzem Humor und satirischen Obertönen ebenso wenig zurückschreckt wie davor, sein Publikum mit wahren Fremdscham-Orgien zu konfrontieren.
Sarah ist 27 Jahre alt, ledig, arbeitet in einem Bastelladen, hat keine Freunde, verbringt die Abende entweder im einmal wöchentlich stattfindenden Zumba-Tanzclub oder vorm Fernsehen, wo sie eine mir zuvor unbekannte, jedoch scheinbar tatsächlich existente Mystery-Serie namens „Purgatory“ suchtet. Ihre Vergangenheit, die wir in HORSE GIRL stückweise erfahren, wiederum wirkt wie ein Flickenteppich aus Schicksalsschlägen: Erst ihre Großmutter, dann ihre Mutter haben unter psychischen Problemen gelitten, die mindestens letztere in den Suizid geführt haben; der Stiefvater Gary verlässt die Familie, als Sarah 16 ist, und belässt es seitdem dabei, ihr statt Zuneigung Geldgeschenke zu machen; ihren wirklichen Vater hat Sarah nie kennengelernt; außerdem ist ihre beste Freundin Heather, als die Beiden noch Kinder waren, bei einem Reitunfall schwer verletzt worden und seitdem kognitiv eingeschränkt; Sarah wiederum unterhält seit all den Jahren eine Obsession für ihr früheres Ross Willow, das sie immer wieder im Reitstall aufsucht, wo es seit dem Unfall lebt, und bei den neuen Besitzern durch ihre ständigen Besuche zunehmend Irritation und gereizte Nerven auslöst. Diese schüchterne, schrullige, jedoch nicht unliebenswerte junge Frau wird nun von beunruhigenden Träumen geplagt – und das just zu dem Zeitpunkt, als endlich einmal ein Jüngling namens Darren sich für sie zu interessieren beginnt. In ihren Träumen befindet sich unsere Heldin in einem sterilen weißen Raum, zusammen mit anderen Personen. Ihr Verdacht: Kann es sein, dass sie von Außerirdischen verschleppt und geklont worden ist? Immerhin sieht sie ihrer eigenen Großmutter zum Verwechseln ähnlich. Und ähnelt der Klempner, der sein Geschäft unweit ihres Bastelladens hat, ebenso verdächtig einem wiederkehrenden Mann aus ihren Träumen?
HORSE GIRL ist durchaus konventionell in Szene gesetzt. Lyncheske Einflüsse sind zwar zu konstatieren, bleiben aber an die Peripherie der betont realistischen Mise en Scène gedrängt. Stark ist der Film deshalb für mich nicht so sehr dann, wenn er Sarahs zunehmend derangiert werdenden Geisteszustand zu visualisieren versucht, sondern, wenn er auf satirische Weise das soziale Umfeld seziert, in dem Sarah allmählich um den Verstand gebracht wird. Es gibt gleich mehrere Handvoll Momente in HORSE GIRL, in denen man als Zuschauer gerne im Erdboden versinken würde: Wenn beispielweise Sarahs Mitbewohnerin Nikki und deren Freund, ein Möchtegern-Rapper aus dem Höllenkreis des dilettantischen Amateur-Hip-Hops, Sarah eine Geburtstagsfeier aufzwingen, um sie mit Darren zu verkuppeln, und irgendwann sich köstlich amüsierend auf der Couch sitzend dabei zuschauen, wie sich die beiden Nerds von Booze und Kif zu grotesken Tanzeinlagen hinreißen lassen; oder wenn Sarah Darren bei ihrem ersten Date kurzerhand zum Friedhof mitnimmt, auf dem ihre Großmutter begraben liegt: Er solle ihr helfen, die alte Dame auszubuddeln, damit man anhand ihrer DNA beweisen könne, dass sie mit ihrer eigenen übereinstimme!; oder wenn sich die Menschen, mit denen Sarah zu tun hat, wie die empathielosesten Gesellen verhalten, die man sich vorstellen kann, darunter Gary, der ihr zum Geburtstag einen Umschlag voller Dollars reicht, davon könne sie sich ja dann mal etwas Schönes leisten, oder selbst ihr Hausarzt, der seine Patientin gar nicht schnell genug loswerden kann, als sie ihn bezüglich ihrer Verschwörungstheorien um fachmännischen Rat fragt. Nein, die Welt, die HORSE GIRL zeichnet, ist reichlich kalt und bürokratisch und durchstrukturiert: Da arbeiten die Psychotherapeuten stumpf irgendwelche vorgefertigten Fragebögen ab und da beschränkt die Zumba-Trainerin den Kontakt zu ihren Schützlingen genau auf jene Anzahl von Stunden, die sie bezahlt haben, und unterbindet kategorisch jedweden zarten Small-Talk-Versuch nach Unterrichtsende. Sarah wirkt in diesem gefühllosen Kosmos wie ein warmes Herz, das gar nicht anders kann als unter die Räder zu geraten. Sicher, für das Finale hätte man sich gerne etwas mehr einfallen lassen können, und gerne hätte der Film sein surreales Potential noch leidenschaftlicher ausspielen können, wenn er sich schon entscheidet, ab einem bestimmten Punkt Sarahs Visionen in Bilder zu übersetzen, und weshalb es noch immer zum guten Ton selbst bei solchen eher untergründigen Produktionen gehört, die emotional herausstecheden Szenen mit nichtssagendem Muzak zu unterlegen, werde ich wohl nie verstehen, - aber positiv überrascht bin ich nichtsdestotrotz von diesem irgendwie zugleich zuckersüßen und hundsgemeinen kleinen Psychodrama.
Sarah ist 27 Jahre alt, ledig, arbeitet in einem Bastelladen, hat keine Freunde, verbringt die Abende entweder im einmal wöchentlich stattfindenden Zumba-Tanzclub oder vorm Fernsehen, wo sie eine mir zuvor unbekannte, jedoch scheinbar tatsächlich existente Mystery-Serie namens „Purgatory“ suchtet. Ihre Vergangenheit, die wir in HORSE GIRL stückweise erfahren, wiederum wirkt wie ein Flickenteppich aus Schicksalsschlägen: Erst ihre Großmutter, dann ihre Mutter haben unter psychischen Problemen gelitten, die mindestens letztere in den Suizid geführt haben; der Stiefvater Gary verlässt die Familie, als Sarah 16 ist, und belässt es seitdem dabei, ihr statt Zuneigung Geldgeschenke zu machen; ihren wirklichen Vater hat Sarah nie kennengelernt; außerdem ist ihre beste Freundin Heather, als die Beiden noch Kinder waren, bei einem Reitunfall schwer verletzt worden und seitdem kognitiv eingeschränkt; Sarah wiederum unterhält seit all den Jahren eine Obsession für ihr früheres Ross Willow, das sie immer wieder im Reitstall aufsucht, wo es seit dem Unfall lebt, und bei den neuen Besitzern durch ihre ständigen Besuche zunehmend Irritation und gereizte Nerven auslöst. Diese schüchterne, schrullige, jedoch nicht unliebenswerte junge Frau wird nun von beunruhigenden Träumen geplagt – und das just zu dem Zeitpunkt, als endlich einmal ein Jüngling namens Darren sich für sie zu interessieren beginnt. In ihren Träumen befindet sich unsere Heldin in einem sterilen weißen Raum, zusammen mit anderen Personen. Ihr Verdacht: Kann es sein, dass sie von Außerirdischen verschleppt und geklont worden ist? Immerhin sieht sie ihrer eigenen Großmutter zum Verwechseln ähnlich. Und ähnelt der Klempner, der sein Geschäft unweit ihres Bastelladens hat, ebenso verdächtig einem wiederkehrenden Mann aus ihren Träumen?
HORSE GIRL ist durchaus konventionell in Szene gesetzt. Lyncheske Einflüsse sind zwar zu konstatieren, bleiben aber an die Peripherie der betont realistischen Mise en Scène gedrängt. Stark ist der Film deshalb für mich nicht so sehr dann, wenn er Sarahs zunehmend derangiert werdenden Geisteszustand zu visualisieren versucht, sondern, wenn er auf satirische Weise das soziale Umfeld seziert, in dem Sarah allmählich um den Verstand gebracht wird. Es gibt gleich mehrere Handvoll Momente in HORSE GIRL, in denen man als Zuschauer gerne im Erdboden versinken würde: Wenn beispielweise Sarahs Mitbewohnerin Nikki und deren Freund, ein Möchtegern-Rapper aus dem Höllenkreis des dilettantischen Amateur-Hip-Hops, Sarah eine Geburtstagsfeier aufzwingen, um sie mit Darren zu verkuppeln, und irgendwann sich köstlich amüsierend auf der Couch sitzend dabei zuschauen, wie sich die beiden Nerds von Booze und Kif zu grotesken Tanzeinlagen hinreißen lassen; oder wenn Sarah Darren bei ihrem ersten Date kurzerhand zum Friedhof mitnimmt, auf dem ihre Großmutter begraben liegt: Er solle ihr helfen, die alte Dame auszubuddeln, damit man anhand ihrer DNA beweisen könne, dass sie mit ihrer eigenen übereinstimme!; oder wenn sich die Menschen, mit denen Sarah zu tun hat, wie die empathielosesten Gesellen verhalten, die man sich vorstellen kann, darunter Gary, der ihr zum Geburtstag einen Umschlag voller Dollars reicht, davon könne sie sich ja dann mal etwas Schönes leisten, oder selbst ihr Hausarzt, der seine Patientin gar nicht schnell genug loswerden kann, als sie ihn bezüglich ihrer Verschwörungstheorien um fachmännischen Rat fragt. Nein, die Welt, die HORSE GIRL zeichnet, ist reichlich kalt und bürokratisch und durchstrukturiert: Da arbeiten die Psychotherapeuten stumpf irgendwelche vorgefertigten Fragebögen ab und da beschränkt die Zumba-Trainerin den Kontakt zu ihren Schützlingen genau auf jene Anzahl von Stunden, die sie bezahlt haben, und unterbindet kategorisch jedweden zarten Small-Talk-Versuch nach Unterrichtsende. Sarah wirkt in diesem gefühllosen Kosmos wie ein warmes Herz, das gar nicht anders kann als unter die Räder zu geraten. Sicher, für das Finale hätte man sich gerne etwas mehr einfallen lassen können, und gerne hätte der Film sein surreales Potential noch leidenschaftlicher ausspielen können, wenn er sich schon entscheidet, ab einem bestimmten Punkt Sarahs Visionen in Bilder zu übersetzen, und weshalb es noch immer zum guten Ton selbst bei solchen eher untergründigen Produktionen gehört, die emotional herausstecheden Szenen mit nichtssagendem Muzak zu unterlegen, werde ich wohl nie verstehen, - aber positiv überrascht bin ich nichtsdestotrotz von diesem irgendwie zugleich zuckersüßen und hundsgemeinen kleinen Psychodrama.