Torture Chronicles: 100 Years - Koji Wakamatsu (1975)
Verfasst: Mi 6. Mai 2020, 20:24
Originaltitel: Gômon hyakunen-shi
Produktionsland: Japan 1975
Regie: Koji Wakamatsu
Darsteller: Jun Kosugi, Yuki Minami, Aoi Nakajima, Masayoshi Nogami, Jun Yoshida, Rumiko Sato
Abt.: Torture Porn für Fortgeschrittene…
Wenn man innerhalb der IMDB-Trivia-Spalte eines japanischen Films liest, dieser sei selbst der auf Pink-Filme spezialisierten Produktionsgesellschaft Shintoho zu herb gewesen, um ihn im Produktionsjahr 1975 zu veröffentlichen, dann ahnt man wahrscheinlich genauso sehr, auf was man sich mit dem Genuss des einstündigen GÔMON HYAKUNEN-SHI einlässt, wie wenn man den Namen des Regisseurs Kôji Wakamatsu liest, der als Wegbereiter des Pinku-Eiga-Genres gilt und bereits in den 60ern reihenweise Werke vorlegte, bei denen man sich nur noch die Augen reiben mag, was in diesen bereits an sadomasochistischen Auswüchsen möglich gewesen ist. Neben seinen Transgressionen schafft es das Frühwerk des bekennenden Godard-Verehrers freilich dann aber doch relativ eindrucksvoll die Brücke zu schlagen zwischen Exploitation und Experiment, zwischen Grindhouse und Arthouse, zwischen fragwürdiger Frauenfolter und filmtechnischer Finesse, weswegen Arbeiten wie YUKE YUKE NIDOME NO SHOJO (1969), SHÔJO GEBA-GEBA (1969) oder TAIJI GA MISTURYO SURU TOKI (1966) durchaus sowohl den Arte-Konsumenten wie den Connoisseur der eher misogynen oder misanthropen Kost zufriedenstellen können. Sollte GÔMON HYAKUNEN-SHI demnach anspruchsvoller sein als es die englischen Verleihtitel TORTURE CHRONICLES: 100 YEARS oder 100 YEARS OF TORTURE INQUISITION vermuten ließen?
Letztendlich bin ich froh, dass Wakamatsu uns nicht wirklich mitnimmt auf einhundert Jahre Folterqual und Torturen-Thrill, sondern es bei insgesamt vier Episoden belässt, deren Laufzeit sich jeweils irgendwo zwischen zehn und zwanzig Minuten einpendelt, von denen wir in rückwärtsgewandter Chronologie durch verschiedene Epochen der japanischen Geschichte mitgenommen werden, um dort dann selbstverständlich deren eher, sagen wir, menschenverachtenden Aspekte präsentiert zu bekommen. Wen diese Portmanteau-Struktur sogleich an die von Teruo Ishii 1969 mit TOKUGAWA ONNA KEIBATSU-SHI initiierte Tokugawa-Reihe erinnert, bei der sich ebenfalls historische Episoden mit vordergründig sexuellem und sadistischem Inhalt die Klingen in die Hand gegeben, der liegt natürlich nicht falsch. Wobei man GÔMON HYAKUNEN-SHI freilich schon eher in einen Topf mit dem von Yuji Mikoguchi verantworteten Tokugawa-Nachzügler TOKUGAWA ONNA KEIBATSU-EMAKI: USHI-ZAKI NO KEIN von 1976 werfen sollte, der die in Ishiis Filmen durchaus noch vorhandenen aufwändigen Dekors, ästhetische Inszenierung und etwas anspruchsvolleren Drehbücher gnadenlos reduziert auf die beiden Zugpferde Sex und Gewalt, (und seinem englischen Verleihtitel OXEN SPLIT TORTURING, was die Vehemenz und Absurdität seiner Gewaltdarstellungen betrifft, spielerisch gerecht wird.)
Episode Eins von GÔMON HYAKUNEN-SHI handelt, (wie übrigens auch der Auftakt von TOKUGAWA ONNA KEIBATSU-EMAKI) von der Christenverfolgung im japanischen Mittealter, allerdings sind die Schicksalsschläge, die die Christinnen bei Wakamatsu erdulden müssen, dann doch von einem anderen Kaliber als die ihrer Glaubensschwestern ein Jahr später unter der Regie von Mikoguchi. Gleich zu Beginn von GÔMON HYAKUNEN-SHI wird eine junge Jesus-Jüngerin von einem lüsternen Japaner verfolgt, der sie sodann minutenlang in pittoresker Strandkulisse vergewaltigt. Kurz darauf stürmen weitere Schergen eine Grotte, in der sich die im Versteckten lebende Christengemeinde zum Gottesdienst eingefunden hat. Was folgt, kann sich jeder denken: Die männlichen Gottesfürchtigen werden sogleich erstochen, die weiblichen müssen vor dem erlösenden Tod noch durch eine Schule der Ausschweifungen gehen. Sofern dieser Satz im Zusammenhang eines Films Sinn macht, der im Prinzip aus einer endlosen Abfolge von Folterszenen besteht, muss jedoch konstatiert werden: Nicht nur entbehrt Wakamatsus Film jedweder maskenbildnerischer Entgleisung, – denn extreme Splatter-Effekte wie die, die sich Mikoguchis Film im Minutentakt aus den Ärmeln schüttelt, finden sich überhaupt nicht, und wenn Körper zerhackstückt werden, dann konsequent im Off - noch gibt sich GÔMON HYAKUNEN-SHI auch nur ansatzweise derart devianten (und stellenweise die unfreiwillige Komik streifende) Phantasien hin, wie sie TOKUGAWA ONNA KEIBTSU-EMAKI pausenlos ausatmet. Will sagen: Im direkten Vergleich mit der Ochsen-Spaltungs-Tortur ein Jahr später ist die Chronik von angeblich einhundert Jahren (Frauen-)Folter dann doch (wohlgemerkt rein im Genre-Kontext betrachtet und rein, was die graphische Intensität betrifft!) erfreulich „harmlos“ ausgefallen.
Größtenteils präsentiert sich GÔMON HYAKUNEN-SHI demnach vor allem als Softporno – wohlgemerkt aber als ein Softporno, bei dem jede einzelne Sexszene - (natürlich nicht ohne geblurrte Geschlechtsteile, um die Hypokrisie eines solchen Streifens besonders pointiert zum Ausdruck zu bringen!) - eine Vergewaltigung darstellt: Frauen werden unfreiwilligem Bondage unterzogen, mit Bambusrohren verdroschen, sexuell molestiert und malträtiert, wobei der jeweilige historische Kontext pure Staffage bleibt. Staffage ist übrigens auch die Inszenierung, die amateurhafter und – (erneut: wenn das in einem Film mit dieser Thematik überhaupt Sinn ergibt) – liebloser kaum hätte ausfallen können. Es mag sein, dass sich die eine oder andere interessante Bildkomposition finden lässt – (wenn sich beispielweise die zu Beginn vergewaltigte Christin anschließend in selbstmörderischer Absicht dem Meer überantwortet, dann beobachtet die Kamera diesen Vorgang von der Höhe einer Böschung herab, dass man Mühe hat, den in den Wellen verschwindenden Körper der Suizidanten mehr als schemenhaft zu erkennen; und wenn drei Christinnen an Kreuze gefesselt präsentiert werden, positioniert sich die Kamera so, dass eine Kerzenflamme den Schambereich der mittleren Dame verdeckt, was natürlich einerseits ein Kniff ist, auf ästhetische Weise die rigide Sexualzensur Japans zu umgehen, andererseits aber natürlich wesentlich weniger ästhetisch darauf vorverweist, dass die drei Frauen ein paar Momente später mit Kerzenflammen ihre Geschlechtsteile versengt bekommen werden) – und ich gebe zu, dass der Score nicht ohne Wirkung bleibt – (denn Wakamatsu hat offenbar seine komplette LP-Sammlung Klassischer Musik geplündert, – ob allerdings Komponisten wie Bach oder Pachelbel froh darüber wären, wenn ihre Musik als Untermalung eines japanischen Frauenfolter-Films erklingt?) –, dass GÔMON HYAKUNEN-SHI jedoch jedweder weiterreichende Anspruch nicht nur wie ein halbseidenes Deckmäntelchen umgehängt worden wäre, das soll mir bitte niemand erzählen.
Ich gebe zu: Da ich den Film auf Japanisch ohne Untertitel gesehen habe, kann es sein, dass mir manche Feinheit der Dialoge und vor allem des unvermeidlichen Off-Kommentars entgangen sind. Andererseits: Wenn in Episode Zwei eine krude Ehebruchsgeschichte erzählt wird, bei der der gehörnte Gatte sich Frau und Liebhaber im privaten Folterkeller widmet, oder wenn in Episode Drei japanische Weltkriegssoldaten dabei begleitet werden, wie sie sich über weibliche chinesische Kriegsgefangene hermachen, oder wenn in der Finalepisode angebliche Spioninnen im gegenwärtigen Japan von Geheimdienstleuten zur Brust genommen werden, um ihnen irgendwelche Geständnisse zu entlocken, dann fällt es mir allein deshalb schwer, einen politischen, gesellschaftskritischen, vergangenheitsbewältigenden Subtext in alldem erkennen, weil die Segmente zu jeweils mindestens achtzig Prozent eben einfach nichts weiter zu offerieren haben als die stumpfe Aneinanderreihung einer Folter-Eskapade nach der anderen, (erneut eben ganz so, als würde man sich einen handelsüblichen Porno anschauen, bei dem die nicht-simulierten Sexszenen durch fiktionale Folterszenen ersetzt worden sind.) Zugutehalten kann man Wakamatsu immerhin: Stimulierend in Szene gesetzt ist in GÔMON HYAKUNEN-SHI nichts. Den Vorwurf, dass sich aus filmtechnischer Sicht an den dargestellten Verbrechen ergötzt werden würde, möchte ich daher nicht erheben. Was aber natürlich nicht ausschließt, dass sich bestimmt der eine oder andere Rezipient finden ließe, der auch noch derart inhaltlich, ästhetisch und technisch anspruchslosen Szenen etwas Erregendes abgewinnen kann wie die, in der drei Frauen in Reih und Glied anal vergewaltigt und dann erschossen werden, oder die, in der man einer Frau einen schweren Stein auf dem Bauch drapiert, auf dass sie unter seiner Last ersticke. Und ist es nicht auch ein durchaus kritikwürdiger und dem Sujet reichlich unangemessener Effekt, wenn mich nach anfänglichem Ekel und Widerwillen die Parade an Scheußlichkeiten nach bereits einer halben Stunde derart ermüdet und abgebrüht hat, dass ich ohne nennenswerte emotionale Beteiligung einfach nur noch das Ende dieser primitiven Nummernrevue herbeiwünsche?
Endgültig den Vogel schießt der Streifen allerdings für mich ab, wenn es die Verantwortlichen für eine brillante Idee halten, zwischen die simulierten Gräuel auch noch Originalaufnahmen diverser Schlachtfelder, Massaker, Atompilze, Kriegsruinen usw. einzuflechten. Am Ende sind wir dann übrigens bei einer Kritik von Atomenergie und Umweltverschmutzung angelangt, wenn wir Photographien von entstellten Kindern und Säuglingen zu sehen bekommen, denen scheinbar nicht die Natur, sondern deren Verseuchung durch den Menschen übel mitgespielt hat. Dass ich das einmal schreibe, hätte ich selbst wohl am wenigsten gedacht, aber: Im Gegensatz zu diesem mich zugleich entrüstenden und ermüdenden Machwerk nimmt sich sogar ein TOKUGAWA ONNA KEIBATSU-EMAKI: USHI-ZAKI NO KEIN wie ein „richtiger“ Film aus, denn immerhin sind bei dem offenkundig Menschen am Werke gewesen, die zumindest ihr Talent, ein Bild ansprechend zu komponieren, etwas Virtuosität in die Montage zu bringen, ein wenig Abwechslung durch innovative Kamerapositionen zu erwecken, nicht an der Garderobe abgegeben haben. Benötigt ein Film mit einer solchen Thematik wie GÔMON HYAKUNEN-SHI anderseits aber nicht vielleicht diese inspirationslose, komplett kunstferne klinische Kälte, mit denen er seine Widerlichkeiten und Widrigkeiten abspult? Was er jedenfalls ganz bestimmt nicht benötigt, das ist, dass der Rezipient sich gedanklich mit der Liste für den nächsten Einkauf beschäftigt, während auf dem Bildschirm vor ihm eine Massenvergewaltigung abrollt.
Appendix: Eigentlich ist der Ofen für mich mit GÔMON HYAKUNEN-SHI bereits nicht nur aus gewesen, sondern komplett durch ein modernes Heizsystem ersetzt worden, doch, ja, natürlich musste ich mir auch noch JOKEI: GOKINSEI HYAKUNEN anschauen, mit dem Wakamatsu seinem ersten Streich zwei Jahre später noch einen zweiten folgen ließ. Ein Sequel ist das natürlich nicht, sondern mehr eine Variation der in GÔMON HYAKUNEN-SHI verhandelten „Themen“. TORTURE CHRONICLES CONTINUES: 100 YEARS, wie diese Giftschrankware international gerufen wird, ist indes in jedweder Hinsicht seinem bereits hundsmiserablen Vorgänger subordiniert: Es fehlt bis auf ganz wenige Szenen der klassische Score, der GÔMON HYAKUNEN-SHI zumindest stellenweise noch unverdient adeln konnte; es fehlt letztlich auch der äußerst rudimentäre politische Subtext, mit dem der Vorgänger sich vergeblich selbst unverdient zu adeln versucht hatte. Wurde in GÔMON HYAKUNEN-SHI noch aus Vorurteilen gefoltert, aus Obrigkeitshörigkeit oder wegen irregeleiteter Ideologien, suhlt sich JOKEI: GOKINSEI HYAKUNEN wiederum einzig und allein in banalsten Ehebruchsgeschichten. Erneut spritzt das Blut einzig im Off, dafür ist jede softpornographische Balzerei, ob nun einvernehmlich oder nicht, derart in die Länge gestreckt worden, dass ich nicht zögere, JOKEI: GOKINSEI HYAKUNEN als einen der unansehnlichsten und strapaziösesten Filme zu bezeichnen, die mir in letzter Zeit (und vielleicht auch jemals) vor die Augen getreten sind. Mit diesem Kapitel der marginalisierten Kinogeschichte – japanische Frauenfolter-Filme der 70er – bin ich jedenfalls bis auf Weiteres erstmal durch!
Wenn man innerhalb der IMDB-Trivia-Spalte eines japanischen Films liest, dieser sei selbst der auf Pink-Filme spezialisierten Produktionsgesellschaft Shintoho zu herb gewesen, um ihn im Produktionsjahr 1975 zu veröffentlichen, dann ahnt man wahrscheinlich genauso sehr, auf was man sich mit dem Genuss des einstündigen GÔMON HYAKUNEN-SHI einlässt, wie wenn man den Namen des Regisseurs Kôji Wakamatsu liest, der als Wegbereiter des Pinku-Eiga-Genres gilt und bereits in den 60ern reihenweise Werke vorlegte, bei denen man sich nur noch die Augen reiben mag, was in diesen bereits an sadomasochistischen Auswüchsen möglich gewesen ist. Neben seinen Transgressionen schafft es das Frühwerk des bekennenden Godard-Verehrers freilich dann aber doch relativ eindrucksvoll die Brücke zu schlagen zwischen Exploitation und Experiment, zwischen Grindhouse und Arthouse, zwischen fragwürdiger Frauenfolter und filmtechnischer Finesse, weswegen Arbeiten wie YUKE YUKE NIDOME NO SHOJO (1969), SHÔJO GEBA-GEBA (1969) oder TAIJI GA MISTURYO SURU TOKI (1966) durchaus sowohl den Arte-Konsumenten wie den Connoisseur der eher misogynen oder misanthropen Kost zufriedenstellen können. Sollte GÔMON HYAKUNEN-SHI demnach anspruchsvoller sein als es die englischen Verleihtitel TORTURE CHRONICLES: 100 YEARS oder 100 YEARS OF TORTURE INQUISITION vermuten ließen?
Letztendlich bin ich froh, dass Wakamatsu uns nicht wirklich mitnimmt auf einhundert Jahre Folterqual und Torturen-Thrill, sondern es bei insgesamt vier Episoden belässt, deren Laufzeit sich jeweils irgendwo zwischen zehn und zwanzig Minuten einpendelt, von denen wir in rückwärtsgewandter Chronologie durch verschiedene Epochen der japanischen Geschichte mitgenommen werden, um dort dann selbstverständlich deren eher, sagen wir, menschenverachtenden Aspekte präsentiert zu bekommen. Wen diese Portmanteau-Struktur sogleich an die von Teruo Ishii 1969 mit TOKUGAWA ONNA KEIBATSU-SHI initiierte Tokugawa-Reihe erinnert, bei der sich ebenfalls historische Episoden mit vordergründig sexuellem und sadistischem Inhalt die Klingen in die Hand gegeben, der liegt natürlich nicht falsch. Wobei man GÔMON HYAKUNEN-SHI freilich schon eher in einen Topf mit dem von Yuji Mikoguchi verantworteten Tokugawa-Nachzügler TOKUGAWA ONNA KEIBATSU-EMAKI: USHI-ZAKI NO KEIN von 1976 werfen sollte, der die in Ishiis Filmen durchaus noch vorhandenen aufwändigen Dekors, ästhetische Inszenierung und etwas anspruchsvolleren Drehbücher gnadenlos reduziert auf die beiden Zugpferde Sex und Gewalt, (und seinem englischen Verleihtitel OXEN SPLIT TORTURING, was die Vehemenz und Absurdität seiner Gewaltdarstellungen betrifft, spielerisch gerecht wird.)
Episode Eins von GÔMON HYAKUNEN-SHI handelt, (wie übrigens auch der Auftakt von TOKUGAWA ONNA KEIBATSU-EMAKI) von der Christenverfolgung im japanischen Mittealter, allerdings sind die Schicksalsschläge, die die Christinnen bei Wakamatsu erdulden müssen, dann doch von einem anderen Kaliber als die ihrer Glaubensschwestern ein Jahr später unter der Regie von Mikoguchi. Gleich zu Beginn von GÔMON HYAKUNEN-SHI wird eine junge Jesus-Jüngerin von einem lüsternen Japaner verfolgt, der sie sodann minutenlang in pittoresker Strandkulisse vergewaltigt. Kurz darauf stürmen weitere Schergen eine Grotte, in der sich die im Versteckten lebende Christengemeinde zum Gottesdienst eingefunden hat. Was folgt, kann sich jeder denken: Die männlichen Gottesfürchtigen werden sogleich erstochen, die weiblichen müssen vor dem erlösenden Tod noch durch eine Schule der Ausschweifungen gehen. Sofern dieser Satz im Zusammenhang eines Films Sinn macht, der im Prinzip aus einer endlosen Abfolge von Folterszenen besteht, muss jedoch konstatiert werden: Nicht nur entbehrt Wakamatsus Film jedweder maskenbildnerischer Entgleisung, – denn extreme Splatter-Effekte wie die, die sich Mikoguchis Film im Minutentakt aus den Ärmeln schüttelt, finden sich überhaupt nicht, und wenn Körper zerhackstückt werden, dann konsequent im Off - noch gibt sich GÔMON HYAKUNEN-SHI auch nur ansatzweise derart devianten (und stellenweise die unfreiwillige Komik streifende) Phantasien hin, wie sie TOKUGAWA ONNA KEIBTSU-EMAKI pausenlos ausatmet. Will sagen: Im direkten Vergleich mit der Ochsen-Spaltungs-Tortur ein Jahr später ist die Chronik von angeblich einhundert Jahren (Frauen-)Folter dann doch (wohlgemerkt rein im Genre-Kontext betrachtet und rein, was die graphische Intensität betrifft!) erfreulich „harmlos“ ausgefallen.
Größtenteils präsentiert sich GÔMON HYAKUNEN-SHI demnach vor allem als Softporno – wohlgemerkt aber als ein Softporno, bei dem jede einzelne Sexszene - (natürlich nicht ohne geblurrte Geschlechtsteile, um die Hypokrisie eines solchen Streifens besonders pointiert zum Ausdruck zu bringen!) - eine Vergewaltigung darstellt: Frauen werden unfreiwilligem Bondage unterzogen, mit Bambusrohren verdroschen, sexuell molestiert und malträtiert, wobei der jeweilige historische Kontext pure Staffage bleibt. Staffage ist übrigens auch die Inszenierung, die amateurhafter und – (erneut: wenn das in einem Film mit dieser Thematik überhaupt Sinn ergibt) – liebloser kaum hätte ausfallen können. Es mag sein, dass sich die eine oder andere interessante Bildkomposition finden lässt – (wenn sich beispielweise die zu Beginn vergewaltigte Christin anschließend in selbstmörderischer Absicht dem Meer überantwortet, dann beobachtet die Kamera diesen Vorgang von der Höhe einer Böschung herab, dass man Mühe hat, den in den Wellen verschwindenden Körper der Suizidanten mehr als schemenhaft zu erkennen; und wenn drei Christinnen an Kreuze gefesselt präsentiert werden, positioniert sich die Kamera so, dass eine Kerzenflamme den Schambereich der mittleren Dame verdeckt, was natürlich einerseits ein Kniff ist, auf ästhetische Weise die rigide Sexualzensur Japans zu umgehen, andererseits aber natürlich wesentlich weniger ästhetisch darauf vorverweist, dass die drei Frauen ein paar Momente später mit Kerzenflammen ihre Geschlechtsteile versengt bekommen werden) – und ich gebe zu, dass der Score nicht ohne Wirkung bleibt – (denn Wakamatsu hat offenbar seine komplette LP-Sammlung Klassischer Musik geplündert, – ob allerdings Komponisten wie Bach oder Pachelbel froh darüber wären, wenn ihre Musik als Untermalung eines japanischen Frauenfolter-Films erklingt?) –, dass GÔMON HYAKUNEN-SHI jedoch jedweder weiterreichende Anspruch nicht nur wie ein halbseidenes Deckmäntelchen umgehängt worden wäre, das soll mir bitte niemand erzählen.
Ich gebe zu: Da ich den Film auf Japanisch ohne Untertitel gesehen habe, kann es sein, dass mir manche Feinheit der Dialoge und vor allem des unvermeidlichen Off-Kommentars entgangen sind. Andererseits: Wenn in Episode Zwei eine krude Ehebruchsgeschichte erzählt wird, bei der der gehörnte Gatte sich Frau und Liebhaber im privaten Folterkeller widmet, oder wenn in Episode Drei japanische Weltkriegssoldaten dabei begleitet werden, wie sie sich über weibliche chinesische Kriegsgefangene hermachen, oder wenn in der Finalepisode angebliche Spioninnen im gegenwärtigen Japan von Geheimdienstleuten zur Brust genommen werden, um ihnen irgendwelche Geständnisse zu entlocken, dann fällt es mir allein deshalb schwer, einen politischen, gesellschaftskritischen, vergangenheitsbewältigenden Subtext in alldem erkennen, weil die Segmente zu jeweils mindestens achtzig Prozent eben einfach nichts weiter zu offerieren haben als die stumpfe Aneinanderreihung einer Folter-Eskapade nach der anderen, (erneut eben ganz so, als würde man sich einen handelsüblichen Porno anschauen, bei dem die nicht-simulierten Sexszenen durch fiktionale Folterszenen ersetzt worden sind.) Zugutehalten kann man Wakamatsu immerhin: Stimulierend in Szene gesetzt ist in GÔMON HYAKUNEN-SHI nichts. Den Vorwurf, dass sich aus filmtechnischer Sicht an den dargestellten Verbrechen ergötzt werden würde, möchte ich daher nicht erheben. Was aber natürlich nicht ausschließt, dass sich bestimmt der eine oder andere Rezipient finden ließe, der auch noch derart inhaltlich, ästhetisch und technisch anspruchslosen Szenen etwas Erregendes abgewinnen kann wie die, in der drei Frauen in Reih und Glied anal vergewaltigt und dann erschossen werden, oder die, in der man einer Frau einen schweren Stein auf dem Bauch drapiert, auf dass sie unter seiner Last ersticke. Und ist es nicht auch ein durchaus kritikwürdiger und dem Sujet reichlich unangemessener Effekt, wenn mich nach anfänglichem Ekel und Widerwillen die Parade an Scheußlichkeiten nach bereits einer halben Stunde derart ermüdet und abgebrüht hat, dass ich ohne nennenswerte emotionale Beteiligung einfach nur noch das Ende dieser primitiven Nummernrevue herbeiwünsche?
Endgültig den Vogel schießt der Streifen allerdings für mich ab, wenn es die Verantwortlichen für eine brillante Idee halten, zwischen die simulierten Gräuel auch noch Originalaufnahmen diverser Schlachtfelder, Massaker, Atompilze, Kriegsruinen usw. einzuflechten. Am Ende sind wir dann übrigens bei einer Kritik von Atomenergie und Umweltverschmutzung angelangt, wenn wir Photographien von entstellten Kindern und Säuglingen zu sehen bekommen, denen scheinbar nicht die Natur, sondern deren Verseuchung durch den Menschen übel mitgespielt hat. Dass ich das einmal schreibe, hätte ich selbst wohl am wenigsten gedacht, aber: Im Gegensatz zu diesem mich zugleich entrüstenden und ermüdenden Machwerk nimmt sich sogar ein TOKUGAWA ONNA KEIBATSU-EMAKI: USHI-ZAKI NO KEIN wie ein „richtiger“ Film aus, denn immerhin sind bei dem offenkundig Menschen am Werke gewesen, die zumindest ihr Talent, ein Bild ansprechend zu komponieren, etwas Virtuosität in die Montage zu bringen, ein wenig Abwechslung durch innovative Kamerapositionen zu erwecken, nicht an der Garderobe abgegeben haben. Benötigt ein Film mit einer solchen Thematik wie GÔMON HYAKUNEN-SHI anderseits aber nicht vielleicht diese inspirationslose, komplett kunstferne klinische Kälte, mit denen er seine Widerlichkeiten und Widrigkeiten abspult? Was er jedenfalls ganz bestimmt nicht benötigt, das ist, dass der Rezipient sich gedanklich mit der Liste für den nächsten Einkauf beschäftigt, während auf dem Bildschirm vor ihm eine Massenvergewaltigung abrollt.
Appendix: Eigentlich ist der Ofen für mich mit GÔMON HYAKUNEN-SHI bereits nicht nur aus gewesen, sondern komplett durch ein modernes Heizsystem ersetzt worden, doch, ja, natürlich musste ich mir auch noch JOKEI: GOKINSEI HYAKUNEN anschauen, mit dem Wakamatsu seinem ersten Streich zwei Jahre später noch einen zweiten folgen ließ. Ein Sequel ist das natürlich nicht, sondern mehr eine Variation der in GÔMON HYAKUNEN-SHI verhandelten „Themen“. TORTURE CHRONICLES CONTINUES: 100 YEARS, wie diese Giftschrankware international gerufen wird, ist indes in jedweder Hinsicht seinem bereits hundsmiserablen Vorgänger subordiniert: Es fehlt bis auf ganz wenige Szenen der klassische Score, der GÔMON HYAKUNEN-SHI zumindest stellenweise noch unverdient adeln konnte; es fehlt letztlich auch der äußerst rudimentäre politische Subtext, mit dem der Vorgänger sich vergeblich selbst unverdient zu adeln versucht hatte. Wurde in GÔMON HYAKUNEN-SHI noch aus Vorurteilen gefoltert, aus Obrigkeitshörigkeit oder wegen irregeleiteter Ideologien, suhlt sich JOKEI: GOKINSEI HYAKUNEN wiederum einzig und allein in banalsten Ehebruchsgeschichten. Erneut spritzt das Blut einzig im Off, dafür ist jede softpornographische Balzerei, ob nun einvernehmlich oder nicht, derart in die Länge gestreckt worden, dass ich nicht zögere, JOKEI: GOKINSEI HYAKUNEN als einen der unansehnlichsten und strapaziösesten Filme zu bezeichnen, die mir in letzter Zeit (und vielleicht auch jemals) vor die Augen getreten sind. Mit diesem Kapitel der marginalisierten Kinogeschichte – japanische Frauenfolter-Filme der 70er – bin ich jedenfalls bis auf Weiteres erstmal durch!