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LSD - Paradies für 5 Dollar - Giuseppe Maria Scotese (1968)

Verfasst: So 10. Mai 2020, 09:29
von Salvatore Baccaro
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Originaltitel: Acid - Delirio dei sensi

Produktionsland: Italien 1968

Regie: Giuseppe Maria Scotese

Darsteller: Stephen Forsyth, Jane Tiller, John Bartha, Norman Davis, Bruna Caruso, Bud Thompson
New York im Jahre 1968: Die Jugend rebelliert, die Joints kreisen, die italienische Filmindustrie erinnert sich an all die hübschen Drug-Scare-Filme der 30er und 40er Jahre wie REEFER MADNESS, THE DEVIL’S HARVEST oder SHE SHOULDA SAID NO!, und zapft den Zeitgeist an, um ein psychedelisches Derivat dieser Marihuana-feindlichen Exploitation-Streifen auf Beine zu stellen, die wacklig sind wie Stelzen und keinen Schritt machen können, ohne in irgendein überkommenes Klischee oder Pfützen blanken Nonsens zu treten…

Zu ihrem Geburtstag haben die Freunde von Shelley einen besonders schenkelklopfenden Scherz ausgeheckt: Wieso nicht die Zuckerglasur der Torte mit feinstem LSD anreichern? Da Shelleys Heißhunger sie gleich drei Stück von dem toxischen Konfekt verspeisen lässt, finden wir sie kurz darauf völlig weggetreten durch die Straßen geistern und ein Bad im Central-Park-Brunnen nehmen. Auch Patrizia, die Freundin des Tänzers Nicky, kann die Finger nicht vom Lysergsäurediethylamid lassen, und erdrückt ihren Liebsten zudem zunehmend mit ihrer Eifersucht, sodass dieser nun erst recht in die Arme von Ursula flieht. Die wiederum nutzt den zunehmenden Realitätsverlust ihrer Widersacherin Patrizia aus, um die Gute auf das Gelände einer Brücke zu dirigieren, von wo sie vor den Augen Nickys in den Tod hüpft. Nicht zuletzt riskiert Eddie, der trotz seines Aussehens, als würde er gerade erst hinter der Schulbank hervorgerutscht sein, bereits aufstrebender Konzern-Chef ist, sowohl seine Karriere wie seine Beziehung zu der „Village-Voice“-Journalistin Paola, indem er sich den Verstand auf derangierten Drogenpartys zerschießen lässt, auf denen die Gäste, voll bis unter die Stirn mit bewusstseinserweiternden Substanzen, zum Zeitvertreib eine befremdliche Art von Limbo tanzen: Bei jeder Runde wird ein Buch mehr unter eine brennende Kerze geschoben, worauf die Feiernden versuchen müssen, ihre Unterleibe weit genug von der Flamme fernzuhalten, dass sie sie weder auswischen noch sich an ihr versengen. Ein gemeinsamer LSD-Trip mit Paola wird für Eddie zum absoluten Alptraum, in dem ihn ödipale Wahnvorstellungen, (sprich: die Phantasmagorie der eigenen Mutter), sowie Kaleidoskop-Effekte, schrille Tinnitus-Sounds, billige Farbfilter, unkontrollierte Spielerein mit der Kameraschärfe heimsuchen, dass man sich kurzzeitig in einem haarsträubenden Abklatsch 20er Avantgarde-Filme wähnt. Die Drogenmafia darf in einem weiteren unmotivierten Subplot freilich ebenfalls nicht fehlen: Ein Gangsterboss namens Burton schleust seine Männer in die LSD-Szene ein, die ihm den Markt kaputtzumachen droht, und rekrutiert alsbald Eddie als Drogenboten, worauf dieser nur kurze Zeit später mit Betonfüßen auf dem Grund des Hudson River endet.

Zwar beginnt ACID – DELIRIO DEI SENSI wie ein „Report“-Film, indem er angebliche Koryphäen auf dem Gebiet der Drogenforschung wie einen gewissen Professor Henry Osmond der Princeton University in New Jersey oder einen Arzt des Bellevue Hospitals namens Donald Lorrier interviewt, (der die These aufstellt, jeder Drogenkonsument ließe sich drei Kerntypen zuordnen: 1. Diejenigen, die sich aufgrund bereits existenter Probleme in den süßen Rausch verabschieden, 2. Diejenigen, die durch die Einstiegsdroge Marihuana, die sie aus purem Jux einmal probiert haben, auf der Road to Ruin landen, 3. Diejenigen, die sich zu Missionaren des Teufelszeug mausern, und die gesamte Gesellschaft zugrunde zu richten beabsichtigen, indem sie wahre Promotionszüge für den Rausch veranstalten); schnell aber wird klar: Giuseppe Maria Scoteses verzichtet freimütig darauf, seinem Film auch nur den fadenscheinigen Anstrich von Seriosität zu verleihen, und wildert stattdessen in den oben skizzierten und umständlich miteinander verknüpften Episoden, die wirken, als seien sie zusammenhanglos aus einer surrealen Seifenoper gerupft. Was das Ganze denn nun mit der Hippie-Bewegung, mit den 68er Protesten, mit der gesamten Gegenkulturbewegung zu tun haben soll, von der der Film zu Beginn behauptet, er würde einen kritischen Kommentar zu diesen Themen sein wollen, erschließt sich zumindest mir nicht im Geringsten, denn wie schon meine kurze Inhaltsangabe offenlegt, ist keiner unserer Helden in irgendeiner Weise Teil eines Aufbegehrens der Jugend gegen vorherrschende gesellschaftliche Missstände; vielmehr handelt es sich bei den größtenteils unsympathischen Protagonisten um junge Leute aus offensichtlich besten Verhältnissen, die eher zufällig an die Teufelsdroge LSD geraten, und nicht etwa, weil ihnen das ein subkultureller Codex vorschreiben würde.

Dass die Realitätsnähe dieser bizarren Mixtur aus Schmierentheater und Mondo zu keinem Zeitpunkt gegeben ist, sollte niemanden wundern: Wenn Drogenpartys wirken wie alberne Kindergeburtstage, und wenn circa zwanzigjährige Konzern-Chefs bei einem Presseinterview derart mit arroganten Antworten um sich schmeißen, dass es die anwesende Journaille nicht etwa verschreckt, sondern zutiefst amüsiert, und wenn in willkürlichen Zwischensequenzen beispielweise ein junger Mann zu sehen ist, der sich im LSD-Rausch vor dem Badezimmerspiegel Gesicht und Oberkörper mit dem Rasiermesser verstümmelt, dann ist man hineingeraten in ein Paralleluniversum jenseits von Plausibilität und Vernunft, in dem sich dieser sehr unterhaltsame, weil die Sinne in wirklichem hohem Maße zum Delirieren bringende Film sein Süppchen aus Halbwahrheiten oder offensiven Lügen kocht.