Solo Dio mi fermerà - Renato Polselli (1957)

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Salvatore Baccaro
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Solo Dio mi fermerà - Renato Polselli (1957)

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Originaltitel: Solo Dio mi fermerà

Produktionsland: Italien 1957

Regie: Rentato Polselli

Darsteller: Gérard Landry, Memmo Carotenuto, Giancarlo Zarfati, Tina Gloriani, Olga Solbelli

SOLO DIO MI FERMERÀ. Nur Gott wird mich aufhalten. Ein Italo-Western? Ein RAMBO-Rip-Off? Ein Giallo-Thriller um einen meuchelmordenden Kleriker? Nein, alles falsch. Bei diesem Frühwerk Renato Polsellis aus dem Jahre 1957 handelt es sich um die herzerwärmende, historisch verbürgte Geschichte des Don Salvatore d’Angelo, der sein Leben nach der Priesterweihe der Gründung und Leitung eines sogenannten "Kinderdorfes", sprich, Waisenhauses bzw. Internats für elternlose Knaben, in der kampanischen Gemeinde Maddaloni widmet – gedreht an Originalschauplätzen, in der Hauptrolle besetzt mit dem französischen Schauspieler Gérard Landry, und genau die Sonntagsunterhaltung, die im Programm gottergebener Sender wie Bibel.TV oder Gloria.TV bestens aufgehoben wäre.

Mit Polsellis psychotronischer Phase Anfang der 70er, als er für eine Handvoll Filme lang die Grenzregionen zwischen Genre- und Avantgarde-Kino auslotet, hat SOLO DIO MI FERMERÀ demnach nicht einen Hauch zu tun, und selbst die eigenartigen Eskapaden seines drei Jahre später gedrehten Vampir-Horros L’AMANTE DEL VAMPIRO kann man nicht einmal erahnen. Nein, würde der Vorspann den lammfrommen Film nicht sowohl inszeniert wie auch geskriptet von Maestro Polselli ausweisen, hätte ich darin niemals eine erste Fingerübung des späteren Ikonoklasten vermutet. Was aber nicht heißen soll, dass mich das überraschenderweise trotz seines Inhalts gar nicht mal allzu uferlos in Melodrama und Kirchenkitsch watende Werk letztlich nicht doch kurioserweise exakt dort abgeholt hätte, wo ich vor der Sichtung gestanden habe.

SOLO DIO MI FERMERÀ beginnt mit einem Wolkenbruch, vor dem sich der kleine Nottola unter ein Kruzifix am Wegesrand flüchtet, von dessen Dach er sich ein wenig Schutz vor den Regenmassen verspricht. Zuvor hat sich der obdachlose Bub, der zusammen mit anderen Jungen, die er seinen Indianerstamm nennt, in einer verfallenen Baracke am Stadtrand haust, auf einer Obstplantage mit Äpfeln eingedeckt, die er nun, dem Gekreuzigten auf den Schultern sitzend, mit Heißhunger verschlingt. Just in diesem Moment kommt der neue Gemeindepfarrer Don Salvatore des Weges und verwickelt Nottola in ein Gespräch. Anfänglich ist der Knabe misstrauisch: Ob der Pfarrer ganz sicher nicht vorhabe, ihn zurück zu den Nonnen zu bringen, bei denen er kürzlich erst ausgebüxt ist? Don Salvatore indes gelingt es mit seiner zutiefst einfühlsamen Art, das Vertrauen des Buben zu gewinnen, und von ihm gar in seine ärmliche Unterkunft eingeladen zu werden, als das Gewitter etwas nachgelassen hat. Konfrontiert mit dem Elend, in dem die Minderjährigen leben, sich ernährend von Diebesgut, in Lumpen gehüllt, völlig ohne eine erwachsene Hand, die sie führen würde, kommt Don Salvatore zur Ansicht, dass Gott ihm einen Fingerzeig habe geben wollen: Möglicherweise ist das ja seine persönliche Lebensaufgabe – diese Jungen zu wahren Christenmenschen zu erziehen, ihnen ihre Eltern zu ersetzen, für sie zu sorgen, materiell, vor allem aber emotional. Ein Bild verfolgt ihn bis in seine Träume: Das Gesicht des hölzernen Christus, über das die Regentropfen rinnen, als würde er heiße Tränen wegen des Schicksals der Bubenbande vergießen.

Bis allerdings das Villaggio Dei Ragazzi in einer leerstehenden Kaserne entstehen kann, ist es ein stein- und dornenreicher Weg. Vor allem das städtische Bürgertum rümpft entsetzt die Nase, als es erfährt, dass der neue Pfarrer sich bei Straßenkindern einquartiert hat, dass er mit seinen eigenen Händen deren verfallene Behausung saniert, dass er mit schmutzigem Rock zur Messe erscheint, weil er eine weitere Nacht auf den kargen Strohlagern der Knaben verbracht hat. Es dauert nicht lange und erste Intrigen werden gesponnen: Don Salvatores Feinde versuchen, seine Schützlinge zu bestechen, sie sollen aussagen, er würde sie zum Stehlen nötigen. Schließlich bricht gar ein fremdverschuldetes Feuer in der Ruine aus, in denen die Jungs sich inzwischen ganz wohnlich eingerichtet haben. Freilich lässt sich unser engelsgleicher Held aber von solchen Rückschlägen nicht erschüttern: Im Polizeichef des Örtchens findet er einen Vertrauten, der ihn gegen die Anfeindungen der Bürgerschaft verteidigt; er schafft es, eine Mutter, die jahrelang ihren Sohn vernachlässigt hat, zur Reue zu bewegen; letztendlich gelingt es ihm sogar mit göttlicher Hilfe, die Militärbehörde, die seine Zöglinge aus der mittlerweile bezogenen Kaserne hinauswerfen will, davon zu überzeugen, dass ihm das Gelände als Schenkung überantwortet wird. Dass quasi nebenbei auch noch ein dunkelhäutiger Knabe vor rassistischen Vorurteilen bewahrt wird und dass sich Don Salvatore mit dem eigenen eher anti-religiös eingestellten Vater halbwegs aussöhnt, sind nur zwei von vielen weiteren das Herz erwärmenden Zutaten für den Friedens-, Freuden- und Eierkuchen, den dieser im süßesten Sinne harmlose Film darstellt. Wenn beispielweise der sich zeitlebens nach Zärtlichkeit verzehrende Nottola eines Nachts Don Salvatore fragt, ob er ihn denn Papa nennen dürfe, muss man gar kein Holz-Christus im Regenwetter sein, um feuchte Augen zu bekommen…

Einen einzigen Moment konnte ich finden, der heraussticht aus dem betuchten, zurückhaltenden, unaufgeregten Fluss der Bilder, und den man mit viel gutem Willen vielleicht als Vorausdeutung der audiovisuellen Exzesse in Filmen wie RITI, MAGIE NERE E SEGRETE ORGE NEL TRECENTO... oder MANIA interpretieren könnte, mit denen sich Polselli mehr als ein Jahrzehnt später seinen Platz in der transgressiven Filmgeschichte sichern wird: Als das Kinderdorf erstmals von Flammen verschlungen wird, befindet sich Don Salvatore mit seinen Ziehsöhnen auf einem Volksfest. Die Kunde, dass ein Brand ausgebrochen ist, läuft bei den Feiernden von Mund zu Mund, was Polselli dazu veranlasst, in einer wahren Maschinengewehr-Montage mehrere Großaufnahmen von „Feuer!“ brüllenden Gesichtern aneinanderzuheften – tatsächlich eine äußerst expressive Schnittfolge, die ich mir spontan auch gut in einem Eisenstein- oder Pudowkin-Film vorstellen könnte, so sehr erinnert sie an die spezifische Montagetechnik der Filmavantgarde in der jungen Sowjetunion. Aber, wie gesagt, das ist nur eine klitzekleine Explosion in einem Film, der ansonsten mehr einem keuschen Abend mit Klosterbrüdern vor einem meditativ prasselnden Kaminfeuer gleicht - und der seine Sache darin ausgesprochen gut macht...
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