Zorn: Vom Lieben und Sterben
„Hast dich irgendwie verändert…“
Ein Jahr nach der Verfilmung des ersten „Zorn“-Romans Stephan Ludwigs nahm sich die ARD dessen Nachfolger „Vom Lieben und Sterben“ vor, der im Herbst 2014 gedreht und am 16.04.2015 erstausgestrahlt wurde. Hinter den Kulissen blieb das Kernteam dasselbe: Mark Schlichter verfasste das Drehbuch zusammen mit Vorlagenautor Ludwig und übernahm auch die Regie. Die titelgebende Hauptrolle des Claudius Zorn jedoch wird nicht mehr von Mišel Matičević verkörpert, sondern von Stephan Luca („Heiter bis wolkig“).
„Möchte jemand eine Weinbrandbohne?“
Die Saalestadt Halle wird von furchtbaren Morden an Jugendlichen erschüttert: Einem Radfahrer wird ein gespanntes Stahlseil zum Verhängnis; später wird einer seiner Freunde (Ben Münchow, „Nur eine Nacht“) mit Benzin übergossen und bei lebendigem Leibe verbrannt. Beide gehörten einer Clique an, deren drei verbliebene Mitglieder sich gegenüber der Kripo verschlossen geben, jedoch ahnen, sich ebenfalls in Lebensgefahr zu befinden. Martha (Saskia Rosendahl, „Wir sind jung. Wir sind stark.“), das einzige Mädchen der Clique, spielt in ihrem Verhör dem ermittelnden Kommissar Claudius Zorn übel mit, indem sie ihn eines Vergewaltigungsversuchs bezichtigt. Wenngleich seinem einfühlsameren, gerade erst genesenen Partner Schröder (Axel Ranisch) Derartiges erspart bleibt, kommt man so nicht weiter. Hilfesuchend wendet man sich an den örtlichen Pastor (Tom Quaas, „Tatort: Todesstrafe“), der viel mit der Gruppe zu tun hat. Doch ausgerechnet dieser scheint es auf ein drittes Cliquenmitglied abgesehen zu haben: Zorn kann dem jungen Max (Merlin Rose, „Als wir träumten“) gerade noch das Leben retten, auf dem Computer des Pastors findet sich belastendes Material. Ein Mann Gottes auf Abwegen?
„Sie sind ein egozentrischer Angeber, der vermutlich gewohnt ist, alles flachzulegen, was ihm über den Weg läuft!“
Dass bereits nach dem ersten Beitrag einer Reihe das halbe Ensemble ausgetauscht wird, ist alles andere als üblich. Stephan Luca profitiert jedoch davon, dass seine Rolle bisher erst grob umrissen, aber noch längst nicht ausdefiniert worden war. So findet er sich adäquat in die Figur des wenig ambitionierten, mürrischen und anscheinend vom Leben enttäuschten Eigenbrötlers Claudius Zorn ein und trägt zudem gern eine Sonnenbrille auf der Nase, vielleicht um die äußerlichen Unterschiede etwas zu kaschieren. Staatsanwältin Borck, in der ersten „Zorn“-Verfilmung noch von Emily Cox gespielt, wird nun von Alice Dwyer („Baby“) dargestellt, eine gerngesehene Schauspielerin wurde also gegen eine anderen ebensolche ausgetauscht. Dwyer spielt die beherrschte und zugleich biestige Anklägerin, die keinerlei Hehl aus ihrer Abneigung gegen Zorn macht, pointiert und mit ungewohnter Härte und unterstreicht ihren Status als absolut ernstzunehmende, wandlungsfähige deutsche Schauspielerin, die so manche Produktion aufwertet.
Schröders Charakter erfährt die größte Weiterentwicklung innerhalb dieser Episode und gewinnt an Tiefe, wenn das Publikum intime Einblicke in schmerzhafte Kindheitserfahrungen erhält, die sich hinter der Fassade des pflichtbewussten, scheinbar stets fröhlichen und somit das exakte Gegenteil zu Zorn verkörpernden Kripobeamten verbergen. Zorn wird zu Beginn erst einmal von einem Halbstarken zusammengeschlagen, der sich kurz darauf als mordverdächtiges Mitglied der Jugendclique entpuppt. Diese Konstellation wird genüsslich ausgekostet, bis der Schläger im Freibad lebendig verbrannt wird – zynischerweise zum Bloodhound-Gang-Song „Fire Water Burn“. An Zorns Verlierer-Image wird weitergearbeitet, indem man ihn auf dem Zehnmeterbrett im Freibad unter Höhenangst leiden und damit zum Gespött der Jugendlichen werden lässt, vor allem aber, indem man ihn die Beziehung zu seiner Nachbarin Malina (Katharina Nesytowa), mit der er seit drei Monaten lose liiert ist, vollkommen verbaseln lässt. Dass sein angeblicher Lebenswandel als arbeitsscheuer, rauchender und trinkender Sportmuffel nicht zu seinem Mannequinkörper passen will, den er in seiner ersten Freibadszene offen zur Schau stellt, ist eine Schwäche der Reihe, in der sich diese zweite Episode kaum von der ersten unterscheidet.
Schön gelöst sind die Verhöre der Jugendlichen, die parallel zueinander montiert werden und in deren Zuge Martha den sexuellen Übergriff Zorns fingiert. Das anfängliche
Whodunit? scheint mit der Enttarnung des Pastors aufgedeckt, doch der Fall ist wesentlich komplexer und das Morden geht weiter. So hält man nicht nur die Täter- sondern auch die Motivsuche fast bis zum Finale aufrecht, wodurch der gestalterisch düstere Film dramaturgisch gewinnt. Der Humor, der sich meist aus dem Umgang Zorns und Schröders miteinander ergibt und sich an
Buddy Movies orientiert, ist schmückendes, nicht immer passendes Beiwerk, das indes hin und wieder die eigentlich bitterernste Handlung und dunkle Atmosphäre konterkariert. Möglicherweise hätte ein vollständiger Verzicht auf dieses Element gutgetan. Nach der entscheidenden, den psychotischen Täter entlarvenden Wendung verbildlicht eine Rückblende, dass nicht alles war, wie es schien, und lässt man dem Wahnsinn freien Lauf, um schließlich sogar noch eine pädagogische Komponente einfließen zu lassen. Das ist alles erneut sehr dick aufgetragen, ebenso gespielt und insbesondere hier vielleicht nicht immer ganz geschmackssicher, insgesamt aber um einiges stimmiger als noch „Zorn: Tod und Regen“ und mit mindestens einem Bein viel eher im Genrekino als im TV-Krimi verankert. Man darf also gespannt sein, wie es weitergeht.