Originaltitel: The Strange and the Gruesome
Produktionsland: USA 1999
Regie: H.D. Motyl [???]
Darsteller: Yogis, Fakire, Zauberkünstler, Suizidianten, Tumorerkrankte etc.
…und noch eine lieblos aus divergierendstem Fremdmaterial zusammengeschusterte Shockumentary der späten 90er, für die die Verantwortlichen weder bereit waren, ihre Klarnamen herzugeben, noch ein halbwegs originelles Pseudonym zu erfinden…
Die mir vorliegende, sich dankenswerterweise bei einer Laufzeit von unter einer Stunde einpendelnde VHS-Fassung dieser Nummernrevue aus Seltsamem und Schockierendem beginnt mit einem Werbetrailer, (den ich zunächst für den Beginn vorliegenden Machwerks hielt): Der in die Jahre gekommene Hollywood-Schauspieler Jay Robinson präsentiert – (stilecht in einem abgedunkelten Studio, dessen Hintergrund ein spärlich beleuchtetes Kreuz ziert, was das Ganze ein bisschen wie einen billigen Abklatsch der seinerzeit populären Fernsehreihe X FACTOR mit Jonathan Frakes wirken lässt) – in der siebenteiligen Serie BEYOND BIZARRE Sekten, die Schlangentänze vollführen, CGI-Ufos, Aufnahmen aus Horrorfilmen von Frauen, die ihre Särge verlassen, sowie sogenannte „Wolfskinder“, deren Körper über und über mit Fell bedeckt sind – wenigstens suggeriert das die zweieinhalbminütige Kostprobe, nach der ich vor Magenknurren kaum mehr einen klaren Gedanken fassen kann.
THE STRANGE AND THE GRUESOME eröffnet mit einer Szene, die wirkt, als hätten die anonymen Autoren ihre Hausaufgaben gemacht, und zumindest ein bisschen in die Genese des kinematographischen Schocks hineingelinst, denn: Erinnert die graphische Augen-Operation, mit der man mich empfängt, nicht frappant an den Prolog von Bunuels UN CHIEN ANDALOU? Passenderweise heißt das Label, das vorliegenden Schmarren vertreibt, auch noch Gorgon Video: Einen ikonographisch, historisch, kulturanthropologischen breitgefächerten Diskurs über die Gefährlichkeit des Sehens und die Verletzlichkeit des Blicks beim Übertreten von Sichttabus könnte man erwarten – jedenfalls so lange bis THE STRANGE AND THE GRUESOME sich hemmungs-, ziel- und sinnlos durch jede Menge zweifelhafte Archivaufnahmen wildert: Schwarzweiß-Bilder des Initiationsritus eines indigenen Stamms irgendwo in Afrika, (nicht, dass uns der unvermeidliche Off-Sprecher irgendwelche Informationen zu Ort oder Bedeutung des Gezeigten preisgeben würde), bei dem Frauen und Männer gleichermaßen beschnitten werden, (zumindest behauptet der Kommentator, dass dies in den Bildern zu sehen sein soll; ich wiederum hatte – glücklicherweise! - erhebliche Schwierigkeiten, da irgendwo eine Genitalverstümmelung auszumachen); explizite Aufnahmen einer Geburt inklusive Kaiserschnitt, (wobei ich mich frage, welcher Kategorie die nun zugeordnet werden soll: Dem Seltsamen oder dem Abscheulichen?); ein Mann, der den Weltrekord des Lebendig-Begraben-Seins aufstellen möchte, und sich für, wie es heißt, six weeks nach six feet under begibt. Besonders festgebissen hat sich das Tape an Fakiren, Yogis, Zauberkünstler, die Schwerter verspeisen, sich Klingen in Nasen und Ohren einführen, sich Stahlplatten oder Ambosse auf dem Bauch drapieren lassen, und ihr Publikum dazu auffordern, diese sodann mit Hammerschlägen zu bearbeiten. Dass all diese Bilder aus teilweise jahrzehntealten Wochenschauberichten zusammengeklaubt wurden, verrät mir dabei nicht nur der gesunde Menschenverstand, sondern ebenso, dass man manchmal gar darauf verzichtet hat, die Originaltitelschriftzüge zu kaschieren: Ein Segment beispielwiese entstammt offensichtlich den Pathé News und verkündet in seinen Texttafeln „Hamburg Yogi’s – A Wow in Germany!“ Die Eigenleistung der Verantwortlichen hält sich entsprechend in Grenzen, und beschränkt sich darauf, die jeweiligen Reporte mit einem neuen, (teilweise haarsträubenden und maximal desinformativen), Sprecherkommentar sowie extradiegetischen Geräuschen und einer Musik versehen zu haben, die von nervtötendem Trommeln (die Afrika-Sequenz) über New-Age-Klaviergeklimper bis hin zu repetitiven elektronischen Klangteppichen wie aus einem Pornofilm oder einem Videospiel reichen.
Erst in der letzten Viertelstunde erinnert sich das Tape an die Dichotomie seines Titels: Das Feld des „Strangen“ hat man zur Genüge abgefrühstückt, doch wo bleibt das „Gruesome“? Schlangen- und Hundeschlachtungen tendieren schon in diese Richtung, oder? Auch mit den Schweineschlachtungen aus MONDO CANE macht man selten etwas verkehrt – zumal man dann auch noch gleich die Selbstgeißlungen während einer religiösen Zeremonie im italienischen Süden aus demselben Film einstreuen kann. Eine Sequenz, in der weitere indigene Afrikaner frisches Kuhblut trinken bzw. sich damit einschmieren, kommt mir ebenfalls verdächtig bekannt vor, und dürfte aus irgendeinem Mondo der Castiglioni-Brüder entlehnt worden sein, während für einen schmerzhaft anzuschauenden Piercing-Ritus, dem sich eine Gruppe Hindus unterzieht, meiner Meinung nach Rolf Olsens SHOCKING ASIA als Bilderlieferant herhalten musste. Letztlich kulminiert THE STRANGE AND THE GRUESOME in Impressionen eines Anti-Raucher-Aufklärvideos, die uns, unter anderem, einen Mann vorstellen, dem ein Tumor im Unterkiefer wächst, und ihm, da er sich partout weigert, sich auf den OP-Tisch zu begeben, nach einigen Wochen das halbe Gesicht deformiert. Letzte Einstellung: Ein Suizidant stürzt sich von einem Hochhaus in die Tiefe, zufällig mitgefilmt von einem Passanten – eine Aufnahme, von der ich gar nicht mitzählen kann, in wie vielen fragwürdigen Atrocity Tapes à la FACES OF DEATH oder DEATH SCENES diese mir nach all den Jahren meiner Recherche in diesem Feld schon über den Weg gelaufen ist.
Es lässt wahrscheinlich schon tief blicken, wenn ich einem Werk bescheinige, allein deshalb nicht der Bodensatz seines Genres zu sein, weil es darauf verzichtet, mir missgestaltete Säuglinge, Unfallopfer oder Autopsien im Sekundentakt vorzusetzen. Innerhalb der Filmgeschichte darf man eine sterbenslangweilige, uninspirierte, inkompetente Kompilation aus vermeintlich Aufsehenerregendem wie THE STRANGE AND THE GRUESOME aber, meiner Meinung nach, durchaus als Bodensatz ansehen, - wenn es auch freilich noch immer schlimmer geht…
The Strange and the Gruesome - H.D. Motyl (1999)
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