Piège - Jacques Baratier (1968)
Verfasst: Mi 25. Nov 2020, 18:12
Produktionsland: Frankreich 1968
Regie: Jacques Baratier
Darsteller: Bernadette Lafont, Bulle Ogier, Jean-Baptiste Thiérrée, Fernando Arrabal
Ein junger Mann betritt ein Fachgeschäft für Tierfallen, in dessen Schaufenster etliche erhängte Ratten baumeln. Erwartet wird unser Held hinter der Verkaufstheke von Fernando Arrabal, der sich sichtlich daran ergötzt, dem neugierigen Kunden gemeinsam mit seinem Assistenten das Sortiment an unterschiedlich großen, unterschiedlich brutalen Fallen näherzubringen. Schließlich entscheidet sich unser Held für ein gewaltiges Monstrum, das dazu gedacht ist, Bären dingfest zu machen: Kiefer mit Reißzähnen schließen sich um die Tatze, worauf das gefangene Tier entweder darauf wartet, dass man es mit einem Gnadenschuss erlöst oder aber an seiner Fleischwunde jämmerlich verblutet. Für den Zeitpunkt, an dem das Geschäft abgewickelt ist, hat Arrabal sich einen kleinen Monolog aufgespart: Er möchte wissen, was seinen Kunden dazu bewogen habe, sich eine solche Falle zu kaufen. Nein, es geht Arrabal beileibe nicht um triviale Gründe wie Jagdleidenschaft oder eine Bärenplage. Was er zu erfragen versucht, das sind die metaphysischen Triebfedern, die den Mann in seinen Laden geführt haben…
PIÈGE wird 1968 von dem mir bislang gänzlich unbekannten Jacques Baratier inszeniert, (dessen Oeuvre sich immerhin aus mehreren zwischen den späten 40ern und frühen 2000ern entstandenen Dokumentar- und Spielfilmen zusammensetzt), jedoch erst im Jahre 1970 der (sicherlich überschaubaren) Öffentlichkeit präsentiert. Dass PIÈGE anmutet wie ein wohlgehütetes Geheimnis der abseitigen französischen Filmgeschichte, verwundert allein schon, wenn man einen Blick auf den Cast wirft, den Baratier für seinen knapp einstündigen Streifen zusammengetrommelt hat: Jean-Baptiste Thiérée, der dem namenlosen jungen Mann seinen Körper leiht, kennt man zwar tatsächlich weniger für seine Schauspielkarriere als dafür, dass er Chaplin-Tochter Victoria geehelicht hat. Die beiden weiblichen Hauptrollen jedoch nehmen mit Bernadette Lafonte und Bulle Ogier gleich zwei Ikonen des französischen Arthouse-Films der 60er und 70er Jahre ein. In einer winzigen Nebenrolle ist außerdem Jackie Raynal zu sehen, die sich nicht nur als Cutterin einiger Eric-Rohmer-Werke der 60er einen Namen machte, sondern als Teil der sogenannten „Zanzibar“-Bewegung zudem als Regisseurin für einen der radikalsten mir bekannten französischen Experimentalfilme der 60er Jahre zeichnete – namentlich DEUX FOIS aus dem Jahre 1968. Dass Baratier auch noch Fernando Arrabal in einer seiner wenigen Schauspielrollen gewinnen konnte, hat mich ursprünglich überhaupt erst auf die Fährte dieser Anatol-Dauman-Produktion für Aficionados des subversiven Kinos gebracht.
Nachdem ich nun endlich einmal mehrere Augen auf PIÈGE habe werfen können, erschließt sich mir seine relative Unsichtbarkeit bis zum heutigen Tage genauso wenig wie die eher zum Verreißen geneigten Handvoll Kritiken, über die ich im Netz stolpere. Klar sollte sein: PIÈGE ist ein Film, der sich mit seinem Rücken zum Publikum stellt, größtenteils mehr eine abgefilmte Performance als eine kohärente Geschichte, sperrig, anstrengend, bewusst konfus. Andererseits: Gerade die sämtliche Register der Schauerromantik ziehende Kinematographie von Georges Barksy dürfte selbst Betrachter, die mit der losen, episodischen, verrätselten Struktur des Films wenig anfangen können, durch eine gotische Schwarzweißmalerei entschädigen, die zwar in mancher Szene etwas an der mangelnden Beleuchtung krankt, nichtsdestotrotz aber über weite Strecken keinem klassischen Spinnweb- und Spukschloss-Horror schlecht zu Gesicht stünde. Das Anwesen, das Baratiers Streifen auf diese Weise zur klaustrophobischen Katakombe hochstilisiert, gehört dem jungen Mann, über den wir – abgesehen von seinem Fallenfetisch – so gut wie nichts mehr erfahren – schon gar nicht, was ihn dazu bewegt, eines Tages vorm örtlichen Frauengefängnis herumzulungern, als würde er auf Beute warten. Just als er sich dort umhertreibt, werden für Bulle Ogier die schwedischen Gardinen beiseitegeschoben. Zwei Nonnen sind bereits vor die Knasttore geradelt, um ihr verlorengegangenes Lämmchen zurück in die Klosterschule mitzunehmen, wo Ogier scheinbar stationiert ist. Doch werden die frommen Schwestern von ihrem Schützling verprellt: Lieber schließt sich Ogier ihrer Freundin Bernadette Lafonte an, die ebenfalls gekommen ist, um sie in Empfang zu nehmen, und, scheint’s, mit sich in einen Strudel lesbischer Leidenschaft zu reißen. Gerade als die Nonnen erschüttert davongefahren sind und Ogier und Lafonte erste Pläne schmieden, wie sie die neugewonnene Gemeinsamkeit genießen können, tritt der junge Mann an sie heran, um sie in seine herrschaftliche Villa einzuladen. Obwohl unsere Heldinnen demnach einen Freischein für den Zutritt in das Haus des Mannes besitzen, beschließen sie doch, die Einladung erst einmal abzulehnen, sich stattdessen nachts wie Diebe zu der Villa zu stehlen, und auf umständliche Weise in sie einzubrechen. Was nun folgt, ist ein Reigen kaum zusammenhängender Eskapaden, in denen Ogier und Lafonte sich zu einem abgedrehten Atonal-Score Francois Tusuqes' körperlich völlig verausgaben, grimassieren, herumschreien, destruktiv durch die lichtlosen Säle der Villa toben, als hätten sie einmal zu viel Vera Chytilovás SEDMIKRÁSKY gesehen, - während der junge Mann sie die ganze Zeit heimlich bespitzelt, und sich daran dekliniert, wie die beiden Frauen sich zufällig herumliegende Reizwäsche überziehen, sich alsbald in sadomasochistischen Spielen vertiefen, schließlich auf Jackie Raynal stoßen, die als BDSM-Sklavin ebenfalls bereits auf der Folterpritsche liegt.
Was genau das alles bedeuten mag, worauf sich das Symbol der titelgebenden Falle bezieht – eine Falle der normierten Sexualität, aus der unsere Heldinnen den Ausbruch wagen?, eine Falle der eruptiven Leidenschaften, denen unsere Heldinnen mit zunehmender Laufzeit immer ohnmächtiger ausgeliefert sind?, eine Falle der filmischen Konventionen, die PIÈGE bricht, als würde er mit Riesenstiefeln über morsche Äste laufen? -, und ob Baratier überhaupt mit seinem Film eine konkrete Botschaft vermitteln wollte, die sich einem eröffnet, wenn man nur lange genug darüber brütet – all das sehe ich mich (noch?) außerstande zu beantworten, denn PIÈGE befleißigt sich eines derart starken Hermetismus, dass mein Verstand vor dem Streifen steht wie vor einem Pergament voller verschlüsselter okkulter Symbole. Allerdings habe ich, um den Film auf eigenartige Weise unterhaltsam zu finden, gar keine intelligiblen Inhalte gebraucht. Auch jenseits einer decodierbaren Semantik wirkt PIÈGE wie das Äquivalent zu einer Tour durch eine Kunstgalerie, in der Gothic Horror auf transgressive Theaterperformances trifft, in der deutliche Horror-Motive sich mit einer (für das Jahr 1968 überaus offenherzigen) Darstellung devianter Sexualpraktiken vermischen, in der surreale Obertöne sich mit einer expressionistischen Ästhetik vermählen, - und in der man dann noch zu allem Überfluss auf die vertrauten Gesichter einer (überraschend oft lachenden) Bulle Ogier, einer dominahaft-strengen Bernadette Lafonte, und eines Arrabals trifft, von dem ich mich ebenfalls gerne einmal in Sachen Tierfallen beraten lassen würde.