Sssshhh... - Pavan Kaul (2003)

Moderator: jogiwan

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Salvatore Baccaro
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Sssshhh... - Pavan Kaul (2003)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: Ssshhh...

Produktionsland: Indien 2003

Regie: Pavan Kaul

Darsteller: Tanishaa Mukerji, Dino Morea, Karann Nathh, Gaurav Kapoor, Suvarna Jha, Kushal Punjabi, Tina Choudhary, Alyy Khan, Maya Alagh

Abt.: Bollywood-Remakes von US-amerikanischen Erfolgsstreifen

SSSHHH… Klingt das onomatopoetisch nicht wenigstens bisschen nach einem gewissen Neo- und Meta-Slasher, der unter der Regie Wes Cravens vier Jahre vor SSSHHH… die Kinokassen zum Jubilieren gebracht hat?

Eine rhetorische Frage, zugegeben. Dafür allerdings, dass mir diverse Netzkritiken SSSHHH.. als Hindi-Neuaufguss von SCREAM verkauft haben, (quasi das wispernde Gegenstück zum schreihalsigen Original), muss ich konstatieren, dass der Film unterm Strich doch weitaus origineller und innovativer daherkommt als ich erwartet hätte – und das liegt nicht zuletzt daran, dass er sich mit seiner Laufzeit von fast drei Stunden (!) stellenweise zieht wie ein Kaugummi, das man von einem Berg des Norddeutschen Tieflands zum nächsten spannt.

Bereits im Prolog wird es sicher jedem, der mit generischen US-Slashers mehr anfangen kann als ich es tue, ganz warm ums Herz werden: Malini und ihr Boyfriend Sunny halten sich des Nachts in der Squash-Halle ihres College-Campus auf und leisten sich ein Freundschafts- bzw. Liebesmatch. Zuerst verliert Sunny, und zwar sein Leben, als er mit einem Killer zusammentrifft, der statt der Edward-Munch-Maske bei Craven die Visage eines grinsenden Clowns vor der eigenen trägt. Aber auch Malini erlebt die Vorspanncredits nicht…

Sechs Monate später lernen wir Shimla kennen, ihres Zeichens jüngere Schwester Maheks und verständlicherweise nunmehr mit einem schweren Trauma belastet, das sie schon gar nicht durch den Umstand leichter tragen kann, dass ihr Onkel Kamat, der bei der Mordkommission arbeitet und mit der Auflösung von Malinis Tod betraut ist, im zurückliegenden halben Jahr nicht die geringsten Hinweise hat präsentieren können, wer das garstige Verbrechen aus welchem Grund begangen haben könnte. Eines Tages trifft die Studentin, die noch bei ihrer alleinerziehenden Mutter lebt, auf einen gewissen Suraj, der neu in der Stadt und auf dem Campus ist, und den sie aufgrund ad hoc aufblühender amouröser Interessen sogleich in ihre Freundesclique zu integrieren versucht. Diese besteht aus dem farblosen Pärchen Rhea und Nikhil, aus Shimlas bester Freundin Gehna, dem ständig herumblödelnden Rajat sowie Draufgänger Rocky. Gerade letzterem ist Suraj von Anfang an ein Dorn im Auge, hat er sein Sehorgan doch selbst längst auf Shimla geworfen, und sieht es nun gar nicht gerne, wie oft und gerne diese nunmehr Zeit mit dem Neuzugang verbringt.

Alles könnte zu einer Teenie-Romanze mit Eifersucht, Herzschmerz und Happy End ausarten, wenn da nicht eine Lautsprecherdurchsage wäre, die am Simon College ertönt, und in der eine bitterböse Stimme Shimla verkündet, sie würde alsbald den gleichen Weg beschreiten wie ihre ermordete Schwester. Dass sich einer der Studenten Zugang zum Büro des Direktors verschafft habe, um auf Kosten Shimlas einen üblen Streich vom Stapel zu lassen, ist die naheliegendste Erklärung. Dann aber geschieht ein zweites Kapitalverbrechen: Die Lehrerin Mrs. Roy, - (im Übrigen einer der unerträglichsten Comic-Relief-Charaktere, die mir seit langem begegnet sind) -, wird in der Sporthallengarderobe des Colleges abgeschlachtet aufgefunden – und zwar in bester (oder schlimmster) Fulci-Manier mit einem Messerstich per Auge mitten ins Gehirn! Was niemand unserer Protagonisten weiß, (aber wir, weil der Film es uns offenherzig gezeigt hat): Der maskierte Killer hat sich an Shimla herangeschlichen, wurde dann aber durch das plötzliche Auftauchen von Mrs. Roy verscheucht. Versteckt im Spint verrät er sich der Lehrerin durch ein unbedachtes Husten, - worauf die Dame in der Erwartung, entweder einen geilen Spanner oder ein Pärchen beim Liebesspiel in der Umkleidekabine zu erwischen, akribisch den Raum durchforstet, und damit ihr eigenes Todesurteil unterschreibt.

Zeit für Onkel Kamat und seinen Assistenten Rathod, auf dem Campus zumindest einmal Präsenz zu zeigen, - und sich darüber zu ergötzen, dass der Schlächter diesmal wenigstens einen blutigen Schuhabdruck hinterlassen hat. Schuhgröße 8, stellen die Polizisten fest, und halten es danach für eine kluge Idee, wahllos männliche Studenten aus der gaffenden Menge herauszugreifen, um deren Schuhsohlen mit denen des Killers abzugleichen. Rocky ist schon mal fein raus, denn er hat Schuhgroße 9. Anders sieht es bei Suraj aus: Dessen Füße könnten tatsächlich in den Schuhen des Mörders gesteckt haben! Irgendwann kommen aber auch Kamat und Rathod auf den Trichter, dass es statistisch gesehen wahrscheinlich hunderte Collegestudenten mit derselben Schuhgröße gibt. Dennoch: Der Film, der diese Szene übrigens völlig überinszeniert, um so viele rote Heringe wie möglich zu verstreuen, besinnt sich schließlich auf ein Mindestmaß an Logik, sodass die Polizisten beschließen, erstmal auf den Autopsiebericht zu warten, bevor sie irgendwelche Verdächtigungen in den Äther blasen.

Rocky aber sieht seine Chance gekommen, einen Keil zwischen Mahek und Suraj zu treiben, indem er letzterem immer wieder halb scherzhaft, halb boshaft die wortwörtliche Schuld an den Mordtaten in die Schuhe schiebt. Erfolg hat er bei seinem Herzblatt indes nicht: Mahek geht auf Distanz zu ihm, und bindet sich nur noch näher an Suraj, der nun auch – zusammen mit uns – ihre tragische Familiengeschichte erfährt. Ihr Vater nämlich sei ein schlimmer Finger gewesen, und habe ihre Mutter verlassen, als sie und Malini noch Kinder gewesen seien. Trotz ihres Gefühls, in Suraj eine Schulter zum Anlehnen und Ausheulen gefunden zu haben, verbringt sie den Abend, den ihre Mutter, die als freischaffende Künstlerin arbeitet, auf irgendeiner Vernissage herumhängt, allein zu Hause. Ein Fehler, wie sich bald herausstellt, denn zum ersten (und einzigen) Mal zitieren die Filmemacher nunmehr ganz offen SCREAM: In der weitläufigen Villa fällt das Licht aus; ein grusliger Telefonanruf macht Mahek auf die Gefahr aufmerksam, die draußen im Garten lauert; es kommt zur Verfolgungsjagd, dazu, dass Mahek es immer wieder schafft, der scharfen Klinge des Killerclowns zu entkommen, und schließlich in letzter Sekunde gar Onkel Kamat anzurufen. Dessen Erscheinen vertreibt den Harlekin -, allerdings steht auch Suraj plötzlich auf dem Anwesen von Maheks Elternhaus, und unsere Heldin bemerkt an seinem Arm eine auffallende Uhr, die auch der Killer getragen hat. Nicht nur das: Onkel Kamat hat im Gebüsch bereits das Kostüm des Angreifers ausfindig gemacht. Es liegt nur nahe, dass für Suraj nun erstmal die Handschellen klicken.

Kleiner Zwischenstand: Etwa eine Dreiviertelstunde ist bis hierhin bereits vergangen, und, obwohl wir uns in einem Bollywood-Streifen befinden, hat bisher weder jemand das Tanzbein geschwungen noch uns mit hüftwiegenden Popsongs beschallt. Grund genug für Rocky, eine Party zu schmeißen, um Mahek aus ihrem Tief zu locken. Nach einer längeren Sequenz, in denen sämtliche unserer männlichen Hauptdarsteller – (abzüglich Suraj, der ja immer noch schwedische Luft atmet) – unter Beweis stellen dürfen, wie anmutig sie zwischen Bowle-Bechern über die Tanzfläche hüpfen und dabei das Leben, die Liebe, das Lächeln angebeteter Frauen besingen können, klingelt endlich Maheks Handy, um sie die Stimme des Killers hören zu lassen. Zu dem Zeitpunkt befindet sie sich bereits mit Gehna auf der Heimfahrt, - weshalb sich unser Clown auch gleich vor dem Vehikel mitten auf der Straße materialisiert. (Etwas, das ich mir, mitten in der Nacht sehr gut überlegen würde, selbst wenn ich ein irrer Psychoclown mit Mordabsichten wäre.) Aber der Plan des Maskenmanns geht auf: Gehna reißt das Steuer rum; es kommt zum Unfall und einer weiteren Verfolgungsjagd; und als Deus ex machina muss einmal mehr Onkel Kamat herhalten, der den Killer mit Blei befeuert, worauf dieser sich mit einem Sturz in einen tiefen und reißenden Fluss flüchtet.

Feststeht nun mehrerlei: Sujat kann den neusten Anschlag auf Mahek nicht verübt haben, da er das beste Alibi hat, das man haben kann, - er saß nämlich gerade beim wiederholten Polizeiverhör. Der Körper des Mörders wird zwar erstmal nicht geborgen, doch scheint es implausibel, dass er Kamats Schüsse und den Sprung in die Fluten überlebt hat. Tja, und Rocky plant derweil schon die nächste Aktion, um Mahek auf andere Gedanken zu bringen: Wieso nicht einen Trip nach Thailand unternehmen? Alle ihre Freunde sollen mitkommen: Gehna, Rajat, Rhea, Nikhil. Von ihm aus auch Sujat, quasi als Entschuldigung dafür, dass sie ihn kollektiv für den Mann hinter der Maske gehalten haben. Gesagt getan: Man fliegt mit einer Last-Minute-Airline ins südostasiatische Paradies, wo man die Korken knallen lässt, viel singt und tanzt, und die bösen Omen sich in Grenzen halten, wenn nicht gerade eine Wahrsagerin vor Mahek Tarotkarten ausbreitet, die ihr eine düstere Zukunft voraussagen. Da wir parallel aber weiterhin die Ermittlungen von Karma verfolgen, trübt sich der Erholungsurlaub für uns früher als für unsere Helden: Es gibt bestechende Indizien dafür, dass der Killer noch am Leben ist, und da Mahek ganz oben auf seiner Abschussliste steht, hält es der Inspektor für logisch, er könne ihr nachreisen und versuchen, ihr in Thailand den Garaus zu machen. Also packen Kamat und Sidekick Rathod ihre Koffer, und fliegen ihrerseits gen Bangogk – (ist ja nicht so, dass es in Thailand keinen funktionierenden Polizeiapparat geben würde, den man damit hätte beauftragen können, Mahek & Co. zu warnen und gegebenenfalls in Schutzgewahrsam zu nehmen.) Aber unsere illustre Truppe ist aufgrund exzessivem Partytums längst aus dem Hotel geworfen worden. Neues Ziel: Irgendein entlegenes Eiland im Indischen Ozean. Also genau ein Ort, wohin man sich zurückziehen sollte, wenn ein wahnsinniger Mörder einem auf den Fersen ist…

Dass die von SSSHHH... erzählte Geschichte in einer Weise überkonstruiert ist, die sie stellenweise beinahe schon wie eine metareflexive Genre-Parodie wirken lässt, dürfte nach der Lektüre meiner kursorischen Inhaltsangabe der ersten beiden Laufzeitstunden klar sein. Mehr noch als in jedem beliebigen US-Slasher scheint mir Pavan Kauls Film zusammengesetzt aus jedweder externen und inhärenten Logik erfolgreich trotzdenden Plot-Volten, die eigentlich nur von der finalen Auflösung getoppt werden, die zwar, lässt man sich denn auf sie ein, noch halbwegs plausibel daherkommt, einige Entscheidungen, die der Killer vor seiner Enttarnung getroffen hat, jedoch in höchstem Maße in ein fragwürdiges Licht taucht. (Und die grenzdebile Aktion, dass man sich, mitten in der Nacht auf einer Straße postiert, um einen Unfall zu provozieren und sein Opfer sodann aus dem Autowrack zu bergen, wäre bei jeder noch so folgerichtigen Auflösung ein Bubenstück, das wohl niemandem mit gesundem Meuchelmörderverstand einfallen dürfte.) Die Vorstellung, die SSSHHH... vom indischen Polizeidienst vermittelt, besitzt eine unverhohlen trashige Note: Kamat und Rathod scheinen nahezu die einzigen aktiven Beamten zu sein, die, wie erwähnt, potentiellen Mordopfern sogar umständlich und kostspielig bis nach Thailand hinterherreisen müssen, da den Job sonst niemand erledigen kann oder mag. Besonders amüsant hat mich zudem die Art und Weise, wie dem Kamat-Darsteller zu jeder sich bietenden Gelegenheit die Gesichtszüge entgleisen und er ein fassungsloses "Oh my God!" ausstößt - eine mimische Glanzleistung, die gerade im Finale im Minutentakt erfolgt. Mindestens befremdet hat mich zudem die Konsequenz, mit der man das Collegelehrerpersonal als wahre Witzfiguren modelliert – etwas, das mir mit Sicherheit gehörig auf die Nerven gegangen wäre, würde SSSHHH… nicht früh die Ferienzeit ausrufen, und die Zeit, die der Film auf dem Campus verbringt, auf sein erstes Drittel beschränken. Sicherlich sind auch die Nachwuchsschauspieler, die Mahek und ihre Clique verkörpern, keine psychologisch fundierten Figuren, sondern am Reißbrett entworfene Klischees – Gehna als mode- und stilbewusste Rich Bitch; Rocky als James-Dean-Verschnitt; Mahek als das keusches, introvertiertes Mäuschen, das von der großen Liebe träumt –, doch gleitet SSSHHH… zumindest nie in allzu hemmungsloser Weise in die üblichen Teenager-Problematiken ab, da ihn der ganze See voller rotgefärbter Heringe ablenkt, die prinzipiell jedem männlichen Ensemblemitglied irgendeinen Hinweis darauf anheften, bei ihm könne es sich um Maheks clownesken Verfolger handeln. Die Morde sind wenig blutig, dafür die Genre-Standardsituationen Legion, in denen Mahek kreischend durch Wälder und Hausflure rennen darf, und spätestens, wenn der Film seinen Schauplatz nach Thailand verlagert, bekommt man auch etwas fürs Auge geboten, wenn die Schauwerte sich jedoch freilich in touristischen Bildern von Sandstränden erschöpfen, und SSSHHH… ansonsten technisch-ästhetisch so gut wie nichts aufbietet, was mich sonderlich überrascht hätte.

Das größte Rätsel gibt mir dieser durchaus unterhaltsame Streifen jedoch bezüglich seiner epischen Laufzeit auf. Ich hätte es ja verstanden, wenn man sich der 180-Minuten-Marke genähert hätte, weil man pausenlos Tanz- und Gesangsszenen in die dünne Handlung integriert hätte. Aber anders als vergleichbare Produktionen der Bollywood-Schmiede lässt SSSHHH… nur dreimal seine Puppen tanzen – und zusammen ergeben diese Szenen – die erwähnte Partyszene in der ansehnlichen Hütte von Rockys Eltern; dann noch ein ausgelassener lebensbejahender Pop-Song, als unsere Freunde zu ihrem Spontanurlaub aufbrechen; schließlich ein Ausflug in eine thailändische Disco – zu nicht einmal fünfzehn Minuten. Stattdessen wird viel Leerlauf für absolut obsolete Passagen generiert – besonders herausstechend im Thailand-Segment, wo wir unsere Helden gerne einmal minutenlang über irgendwelche Nichtigkeiten diskutieren sehen, oder regelrecht minutiös die einzelnen Ermittlungsschritte von Kamat und Rathod bebildert werden, die man gut und gerne auch in einer einzigen Dialogszene hätte bündeln können. Gerade dieser Wille dazu, seine Handlung stagnieren oder wenigstens nur im Schneckentempo voranschreiten zu lassen, entfaltet aber mit der Zeit seinen ganz eigenen Reiz, der mir durchaus mit dem berühmten Phänomen der D’Amato’schen Poetik der Lähmung und des Erstarrens kompatibel erscheint, denn auch SSSHHH… ist in seinem Kern ein Film, der mehr vom Verstreichen der Zeit handelt als von irgendwelchen Killerclowns und ihren bedauernswerten Opfern. Dadurch erhält aber auch der Filmtitel einen Doppelsinn: SSSHHH…, das könnte auch die Geräusche meinen, die mancher Zuschauer von sich gibt, wenn er nach spätestens zwei Stunden sanft entschlummert ist.
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sergio petroni
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Re: Sssshhh... - Pavan Kaul (2003)

Beitrag von sergio petroni »

Hhhhmmm??? :wink:
DrDjangoMD hat geschrieben:„Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt, doch ach – es wankt der Grund auf dem wir bauten.“
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